Kapitel 8

Wo konnte man schneller das Zeitgefühl verlieren als in einer kleinen dunklen Zelle, die nur unregelmäßig für Mahlzeiten geöffnet wurde und sonst ununterbrochen abgeschlossen war? Kein Besuch von Karin, keiner von Suigetsu, Jūgo und auch Sasuke ließ sich tagelang nicht blicken.

Der Mensch brauchte soziale Interaktionen wenn er nicht völlig verrückt werden wollte, doch das war anscheinend genau das, was Akatsuki oder Taka oder wie auch immer sie sich jetzt nannten, erreichen wollten. Sakura konnte Sasuke schließlich nicht psychologisch analysieren wenn sie selbst eine Analyse nötig hatte — oder mehr.

Sie musste ständig an Naruto denken, an Ino, Hinata, Tenten und sogar Sai, den sie schlussendlich auch zu ihren Freunden zählte. Was machten sie wohl gerade in Konoha? Oder hatten sie schon längst die Suche nach ihr begonnen? Es waren eine Menge Schäden im Dorf entstanden, obwohl die Zerstörung von Pains Angriff vor einigen Monaten noch nicht mal alle behoben worden waren. Sie würden Zeit brauchen, Ressourcen, alle Leute, die nicht verletzt waren. Konoha war angreifbar. Wenn Konoha schlau war, sicherten sie sich erst selbst ab und schickten dann jemanden los, um sie zu suchen.

Doch Sakura kannte ihren besten Freund und sie kannte auch ihren Sensei, alle ihre Senseis. Sie würden sie nicht im Stich lassen. Naruto war niemand, der sich hinter sicheren Mauern zuhause fühlte, sondern umgeben von seinen Freunden.

Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht ihn hier zu haben, Verstärkung im Kampf gegen Sasukes sturen Verstand.

Und doch quälte sie immer noch die Frage, warum Sasuke sie weiterhin am Leben hielt. Neugierde war eine lahme Ausrede gewesen, sie spielte wahrscheinlich auch mit, aber jemand wie Sasuke ließ niemanden aus reiner Neugierde am Leben. Nicht mehr.

Sakura saß mit dem Rücken zur Wand und hatte die Augen geschlossen. Die Pritsche an der gegenüberliegenden Wand war nicht mehr als ein morsches Holzbrett, das so fruchtbar roch, dass sie lieber im sitzen auf dem Boden schlief. Doch von Schlaf konnte gar nicht richtig die Rede sein. Sie dämmerte von Zeit zu Zeit kurz weg, erwachte, wenn der Spalt unten an der Tür geöffnet wurde und Nahrung hineingeschoben wurde, und versuchte die restliche Zeit nicht vor Anspannung und Langeweile den Verstand zu verlieren.

Es gab keine Fenster in diesem Raum und auch durch den Türschlitz drang kein vernünftiges Licht in den Raum. Über dem Waschbecken hing eine schwach leuchtende Lampe die ununterbrochen an war, also konnte sie sich nicht mal dadurch orientieren, wie spät es war.

Gefangen zu sein war scheiße.

Am — Sakuras ziemlich ungenauen Gefühl nach zu urteilen — vierten Tag hatte sie angefangen, Verhandlungen mit der Luft zu führen.

Ich weiß, dass mich irgendwer da draußen hört, hatte sie schon an die hundert mal gerufen. Wenn du mich raus lässt gebe ich dir was du willst — mal Geld, mal Medizin, oder auch alles, was sie besaß.

Doch auch nach diesen äußerst törichten und verzweifelten Verhandlungsversuchen verliefen die Tage immer gleich. Der Schlitz öffnete sich und Sakura versuchte mit der Person auf der anderen Seite zu reden. Und niemals bekam sie eine Antwort.

"Sagt Sasuke, ich könnte die verdammte Tür auch einfach aufreißen", sagte sie. "Ich bin freiwillig eure Gefangene. Hab ich da keine bessere Behandlung verdient?"

Leider war sie sich jedoch gar nicht so sicher, ob sie die Tür tatsächlich so ohne weiteres öffnen könnte. Sie schien ziemlich massiv zu sein und nicht nur die Stichwunde, sondern auch das Gift hinderte Sakura noch immer ihre vollständige Kraft zurückzuerlangen.

War das, worauf Sasuke anspielte? Wollte er, dass sie sich selbst befreite, um zu wissen, für wie lange er sie unter Kontrolle bringen konnte? So hätte sie es wahrscheinlich gemacht, wenn sie einen Gefangenen in ihrer Zelle hätte, dessen Kraft sie nicht zu hundert Prozent einschätzen konnte.

