Das Mädchen im Kamin: Teil III
Nina war so sehr mit ihrer Eifersucht beschäftigt, dass sie den Androiden in prärevolutionärer französischer Kleidung erst sah, als er direkt vor ihr stand. Erschrocken schnappte sie nach Luft, machte auf dem Absatz kehrt und wollte davonrennen, doch ein weiterer versperrte ihr bereits den Weg. Sie kam nicht weg. Ehe sie blinzeln konnte, hatte der Erste ihr von hinten etwas Spitzes in den Hals gerammt. Sie fühlte sich plötzlich so unglaublich müde und ihre Augenlider wurden schwer. Binnen eines Herzschlags schlief sie ein.
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Als Nina erwachte, brauchte sie ein paar Sekunden, um sich zu erinnern, was passiert war. Momentan spürte sie nur, dass es verdammt unbequem war. Sie lag auf einer harten, kalten Fläche. Ihrem Gedächtnis wurde auf die Sprünge geholfen, als sie ein paar Mal blinzelte und sich ihre Sicht schärfte. Das erste, was sie sah, war ein maskiertes Gesicht mit grauer Perücke.
Schlagartig war sie hellwach. Sie war geschnappt worden. Schnell stellte sie fest, dass ihre Arme und Beine angekettet waren. Nina selbst lag auf einer schrägen Metallplatte, wie sie es sonst nur aus Filmen kannte. Sie befand sich im Kontrollraum mit Steuerzentrale, an dem sie und der Doktor angekommen waren. In einer Ecke stand die Tardis. Um sie herum befanden sich insgesamt fünf dieser verkleideten Uhrwerkmänner.
„Doktor!", rief Nina panisch. „Doktor!" Es kam keine Antwort. Sie war allein.
Ihr war nicht klar, wie viele Stunden sie ausgeknockt gewesen war, doch ihren Rückenschmerzen nach zu urteilen – und der Tatsache, dass sie noch am Leben war – konnte es nicht allzu lange gewesen sein. Dennoch, sie war bereits vor dem Überfall mindestens zwei Stunden lang herumgewandert... Der Doktor war immer noch nicht da.
Ihr angeknackstes Herz sackte ihr in die Hose, als sie sich ihrer Situation endgültig bewusst wurde: Angekettet, in einem Raumschiff voll mordlustiger Androiden, wer wusste schon wie viele Millionen Meilen von Zivilisation entfernt. Und wo war der Doktor? Der befand sich vermutlich gerade vor über 3000 Jahren in Frankreich.
Vorher war ihr nie aufgefallen, welch unheimliches Grinsen auf den Masken abgebildet war.
„Sie sind kompatibel", gab der Android von sich, der ihr am nächsten war. Na, großartig! Sie wollten sie wie die Besatzung auch zerschnippeln und ins Schiff integrieren.
Der Doktor würde ihr jetzt nicht aus der Klemme helfen, das musste sie schon selbst schaffen. Nervös befeuchtete sie ihre Lippen. „Vielleicht... Denken Sie nochmal in Ruhe darüber nach." Unheimlich geistreich. „Überlegen Sie es sich vielleicht nochmal... Weil... ich... glaube, ich bin wirklich, wirklich inkompatibel. Ich meine, ich würde vermutlich das ganze Schiff..."
„Sie sind kompatibel", wiederholte der Android mechanisch und unterbrach so ihren äußerst lächerlichen Versuch.
„Okay...", gestand sie ein, ohne den Blick von der Gefahr abzuwenden und murmelte zu sich selbst. „Dann... Vielleicht so..." Sie sprach wieder in normaler Lautstärke. „Überlegen Sie's sich, weil ich nicht allein hierhergekommen bin. Oh, nein!" Auf einmal schöpfte sie Hoffnung; sie durfte niemals aufhören zu glauben. „Sie können mir glauben. Sie legen sich besser nicht mit meinem Freund an."
Der Android antwortete nicht, er streckte nur ruckartig den Arm in ihre Richtung und ließ die im Ärmel versteckte Klinge herausfahren. Sie war etwa vier Zoll lang und war mit kleinen, sich drehenden Zahnrädchen besetzt. Für Ninas Geschmack befand sie sich viel zu nah an ihrer Kehle. Sie schluckte schwer. Ihr Mut verblasste augenblicklich.
Aber er war nicht erloschen. „Sie... Sie kennen mit Sicherheit... die Sagenfigur... Einen Mann..." Während Nina vor sich hin stotterte, beäugte sich die Klinge. „Er... Er hat einen Namen. Man nennt ihn..."
In der Ferne hörte man auf einmal das Zufallen einer Tür und... Singen? Nina konnte bei ihrem lauten Herzschlag den Text nicht verstehen, doch der Gesang kam näher. Die Stimme war ihr bekannt.
