Das Mädchen im Kamin: Teil V

Nina stand allein vor einer kaputten Glaswand und blickte mit leeren Augen und verschwommener Sicht auf die dahinterliegende Wand des Raumes. Ihr war bewusst, dass wenn das Zeitfenster zerstört war, es kein Zurück gab. Die Träne, die ihr langsam über die Wange floss, spürte sie kaum.

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Chaos herrschte in ihrem Kopf und sie war unfähig etwas dagegen zu unternehmen. Sie konnte sich nicht bewegen, sondern stand nur da und starrte.

Sie wusste nicht, wie viel Zeit verging, bis ihre Gedanken allmählich zur Ruhe kamen. Einer nach dem anderen kristallisierte sich und hob sich aus diesem Wirrwarr hervor:

Der Doktor ist weg.

...

Er weiß, dass er nicht mehr zurückkommen kann.

...

Er hat mich allein gelassen.

...

Allein in diesem riesigen Schiff. Mitten im Weltraum.

Nina wandte den Blick von dem zersprungenen Zeitfenster ab zu einem tatsächlichen Fenster. Sie sah das dunkle Weltall, das von leichten roten und rosafarbenen Tönen durchzogen wurde. Und überall leuchteten Sterne als kleine weiße Punkte. Es war fast nichts und gleichzeitig doch so viel zu sehen. So wunderschön und so einsam.

Plötzlich wurde sie sehr müde. Ihre Beine wollten sie nicht mehr tragen. Sie setzte sich neben die Tardis und lehnte sich gegen die blaue Kiste. Erschöpft schloss sie die Augen. Wie lange war es her, dass sie das letzte Mal geschlafen hatte? Sie hatte einen Schlüssel für die Zeitmaschine, ihr war es möglich hineinzugehen, wann sie wollte. Aber sie konnte nicht. Die Tardis war zu groß für eine Person. Nina verstand, warum der Doktor immer einen Begleiter haben wollte.

Nun fing sie wirklich an zu weinen. Sie fand es lächerlich, aber sie konnte es nicht verhindern. Immer mal wieder schluchzte sie, während ihr unaufhörlich Tränen übers Gesicht liefen und ihr ganzer Körper zitterte. Die Augen hielt sie geschlossen, sie wollte nicht in dieses leere Raumschiff blicken. Es reichte ihr zu wissen, dass es da war.

Der Doktor und seine Begleiter. Nina wusste, dass es vor ihr viele gegeben hatte. Sie wusste auch, dass der Doktor, so wie er jetzt war, noch zwei andere zuvor gehabt hatte. Martha war freiwillig gegangen, auch wenn er nie direkt erklärt hatte, warum. Nur im Gedächtnispalast hatte er es angeschnitten, als er Martha anstelle von Nina gesehen hatte. Aber sie sei brillant gewesen. Schlau und mutig. Und Rose. Über Rose sprach er nicht viel. Sie war vor Martha da gewesen und seinen Worten zufolge hatte er sie verloren. Aber sie sei am Leben. Und ein wundervoller Mensch.

Nina war aufgefallen, dass er über beide unterschiedlich sprach. Anscheinend war Marthas Abschied weniger... schwierig gewesen als Roses. Jedenfalls hatte Nina sich das zusammengereimt. Bei Martha war er fröhlich und lebhaft und es schien kaum ein Thema zu geben, was er lieber nicht ansprechen wollte.

Bei Rose jedoch war es anders. Seine gesamte Ausstrahlung wurde weicher und ein sanftes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Doch in seinen Augen war dieser Schmerz, den er gut verstecken konnte und den Nina inzwischen erkannte. Der Doktor war nicht unhöflich, aber auch nicht redefreudig, wenn es um Rose ging.

Einen ähnlichen Eindruck hatte der Doktor auch gemacht, als er Reinette kennengelernt hatte. So unbeschwert und heiter. Vielleicht hatte er in ihr Rose wiedergesehen und sich deswegen für sie entschieden. Für ein Leben ohne die Reisen, die seine ganze Identität ausmachten. Er hatte für eine Frau so Vieles aufgegeben.