Nach eineinhalb, vielleicht zwei Wochen des Wartens hatte sie dann endlich genug. Sie wurde nicht unterernährt und hatte immer genug Wasser, also wollte Sasuke sie nicht umbringen. Ihre Hypothesen schienen immer logischer. Er wollte, dass sie sich selbst befreite. Wollte wissen, wie lange ihr Körper brauchte, um sich vollständig zu regenerieren.

Sakura hätte die Tür wahrscheinlich schon vor Tagen öffnen können — wenn auch mit viel, viel Anstrengung und ihren letzten Kraftreserven —, sie wollte ihm nur einfach nicht bei seinen kleinen Experiment assistieren. Er würde hoffentlich schon bald die Geduld verlieren und die Tür selbst aufschließen. Vielleicht nervte sie ihn auch einfach so lange, bis er hier hereinstürmte, um sie selbst zum Schweigen zu bringen.

"Du kannst meine Schuhe haben, mein Oberteil. Willst du meine Haare? Du kannst auch meine Haare haben." Heute hatte Sakura etwas zwischen den Boden und die obere Ecke des Spalts geschoben, um die Öffnung offenzuhalten. Sie würde so lange reden — und so laut reden —, bis jemandem der Geduldsfaden reißen würde. "Ich gebe dir meine Hose und meine Jacke, wenn ich ein Gespräch mit Sasuke bekomme. Zwei zum Preis von einem. Ich kann auch singen, wenn euch das eher zusagt."

Immer noch nichts. Also fing sie an Lieder zu singen, die sie noch aus der Schulzeit an der Akademie kannte. Lieder, die auch Sasuke noch kennen musste.

Die Musik war nicht gänzlich dazu da, um die Person auf der anderen Seite der Wand zum Ausrasten zu kriegen, sie heilte auch ein wenig Sakura Seele, als die Erinnerungen an eine riesige, bunte Welt voller bevorstehender Abenteuer wieder aufkamen. Damals war wirklich alles besser gewesen. Sie war so sorglos gewesen, so frei von Verantwortung und Schmerz, so gesteuert von ihrer Aufregung. Es hatte noch keinen Tod gegeben, keine Gewalt und keinen Krieg.

Für Sakura jedenfalls nicht. Naruto und Sasuke hatten schon damals, in den ersten Jahren an der Akademie so viel Leid erfahren, dass es Sakura nun doch den Magen umdrehte. Wie taktlos von ihr ihn ausgerechnet an diese Zeit erinnern zu wollen, in der ihm alles genommen worden war. Die unbeschwerteste Zeit ihres Lebens war womöglich die schwerste seines gewesen.

Ihr Gesang wurde immer leiser und trauriger, bis sie nur noch mit einem heiseren Krächzen von der unglaublichen Reise des Bärenkönigs sang.

"Der Bär reiste nicht mehr allein. Die Krone war nun nicht mehr sein.
Doch Freundschaftsglück war alles das, was er auf seiner Reise brauchte.
Ein Esel, der gern Kuchen aß. Ein Käfer, der niemals vergaß.
Ein Enterich, der gerne rauchte. Ein Vögelein, das gerne tauchte.
Die Freunde waren immer da, ob Tag, ob Nacht, immer nah.
Und wenn die Welt auch dunkel scheint, so einsam ohne Bärenkrone.
Dann lachen sie im Licht, bis sein Herz nicht mehr sticht-"

Die schwere Tür öffnete sich mit einem gequälten Ächzen und Jūgo sah auf Sakura hinunter, die nun mit bekümmerter Miene auf dem Boden saß, Arme um ihre angewinkelten Beine geschlungen.

"Du bist die schlimmste Gefangene aller Zeiten", sagte er mit einem schweren Seufzen.

"Und? Möchtest du meine Haare oder meine Kleidung?" Es war ein jämmerlicher Versuch, etwas Humor in die ganze Sache zu bringen, doch die Aggressivität, die von ihrem Entführer ausging, machte sie etwas besorgt um ihr Leben.

"Ich will, dass du still bist", antwortete Jūgo und umfasste den Türrahmen so fest, dass seine Fingerknöchel hervortraten.

Nicht gut.

"Na schön. Letztes Angebot. Bring mich zu Sasuke und ich werde nichts mehr sagen." Ein äußerst großzügiges Angebot, bedachte man die Umstände. Eventuell niemals wieder zu reden war ein ziemlich großes Opfer — nicht dass Sakura wirklich die Absicht hatte, ihr Angebot wörtlich zu nehmen.

"Ich könnte dir auch einfach Gift spritzen", gab er zurück.

