Der Zeitdieb: Teil V
13 Millionen mal
vereint der große Bruder
das Ende und den Anfang
und das Gefäß des Lebens ist gefüllt.
Mit seiner Macht
bricht der Himmel entzwei
und der rechtmäßige König Britanniens
mit dem Schwert aus dem Steine,
den Rittern seiner Runde
und dem Gral der Heiligkeit
wird wieder auferstehen.
~~~~~~~
Nina las sich den Text zweimal durch. Dann zog sie die Augenbrauen zusammen. „Ist damit König Artus gemeint?" In ihre Stimme spiegelte sich alle Ungläubigkeit wieder, die sie soeben verspürte.
„Scheint so", erklärte Ben. „Das Schwert aus dem Stein, die Ritter der Tafelrunde, der Heilige Gral... Es ist ziemlich eindeutig."
„Aber das ist eine Sage", protestierte Nina. „Eine Geschichte, von der man glaubt, dass sie nie gestimmt hat." Genauso wie Kassandra von Troja, die der Doktor getroffen und Cassy genannt hatte. Auf einmal hegten sie Zweifel.
„Das haben wir auch gedacht", setzte Ben fort und betrachtete die Inschrift auf der Wand. „Ich konnte nicht die Echtheit überprüfen, nicht einmal wie lange das dort schon steht. Genauso wie beim Rest des Hauses war kein Alter messbar. Doch dann haben wir die Uhr gefunden."
„Was für eine Uhr?", fragte die Begleiterin des Doktors nach und las sich ebenfalls die Inschrift durch. „Der große Bruder vereint den Anfang und das Ende", rezitierte Claire. „Damit sind die Zeiger einer Uhr gemeint. Einer bestimmten Uhr." Nina schaute sie fragend an und sie antwortete schnell: „Im Erdgeschoss gibt es eine Bibliothek und dort steht eine Standuhr. Sie hat einen Timer, der anzeigt, wie viele der 13 Millionen Stunden noch übrig sind."
Da weitete Nina die Augen. Natürlich. Das Ende und der Anfang, 13 Millionen mal vereint. Wenn man wusste, dass es sich um eine Uhr handelte, war es ziemlich offensichtlich. „Wie viele Stunden waren noch übrig, als ihr die Uhr gefunden habt?", wollte Nina wissen.
„23", war Claires knappe Antwort.
„Und wann habt ihr die Uhr gefunden?", hakte die Jüngere nach.
„Vor ungefähr 45 Stunden." Dieses Mal war es Captain Luther, der sprach. Kurz ließ er die Antwort auf Nina wirken, die daraufhin zögerlich meinte: „Aber dann ist der Countdown doch jetzt vorbei und es ist nichts passiert, oder? Also gibt es keine Gefahr mehr diesbezüglich."
Traurig schüttelte der Captain den Kopf. „Wir sind uns bis dato nicht sicher gewesen, ob diese... Prophezeiung ernst zu nehmen war. Aber wir waren uns einig: Falls es doch so sein sollte, mussten wir auf jeden Fall verhindern, dass ‚der Himmel entzwei bricht'. Michael hat unsere Vortex-Manipulatoren umprogrammiert und sie an die Standuhr angeschlossen. Sie sorgen dafür, dass die Uhr langsamer voranschreitet. Es war unsere einzige Möglichkeit, man kann die Zeiger nicht verstellen. Und die Uhr zerstören, wer weiß, was dann passieren könnte?" Nina fragte sich, was Vortex-Manipulatoren waren, obwohl der Name in sich schlüssig war. Der Doktor hatte ihr erläutert, was der Vortex war, und irgendwie mussten die Zeitagenten ja wohl hergekommen sein. Unabhängig davon verstand sie, was der Captain ihr erklärt hatte.
„Wir konnten unserem Mann draußen nicht mehr Bescheid sagen", redete er weiter. „Der Funk war gestört. Und da die Manipulatoren auch gleichzeitig als Kommunikationsgerät gedient haben, konnten wir das in die Tonne treten."
„Habt ihr es denn geschafft?", wollte Nina wissen und schaute jeden einzelnen dabei an. „Ist die Uhr langsamer geworden?"
„Ja", sagte Isaac. „Aber nicht viel. Sie läuft mit 50%-iger Geschwindigkeit weiter." Nun musste Nina rechnen, das war eigentlich nicht so ihr Ding. Wenn seit 45 Stunden die Uhr nur halb so schnell voranschritt wie sie eigentlich sollte... waren 22 einhalb Stunden des Countdowns vergangen. In Folge dessen... „Uns bleibt noch eine reale Stunde, bevor die 13 Millionen Stunden vergehen", fasste Claire zusammen gerade in dem Moment, in dem die Jüngere selber darauf gekommen war.