Inklusive Nina.

Sie weinte weiter. Allmählich wurde ihr auch bewusst, warum. Es war weniger der Tatsache wegen, dass sie feststeckte – Sie hatte zwar einen Schlüssel für die Tardis, konnte sie aber nicht steuern – sondern mehr, weil ihr klar war, dass der Doktor für sie nicht das Gleiche tun würde.

Irgendwann beruhigte sie sich wieder und atmete nur noch geräuschvoll und schnell. Dann driftete sie in einen Halbschlaf.

Ein mechanisches Geräusch ließ Nina zusammenzucken. Danach folgte eine Stimme: „Madame de Pompadour?" Träumte sie? „Wollt Ihr immer noch die Sterne sehen?" Nein, das war real. Es war die Stimme des Doktors.

Hastig erhob sich die junge Frau und ignorierte den Schmerz, der ihrer unbequemen Schlafposition zugrunde lag. Nach einem kurzen Blick auf das Handy schienen etwa fünfeinhalb Stunden vergangen zu sein, seit der Doktor durch den Spiegel gesprungen war.

„Gebt mir zwei Minuten! Packt schonmal Eure Koffer!" Er klang fröhlich, glücklich nahezu. Nina folgte seiner Stimme und gelangte in den Nebenraum mit dem Kamin. Es war der Ort, wo sie Reinette zum ersten Mal gesehen hatte. Das war heute geschehen und doch hatte Nina das Gefühl schon seit Ewigkeiten hier zu sein.

Als der Doktor sich umwandte und seine Begleiterin erblickte, strahlte er über das ganze Gesicht. Erleichtert ging Nina auf ihn zu und umarmte ihn fest. Er erwiderte die Herzlichkeit freudig. „Wie kommen Sie hierher?", fragte Nina überwältigt.

„Reinette hat den Kamin aufgehoben", erklärte der Doktor und wirkte unheimlich froh. „Er war offline als die Zeitfenster zerstört wurden und ist somit verschont geblieben. Ich hab den Wackelkontakt repariert." Er ließ immer noch nicht los. „Wie lange war ich weg?", wollte er wissen.

„Fünfeinhalb Stunden." Nina antwortete mit einer Mischung aus Lachen und Weinen. Der Doktor löste nun die Umarmung. „Sehr gut. So lange muss man jetzt immer warten."

„Was meinen Sie?"

„Erkläre ich Ihnen später", erwiderte der Time Lord aufgeregt. „Und jetzt, los! Ab in die Tardis! Ich komme gleich nach." Überrascht wollte Nina nachfragen, wo er denn hinginge, aber er eilte schon wieder zu dem Kamin und ging auf die Knie. „Reinette? Seid Ihr da?" Es kam keine Antwort, also richtete er sich auf, betätigte den Hebel und verschwand abermals.

Ninas Laune verschlechterte sich wieder. Wollte er Madame de Pompadour mitnehmen? Sie hatte das Gefühl, dass sie zumindest hätte gefragt werden sollen. Ja, natürlich es war die Tardis des Doktors, aber... hatte sie nicht so etwas wie ein Mitspracherecht des Ersteren?

Frustriert seufzte sie auf. Vielleicht wollte der Doktor sie wirklich nicht mehr dabeihaben. Vielleicht war jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem sie ersetzt wurde. So wie sie Ersatz war. Für Martha. Und diese davor für Rose. Vielleicht war der Doktor nur so glücklich gewesen, weil er reisen und mit Reinette reisen konnte, und nicht, weil er wieder bei Nina gewesen war.

Sich über ihren Freund, aber noch mehr über sich selbst ärgernd betrat sie die Tardis und schloss die Tür hinter sich.

Fünfeinhalb Stunden später betrat der Doktor die Tardis. Nina hatte auf der Couch bei der Steuerkonsole gesessen und erhob sich nun. In ihrem Kopf hatte sie sich viele Szenarien zusammengereimt: Wie sie nun mit dem Doktor und mit Madame de Pompadour durch Raum und Zeit reisen würde. Wie sie sich stets wie das dritte Rad am Wagen fühlen würde und sich letztendlich dazu entschied zu gehen. Wie sie sich das ganze Leiden ersparte und sich sofort verabschiedete. Wie ihr bewusst war, dass sie das niemals über das Herz bringen könnte.

