Das Mädchen im Kamin: Teil I
„Seid Ihr jetzt da, wie versprochen? Das Glas der Kaminuhr ist zersprungen." Angst mischte sich in ihre Stimme. Vielleicht hatte sie ja zu viel Glauben... Zu viel Vertrauen. „Es ist soweit." Immer noch kam keine Erwiderung. Nur lodernde Flammen und die Schreie der Gäste. „Doktor? Doktor!"
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Sobald die Tardis sich manifestiert hatte, verließ der Doktor im braunen Anzug sie. Nina folgte ihm zugleich. Sie trug ihren weinroten Pullover zu hellen Jeans. Es war dunkel, doch sie konnte trotzdem noch den Boden und die Wände aus Metall und die vielen Kabel erkennen. Sie waren auf einem Raumschiff. Im dämmrigen Licht sah Nina, wie der Doktor an eine Steuerkonsole trat. Alles war abgeschaltet.
Der Raum war hoch und kalt und leer. Die wenigen Gänge, die von hier abzweigten, ließen annehmen, dass es im Rest des Schiffs nicht anders war. „Sieht verlassen aus", sprach die junge Frau ihre Gedanken aus. „Ist jemand an Bord?"
„Nein. Keiner", verneinte der Doktor sofort und zog die Vokale dabei lang. „Wenn doch, nichts Gefährliches", setzte er noch locker dran und schob seine Hände in die Hosentaschen. „Jedenfalls nichts sehr Gefährliches." Er blickte sich um. „Ich werd's vorsichtshalber scannen. Vielleicht ist's ja gefährlich."
Nina konnte sich das belustigte Grinsen nicht unterdrücken. Jedoch sah der Doktor es nicht, da er an die Steuerkonsole trat. Sie stellte sich zu ihm. „Welches Jahr ist es?", wollte sie wissen. „Wie weit sind wir gereist?"
„Etwa 3000 Jahre in Ihre Zukunft", erklärte er schlicht und zog an etwas. Ein kleiner, leuchtender Behälter kam zum Vorschein und augenblicklich gingen alle Lichter an. Über ihnen öffnete sich eine Luke und durch sicheres Glas konnten sie nun in das wunderschöne Weltall sehen.
„51. Jahrhundert", redete der Doktor begeistert. „Im Dagmar-Sternenhaufen. Ziemlich weit weg von Zuhause. Zweieinhalb Galaxien." Aufgeregt lief Nina zu einem Fenster und blickte hindurch. Vor ihr erstreckte sich nichts weiter als der Weltraum. Dunkelblau war gesprenkelt von weißen Sternen und rötlich-lilafarbene Schlieren zogen sich durch das Spektakel. Sie sah Nichts und doch so Vieles zugleich. Ihr Herz klopfte schneller. Es war keine Fassungslosigkeit mehr, die sie bei solchen Anblicken verspürte, dafür reiste sie schon zu lange mit dem Doktor. Es war die Ehrfurcht, die nie zu verschwinden schien und die es auch hoffentlich nie tat. Nina wollte nicht den Sinn für die Schönheit des Universums verlieren. Bei dem Schauspiel, das sich ihr bot, war es schwer, sich vorzustellen, dass es je dazu kommen könnte.
„Meine Güte, da waren Bastler am Werk", stellte der Doktor fest, der verschiedene Gegenstände an der Konsole gefunden hatte. In Ninas Augen sahen sie aus, wie Teile fürs Raumschiff, auch wenn sie nicht sagen konnte, ob sie noch funktionsfähig waren. Der Doktor schaute sich kurz um: „Ich wüsste gar nicht, was hier repariert werden müsste." Dann fiel sein Blick auf den Scanner, den er aktiviert hatte. „Mich laust der Affe", gab er baff von sich. „Alle Maschinen sind am Laufen." Der Doktor lehnte sich ungläubig vor. „Auf höchster Stufe." Nina hatte sich wieder neben ihm aufgestellt und betrachtete ebenfalls den Bildschirm, auch wenn sie aus seinen Anzeigen nicht schlau wurde. „Mit dieser Energie könnte man ein Loch ins Universum bohren", setzte der Doktor fort und legte dann den Kopf in den Nacken, um durch das Dachfenster schauen zu können. „Aber wir bewegen uns nicht. Wo geht die Energie hin?"