„Wir haben also nicht nur die Zeitlücken, die wir fixen müssen", setzte Ben erschöpft hinzu „sondern auch noch irgendeine Prophezeiung über König Artus und dem Ende der Welt." Seiner Stimme nach konnte er es wohl immer noch nicht glauben, obwohl ihm dieses Wissen schon seit fast zwei Tagen bekannt war.
„Dieses ‚Gefäß des Lebens'", meinte Nina und zeigte mit einem Finger auf die Inschrift. „Wisst ihr, was das ist?" Es wurde verneint.
„Es steht vermutlich im Keller", setzte Isaac hinzu. „Als Michael... starb... war da ein Raum mit rotem Licht. Wir denken... dass es vielleicht dort ist." Die Begleiterin des Doktors nickte zum Zeichen, dass sie verstand. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und dachte nach. Es war wirklich Pech, dass zwei Komplikationen nicht nur gleichzeitig, sondern auch am gleichen Ort stattfanden.
Und dann kam ihr eine vage Idee, aber sie wollte es überprüfen. „Könnt ihr mir den Weg zur Standuhr zeigen?", bat sie. „Ich würde sie gerne mit eigenen Augen ansehen."
Das Team verständigte sich mit zweifelnden Blicken und Nina hatte schon Sorge, dass sie ablehnen würden, doch dann stimmte Captain Luther zu. Immer noch hatte er seine Ellenbogen auf die Knie gelehnt und auch er schien nachgedacht zu haben. „Du kannst gehen", meinte er. „Miss Anderson und Isaac werden dich begleiten. Es ist zu gefährlich alleine." Erst jetzt schaute er auf und blickte die besagten Personen an, die gehorchend nickten. „Und Ben und ich", fügte er hinzu, „gehen nochmal in den Keller. Wir müssen herausfinden, was dort ist."
„Aber", protestierte Issac überraschend laut, „das ist zu gefährlich. Mindestens drei sollten da runter gehen."
„Meinst du, dass du viel ausrichten kannst?", konterte Ben neckisch, aber nicht gemein. „Keine Sorge, Süßer, ich passe schon auf." Isaac lief sofort rot an und Nina verstand.
„Isaac, wir führen Nina in die Bibliothek. Der Captain und Ben können gut auf sich selber aufpassen", stimmte Claire zu.
„Gut, dann ist das geklärt." Mit diesen Worten erhob sich Captain Luther. „Ist das für dich in Ordnung, Nina?"
Sie hatte keine Einwände.
Der Doktor und Greggory, die sich so gut es ging den Querschnitt sowie einen Bauplan des Gebäudes gemerkt hatten, fanden schnell eine Treppe, die nach unten in den Keller führte. Das Treppenhaus befand sich hinter einer gut versteckten Tür und hatte wohl mal als Zugang für Bedienstete gedient. Der Doktor schaffte sich mit seinen langen Beinen schnell einen Vorsprung, doch Greggory konnte gut mithalten.
„Was hat für Sie vorhin einen Sinn ergeben?", wollte der Zeitagent auf ihrem Weg wissen. Gekonnt übersprang er jede zweite Stufe.
„Da müssen Sie schon etwas genauer sein, für mich ergibt Vieles Sinn", entgegnete der Doktor ungeniert ohne seinen Blick vom Weg abzulenken.
„Sie haben gemeint, dass ich schon so lange hier sei, obwohl das erst seit zwei Tagen der Fall ist." Sie waren im Keller angekommen, der allem Anschein nach ausschließlich für Personal vorgesehen gewesen war. Hier unten war alles so schlicht wie möglich gehalten. Vielleicht hing mal hier und da ein Bild an der Wand, doch größtenteils war unter dem Zeitmüll keine schmuckvolle Einrichtung zu erkennen. Die Beleuchtung war schlechter als oben, doch wenn man sich konzentrierte, war der Weg trotz herumliegender Gegenstände mühelos zu betreten.