Tatsächlich hatte sie alle Möglichkeiten von Beste Freundinnen mit Reinette sein, bis Madame de ‚Ich bin so fein' versehentlich von einer Klippe schubsen – manche ernster, manche weniger ernst – in Betracht gezogen.

Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, den Doktor mit ausdruckslosem Blick, allein, durch die Tür kommen sehen. Und plötzlich waren all ihre dunklen Gedanken, die Wut und die Eifersucht, verschwunden. Etwas war schiefgegangen. Unglaublich schief. Und jetzt trat der Doktor Nina mit seiner Maske gegenüber.

„Warum Madame de Pompadour?", fragte Nina vorsichtig. Es war ihr schon lange durch den Kopf gegeistert. „Warum glaubten sie, sie würden das Schiff mit ihrem Gehirn wieder reparieren können?"

„Das werden wir nie erfahren", erwiderte der Doktor nüchtern und schob seine Hände in die Hosentaschen. „Die Computerspeicher sind stark beschädigt. Ein riesengroßes Durcheinander." Beiläufig kratzte er sich am Ohr und ging zur Steuerkonsole. Nina bemerkte, dass er es vermied ihr in die Augen zu schauen. „Die Androiden sind weg, als kann die Tardis alle Zeitfenster schließen. Die machen uns keinen Ärger mehr."

Da war er, der Doktor, drückte Knöpfe auf seiner Tardis und tat so, als wäre alles so wie immer, versuchte, den Schmerz zu verstecken. Unschlüssig stand Nina neben ihm. Sie wusste nicht, ob er darüber reden wollte. Doch, sie wusste es: Er wollte das nicht. Aber ihr war auch klar, dass er es sollte. „Geht's Ihnen gut?", fragte sie zögerlich nach.

Milde überrascht blickte er zu ihr auf. „Mir geht es immer gut." Dann hob er leicht seine Mundwinkel. Das angedeutete Lächeln erreichte seine Augen nicht. Nina bezweifelte, dass sie von ihm jemals so belogen worden war. Es brach ihr das Herz.

Der Doktor konzentrierte sich wieder auf die Tardis. Die junge Frau blickte ihn weiterhin an, hatte ihn durchschaut. Aber er schien tatsächlich nicht darüber reden zu wollen. Sie sollte ihn womöglich allein lassen.

Doch sie hatte keine Lust, sich jetzt in die Tiefen der Tardis zu verkrümeln und den Kopf zu verbrechen. Sie brauchte unbedingt frische Luft. „Können Sie... irgendwo landen?", bat Nina vorsichtig. „Irgendwo, wo es ruhig ist."

„Ihr Wunsch ist mir Befehl, Miss Featherstone." In seiner Stimme lag der Versuch Freude anzudeuten. Nach wenigen Handgriffen ruckelte die Tardis und sie landeten. „Danke", gab Nina leise von sich und rauschte dann durch die Tür.

Sie wusste nicht, wo und wann der Doktor sie abgesetzt hatte, aber es war atemberaubend. Die Tardis stand auf einer hohen, breiten Klippe. Ein paar Yards vor Nina ging es senkrecht nach unten, wo ein schmaler Strandstreifen parallel zur Felsenwand entlang zog. Der Sand ging über in einen weiten Fluss, in dessen Wasser sich die Sterne des Nachthimmels spiegelten. Auf der anderen Seite begrenzte eine niedrige Hügelkette den Fluss. Nina setzte sich in den Schneidersitz, lehnte ihren Rücken an die Tardis und betrachtete die Landschaft vor sich.

Sie hätte es nicht ausgehalten jetzt in der Zeitmaschine zu sitzen wohlwissend, dass der Doktor gerne noch jemand anderen dabeigehabt hätte... beziehungsweise lieber dagehabt hätte. Nina verachtete sich für diese giftigen Gedanken. Dennoch tat ihr die frische Luft gut; sie konnte tief durchatmen und den sanften Wind in ihren Haaren spüren.

