Kapitel 7

Sobald Karin, Jūgo und Suigetsu außer Hörweite waren, bewegte Sasuke sich hinüber zu der ungemütlich aussehenden Bank, die als eins der wenigen Möbelstücke in diesem Raum standen.

Das ganze Versteck schien so unangenehm leer, dass Sakura am liebsten nur die Nase gerümpft hätte. Sie konnte — und wollte — sich gar nicht vorstellen, monatelang in Räumen zu wohnen, die vier Möbelstücke beinhalteten. Und das war hier schon fast ein überfülltes Zimmer.

Sasuke legte seinen linken Fuß auf das rechte Knie und ließ lässig einen Arm hinter der Rückenlehne verschwinden. Durch all die Aufregung und tausend andere Dinge, auf die sie sich eher hatte konzentrieren müssen, war ihr noch gar keine Gelegenheit gekommen, ihn sich genau anzusehen.

Sein Haar war fast so lang wie ihres, sah aber nicht ungepflegt aus. Er trug noch immer Blautöne, wie auch schon in den Zeiten von Team 7, nur dass seine Kleidung heutzutage etwas freizügiger war, wenn sie es so beschreiben konnte. Man hatte freie Sicht auf seine Schlüsselbeine, sein Sternum, fast bis runter zu seinem Bauch, und überall auf seiner sonst so glatten, weichen Haut erkannten Sakuras geübten Heiler-Augen Narben, die mal besser, mal schlechter verheilt waren.

Orochimarus Zeichen an seinem Hals war weg, doch das war ihr auch schon früher aufgefallen. Sie fragte sich, was wohl genau passiert war...

Dann kam Sasukes Hand wieder hinter der Lehne hervor und mit sich zog er ein langes, scharfes Katana, dass er demonstrativ vor sich auf den Tisch legte.

Sakura hob sofort eine Augenbraue. Wären ihre Hände nicht immer noch gefesselt, hätte sie sie auch noch vor der Brust verschränkt. "Was? Hätte ich meinen Brustpanzer einpacken sollen? Schönes Schwert", sagte sie mit Sarkasmus in der Stimme.

"Du hast schon immer viel geredet, wenn du verunsichert warst", erwiderte Sasuke.

Ja, der immer so coole, so unnahbare Sasuke Uchiha, der nie in seinem Leben jemals Angst und Verzweiflung gespürt haben musste. Was ein Mann, was ein Heuchler.

"Verunsichert? Während ich fast erstochen, vergiftet und entführt und jetzt auch noch bedroht werde? Wie kann ich nur." Sie verdrehte theatralisch die Augen, doch ihr Herz pochte bei dem Anblick des Schwertes wie verrückt. Wie viele hatte er von den verdammten Dingern?

Er schien komplett immun gegen Sakuras provokante Sticheleien, saß nur da und ließ seine dunklen Augen über ihren Körper wandern — leider war es aber kein Wandern von der anzüglichen, bewundernden Sorte, sondern eher eine Musterung, wie gefährlich ihre Anwesenheit ihm werden könnte. Als er sein letztes Urteil endlich gefällt hatte, stand Sasuke wieder auf und kam auf sie zu. "Deine sarkastischen Kommentare bringen dich hier nicht weiter und ich werde sie mir auch nicht weiter anhören, so unterhaltsam sie auch sein mögen", sagte er im Gehen, bis er genau vor ihr zum Halten kam.

Er hatte des Katana auf dem Tisch gelassen. Und er war ihr gefährlicher nah. Ein Gen-Jutsu? Oder wollte er ihren gefesselten Zustand ausnutzen?

Nein, so würde Sakura Haruno nicht abtreten. Still stehend, schweigend, verängstigt. Diesen Gefallen würde sie ihm nicht tun.

"Was hast du dann mit mir vor, wenn ich schon nicht zur Unterhaltung hier bin?"

"Du bist meine Gefangene."