Jetzt merkte der Doktor erfreut auf. „Oh, das." Tatsächlich drosselte er sein Tempo ein wenig, damit Greggory die Chance hatte aufzuholen. Die beiden verfielen in ein zügiges Joggen. Nun gestikulierte der Doktor weitaus mehr während des Sprechens und blickte ab und zu Greggory an, um dessen Reaktionen beobachten zu können. „Es ist eigentlich ganz logisch. Die Zeitlücken. Alles, was da draußen verschwindet, kommt hierher. Daraus resultierend vergeht die Zeit hier drinnen viel langsamer als da draußen."
„Wie kommen Sie denn da drauf?" Greggorys Augenbrauen schossen in die Höhe.
„Die Powerstangen, die Sie versehentlich draußen fallen gelassen haben", erklärte er schnell, „sind seit sechs Monaten abgelaufen. Aber Sie sind seit einem Tag hier drinnen. Und ich nehme mal nicht an, dass sie abgelaufene Boostmittel zu ihrer Mission mitgenommen haben."
„Habe ich nicht", bestätigte der Kleinere perplex. Entsetzt fasste er zusammen: „Wir sind eigentlich seit sechs Monaten hier?"
„Na ja, für jeden jenerseits der Eingangstür sind sechs Monate vergangen, für Sie dagegen nur ein Tag. Es ist schwierig zu sagen wie Zeit eigentlich verläuft. Kennen Sie die Relativitätstheorie von Einstein? Wir erfahren sie gerade im Extremfall. Aber Sie haben Recht, es sind sechs Monate vergangen, während Sie hier drinnen waren", redete der Doktor ohne Unterlass. Zufrieden grinsend legte er seinen Kopf schief.
„Oh, wow", hauchte Greggory. „Wollen Sie damit sagen, dass das Haus die Zeit... absorbiert?" Der Doktor nickte und gestand: „Es ist eine Vermutung."
Der Zeitagent überlegte kurz. „Aber... Dieser Raum, in dem die ganze Energie hinfließt... nutzt kaum Zeitenergie. Was immer dort ist, kann also nicht der Grund sein für diese... Zeitverschiebung, habe ich Recht?" Es war eine ehrliche Frage. Wieder nickte der Doktor, wobei er dieses Mal breit grinste: „Sie gefallen mir immer besser, Greggory."
Es dauerte nicht lange, bis die beiden um eine Ecke bogen und ein letzter Gang vor ihnen lag. Je weiter sie sich vorgearbeitet hatten, desto dunkler war es geworden. Inzwischen war kaum etwas mit dem bloßen Auge gut erkennbar. Greggory schaltete seine Taschenlampe an. Es lag wenig Zeitmüll herum und an den Wänden hingen vergilbte Bilder. Spinnenweben zogen sich an den Ecken und Kanten entlang. Hier war das Alter des Hauses nicht versteckt.
Am Ende des Ganges befand sich eine dunkle Tür unter deren Ritze Licht hervorschien. Sie war verschlossen. Die beiden Männer blieben still. Es lag etwas in der Luft, dass ihre Nackenhaare aufstellen ließ. Etwas, das man nicht mit Geräuschen stören sollte. Hinter dieser Tür war das, was sie suchten, aber es schien so, als wolle es nicht gesehen werden.
Der Doktor bekam mit, wie Greggory neben ihm schwer schluckte. „Das ist die Energie", erlärte er mit gedämpfter Stimme. Auch wenn er überdurchschnittlich furchtlos war, so konnte er nichts gegen der Natur eines Lebewesens machen. „Eine solche Ansammlung... ist einfach nur gewaltig. Kein Wesen des Universums könnte dem unerschrocken entgegentreten."
Dann begann er sich auf die Tür zuzubewegen. Er lief langsam und achtete sorgfältig darauf so wenig Geräusche wie möglich zu produzieren. Sein Geist war hellwach und er blieb aufmerksam, damit ihm auch ja nichts entging. Es war, als würde er sich an jemanden anschleichen. Tatsächlich kam er sich selbst ein wenig lächerlich vor, doch er konnte nichts dagegen tun. Die Widernatürlichkeit zwang ihn zu diesem eigentlich schon unterwürfigen Verhalten. Er spürte, wie Greggory es ihm gleichtat.
Binnen weniger kontrollierter Atemzüge waren sie angekommen. „Bereit?", fragte der Doktor den Zeitagenten der Höflichkeit halber nach. Dieser nickte und fasste seine Waffe sicher in seinen Händen. Der Time Lord hoffte doch inständig, dass er sie nicht benutzen würde.