Innerlich ruhiger holte sie ihre Skittles-Packung heraus, die sie mitgenommen hatte und begann zu naschen. Egal, wie sauer oder eingeschnappt sie gewesen war, sie wollte nicht, dass der Doktor litt. Deswegen entfernte sie sich auch nicht komplett; er brauchte jetzt seinen Freiraum, aber er sollte auch wissen, dass er das nicht allein durchzustehen brauchte. Niemals.

Die Landschaft hatte beinahe schon etwas Meditatives an sich. Nina beschloss ihn nicht wegen irgendwelcher potentiellen Vernachlässigungen zur Rede zur stellen. Ein kleinwenig hoffte sie, dass er es selbst mitbekommen hatte und es ihm leidtat, aber darauf war natürlich nicht Verlass. Ihre Aufgabe war es, ihn zu beruhigen, ihn abzulenken, ein Anker zu sein.

Sie hätte nicht erwartet zu hören, wie ungefähr eine halbe Stunde später die Tür der Tardis geöffnet wurde. „Sie sind aber nicht weit gekommen", stellte der Doktor überrascht fest.

„Ich hab nur etwas frische Luft gebraucht", erwiderte sie nüchtern ohne ihn anzublicken. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, als ihr bewusst wurde, dass er sich willentlich dazu entschieden hatte, zu ihr zu gehen und nicht andersherum. Er schloss die Tür hinter sich und ließ sich neben ihr nieder. Die Beine winkelte er an und ließ die Unterarme auf seinen Knien ruhen. Zu zweit genossen sie die Aussicht.

Das geschah, bis Nina einen weiteren Kaubonbon zu sich nahm. Die Bewegung bemerkend linste der Doktor zu ihr herüber. „Essen Sie schon wieder diese in Schachteln verpackte Karies?"

Lässig zuckte sie mit den Schultern. „Eine Sucht aufgeben ist nun einmal schwer." Tief ausatmend ließ er seinen Kopf zurück gegen das blaue Holz fallen und murmelte: „Was Sie nicht sagen..."

Vermutlich etwas zu schnell wandte sie ihren Kopf zu ihm und musterte sein Profil. Mit seinen alten Augen blickte er in den Sternenhimmel. Seine Trauer spiegelte sich in ihnen. Er schien nicht zu versuchen, sie zu verbergen. Eine Weile betrachtete Nina ihn und überlegte sich gut, was sie als Nächstes sagen sollte. „Sie hätten sich ruhig länger Zeit nehmen können", meinte sie schließlich sanft.

„Ach, wofür denn?", wimmelte er ab. „Das Leben ist, wie es ist. Menschen leben und sterben. Ich tendiere nur manchmal dazu..." Seine Stimme brach kurz ab und er musste schlucken. „... das zu vergessen." Immer noch war sein Blick leicht über den Horizont gerichtet. Nina war klar, dass er ihren Blick auf sich spürte, aber es störte sie nicht. Sie wollte ihm das Gefühl vermitteln, dass auf ihn aufgepasst wurde.

Reinette war also gestorben, bevor er sie mit auf Reisen nehmen konnte. Vermutlich hatte sie den Rest ihres Lebens auf ihn gewartet. Und der Doktor... hätte sie zu gerne noch einmal gesehen. „Sie haben sie erst seit ein paar Stunden gekannt. Was hat sie getan, damit Sie jetzt so...?" Sie fand kein Wort und hoffte, dass er etwas sagte, was er aber nicht tat. „So... sind?"

„Ich bin doch ganz normal", protestierte er und sah sie nun an. Es war die gleiche Lüge mit dem gleichen falschen Gesicht wie vorhin schon.

Abermals war Nina empört. Sie sparte sich die hochgezogene Augenbraue, aber ihr vorwurfsvoller Blick reichte schon aus, damit der Doktor den Augenkontakt abbrach. Er betrachtete seine Finger, die sich nun angestrengt miteinander beschäftigten. „Ich bin nicht blöd", versuchte Nina so neutral wie möglich von sich zu geben, doch ihr gelang es nicht ganz. „Das habe ich auch nie behauptet", murmelte der Doktor. Man könnte schon meinen, er sei beschämt.

