Süße Versuchung: Teil I
Hey :) Vorab noch eine Info zu Update-Tagen: Donnerstags lade ich Kapitel zu dieser Geschichte hoch. Nach jedem Abenteuer wird es vermutlich eine mehrwöchige Pause geben, bis ich das nächste Abenteuer fertiggeschrieben habe (was dann wieder donnerstags hochgeladen wird) ;)
Und nun viel Spaß ^^
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Am nächsten Morgen wurden die dunkelbraunen Augen aufgeschlagen. Es gab Tage, an denen man den Wecker einfach nicht wahrhaben wollte. Nach einem kurzen Blick aufs Handy stellte sie fest, dass heute so ein Tag war. Es war 6 Uhr 54; sie war 39 Minuten zu spät dran. „Verdammt!", fluchte sie zu sich selber und sprang aus dem Bett. Sobald sie Boden unter den Füßen hatte, spürte sie, dass die Müdigkeit noch in ihrem Körper lag. Am liebsten hätte sie sich zurückplumpsen lassen, doch dafür war alles andere als Zeit.
Im Eiltempo betrat sie die Küche, um schnell sich irgendwelche Cerealien oder ein übriggebliebenen Toast in den Mund zu stopfen, während sie einen Kaffee machte und ihre Handtasche packte. Sie war viel zu müde, um alles so schnell zu erledigen, wie sie es gerne hätte.
Trotzdem bemerkte sie die Bewegung im Winkel ihrer vor Müdigkeit schmalen Augen. Die Küche hatte ein eher kleines Fenster, dessen halbtransparente Vorhänge zugezogen waren. Wenn man durch das Glas blickte, sah man normalerweise die Einfahrt mit dem alten Ford, die zwei Mülltonnen, der niedrige Steinzaun, der das Grundstück umkreiste, und den dahinterliegenden Bürgersteig mit Straße.
Die Dunkelhaarige blinzelte mehrmals und rieb sich die verschlafenen Augen. Sie lief sogar einige Schritte aufs Fenster zu, nur um sicher zu gehen, dass sie nicht im Halbschlaf war. Die Mülltonnen waren nicht mehr zu sehen. Vor ihnen stand eine blaue Box. Bei näherer Betrachtung wurde ihr klar, dass es sich um eine alte Telefonzelle handelte. „Was zur...?", murmelte sie zu sich selber.
Die Bewegung, die ihre Aufmerksamkeit zum Fenster gelenkt hatte, war ein Mann gewesen, der die Telefonzelle anscheinend soeben verlassen hatte. Die Telefonzelle, die auf ihrem Grundstück stand, mit dem Mann, der auf ihrem Grundstück stand. Er schien zu bemerken, dass er angestarrt wurde, denn er drehte seinen Kopf zu ihr und blickte sie an. Als er sah, dass da tatsächlich jemand im Fenster stand, grinste er und winkte.
Die junge Frau zog die Vorhänge zurück, öffnete das Fenster und lehnte sich etwas nach draußen, um mit ihm reden zu können. „Entschuldigen Sie bitte, aber Sie befinden sich auf meinem Grundstück", machte sie ihm klar und klang nicht einmal so halbwegs überzeugend, wie sie es sich erhofft hatte. Einfach... zu müde!
„Ebenfalls einen guten Morgen!", war seine Erwiderung, dann kratzte er sich am Kopf, direkt hinter seinem Ohr und blickte sich um. „Ach, Sie wohnen hier? Nett."
„Nun ja, ich spreche daraus zu Ihnen. Ich würde sagen: Ja, das ist mein Haus."
„Jap, das würde ich auch sagen."
Die Frau runzelte die Stirn. Er wirkte ziemlich fröhlich, doch dieser Dialog zeigte, dass er etwas zerstreut war. „Was wollen Sie hier?", fragte sie ihn. „Was ist das für eine Telefonzelle?"
„Ich? Das? Äh..." Er wandte sich kurz zu der blauen Box um. „Ja, ich... muss etwas besorgen und die Telefonzelle kurz hier abstellen. Das macht Ihnen doch nichts aus, oder?"
„Na ja, doch! Das ist mein Grundstück!"
Es piepte, der Kaffee war fertig. Auf einmal fiel der jungen Frau ein, unter was für einem Zeitdruck sie eigentlich stand. „Mist!", fluchte sie und verschwand vom Fenster, um den Kaffee zu holen und sich ihren Toast wieder reinzustopfen.
„Also geht das klar?", rief der Fremde durch das immer noch offene Fenster hinein und wartete gar keine Antwort ab. „Fantastisch! Ich bin gleich verschwunden, versprochen!"