Sakura zuckte mit den Schultern. "Naja, ich könnte einmal kräftig gegen diese Wand hier schlagen und wäre keine Gefangene mehr." Mit einem leichten Kopfnicken deutete sie auf die Wand rechts von ihr.

Da packte Sasuke ihre Hände, holte ein Kunai aus seiner hinteren Tasche und Sakura keuchte einmal erschrocken auf, da waren ihre Fesseln auch schon durchtrennt. Sasuke sah ihr mit einem undeutbaren Blick in ihre weit aufgerissenen Augen und schien auf etwas zu warten.

"Warum tust du es dann nicht?", fragte er schließlich mit einem gefährlichen, herausfordernden Unterton, der Sakura sofort einen Schauer über den Rücken jagte. Hätte sie keine Todesangst, würde sie diese Reaktionen ihres Körpers vielleicht auch der Anziehung zwischen ihr und Sasuke zuschreiben, doch an so etwas war überhaupt nicht zu denken.

Was für ein krankes Spiel spielte er hier? Und warum ergriff Sakura nicht die Flucht, jetzt da sie die Gelegenheit dazu hatte?

Sie sah ihn noch einen Moment länger an. Seine längeren Haare, seinen unversehrten Hals, seine versehrte Brust, die breiten Schultern, die sie nun bei weitem überragten, die Lederbänder an seinen Handgelenken, seine langen Finger, die ein Schwert führten, als wäre es eine Feder. Wer war er? Wer war dieser Mensch vor ihr? Sie kannte ihn nicht. Sie wusste nicht, was sich hinter seiner Stirn abspielte. Er hatte nicht mal mehr die gleichen Augen.

Und doch konnte sie dieses vertraute Gefühl nicht verleugnen. Er anscheinend auch nicht, sonst wäre sie in dieser Gasse in Konoha gestorben.

Was sahen diese neuen Augen? Was hätten die alten gesehen? Was hatten sie alle, neue wie alte, schon alles ertragen müssen, dass sie nun ihren Weg in diesem Raum gefunden hatten?

Sakura wollte alles über den Mann vor ihr wissen. Wollte in seinen Verstand schlüpfen, wollte zu ihm werden, um ihn zu verstehen, wollte jeden seiner Gedanken vorhersagen können, jeden Zentimeter seines neuen Körpers kennenlernen.

War es noch immer die törichte, naive Liebe, die sie jahrelang geblendet hatte, oder war sie endlich aufgewacht und hatte gemerkt, dass diese vermeintliche 'Liebe' in Wahrheit nur Mitleid und Faszination für seine kaputte, verlorene Seele waren? Vielleicht koexistierten auch beide Möglichkeiten. Vielleicht war die Liebe ernst gewesen, so ernst, wie sie mit zwölf Jahren hatte sein können, aber trotzdem ernst genug. Vielleicht war auch die klinische Neugierde real, die sie sich seit Monaten immer mehr in den Vordergrund gedrängt hatte.

Schließlich musste Sakura zu einer Antwort kommen. Warum stand sie noch immer vor ihm? Warum nutzte sie die Fluchtmöglichkeit nicht?

"Tja, wahrscheinlich aus dem gleichen Grund, warum du mich am Leben gelassen hast: Reine Neugierde", sagte sie schlussendlich und hielt seinen überraschten Blick.

Damit hatte er anscheinend nun doch nicht gerechnet. "Neugierde?"

"Was aus dir geworden ist", spezifizierte sie. "Mit welchen Leuten du dich herumtreibst. Wer du bist. Was du tust. Und ich rate mal, dass du auch mehr über mich herausfinden willst." Eine absolut logische Schlussfolgerung.

"Wieso solltest du mich interessieren?" Seine Stimme war bedrohlich ruhig und doch giftig, aber Sakura durchschaute ihn. Es war fast schon zu einfach. Als würde er sie auf die Probe stellen. Oder er war ein trotziger Junge, der ihr gemeine Dinge an den Kopf werfen wollte, damit sie ihn endlich hasste — seine Strategie von früher.