„Sie... nannten ihn..." Ungläubig blickte sie zum Gang, in dem der Doktor erschien. Er hatte eine Sonnenbrille auf der Nase, seine Krawatte war um seinen Kopf gebunden und in seiner Hand hielt er einen goldenen Kelch. „... Ach, wär's doch nie vorbei!", schmetterte er voller Inbrunst den letzten Vers seines Liedes.
Nina verlor vermutlich gerade eben allen Respekt, den sie für diesen Time Lord jemals empfunden hatte. Er schien hackedicht zu sein. Glücklich tänzelte er in die Raummitte und wollte gerade weitersingen, als er alle Anwesenden bemerkte. „Schon mal mit Franzosen getroffen?", fragte er in die Runde. Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er in die Knie, um seine Begeisterung auszudrücken. „Mein Gott, die wissen, wie man feiert!" Leicht schwankte er.
Zu Ninas Fassungslosigkeit mischte sich Ärger. Sie war hier in Lebensgefahr und der Doktor amüsierte sich. „Ach, sieh mal einer an. Wer kommt denn da hereingewirbelt?" Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus. „Der Aufziehende Sturm!"
„Da hat wohl jemand einen schlechten Tag", witzelte der Doktor und zog hinter seiner Sonnenbrille eine Augenbraue hoch. Nina war jetzt wirklich wütend: „Wo haben Sie gesteckt? Was haben Sie gemacht?" Und wehe, er hatte keine gute Antwort parat.
Der Doktor lehnte sich gegen die Steuerkonsole. „Mal nachdenken... Ich war schwer beschäftigt. Könnte sein, dass ich einige Jährchen zu früh den Banana Daiquiri erfunden habe." Nina erschlaffte nur mit einem hoffnungslosen Aufseufzen und Augenverdrehen. Ihr Freund war aber noch lange nicht fertig. Er ging auf sie zu und ignorierte die Tatsache, dass sie gefangen war, komplett. „Die haben noch nie 'ne Banane gesehen! Nehmen Sie immer Bananen zu einer Party mit, Nina! Bananen sind gesund." Erst jetzt schien er die maskierten Androiden zu bemerken. „Oh, brillant", lachte er begeistert. „Ihr seid das. Und du bist mein Liebling!" Letzten Satz hatte er zu dem gesprochen, der immer noch seine Klinge in der Nähe von Ninas Hals hielt. Seine gute Laune verschwand keineswegs. „Dich finde ich am besten! Weißt du, wieso? Weil du so unglaublich doof bist!" Okay, jetzt machte Nina sich ernsthaft Sorgen. Sollte der Doktor tatsächlich zu betrunken sein, wusste sie nicht, wie sie diese Situation noch reißen konnte.
„Du bist Mr. Doof Doof Doofilein Doofgesicht aus Doofenhausen in Doofland", machte der Time Lord weiter und wollte sich schon wieder umdrehen, bis ihm noch etwas einfiel. „Genauso wie dein Vater!" Zufrieden wandte er sich ab. „Wissen Sie, warum die Reinettes Gehirn scannen?" Lallte der Doktor? Nina glaubte ein Lallen in seiner Stimme zu hören. Sollten Sie lebendig hierauskommen, würde sie ihm eine ordentliche Predigt halten. Vielleicht wäre eine Regel ganz gut: Kein Alkohol während eines lebensbedrohlichen Abenteuers! Ja, sowas in der Art wohl...
Der Doktor lachte auf. „Ihren Kilometerzähler! Die wollen wissen, wie alt sie ist!" Anscheinend machte ihn diese Tatsache unglaublich glücklich zu machen. „Und wieso? Weil dieses Schiff..." Er bereitete die Arme aus und drehte sich einmal um sich selbst. „... 37 Jahre alt ist. Die meinen, wenn Reinette auch 37 ist, dann ist sie vollständig." Letztes Wort setzte er in übertriebene Gänsefüßchen. „Und ihr Gehirn wird erst ab dann kompatibel sein. Denn das ist es, was euch hier fehlt, huh?" Provozierend lehnte er sich zu einem der Androiden und schlenderte dann weiter. „Die Kommandozentrale für euren Computer. Euer Schiff braucht ein Gehirn und aus irgendeinem Grund, Gott weiß welcher, ist nur das Gehirn von Madame de Pompadour geeignet."
Der Androide bei Nina sprach wieder: „Ihr Gehirn ist kompatibel."
„Kompatibel", echote der Doktor spöttisch und trat zu eben diesem Verkleideten. „Glaubt das nicht. Oder doch. Glaubt, was immer ihr wollt." Mit diesen Worten zog er dem Androiden die Maske und Perücke vom Kopf. Dann leerte er seinen goldenen Kelch direkt über ihn aus. Weinrote Flüssigkeit zog sich durch das uhrwerkartige Gebilde und brachte die Zahnrädchen zum Stillstand. Nach getaner Arbeit setzte er ihm Maske und Perücke wieder auf. Sofort klappte der Android vorüber und bewegte sich nicht mehr.