So brachen die zwei Gruppen, Claire unde Isaac mit Nina und Captain Luther und Ben, auf. An der Treppe, die zum Erdgeschoss führte, trennten sich die Wege. „Meidet dieses Klirren", warnte Ben sie ein letztes Mal, ehe er mit seinem Vorgesetzten an der Treppe vorbei weiter geradeaus ging. „Du auch", rief Isaac ihm noch halbherzig hinterher. Nina sah, wie Claire die Augen verdrehte, aber lächen musste.
Eine Weile liefen die drei schweigend nebeneinander. Claire und Isaac hielten in Alarmbereitschaft ihre Waffen bereit. Nina hoffte, dass sie gut zur Verteidigung dienen konnten. Auch sie hielt Ausschau, sei es nach dem Doktor oder etwas Anderem. Es war schnell erkennbar, dass die Agenten trainiert waren und sich dementsprechend in diesem Durcheinander besser bewegen konnten.
Letztendlich brach Nina die Stille: „Ich habe mich noch gar nicht dafür bedankt, dass ihr mich gerettet habt."
„Kein Grund sich zu bedanken", gab Claire professionell von sich ohne sie anzuschauen. „Das gehört zu unserem Job."
„Durch die Zeit reisen und Menschen retten?", hakte Nina halb provozierend nach. Claire blickte sie immer noch nicht an, doch die Jüngere sah, dass sie lächeln musste. Also konnte sie doch Emotionen empfinden. „Und du?", antwortete sie stattdessen mit einer Gegenfrage. „Dein Freund und du, was macht ihr so?"
„Ziemlich genau das Gleiche", antwortete sie grinsend. Nach kurzem Überlegen während des über Gerümpels im Erdgeschoss Klettern setzte sie hinzu: „Obwohl... er eher derjenige ist, der den Durchblick hat... und Leben rettet." Sie entschloss sich nicht zu erzählen, zu welcher Art der Doktor gehörte. Sie hatte bei den Reisen mit ihm festgestellt, dass er es gerne anderen verschwieg; sie wollte ihm die Entscheidung überlassen seine Identität preiszugeben.
„Und was machst du dann?", platzte es aus Isaac heraus. „Hey, Isaac!", fuhr Claire ihn augenblicklich an. „Sag nicht, dass wir dir jetzt auch noch Manieren breibringen müssen."
„Schon in Ordnung", meinte Nina. „Ich..." Sie stockte. Was tat sie eigentlich? Warum wollte der Doktor mit ihr reisen? Hatte sie eine... Daseinsberechtigung?
Was für ein Blödsinn, natürlich hatte sie das!
„Ich", fing sie überzeugt an. „sorge dafür, dass ihm das alles nicht zu Kopf steigt. Er..." Nina verlor sich in ihren Gedanken und hatte Schwierigkeiten sie zu formulieren. „Wenn man ihn sieht, nur kurz, und er seine intelligenten Reden schwingt und alles in letzter Sekunde rettet... hat man fast schon das Gefühl einem Gott zu begegnen. Man fühlt sich neben ihm klein und undbedeutend. Man fühlt sich unwichtig. Aber wenn man ihn besser kennenlernt, stellt man fest, dass er Fehler macht und mit den Konsequenzen leben muss wie jeder andere auch... Dass er sich entscheiden muss, dass er nicht alles kann... Dass er leidet. Und dass er, obwohl er so Vieles kennenlernt, unheimlich einsam ist."
Nach ihren Worten blieb es eine Weile still.
„Ganz schöner Sprücheklopfer, wie es mir scheint", kommentierte Claire schließlich trocken. „Ein Wichtigtuer."
Isaac zuckte die Schultern. „Findest du? Für mich klingt es so, als wäre Nina in ihn verschossen."
Die spürte daraufhin, wie ihre Wangen heiß wurden und ihr Herz schneller schlug. „Gar nicht wahr", protestierte sie wohl eine Spur zu schnell.
Isaac grinste sie neckisch an. „Hm, doch. Ich glaube hier ist jemand gewaltig verknallt."
„Du musst wohl von Ben und dir reden", konterte sie immer noch peinlich berührt.
Jetzt war es Isaac, der rot wurde. „Was...? Ben und ich...? Nein, was redest du da?" Er war alles andere als überzeugend und Nina war erleichtert, dass sie noch die Kurve bekommen hatte. „Versuch es gar nicht abzustreiten, es ist viel zu offensichtlich."
„Du redest Unsinn", verteidigte sich der Größere vehement. „Da ist nichts mit..."