Ihre Haltung wurde wieder sanfter. „Sie war bezaubernd." Ein weiteres Skittle wanderte in ihren Mund. „Oh ja", bestätigte er abwesend ins Gras blickend. Er bemerkte nicht mal den leicht verletzten Blick seiner Begleiterin. Sie entschied sich wieder die Sterne zu bewundern.

Beide schwiegen eine Weile. Nina versuchte die aufgekommene Bitterkeit zusammen mit der Süßigkeit herunterzuschlucken, doch ihre Kehle war plötzlich so trocken. Nach ein paar weiteren Augenblicken der Stille meinte sie mehr zu sich als zu ihrem Freund: „Sie dürfen nicht so scheu sein." Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie er verwundert zu ihr herüberblickte. Nina musste vorsichtig sein mit dem, was sie sagte, doch sie hatte es einmal auszusprechen. „Jeder, der Ihnen nähersteht, weiß, was Sie durchgemacht haben... und dass Sie sehr einsam sind. Aber wir... Dafür sind wir doch da, oder? Wir begleiten Sie, damit Sie nicht einsam sind. Allerdings müssen Sie... musst du uns etwas an dich heranlassen. Sonst können wir dir nicht helfen." Aus irgendeinem Grund fiel es ihr schwer diese Worte über die Lippen zu bringen.

Sie bemerkte, dass er seinen Kopf gegen die Tardis lehnte. Er ließ sich Zeit mit der Antwort. „Jedes Mal, wenn ich das tue..." Den Rest des Satzes ersparte er sich. Nina brauchte ihn nicht zu hören. Es war doch gerade eben mit Reinette dasselbe gewesen. Dennoch konnte sie nicht lockerlassen. Energisch wandte sie sich zu ihm. „Ist das denn ein Grund, sich zu verschließen? Einfach versuchen, Gefühle abzustellen?"

Auch er blickte sie wieder an. Eine Weile schauten sie an. Er schien nicht zu verstehen, worauf sie hinauswollte. „Doktor", begann sie ernst. „Hättest du die Wahl, die Nähe zu diesen bestimmten Personen, die gehabt hast, wieder rückgängig zu machen und dir so... eine schwere Zeit zu ersparen... würdest du es wirklich tun?"

Es war keine rhetorische Frage und sie sah an seinen Augen, dass ihm das klar war. Dennoch antwortete er nicht. Nach einigen Momenten bereitete sich ein Lächeln auf seinen Lippen aus. Es war ehrlich. „Martha Jones", meinte er nur.

Jetzt blinzelte Nina verdutzt. „Bitte was?"

„Martha Jones", wiederholte er nur und legte seinen Kopf in den Nacken. Sein Mund öffnete sich, als würde jeden Moment ein Lachen entweichen, doch dies geschah nicht. „Sie hat mir genau das Gleiche gesagt", erklärte er sich. „Indirekt nur versteht sich."

Ninas Blick wanderte zum Gras vor sich und sie ließ ihn ausreden. „Es hat eine sehr dunkle Zeit für mich gegeben", erzählte er ruhig, aber nicht unglücklich. „Ich habe gedacht, ich sollte mich tatsächlich von allen Wesen abschotten. Helfen, wo ich nur kann? Natürlich. Immer. Aber jemanden mit auf Reisen nehmen? Nein. Das konnte ich nicht. Es würde niemand Vergleichbaren mehr geben. Das habe ich auch Martha gesagt. Aber eins war zum anderen gekommen und sie begleitete mich eine Zeit lang. Sie... hat mir die Augen wieder geöffnet. Natürlich gibt es niemand Vergleichbaren, aber das braucht es auch nicht. Jeder ist auf seine Weise unvergleichbar. Es passieren schlimme Dinge im Leben, aber auch viele, viele gute. Man darf nicht zulassen, dass man nur das Schlechte sieht. Martha war einfach brillant. Ich wüsste nicht, wo ich jetzt ohne sie stehen würde." Stolz beendete er seine kurze Geschichte.