Nina atmete erleichtert aus. „Mererix-Anti-Öl", erklärte der Doktor fachmännisch. „Wo das reinläuft, läuft nichts mehr." Den restlichen Androiden schien das nicht zu gefallen. Steifbeinig marschierten sie auf den Doktor zu. Dieser legte schnell einen Hebel an der Steuerkonsole um und auch die restlichen Gefahren klappten einfach zusammen.
„Jetzt wird nicht faul rumgelegen. Schalten wir das Schiff ab." Geschwind öffnete er Ninas Fesseln mit seinem Schallschraubenzieher und sie war endlich wieder frei. Sein betrunkenes Gehabe war verschwunden. Er nahm die Sonnenbrille ab und rückte seine Krawatte zurecht.
Angesichts der Tatsache, dass er nur geschauspielert hatte, verzieh Nina ihm gedanklich. Sie war froh noch am Leben zu sein.
Der Doktor eilte zur Steuerkonsole, noch während er sein Äußeres zurechtmachte, und untersuchte sie mit fiebrigem Blick. „Die Zeitfenster werden von hier kontrolliert. Schließen wir sie." Aufgeregt tastete er alle Taschen an seinem Anzug ab. „Zeus-Scheiben... Zeus-Scheiben...", murmelte er vor sich hin. „Wo sind meine Zeus-Scheiben? Ich habe sie doch gerade noch als Kastagnetten benutzt."
„Wieso haben sie das Zeitfenster nicht geöffnet, als sie 37 war?", wollte Nina wissen. Der Doktor schaute sie an beim Antworten: „Sie haben es wohl versucht, aber bei den Schäden hatten sie Glück überhaupt das Jahrhundert zu treffen." Während des Sprechens bearbeitete er die Konsole.
Abschließend legte er einen kleinen Hebel um. Nichts passierte. Der Doktor runzelte die Stirn. „Die Fenster schließen sich nicht. Wieso gehen sie nicht zu?" Unzufrieden wanderte sein Blick durch den Raum, um dort vielleicht die Antwort zu finden. Nina folgte seinem Beispiel, auch wenn sie sich nicht sicher war, ob sie den Auslöser identifizieren könnte, wenn sie ihn denn sah.
Auf einmal gongte es, nicht tief, aber deutlich hörbar. Es war kein typisches Raumschiffgeräusch, sondern etwas anderes. Etwas Besonderes wurde damit angekündigt. „Was ist das? Ein Signal?", fragte Nina.
„Keine Ahnung", gab der Doktor zu und lauschte den unregelmäßigen Klickgeräuschen, die nun folgten. „Kommt da 'ne Nachricht rein?", vermutete er.
„Von wem?"
„Von jemanden dort draußen. Einer muss noch bei Reinette sein." Erkenntnis blitzte in seinen Augen auf. „Ja, genau. Deshalb kann ich kein Zeitfenster schließen. Die Schaltung ist blockiert." Er überprüfte seine Aussage sogleich mit fachmännischen Handgriffen an der Steuerkonsole.
Plötzlich richtete sich hinter dem Doktor der Androide auf, dem das Öl hineingekippt worden war. Nina erschrak und zog hörbar die Luft ein. Der Roboter ließ das angeblich allzerstörende Öl über seine Finger hinaus auf den Boden tröpfeln.
„Ich hab dich wohl unterschätzt", sah der Doktor ein. Seine Stimme verriet, wie wachsam er nun war. Irgendwie war es dem Androiden möglich den großen Schalter an der Konsole umzulegen, ohne ihn zu berühren. Augenblicklich erhoben sich auch die restlichen Verkleideten aus ihrem kurzweiligen Schlaf. „Oh, je. Im Moment sieht es aber gar nicht gut für uns aus", fasste der Doktor ihre Situation ziemlich adäquat, wenn auch etwa unkreativ, zusammen.
Die Androiden staksten auf sie zu und obwohl sie die gleichen Masken wie zuvor auch trugen, war Nina sich hundertprozentig sicher, dass sie sauer waren. Jedenfalls wirkten sie nun viel bedrohlicher auf sie.
Dann gongte es wieder. Die Roboter blieben stehen. Der Doktor nutzte die Ablenkung sofort: „Kommt da vielleicht die Nachricht von einem deiner Freunde rein?"
„Sie ist vollständig. Es beginnt", war die Antwort der mechanischen Stimme. Mit diesen Worten aktivierten die Androiden ihre Teleporter und sie verschwanden.
Nina ging das zu schnell: „Was soll denn das?" Ihr Freund blickte in die Ferne, sah etwas, was dort nicht war. „Einer scheint das richtige Zeitfenster gefunden zu haben. Und sie werden mit ihrem Kopf zurückkehren."
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