„Das grenzt ja schon fast an ein Déjà-vu", murmelte Nina. Der Doktor hörte sie und warf ihr einen belustigten Blick zu, ehe er noch einmal den Scan genauer unter die Lupe nahm.
Der jungen Frau fiel wieder auf, wie leer es doch war. „Wo ist die Crew hingegangen?", fragte sie niemanden bestimmten. Inklusive der Tardis war Nina schon auf einigen Raumschiffen gewesen, die auch teilweise kleiner schienen als dieses hier, und sie waren immer von einer Mannschaft bedient worden. „Gute Frage. Es ist kein Lebenszeichen an Bord", erwiderte der Doktor skeptisch. Er drehte gezielt ein paar Knöpfe.
Auf einmal trat ein wohltuender, dennoch irritierender Geruch in ihre Nase, die sie sogleich rümpfte. Dem Doktor schien es ähnlich zu ergehen, denn er wandte seinen Kopf zu ihr und wollte wissen: „Riechen Sie das auch?" Sie nickte. „Ja, jemand kocht hier."
Es roch nach Braten. Keiner da, aber jemand kochte? Irgendwie passte das nicht ganz zusammen.
Allerdings konnten sie sich keine weiteren Gedanken dazu machen. Der Doktor hatte beim Rumspielen an der Steuerkonsole etwas ausgelöst und eine Wand hinter ihnen schob sich zur Seite. Ein weiterer Raum wurde freigelegt. Dort befand sich nichts weiter als ein Kamin mit einem kleinen Feuer.
Neugierig schritten der Doktor und Nina näher. Der Time Lord gab ein leises Geräusch der Anerkennung von sich. „Ich muss sagen, dass sehe ich eher selten in Raumschiffen", gab er zu und trat näher. Nina folgte ihm. „18. Jahrhundert. Französisch. Gute Qualität", erkannte der Doktor sofort und griff seinen Schallschraubenzieher. Nach einem kurzen Scan teilte er Nina mit: „Kein Hologramm. Nicht einmal eine Reproduktion. Das ist tatsächlich ein französischer Kamin aus dem 18. Jahrhundert."
Während er vor sich hinredete, guckte Nina durch das Fenster, das sich an derselben Wand wie der Kamin befand. Sie sah nur Sterne und Vakuum; das Raumschiff endete hier.
Der Doktor kniete sich hin. „Ich kann dahinter einen Raum sehen."
„Unmöglich", widersprach Nina. „Das ist die Außenhülle des Schiffes."
Der Doktor reagierte darauf nicht, er sagte nur: „Hallo."
Verwirrt drehte Nina sich zu ihm, eine Frage bereits auf der Zunge liegend, bis sie bemerkte, dass er nicht mit ihr gesprochen hatte, sondern in den Kamin.
„Hallo?", kam es zurück. Nina erschrak sich, versuchte aber sich nichts anmerken zu lassen. Sie hatte nicht erwartet, eine Mädchenstimme aus einem Kamin zu hören.
„Wie ist dein Name?", fragte der Doktor freundlich.
„Reinette", antwortete das Mädchen. Es klang ehrlich.
Vorsichtig schlich Nina zum Kamin, ging ebenfalls in die Hocke und beugte sich vor, sodass sie auch hindurchblicken konnte. Tatsächlich saß dort, hinter den zarten Flammen, ein hübsches, junges Mädchen mit blondem Haar. Nina schätzte sie auf sieben oder acht Jahre. Das Zimmer hinter ich war dunkel, also war es offensichtlich Nacht.
„Reinette", wiederholte der Doktor fröhlich. „Ein hübscher Name. Sagst du mir, wo du dich augenblicklich aufhältst?" Seine Stimme war nicht fordernd, sondern zurückhaltend, ließ genug Freiraum für ein Nein.
„In meinem Schlafzimmer", erwiderte Reinette, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Der Doktor nickte verstehend, hakte dennoch hinterher: „Und wo ist das? Wo wohnst du, Reinette?"
„Natürlich in Paris."
„In Paris, wo sonst." Der Doktor lächelte und schüttelte leicht seinen Kopf, als würde er sich für seine Unwissenheit entschuldigen. Nina warf ihm kurz einen Blick zu. Sie war neugierig, was das zu bedeuten hatte.
„Monsieur, was sucht Ihr denn in meinem Kamin?", fragte Reinette nun.