Doch Sakura war nicht mehr die von früher. Sie war aufmerksamer und klüger als damals, zur Anfangszeit von Team 7. "Du wusstest Dinge über mich. Bei der Samurai Brücke." Sie fixierte ihn und kam ihm einen Schritt näher. Dieses Spiel konnten zwei spielen.

Sein Kiefer spannte sich an. Sasuke wollte einen Schritt zurücktun, etwas mehr Abstand zwischen sie bringen, doch er würde sicher nicht Kleinbei geben.

"Ach ja? Und welche?"

"Dass ich Heilerin bin." Noch ein Schritt und er hatte Schwierigkeiten, seinen Atmen ruhig zu halten.

"Du wolltest mich auf dieser Brücke töten. Vielleicht will ich mich auch einfach rächen."

"Hast du das nicht schon? Ich versuche dich zu töten, du versuchst mich zu töten... und am Ende stehen wir uns wieder lebendig gegenüber. Ausgleichende Gerechtigkeit, findest du nicht?" Einen Schritt weiter und ihr Kopf wäre an seiner Schulter. Sie musste den Kopf heben, um ihn überhaupt noch ansehen zu können, konnte sein schnell pochendes Herz spüren, seinen rasenden Puls...

Sasuke machte einen Schritt zurück, dann noch einen, bis er zurück bei der Bank war.

Sie versuchte das triumphale Lächeln zu unterdrücken, doch seine Schwäche verlieh ihr ein Gefühl von Macht, dass Sakura in diesem Ausmaß noch nie gespürt hatte. Er war derjenige gewesen, der ein Eingeständnis gemacht hatte. Er hatte den Kampf begonnen, sie hatte ihn mit nie gesehen Waffen beendet. Eins zu null für Sakura.

Sobald er sein Katana wieder in der unmittelbaren Nähe hatte, ging Sasuke in die taktische Defensive. Sakura mochte die Schlacht gewonnen haben, aber der Krieg stand noch aus. Jetzt ging es ums Informationen sammeln, Kräfte sparen, Pläne schmieden. "Warum bist du wirklich hier, Sakura?" Kenne deinen Feind.

Weil ich dich mit unterschwellig-manipulativen Methoden dazu bringen möchte, zurück nach Konoha zu kehren. Weil ich herausfinden möchte, ob sich deine Rettung überhaupt noch lohnt, oder Flucht doch meine einzige Möglichkeit ist. Weil ich tatsächlich und wahrhaftig neugierig auf die Person bin, die du geworden bist.

"Wie schon gesagt, ich möchte mehr über dich und... das alles", sie machte eine ausladende Bewegung, die den ganzen Raum miteinbezog, "erfahren."

"Du hast dich vergiften und gefangen nehmen lassen, um mich psychologisch zu begutachten", schlussfolgerte er. Sasuke war schon immer intelligent gewesen. Er hatte zwar bei den Chunin-Auswahlprüfungen keine einzige Frage selbst beantworten können, doch er war auf eine andere Art schlau. Er schaute und durchschaute.

Sakura zuckte mit den Schultern. Sasuke ließ sie niemals ganz aus den Augen, doch er sah sie auch nie direkt an. Als würde er sich vor dem, was er in ihren Augen finden könnte, fürchten. Diesen Gedanken fand Sakura irgendwie aufregend. Er sagte eine Menge über Sasuke aus und er spornte ihre Wissbegierde weiter an. "Nenne es ärztliches Interesse."

"Vielleicht solltest du es besser Wahnsinn nennen." Karin riss die Tür mit einem Ruck auf, als hätte das Holz ihr persönlich etwas angetan.

"Karin-"

"Zetsu will dich sprechen", unterbrach sie ihren Boss und nickte in den Flur, zu dem die Tür führte.