Nina blieb stumm. Er hatte noch nie so viel von ihrer Vorgängerin erzählt beziehungsweise noch nie so viel auf emotionaler Ebene. Sie war beeindruckt, was für einen Eindruck sie beim Doktor hinterlassen hatte und fragte sich, ob sie das Gleiche zustande bringen könnte.

„Sie hat mir deinen Namen verraten", offenbarte der Doktor plötzlich.

Schnell drehte sie ihren Kopf zu ihm. Verblüfft starrte sie ihn an. Er schien sie schon eine ganze Weile angeblickt zu haben, den Kopf immer noch gegen die Tardis gelehnt. Sein Blick war durchdringend; als versuche er mehr zu sehen, als da war. „Bevor sie ging", berichtete er, „meinte sie: ‚Wenn Sie Nina Featherstone treffen, lassen Sie es zu.'"

„Woher kennt sie meinen Namen? Wir sind uns noch nie begegnet", entgegnete Nina immer noch geschockt. „Und was meinte sie damit?"

Als Antwort auf beide Fragen zuckte der Doktor bloß mit den Schultern. Ihn schien das alles weniger zu berühren, als sie. Nun ja, zugegebenermaßen besaß er diese Information auch schon länger. „Ich weiß es nicht", gab er zu. „Seit dem Tag, an dem wir uns begegnet sind, bin ich diesbezüglich kein Stück schlauer geworden."

„Aber... wie? Ich verstehen das nicht! Ist das so ein Zeitverdrehungsding? Dass nicht alles linear abläuft und so?" Der Doktor sah ihr perplexes Gesicht und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Nina Featherstone. Allmählich müsstest du doch wissen, dass das Universum macht, was es will." Das bedeutete wohl, dass sie in nächster Zeit keine Antwort auf ihre Fragen bekommen würde.

Ihr Kopf brummte. Heute war einfach zu viel geschehen. Erst die Gefühlsachterbahn, dann ihre Imitation eines menschlichen Springbrunnens und jetzt das. Nina war müde. Erschöpft legte sie ihren Kopf auf der Schulter ihres Freundes ab. Schneller als sie gedacht hätte, schlief sie ein.

Der Doktor saß noch einige Stunden an der Klippe, während Nina schlief. Dass seine Schulter als Kissen diente, störte ihn kein Bisschen. Reinette hatte einen Abschiedsbrief hinterlassen, den er bereits durchgelesen hatte. Ihr Verlust schmerzte ihn sehr und es würde eine Weile dauern, bis er sich davon erholte. Andererseits war er wirklich froh nicht allein zu sein.

Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie Martha ihm Ninas Namen genannt hatte und wie verwirrt er gewesen war... welches Erstaunen er empfunden hatte, als er sie dann ttsächlich getroffen hatte. Er hatte eingewilligt, mit ihr darauf zu warten, dass die Snailers sich zeigten. Er hatte sie mitgenommen. Zu keiner Sekunde hatte er diese Entscheidung bereut.

War es das, was Martha gemeint hatte?

Er wusste es nicht. Er wusste Vieles nicht. Mit einem Mal kamen all die Grübeleien, die ihn schon die letzten Wochen, gar Monate, beschäftigten: Welchen Zweck hatte der Energiespeicher in den Cotswolds gehabt? War es wirklich reiner Zufall, dass die Tänzerin in der Schneekugel wie Nina ausgesehen hatte? Und was zum Teufel war dieses entsetzliche Kreischen, dessen Echo er immer noch hören konnte, wenn er sich konzentrierte? Es klang so als würde jemand... etwas... unheimlich leiden.

Wie er seiner Begleiterin gerade gelehrt hatte, tat das Universum gerne, was es wollte. Nichtsdestotrotz erkannte der Doktor kein Problem darin herausfinden zu wollen, was genau das war.

Jedoch sollte das nicht heute geschehen. Heute Nacht würde er die Sterne betrachten, während seine Begleiterin neben ihm friedlich schlummerte. Wenn er genauer darüber nachdachte, musste er sich eingestehen, dass er sich momentan eigentlich ziemlich zufrieden schätzen konnte.

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