„Ach, nur eine routinemäßige..." Der Doktor dachte nach und Nina blickte ihn abwartend an. „... Feuerprüfung." Sie musste grinsen und auch er fand die Ausrede lausig. Schnell wechselte er das Thema: „Kannst du mir sagen, welches Jahr wir haben?"
Jetzt musste das Mädchen lächeln: „Natürlich kann ich das. 1727."
„Ich erinnere mich, ein wunderbares Jahr", gestand der Doktor. Er bedachte nochmal seine Worte. „Der August ist unerfreulich. Bleib' lieber im Haus, okay?" Ehe Reinette etwas erwidern konnte, verabschiedete er sich auch schon. „Das war's fürs Erste. Danke für deine Hilfe. Genieß' die Wärme des Feuers. Gute Nacht."
„Gute Nacht, Monsieur", konnte sie nur erwidern, da richtete der Doktor sich schon wieder auf.
„Sagten Sie nicht, wir sind im 51. Jahrhundert?", wollte Nina wissen. Der Doktor nickte und setzte hinzu: „Ich sagte auch, dass die Energie ein Loch ins Universum bohren könnte." Mit einer Kopfbewegung wies er auf den Kamin. „Da ist das Loch. Ein raumtemporärer Hyperlink."
Verdutzt blinzelte Nina ihn an. „Was ist das denn?"
„Keine Ahnung, habe ich grad' erfunden", gab er nüchtern zu. „Ich wollte nicht ‚magische Tür' sagen." Er schien nachzudenken.
„Und auf der anderen Seite der ‚magischen Tür'..." Nina legte besonders viel Nachdruck in diese beiden Worte, einfach, um ihn zu ärgern. „... liegt Frankreich 1727?"
„Stimmt, sie hat Französisch gesprochen." Auf einmal setzte er sich in Bewegung. Er zog seinen Mantel aus und warf ihn über eine Halterung. „Passend zu dieser Epoche." Dann schritt er wieder an den Kamin und tastete ihn ab. Er suchte etwas.
Er fand es. Ein kleiner Schalter war hinter dem Kamin versteckt, den er nun umlegte. „Wusste ich's doch" murmelte er triumphierend. Er setzte sich in Gang. Die Wand mit dem Kamin drehte sich und der Doktor mit ihnen.
„Doktor", gab Nina überrascht von sich. Eine komplette 180°-Drehung wurde vollführt. Der Doktor und der Kamin waren verschwunden und Nina war allein.
„Na, toll", seufzte sie verärgert aus. Jetzt stand sie hier in einem riesigen, verlassenen Raumschiff. Sie könnte in die Tardis gehen, doch was brachte das? Sie könnte auch das Schiff erkunden gehen. Fühlte sie sich sicher ohne Waffe?
Gerade als Nina beschloss auf eigene Faust loszuziehen, drehte sich die Wand wieder. Der Doktor erschien zusammen mit dem Kamin. „Doktor!", rief Nina erleichtert aus.
Allerdings war er nicht allein; ein Mann mit Maske, Perücke und für Frankreich im 18. Jahrhundert zeitgenössischer Kleidung – schätzte Nina zumindest – war ebenfalls dabei. Jedoch schien es so, als ob er sich nicht bewegen könnte. Bevor Nina sich über die Situation in Bilde setzen konnte, rannte der Time Lord zum anderen Ende des Raumes.
Der Fremde steckte fest und versuchte sich mit ruckartigen Bewegungen zu befreien. Etwas sah seltsam aus, aber Nina konnte nicht sagen, was. So viel Zeit blieb auch gar nicht; der Doktor hatte eine große Schusswaffe genommen, die an der Wand hing und richtete sie gegen den Mann.
Weißer Nebel kam herausgeschossen und hüllte den Fremden ein. Seine Bewegungen wurden langsamer, bis er schließlich komplett stoppte. Nina sah, dass sich am Rande seiner Kleidung kleine Flöckchen gebildet hatten, wie gefrorener Morgentau.
Der Doktor hatte den Mann eingefroren.
„Ist das eine Eiskanone?", fragte Nina sowohl verdutzt als auch begeistert. Der Time Lord drehte sich zu ihr und warf ihr das Gerät zu. „Ein Feuerlöscher", erwiderte er schlicht.