Wie viel hatte sie wohl von ihrem Gespräch mit angehört, damit sie dieses perfekte Timing hätte abpassen können? An sich machte Sakura das nichts aus, immerhin hatte sie nichts Weltbewegendes ausgeplaudert, doch wenn man hier so mit der Privatsphäre seiner Mitmenschen umging, sollte sie wohl gar nicht erst damit anfangen, Weltbewegendes zu erzählen.

Karin sah verachtungsvoll auf Sakuras freie Hände und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Gleichzeitig tauchte auch Suigetsu hinter ihr auf und sah sich das Geschehen mit hochgezogenen Augenbrauen genausten an.

"Und? Was gab es denn so privates zu besprechen?"

"Privates." Sakura sah ihm herausfordernd in die Augen und konnte nicht verhindern, dass ihr linker Mundwinkel leicht nach oben zuckte.

Suigetsu schnaufte verächtlich, dann hellte auch sein Gesicht sich etwas auf und ein freches Grinsen erschien auf seinen Lippen, während er hinüber zu Sakura kam. "Mhh." Er blieb vor ihr stehen und musterte sie Kopf bis Fuß, dann griff er nach ihrem Oberarm. Sein Gesicht kam ihrem immer näher, seine Stimme war nur noch ein tiefes und — Sakura wollte am liebsten misstrauisch ihre Augenbrauen heben — verführerisches Raunen. "Klingt ja überaus spannend."

"Klingt vor allen Dingen überaus widerwärtig", murmelte Karin hinter ihm und verzog das Gesicht. Ja, hätte sie nicht versucht, einen ausdruckslosen Blick beizubehalten, sähe Sakuras Gesicht nun ähnlich aus.

Sasuke schloss für eine Sekunde die Augen, um Karin und Suigetsu irgendwie ertragen zu können. Er schien nicht besonders glücklich über den Besuch besagten Zetsus zu sein und die ständigen Zankereien waren nicht gerade Salbe auf der Wunde. "Bringt sie einfach auf ihr Zimmer", sagte er schließlich und schickte alle drei mit einer scheuchenden Handbewegung hinaus auf den Flur. Bevor sie jedoch die Tür erreicht hatten, wand er sich noch einmal an seine Leute. "Und wehe ihr hört nicht auf zu streiten. Ich bekomme noch Kopfschmerzen von euch."

"Und ich bekomme noch Kopfschmerzen von dir", murmelte Karin und rempelte Sakura von hinten an, als sie durch die Tür schritt.

Sobald sie auf dem Flur waren — also aus Sasukes Hörweite, der sie nur weiter für ihr Verhalten getadelt hätte — befreite Sakura sich aus Suigetsus Griff und lief mit erhobener Nase neben ihm her.

"Kannst ja keine besonders gute Heilerin sein, wenn du nicht mal deinen eigenen Kopf gesund halten kannst. Kein Wunder, dass Sasuke dich austauschen wollte", warf sie in Karins Richtung und wartete nur auf eine Antwort. Man konnte einen Menschen nicht besser kennenlernen als im wütenden Zustand.

Karin blieb mitten im Gang stehen und drehte sich mit einem selbstgefälligen Blick zu ihr um.

"Bist du nicht diejenige, die er zu erst stehengelassen hat?"

Es mochte ein wirklich hässlicher Charakterzug sein, doch Sakura liebte nichts mehr als einen guten alten Schlagabtausch. Einen verbalen Kampf. Sprüche über Sprüche, die an Köpfe geworfen wurden. Und Karin schien eine Gegnerin auf Augenhöhe zu sein.

Sie konnte es einfach nicht mehr zurückhalten und ein breites Grinsen tauchte auf Sakuras Gesicht auf. Es sollte nicht heißen, dass sie Karins neue beste Freundin werden würde, aber die rothaarige Furie hatte was. "Touché."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top