„Hey, warten Sie!" Als sie wieder zum Fenster trat, joggte der Mann bereits die Straße entlang und bog um eine Ecke, wo er dann aus ihrem Sichtfeld verschwand.
„Was war das denn für einer?!", murmelte sie bei sich und schaute ihm hinterher. Die komische Box war immer noch da. „Ich lass das Ding abschleppen!", beschloss sie. Nach einem Blick auf die Uhr war der Gedanke vergessen und sie sprintete ins Bad.
Egal, wie spät es war, die Morgendusche musste sein, sonst konnte sie sich nicht der Öffentlichkeit zeigen.
Als die Dunkelhaarige fertig angezogen und mit der Handtasche bewaffnet in ihren Wagen stieg, bemerkte sie erst beim Ausfahren, dass die blaue Telefonzelle verschwunden war.
Einem ungewöhnlichen Morgen folgte ein ungewöhnlicher Tag.
Zum ersten Mal in ihrem Leben kam die junge Büroangestellte zu spät. Auf einmal wurde der sonst so regelmäßige Tagesablauf komplett über den Haufen geworfen. Ihr Chef hatte das zu spät Kommen zum Glück nicht bemerkt. Es ging damit weiter, dass die Ballettschule ihr im Laufe des Tages per Telefon Bescheid gab, dass sie heute nicht zu kommen brauchte, was hieß, dass sie schon um 15 Uhr 30 nach Hause gehen konnte. Dann aber schien der Chef besonders gut gelaunt zu sein und entließ sie 36 Minuten früher.
Die junge Miss war so zufrieden mit ihrem Tagesablauf, dass sie sich einen kleinen Abstecher in die Stadt gönnte. Der mysteriöse Mann vom Morgen war schon wieder vergessen.
Mit hellblauer, anliegender Jeans, schwarzen Top, über das noch ein lockerer, weinroter Strickpulli gezogen worden war, der nur bis knapp unter die Ellenbogen ging, und hellgrau-weißen Sneakers schlenderte sie durch die Einkaufsstraßen. Auch wenn es ein Donnerstagnachmittag war, war viel los, immerhin war das hier London. Sie überlegte sich bei jedem zweiten Laden, ob sie hineingehen sollte, oder nicht, entschied sich dann aber dagegen. Sie lief lieber durch die Gegend, als dass sie shoppte. Und doch sah sie sich gerne Sachen im Schaufenster an.
Abwesend blickte sie durchs Glas, stoppte aber nicht. Für ihre Unachtsamkeit büßend stieß sie mit jemanden zusammen. „Oh, Verzeihung!"
„Nein, mir tut es leid. Ich war nicht ganz bei mir", entschuldigte sich die andere Person. Es war ein Mann.
Rote Haare, Sommersprossen, vermutlich etwas älter als sie. Freundlich grinste er sie an. „Alles in Ordnung?"
Sie lächelte. „Ja. Ich hab nur geträumt."
„Ach ja, das kenne ich. Ständig ist man mit dem Kopf woanders. Findet die Realität irgendwie langweilig..." Er redete weiter, aber sie hörte nicht mehr hin. Ihr Blick fiel auf jemanden, der einige Yards hinter dem Rothaarigen wie viele andere Menschen auch, den Bürgersteig entlanglief. Eher schlenderte er. Mehr beiläufig blickte er sich die Läden an. Seine Augen wanderten öfters gen Himmel, immer mal wieder unbewusst. Es war der Mann von heute Morgen.
„Ich heiße übrigens Danny. Also eigentlich ja Daniel, aber Danny ist mein Spitzname."
„Hi, Danny", erwiderte die Dunkelbraunhaarige geistesabwesend. Ihr Blick lag auf dem Mann, der jetzt endgültig stehen blieb und sich etwas verloren umblickte. Er schien nicht so, als hätte er sich verlaufen... eher wusste er nicht, was er mit sich anfangen sollte.
„Und wie heißt du?", wollte der echt nette, etwas übereifrige Danny wissen.
„Nina...", antwortete diese. „Entschuldige mich, Danny. Ich glaube, da ist jemand, den ich kenne." Ohne den Rothaarigen nochmal anzusehen, schlängelte sie sich an ihm vorbei, auf den Fremden zu.
Sein hinterhergerufenes, halbherziges „War nett, dich kennenzulernen, Nina!" hörte sie schon nicht mehr.
„Hey!", rief sie dem Mann zu. „Hey, Sie!"
Er wandte seinen Blick vom Himmel zu ihr, als er sah, dass er gemeint war. „Ach, hallo."
Vor ihm kam sie zum Halt. „Sie haben tatsächlich die Telefonzelle da weggeschafft."