„Würdet ihr beide bitte diese Unterhaltung auf einen anderen Zeitpunkt verschieben?", zischte Claire sie an. „Es gibt jetzt weitaus wichtigere Dinge." Peinlich berührt klappten beide ihren Mund zu. Nun wurden Claires Gesichtszüge etwas sanfter. „Außerdem sind wir da."
Sie machten an einer Doppeltür Halt, die nur zur Hälfte geöffnet war. Es war eindeutig zu erkennen, dass es sich hierbei um eine Bibliothek handelte. Zwei von vier Wänden waren mit zimmerhohen, vollgestopften Bücherregalen ausgefüllt. Fenster zum Wald reihten sich an einer dritten Rand. Bei einem lange nicht mehr benutzten Kamin standen gemütliche Sessel und ein Sofa und in einer Ecke stand ein verstaubter Schreibtisch.
Hier drinnen gab es kein Chaos bestehend aus Gegenständen aller Zeit. Nina hatte sich so sehr an das Gerümpel überall im Haus gewöhnt, der Raum kam ihr schon fast zu leer vor.
Eine Sache jedoch war ungewöhnlich: Inmitten von diesem Raum war eine mannshohe Standuhr, deren Zifferblatt zur Doppeltür gerichtet war. Nina überkam bei ihrem Anblick eine Gänsehaut und sie war sich schon fast sicher, dass die Vermutung, die ihr im Schlafzimmer gekommen war, stimmte.
Im Keller berührte der Doktor die Türklinke nur mit den Fingerspitzen und drückte sie vorsichtig herunter. Die Tür schwang mühelos auf. Rotes, gleißendes Licht überflutete ihn und Greggory augenblicklich. Es dauerte einige Momente, bis sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatten. Augenblicklich war deren Ursprungsort auszumachen.
Alles, was sich im Doktor gegen das Betreten dieses Zimmers gewehrt hatte, verdoppelte seine Intensität. Aber es kam noch etwas hinzu: Neugier und Abenteuerlust. Wie von selbst trugen ihn seine Füße zu dem großen, zylinderförmigen Glaskasten in der Mitte des Raumes. Es war fast wie ein Aquariumbecken mit einem Durchmesser von etwa 23 Fuß und einer Höhe von 10 Fuß.
Wenn man es nicht besser wusste, war es schwierig zu beschreiben, wie der Inhalt aussah. Doch der Doktor wusste es besser. Bei dem roten, pulsierenden Licht, das ab und zu von weißen Schlieren durchzogen wurde, handelte es sich um pure, rohe Energie. Sie füllte den Zylinder nahezu komplett. Zusätzlich zu seiner Gänsehaut spürte der Doktor ein Kribbeln, das durch seinen Körper zog. Es war, als würde die Energie umherwabern und direkt durch seinen Körper fahren.
Nach seinem Moment der schieren Bewunderung stellte er fest, dass dies nicht sein konnte. „Was... ist das?", hauchte Greggory überwältigt. Voller Ehrfurcht hatte er unbeabsichtigt seine Waffe senken lassen, stellte der Doktor fest, als der Kleinere neben ihn trat. In seinen geweiteten Augen spiegelte sich das rote Licht wieder.
„Ein Energiespeicher...", antwortete der Doktor schlicht.
„Woher wissen Sie das?"
„Na ja, es ist ein Behälter, der Energie speichert, nicht?"
Es war das erste Mal, dass Greggory den Blick löste und zum Doktor wandte. „Sie wissen nicht, was das ist?"
Anders als der Zeitagent hielt der Time Lord seine Augen auf den Glaszylinder gerichtet. Seine Augenbrauen waren zusammengezogen und auf seiner Stirn bildete sich eine Sorgenfalte. „Nein", bestärigte er Greggorys Verdacht. „Und ich hab eigentlich kein großes Problem damit, wenn ich etwas nicht kenne. Dann lerne ich es halt kennen. Aber ich glaube, dass ich auf die Bekanntschaft mit dem hier, was auch immer es ist, verzichten kann."
„Wieso?", hakte Greggory weiter nach, während der Doktor begann um den Zylinder zu schreiten.
„Ist nur so ein Gefühl." Und das war nichts als die Wahrheit. Er hatte nichts gegen Unbekanntes, aber sein Instinkt brüllte ihn nahezu an, dass er verschwinden sollte. „Ich habe so etwas noch nie gesehen", gab er murmelnd zu und holte seinen Schallschraubenieher heraus. Er bemerkte, dass mehrere Kabel und Schläuche von der Oberseite der Zylinders ausgingen und in der hohen Raumdecke verschwanden.