Sakura sah den Riesen von einem Mann für ein paar Sekunden schweigend an. Sie wartete. Er tat nichts als mit gerunzelter Stirn auf sie hinunterzublicken. Als sie lang genug gewartet hatte, zuckte sie mit den Schultern. "Und warum hast du das nicht schon längst?"

Sie schwangen immer wieder ihre großen Reden und dann passierte nichts. Nur heiße Luft und leere Drohungen. Ob Jūgo auch wie Karin und Suigetsu zu dieser Art Entführern gehörte?

"Steh auf." Er nickte mit dem Kopf zum Ausgang, dann rümpfte er die Nase. "Du musst dringend duschen."

Alles nur leere Drohungen.

Es dauerte ganze eineinhalb Stunden bis Sakura sich sauber und aufgetankt genug fühlte, um aus dem spärlichen Bad herauszutreten und Jūgos ungeduldigen Blick zu begegnen, der die ganze Zeit über an der gegenüberliegenden Wand Wache gehalten hatte. Sein Pech. Wenn Sakura hätte abhauen wollen, hätte sie es doch schon längst getan.

Er sagte nichts, sprach mit seinem Blick schon genug Todeswünsche aus, und ging mit langen, schnellen Schritten voran. Sakura musste fast laufen, um mit ihm Schritt halten zu können.

Die Korridore sahen auf jeder Etage gleich aus, hatte Sakura bemerkt. Sie war auf Ebene drei gefangen gehalten worden, im Moment befand sie sich auf Ebene zwei und nach ein paar Metern würden sie zu einer Treppe gelangen, die sie auf die erste Etage hinaufführen würde. Drei Ebenen. Alle von Gängen durchzogen, die sich auch als Labyrinth qualifizieren würden.

Sie glaubte, dass der Lebensmittelpunkt auf der ersten Etage war, die zweite Etage sah vollkommen verwahrlost aus — und sie hatte die erste Ebene schon für schmutzig gehalten — und ganz unten waren die Zellen. Sakuras Lebensmittelpunkt.

Na ja, hoffentlich nicht mehr allzu lang.

Die großen Holztüren, die Sakura auch bei ihrem ersten Besucht bei Sasuke schon gehört hatte, waren gerade so hoch, dass Jūgo sich nicht den Kopf stieß. Er war riesig im Vergleich zu ihr oder Karin, und doch strahlte er eine Ruhe aus, die Sakura nicht richtig deuten konnte. Er drohte ihr, zeigte sich erbost und genervt, doch seine Augen blieben immer sanft, als wäre die Wut nur eine Maske.

Er klopfte mit seiner massigen Faust auf das dunkle Holz und für einen Moment geschah gar nichts. Sie standen vor der verschlossenen Tür und traten von einem Fuß auf den anderen. Sakura war nervös.

Dann endlich entschied sich der gnädige Herr die verdammte Tür zu öffnen und gab Jūgo nickend ein Zeichen. "Warte draußen", murmelte Sasuke und schloss die Tür hinter Sakura.

Sie blieb genau hinter der Tür stehen. Er schlenderte zu seinem Sofa und ließ sich in die Polster fallen. Auf dem Tisch vor ihm stand ein Tablett mit einem qualmenden Becher — vermutlich Tee —, den er mit vorsichtigen Schlücken zu genießen schien.

Sollte sie etwas sagen? Oder warten, bis er ausgetrunken hatte? Was um Himmels Willen tat sie hier nur? Außerdem wusste Sakura nicht, wo sie überhaupt anfangen sollte. Was sagte man zu seinem Entführer, der früher einmal einer seiner besten Freunde war und einen heute in seinem Keller verrotten ließ?

Glücklicherweise nahm Sasuke ihr die Antwort ab, indem er den Becher zurück auf den Tisch stellte und sich endlich an Sakura wandte. "Du wolltest mich sprechen?", sagte er, als hätten sie vor Tagen einen Termin ausgemacht.

Es wäre fast zum Lachen gewesen, hätte Sakura keine Narbe an ihrem Bauch, die seinen Mordversuch an ihr bezeugte. Sie verstand immer noch nicht, was um alles in der Welt sie überhaupt noch hier machte. Wollte er geheime Informationen? Lösegeld? Naruto aus seinem Versteck locken? Das schien wohl am plausibelsten. Wie übte man am besten Rache an einem Dorf wie Konoha? Indem man seine besten Kämpfer ausschaltet und den Rest sich selbst überließ.

"Was mache ich da unten in dem Loch?" Sakuras Stimme klang noch immer belegt von ihren jämmerlichen Gesangversuchen.