„Sag ich doch." Ein Lächeln umspielte seine Lippen.
Erst jetzt nahm sie ihren Gegenüber richtig wahr; diesen Morgen war es einfach zu früh gewesen. Er war um die eineinhalb Köpfe größer als sie und ziemlich schlaksig. Zu seinem braunen Nadelstreifenanzug und dem langen Mantel trug er weiße Converse. Seine Haare waren braun. Einen Bart hatte er nicht, dafür Kotletten. Nina hasste Kotletten... eigentlich. Sie dachte, es gäbe keinen Menschen auf der Welt, dem Kotletten standen, doch soeben hatte sie einen gefunden. Die Nase des Mannes tendierte zum Hakenförmigen, doch auch das war nicht weiter schlimm. Seine braunen Augen waren groß und lagen tiefer in ihren Höhlen als sie es bei anderen gewohnt war. Er sah gar nicht mal so schlecht aus. An seinen Seelenspiegeln zeichneten sich ganz fein Lachfältchen ab.
Doch gerade lachte er nicht. Wie auch heute Morgen schien er zerstreut.
„Haben Sie die Sache besorgen können, die Sie gesucht haben?", fragte sie der Höflichkeit halber nach.
„Die Sache, ja. Aber ich brauche noch ein anderes..." Er kratzte sich am Hinterkopf und blickte sich um. „... äh, Ding." Er ließ seine Hand wieder sinken, seine Augen ruhten nicht.
„Ist alles in Ordnung?", wollte Nina verwundert wissen.
„Ja...", seufzte der Mann. „Ich muss nur auf etwas warten und das bin ich nicht gewohnt..."
„Was? Warten?"
Er nickte, während er sich immer noch weiter umblickte.
„Müssen Sie denn noch lange warten?", probierte sie es mal. Irgendetwas an diesem Mann machte sie neugierig, angefangen bei der Tatsache, dass er es fertigbrachte, eine Telefonzelle innerhalb von 20 Minuten wegzuschaffen.
„Das...", überlegte er kurz. „Weiß ich nicht. Es könnte sich nur um Sekunden handeln, vielleicht aber auch Stunden. Im schlimmsten Fall Tage." Bei dieser Vorstellung schauderte er. „Bitte nicht, ich halte es nicht mehrere Tage an einem Ort aus!" Letzten Satz sprach er eigentlich zu sich, aber Nina hatte es trotzdem gehört.
Das ließ ihre Neugier nur wachsen. „Wissen Sie was? Ich lad Sie auf 'nen Kaffee ein. Das ist die beste Methode, Zeit totzuschlagen."
„Ja, nun ja", erwiderte er. „Danke, aber ich verspüre gerade wenig Lust auf Kaffee."
Sie zuckte mit den Schultern. „Dann eben Tee, ist doch egal."
Sein Blick irrte nicht mehr, er schaute sie an. Nach einigen Sekunden änderte sich sein Gesichtsausdruck. Es war das erste Mal, dass der Fremde ehrlich zu lächeln schien. „Das klingt gut!"
Die zwei saßen in einem Café direkt am Fenster mit Blick auf die vorbeihastenden Fußgänger. Nina, deren Tasche zu ihren Füßen lag, hatte ihren Kaffee und der fremde Mann, dessen Jacke über die Stuhllehne gelegt worden war, seinen Tee. Aber er wirkte unruhig, blickte sich immer wieder um und wenn er seine Tasse mal nicht in der Hand hielt, trommelten seine Finger auf den Tisch. Wenn seine Augen ruhten, dann mit einem angestrengten Ausdruck auf die Holzplatte.
„Also, was liegt Ihnen auf dem Herzen?", fragte Nina mit erstaunlich sachlicher Stimme.
„Mir? Oh, nichts. Mir geht es prächtig. Einfach wunderbar!", erwiderte er und wippte auf seinem Stuhl immer wieder vor und zurück.
Die Frau zog skeptisch eine Augenbraue hoch.
„Was?"
„Ihnen geht es Vieles, aber nicht prächtig", stellte sie klar.
„Mir fehlt nichts", beharrte er weiter. „Ich bin es nur nicht gewohnt zu warten." Er spielte mit der Schnur seines Teebeutels. „Ich bin ein Reisender... Die warten meistens nie..."
„Wieso bleiben Sie dann hier?", fragte sie weiter und nahm noch einen Schluck.
„Das ist... kompliziert", meinte er nur und kratzte sich am Nacken. Sein Blick wanderte abermals zum Fenster.
Diese resignierende Antwort passte Nina gar nicht. Säuerlich stellte sie die Tasse auf den Tisch und verschränkte die Arme vor der Brust.