„Dieser Kasten hier ist der Grund für unseren Zeitmüll da oben", vermutete der Doktor, während er scannte und schritt. „Die wenige Zeitenergie, die aufgenommen wird, reicht zwar nicht für die Zeitlücken, dafür für... Verdrehungen. Ein Stolpern der korrekten Zeitlinie."
„Wie meinen Sie das?"
„Es ist wie eine Glühbirne mit Wackelkontakt, manchmal leuchtet sie hell auf, manchmal erlischt sie komplett. So ist das hier auch mit der Zeit. Sie versucht so natürlich wie möglich zu verlaufen, doch die gelegentliche Absorption und all die andere Energie sorgen für kleine Holper, in denen ein Gegenstand in der Zeit springt."
Als der Doktor den Kasten umrundet und mit hochfrequentiertem Geräusch vollständig gescannt hatte, teilte er Greggory mit: „Kein Computer oder Maschine, keine Anzeigen von irgendetwas. Die einzigen Informationen, die wir haben, sind die vom Computer oben. Wenn man jedoch bedenkt, wie viel Energie in einem bestimmten Zeitraum abfließt und man einberechnet, wie voll das Ding eigentlich ist... steht das hier schon seit sehr langer Zeit."
Der Zeitagent, so fasziniert er auch war, schien sich keinen Reim machen zu können: „Wozu wird die ganze Energie hierhin geleitet? Was für einem Zweck dient das?"
Der Doktor hatte in der Zwischenzeit das Ergebnis des Scans von seinem Schallschraubenzieher abgelesen. „Ich will doch mal hoffen, dass es ein netter ist."
Abermals verstand Greggory nicht. „Inwiefern?"
„Nun ja..." Er steckte sein handliches Gerät wieder ein und schaute den anderen direkt an. „Im schlimmsten Fall will jemand, wer auch immer das hier aufgestellt hat, die Milchstraße in das größte Schwarze Loch verwandeln, das das Univerum jemals gesehen hat... und sehen würde."
„Oh", machte Greggory nur. „Das wäre... wirklich nicht gut." Er wirkte wieder überfordert. Der Arme hatte in den letzten zwei Tagen wohl zu viele überwältigende Informationen auf einmal bekommen.
Eigentlich würde der Doktor ihn gerne mit dem, was er zu sagen hatte verschonen, aber es ging nicht anders. Jetzt, da er die Gefahr erkannt hatte, musste er unbedingt Nina wiederfinden. „Greggory, ich habe etwas Anderes entdeckt."
Der Zeitagent hatte sich in Gedanken verloren und zuckte kurz zusammen. „Oh, ja, was denn?" Mit einem schweren Gefühl auf der Brust führte der Doktor den Kleineren ein Stück den Glaszlinder entlang. Zu ihren Füßen lag ein Haufen aus Asche oder Staub. „Ich habe es gescannt. Es sind... menschliche Überreste. Von einer Person. Es ist etwa ein Tag alt."
Es tat dem Doktor leid, als er sah, wie Greggory die Gesichtszüge entglitten. Welchen seiner Kameraden er nie wieder sehen würde, war ihm nicht klar, das wusste der Doktor, doch das minderte den Schmerz nicht im Geringsten. „Vielleicht ist es auch keiner aus unserem Team", versuchte er sich einzureden. „Vielleicht war doch noch jemand hier..." Der Doktor schwieg kurz. „Vielleicht", sagte er nur knapp angebunden und klang alles Andere als überzeugt.
Doch dann spitzte er die Ohren. Er hatte etwas gehört. Sein Kopf ruckte zu der einzigen Tür, die zu diesem Raum führte. „Sagen Sie, Greggory, als wir uns getroffen haben, haben Sie sich versteckt."
„Ja", bestätigte er noch gestig abwesend. Allerdings schien er sich wach zu rütteln und folgte dem Blick des Doktors. „Ja, vor Ihnen. Ich habe Sie gehört und war mir nicht sicher, ob sie Freund oder Feind sind."
„Und Sie und Ihr Team sind die Einzigen hier?" Er wandte seinen Blick nicht ab und begann schneller zu sprechen.
„Abgesehen von Ihnen und Ihrer Freundin, ja... Zumindest soweit ich weiß."
„Von denen trägt nicht zufälligerweise einer einen Schlüsselbund mit sich, oder?"
„Nein. Wieso?"
Und dann verstummte Greggory. Er hatte das Schlüsselklirren auch gehört.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top