Nina fing die – leider – Nicht-Eiskanone auf und nickte zum Mann mit der Maske am Kamin. Sie sah, dass er mit einem Messer am Sims feststeckte. „Wer ist der Typ? Wo kommt der her?"
„Von hier."
Da legte Nina leicht der Kopf schief. „Komisches Outfit für das 51. Jahrhundert."
Der Doktor lief auf den Fremden zu. „War anscheinend als Tarnung gedacht für eine Exkursion nach Frankreich. Nette Näharbeit. Das Gesicht ist eine Schande." Mit diesen Worten griff er die Maske des Fremden und zog sie ihm samt Perücke vom Kopf.
Nina wich innerlich erstaunt zurück, als sie sah, dass es kein Er, sondern eher ein Es war.
Vor ihnen stand ein Roboter. Seine Außenhülle war aus durchsichtigem Material, sodass sie wunderbar die komplizierte, vergoldete Maschinerie im Inneren sehen konnte. Nina erinnerte es an ein Uhrwerk.
Vom anfänglichen Misstrauen des Doktors war jede Spur verflogen. Er war hin und weg. Tatsächlich war er für wenige Augenblicke sprachlos, bis er seine Stimme wiederfand: „Oh, was für eine unglaubliche Schönheit." Selten hatte Nina ihn Worte dieser Art mit solcher Inbrunst sagen hören. Jedoch musste sie zugeben, jetzt, da sie sich von der Überraschung erholt hatte und nähertrat, dass er nicht ganz Unrecht hatte.
Tatsächlich war noch ein langsames, tiefes Ticken zu vernehmen. Auch bewegte es seinen Kopf mechanisch hin und her. Es war noch nicht komplett kaputt, sondern nur... gelähmt? Der Doktor setzte seine Brille auf. „Nein, wirklich. Du bist sensationell! Nicht zu fassen!" Letzter Satz richtete er an Nina, dann sprach er wieder zum Roboter gewandt.
Er war wie ein kleines Kind, das ein besonders großartiges Geschenk auspackte. „Ein Raumzeitalter-Uhrwerk, gigantisch! Ich krieg' 'ne Gänsehaut. Ehrlich, ungelogen! Das kommt wirklich vom Herzen." Tatsächlich zog er sein Jackett etwas zur Seite und deutete mit seinem Zeigefinger zwischen seiner linken und rechten Brusthälfte hin und her. „Ich meine, von allen beiden." Ninas Mundwinkel zogen sich nach oben. „Es wäre ein Verbrechen... Es wäre ein Akt von Vandalismus dich zu zerlegen." Während einer kurzen Atempause hob er seinen Schallschraubenzieher an und zog die Augenbrauen hoch. „Aber ich werde es trotzdem machen."
Der Roboter schien ihn zu verstehen, denn er hielt auf einmal seinen Kopf still und gab schnellere Tickgeräusche von sich. Dann hob er plötzlich einen Arm, drückte den anderen und verwand in einem vertikal verlaufenden Licht.
Das ging zu schnell für Nina. Der Doktor jedoch blieb Herr seiner Sinne. Fachmännisch steckte er seinen Schraubenzieher wieder ein und meinte: „Kurzstreckenteleporter, es kann nicht weit sein." Er schritt wieder zum Kamin.
„Wo ist es hin?", wollte Nina wissen.
Mit ausgestrecktem Zeigefinger verbot der Doktor ihr: „Sie werden es auf keinen Fall suchen." Er hatte seine Hand wieder beim versteckten Mechanismus.
Nina reagierte nicht darauf. „Wo gehen Sie hin?", fragte sie, beinahe schon empört.
„Bin gleich zurück", versicherte der Doktor ihr knapp und betätigte den Schalter. Dann war er abermals verschwunden.
Unzufrieden seufzte Nina und ließ dabei ihren Kopf sinken. Ihr Blick fiel auf den Feuerlöscher, den sie immer noch in beiden Armen hielt. Probehalber rückte sie ihn ein paar Mal zurecht. War gar nicht so unhandlich. Mit einem weiteren Seufzen blickte sie auf die Stelle, wo sie den Doktor zum letzten Mal gesehen hatte.
Manchmal hörte sie auf ihn und manchmal eben nicht. Und gerade eben fühlte sie sich ein bisschen zurückgelassen. Also packte sie den Feuerlöscher sicher und marschierte aus dem Raum hinaus, in das vermeintlich leere Raumschiff hinein.
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