Der Zeitdieb: Prolog
Im Keller des Hauses war es dunkel. Viel dunkler als sie angenommen hatten. Sie mussten Taschenlampen benutzen. Vorsichtig schlich die kleine Gruppe, zu der auch die Frau gehörte, vorwärts. Auch wenn nichts auf Lebenszeichen hinwies, wurde sie das beklemmende Gefühl nicht los, dass sie beobachtet wurden. Sie traute sich nicht einmal zu atmen in der Befürchtung, sie könnte etwas überhören.
Plötzlich ließ ein spitzer Schrei sie zusammenfahren. Jedoch kam dieser nicht von weit entfernt, nein, der Verursacher stand schräg hinter ihr. Wütend blitzten ihre Augen zu ihrem Kameraden. In der Dunkelheit war fast nichts von seinen hübschen Gesichtszügen zu erkennen. Ehe sie sich jedoch beschweren konnte, tat es ihr dunkelhäutiger Kollege hinter dem Verschreckten: „Mensch, Isaac! Jag uns nicht so 'nen Schrecken ein!"
„Mich hat irgendetwas gestriffen!", verteidigte sich der Angeklagte vehement und beleuchtete die Wand, die er gerade eben passiert hatte. Die Taschenlampe erhellte ein Stück Tapete, dass sich in Folge vieler, vieler Jahre von der Wand abschälte.
Mit gerunzelter Stirn schwenkte der Dunkelhäutige das Licht seiner Taschenlampe auf Isaac, sodass jeder sehen konnte, wie er rot anlief. „Unsere Nerven liegen sowieso schon blank, weil Michael einfach abgehauen ist."
„Ja, stimmt, ist ja eigentlich dein Job", murrte Isaac beleidigt.
Sein Kumpane wollte schon etwas erwidern, als eine dritte männliche Stimme dazwischenfuhr: „Ruhe jetzt! Alle beide!" Der Anführer ihrer Gruppe blickte den beiden Streithähnen streng in die Augen. „Konzentriert euch!" Die Anspannung ließ jeden wütender werden.
„Michael?", rief die Frau nach vorne in den Gang hinein. Sie glaubte etwas gehört zu haben. Augenblicklich blickten die restlichen drei wieder geradeaus. „Michael, bist du das?"
Vorsichtig tat sie weitere Schritte vorwärts. Ihr Anführer, der Captain, festigte den Griff um seine Waffe und folgte ihr. Auch der Dunkelhäutige ging weiter nicht ohne Isaac vorher einen Klaps auf den Hinterkopf zu geben, ihm zu zuzwinkern und „Na, komm, du Angsthase" zu zuraunen.
Weit lief die kleine Gruppe allerdings nicht, denn auf einmal hörten alle etwas, was einige Momente zuvor nur die Frau gehört hatte. Es klirrte. Aber was war es?
„Michael?", fragte der Captain. Der Gang, in dem sie sich befanden, schien schon sehr alt und verstaubt zu sein. Alte, verblichene Gemälde hingen an den Wänden, manche zerrissen, manche noch intakt. Mit den eingeschränkten Lichtverhältnissen waren keine Türen zu erkennen.
Wieder war dieses Klirren zu hören. Es war näher gekommen. Isaac unterdrückte erfolglos ein Wimmern. „Wer ist da?", rief der Captain laut und sicher. Seine Stimme strahlte Autorität aus, doch die Frau sah, wie er seine Waffe noch einmal zurechtrückte. Ein Zeichen der Nervosität.
Plötzlich öffnete sich eine Tür am Ende des Ganges. Rotes Licht beleuchtete den Boden, die Wände und strahlte sogar so hell, dass das vierköpfige Team davon geblendet wurde. „Michael?", gab der Dunkelhäutige zögerlich, aber deutlich von sich.
Nachdem sie sich an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, wollte der Captain einen weiteren Schritt zur Lichtquelle tun, doch er hielt inne.
Es war der zweite markerschütternder Schrei, den sie in den letzten zehn Minuten gehört hatte. Doch dieses Mal war es nicht Isaac, es kam aus dem Raum mit dem Licht. Jeder wusste, dass es Michael war. Und er schrie vor Schmerzen. Todesqualen. Einige Sekunden war er zu hören. Hinzu kam ein weiteres Geräusch. Als würde sich etwas... auflösen. Dann plötzlich verstummte alles.
Isaac schien das zu viel zu sein. Die Frau sah aus dem Augenwinkel, wie er kehrt machte und die Beine in die Hand nahm. „Scheiße, Isaac!", fluchte ihr dunkelhäutiger Kollege und rannte dem Erstgenannten hinterher.
Die anderen zwei rührten sich nicht und starrten zum Ende des Ganges. „Captain", fragte die Frau betroffen. „Ist er...?" Sie konnte nicht fertig reden.
„Ich... befürchte ja, Miss Anderson", gab er zurück.
Mit angsterfüllten Augen blickte die Frau in das unheilverkündende Licht wohlwissend, dass ihre ursprüngliche Mannschaft nun ein Mitglied weniger hatte.
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