"Wie ich höre eine ganze Menge Ärger", entgegnete Sasuke und sah mit mahlendem Kiefer auf seinen Tee.

"Ich habe von Anfang an gesagt, was ich will." Mehr oder weniger. Er musste nur wissen, dass sie frei sein wollte, nicht dass sie versuchte, ihn zurück auf ihre Seite zu ziehen.

"Warum hast du dann nicht einfach die Tür geöffnet und es eingefordert?"

"Weil ich deinen Plan durchschaut habe."

"Also nochmal: Was willst du?" Keine Reaktion. Kein Blinzeln, kein Stirnrunzeln, kein Aufsehen. Er hatte also tatsächlich extra auf sie gewartet. Er hatte es nicht abgestritten oder sich dumm gestellt.

"Raus aus der Zelle. Mir ist langweilig." Sakura verschränkte die Arme vor ihrer Brust und wurde nun doch ungeduldig. Von wegen Angst und Nervosität, sie war einfach nur davon genervt, dass er sie für so dumm gehalten hatte, sich in die Karten schauen zu lassen. Sie hatten die gleichen Lehrer gehabt, den gleichen Sensei. Sie kannte die gleichen Akademie-Psycho-Tricks wie er. Schritt eins war immer, unter allen Umständen die Stärken und Schwächen des Gegners herauszufinden.

Sasuke sah sie für einen langen Moment an. "Du bist draußen."

Na, vielen Dank auch. "Dann gib mir was zu tun." Sie hatte nicht so quengelig klingen wollen, doch er würde sie noch wortwörtlich in den Wahnsinn treiben.

"Ach, und was stellst du dir vor?"

"Ich könnte Karin im Heilen unterrichten, Wunden flicken, ihr könnt ja nicht die einzigen Mitglieder von Akatsuki sein." Sie trommelte mit der linken Hand auf ihrem rechten Oberarm und sah auf seine sitzende Gestalt. Sein Blick wanderte bei Sakuras letzten Worten zu der Wand hinter ihr. Er sagte nichts.

Und da machte es 'klick'. Deswegen war hier alles so unheimlich ausgestorben. Deswegen hatte sie keine richtigen Mitglieder von Akatsuki hier in der Nähe gesehen. Deswegen war ihr Plan so unausgereift gewesen. "Doch, könnt ihr. Ist ja höchst interessant. Wie viele sind es noch? Ihr vier, Zetsu und was? Das war's?"

Sakura schnaubtet belustigt und schüttelte ungläubig den Kopf. Sasukes Kiefer mahlte, doch sein Blick war immer noch starr geradeaus gerichtet, auch als er einen verräterisch ruhigen Schluck seines Tees nahm.

Also mit dieser Erkenntnis konnte sie auf jeden Fall etwas anfangen. Es hätte fast nicht einfacher sein können.

Sie lockerte ihre Beine ein wenig und wagte es, ein, zwei, drei Schritte auf das Sofa zuzumachen. Er ließ sich immer noch nichts anmerken, versuchte es jedenfalls, aber je mehr er seine Gefühle unter Kontrolle hielt, desto auffälliger wurde er.

Ein paar Meter links von der Couch war eine kleine Kommode, auf die Sakura mit langsamen, gedehnten Schritten zuging. Als sie an Sasuke vorbei kam, ließ sie extra ein erneutes Schnauben ertönen.

"Es ging das Gerücht um, dass du Deidara getötet haben sollst", sagte sie in die Stille, während sie ihre Augen auf die Gegenstände auf der Kommode richtete. "Erst Orochimaru, dann dein Bruder, nun er... am besten gehe ich zu Tsunade und sag ihr, wir müssen keine Zeit mehr mit euch verschwenden. Ihr vernichtet euch schon selbst." Ihr Ton triefte nur so vor Spott.

Schließlich drehte Sakura sich wieder um und lehnte mit dem Rücken an der hölzernen Kante der Kommode. Sie platzierte ihre beiden Arme rechts und links von ihren Hüften, um sich ein wenig nach vorn drücken zu können. Sasukes Augen waren inzwischen starr, als hätte man sie versteinert.

Wie Sakura es liebte, wenn ein Plan aufging. Gleich hatte sie ihn.

Fehlte nur noch die Kirsche auf der Sahne. "Ist das der Grund, warum ich noch lebe? Euch gehen die Mitglieder aus, also müsst ihr euch welche fangen?" Und hätte sie ihn mit ihrem Tonfall nicht so unanständig provokant verhöhnt, wäre er sicher nicht aufgesprungen und hätte ihr innerhalb weniger Sekunden seine kalte Hand um den Hals gelegt.

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