Der Fremde bemerkte dies. „Was ist?", fragte er verwundert.
„Ich bin nicht blöd." Leicht schmollend schaute sie ihn an.
„Das habe ich auch nie behauptet", verteidigte der Fremde sich.
„Dann können Sie mir ja erklären, was Sache ist. Ich gebe Ihnen hier gerade eine Tasse Tee aus, da könnten Sie einfach als Zeichen der Höflichkeit mich angucken, während wir reden. Ich sitze hier und trinke viel zu heißen Kaffee und habe den restlichen Tag frei. Ich bin ganz Ohr."
Der Mann blieb stumm. Diese neue Seite seiner Tischgesellin überraschte ihn etwas. Aber er bemerkte etwas in ihren Augen. Diese gewissen Offenheit für Neues, die man brauchte, wenn man mit ihm zu tun hatte. Er war für seinen Geschmack zu lange nicht mehr in der Gesellschaft von jemanden gewesen, mit dem er richtig reden konnte.
„Okay", begann er. „Da waren ein paar... Typen, die... äh, nicht wirklich nett waren. Sie haben auf viel Schwächere rumgehakt und so, verstehen Sie?" Während der Erklärung unterstrich er mit Handbewegungen seine Worte.
Nina nickte und machte schon einmal den Unterkiefer zum beleidigten Schmollen bereit. Das war wirklich keine schwer zu begreifende Situation bis jetzt.
Der Mann führte seine Geschichte fort: „Na ja, und als Freund und Helfer aller dachte ich mir, dass ich eingreifen müsste. Selbstverständlich habe ich sie vertrieben."
„Und wo liegt das Problem?", hakte die junge Frau weiter nach.
Der Fremde zog seine Augenbrauen etwas zusammen, wobei er eine leicht anhob und seinen Kopf hin und her wiegte. „Es könnte sein, dass sie ich sie etwas verärgert habe und sie jetzt... hierhergekommen sind und irgendetwas machen, was..." Leicht nervös, aber auch ernst schaute er ihr in die Augen. „... womöglich Menschen verletzen könnte."
Die junge Frau legte den Kopf leicht schief. „Inwiefern verletzen?"
Ein Schulterzucken kam zurück. „Keine Ahnung. Als ich gemerkt habe, dass sie zur... äh, dass sie... sich in diese Gegend begeben, bin ich ihnen natürlich schnurstracks gefolgt. Außerdem haben sie mir einen sehr wichtigen Gegenstand weggenommen..."
„Das, weswegen Sie heute Morgen losgezogen sind?"
„Ja, genau. Inzwischen hab ich's wieder. Zum Glück! Ich wüsste gar nicht, was ich ohne anfangen soll!" Er merkte, dass er abschweifte: „Wie dem auch sei. Ich habe ihre Spur verloren und jetzt muss ich zusehen, dass sie irgendeinen Fehler machen. Jedes noch so kleine unnatürliche Detail... Der Zucker in Ihrem Kaffee schmeckt nicht irgendwie sonderbar, oder?" Er musterte sie genau.
Nina war von diesem plötzlichen Themenwechsel mehr als nur überrascht. „Nein, wieso?"
„Ach, nur so..." Der fremde Mann fing wieder an auf seinem Stuhl vor und zurück zu wippen und Blicke aus dem Fenster zu werfen.
Die junge Frau nahm nachdenklich einen Schluck aus ihrer Tasse. „Und warum holen Sie nicht einfach die Polizei?"
Die Frage wurde beiläufig abgewimmelt: „Was soll die denn schon groß ausrichten können?"
Nina blickte ihn verwundert an, was er aber nicht bemerkte. Sie ließ sich all das, was er ihr gerade gesagt hatte, noch einmal durch den Kopf gehen. Ihr fiel auf, dass seine Beschreibung eigentlich nur sehr vage gewesen war und doch gab es für sie gerade nur eine sehr wichtige Frage zu klären. Jemand, der Menschen half, wo er nur konnte (So präsentierte er sich zumindest gerade) und scheute keine Angst vor mehr oder weniger größeren Gewalttaten (je nachdem, was passieren würde). Außerdem war seine ganze Art... sonderbar. „Wer sind Sie?", fragte sie schließlich.
„Ich bin der Doktor", stellte er sich vor und lächelte dann. Schon das zweite Mal heute.
„Doktor Wer?", hakte sie nach.
„Einfach der Doktor." Er grinste breit. Ehrlich.
„Wieso grinsen Sie so?"
„Weil ich dieses Gespräch schon so oft geführt habe."
Und dann explodierte das mehrstöckige Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
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