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Völlig fassungslos las ich mir die Nachricht mehrmals durch. Meine Gedanken kreisten und ich erinnerte mich spontan an das Gespräch von den beiden Mädchen in der Bibliothek und meine juckenden Narben. Was war passiert? Wo war sie? Bei einem anderen Menschen hätten viele Menschen gesagt, er sei einfach kurz abgetaucht. Aber nicht Michelle Cooper. Dafür war sie zu zuverlässig und ehrlich. Es musste etwas passiert sein, aber was? Während ich darüber nachdachte, hat Ellie bereits weiter geschrieben.
Ich hoffe es geht ihr gut..
Das hoffte ich auch. Nachdem ich das geschrieben hatte, legte ich mein Handy weg und fuhr mit meiner freien Hand durch mein braunes Haar. Die Frage, was mit Michelle passiert war, spukte durch meinen Kopf und meine Phantasie stellte sich die schlimmsten Szenarien vor. Noch ein Problem, welches ich hatte. Ich dachte zu viel über manche Dinge nach und versteifte mich dann zu sehr drauf. Um dem zu entgehen griff ich erneut nach meinem Handy und schlug Instagram auf. Da ich die App nur minimiert und nicht beendet hatte, erblickte ich wieder Will auf der Mauer. Tatsächlich löschte dieser Anblick all meine Gedanken und ich war gefangen von ihm. Seine braunen Augen sahen so schön aus und ich würde sie gerne in der Realität genau betrachten können. Genau da realisierte ich, was ich da tat und dachte. Schnell verschwand ich aus seiner Seite und scrollte mich einfach nur meine Startseite.
Schon bald holte mich die Müdigkeit ein und gegen meinen Willen hob ich Anton von meinem Schoss um mich bettfertig zu machen. Nachdem ich meine Zähne geputzt und mich umgezogen hatte, schlüpfte ich in mein Bett und schlief, glücklicherweise, auch bald ein. Ich war einfach viel zu erschöpft von dem Tag.
Schon am nächsten Morgen in der Schule fiel auf, das etwas nicht stimmte. Es lag eine angespannte Atmosphäre in der Luft und an jedem Grüppchen, an dem ich vorbeilief, hörte ich den Namen "Michelle Cooper". Offenbar hat es die Runde gemacht, dass sie verschwunden war und nun war es natürlich Gesprächsthema Nummer eins. Willow Creek war nicht gerade eine kleine Stadt, doch hier passierte so selten was, das solche Geschehnisse schnell die Runde machten. Doch ich versuchte die Gerüchte, die nun entstanden, auszublenden, da ich wusste, dass ich mir wieder jedes einzelne durch den Kopf gehen lassen würde.
Ich ging zu unserer Bank, da wir noch etwas Zeit hatten, bevor der Unterricht beginnt, und traf dort auch schon auf Ellie und Max. Sie tuschelten miteinander und sahen ziemlich betrübt aus. "Hey", begrüßte ich die zwei. Sie stellten sofort ihr Gerede ein und Ellie sprudelte heraus: "Was, denkst du, ist ihr passiert?" Ich verdrehte die Augen. Eigentlich war es klar, dass die zwei auch über Michelle redeten, aber ich wollte nicht damit konfrontiert werden. "Ich weiß es nicht, aber wir müssen der Polizei vertrauen, dass sie es raus finden wird. Es bringt nichts, wenn wir uns jetzt verrückt machen." Ich hatte nicht damit gerechnet, dass meine Worte irgendwas bewirkten, dafür waren Ellie und Max zu neugierig, aber sie nickten beide bedrückt. Mitleid durch fuhr mich. Das war bestimmt schwer für beide, da Michelle auch mit ihnen an der Schülerzeitung arbeitete. Um vom Thema abzulenken, fragte ich daher: "Das Lernen steht heute noch an, oder?" Sofort sahen sich Ellie und Max mit leuchtenden Augen an und spätestens jetzt war ich mir zu hundertprozent sicher, dass sie etwas ausgeheckt haben. Wahrscheinlich hatte es etwas mit Will und mir zu tun.
"Ja, das ist sicher. Ich hab Will auch gestern gefragt, ob er uns fahren will." Verwirrt sah ich Max an, da ich dachte, er wüsste schon bescheid. "Wusste er noch nichts davon?" Max lächelte mich an und schüttelte den Kopf. "Nein, aber ich war mir sicher, dass er uns drei fahren wird. Er ist zurzeit nur abends weg." Ihre grünen Augen funkelten und sie strich sich ihr rotes Haar zurück. Die Neugier packte mich und ich spürte Ellies scannenden Blick auf mir, den ich so gut ignorierte, wie ich konnte. "Warum nur abends?", fragte ich. Max zuckte mit den Achseln. "Weiß ich nicht, das musst du ihn schon selber fragen." Vor Frust konnte ich es gerade noch so vermeiden, mit den Zähnen zu knirschen. Ich dachte, Geschwister wussten immer was der andere gerade tat. Na gut, das war vielleicht das klischeedenken von mir, da ich Einzelkind war. Und außerdem waren Will und Max auch nur Stiefgeschwister. Soweit ich weiß, war Max 7 gewesen, als ihre Mutter sich in Will's Vater verliebt hatte. Will war damals 9. Es war schon länger her, seit Max mir das erzählt hatte, aber ich war mir sicher, es war in dem Alter gewesen. Das ist nun 9 Jahre her, fiel mir dabei auf.
Meine Aufmerksamkeit wurde aber abgelenkt als ich meinen Namen hörte. Ich drehte mich um und sah Charly auf mich zukommen. "Kann ich dich um einen Gefallen bitten!", fragte er mich und sah mich mit seinen braunblauen Augen unsicher an. Ich verstand, warum Susanne auf ihn abfuhr. Charly sah mit seinen dicken, schwarzen Haaren und den markanten Gesichtszügen wahnsinnig gut aus. Auch hatte er eine ziemlich durchtrainierte Figur und entsprach somit den Ansprüchen seiner Clique. Er sprach nur durch seine etwas zurückzugezogene Art etwas heraus. Wenn sie die jüngeren Schüler ärgerten, hielt sich Charly immer zurück und lenkte die Jungs auch immer ab. Oft sah ich ihn mit Will alleine, worauf ich schloss, dass die beiden sich enger standen als der Rest der Gruppe.
Was Charly noch von den anderen Unterschied: seine Noten waren ihm unheimlich wichtig und er tat alles, um zu bestehen. Deshalb half ich ihm ab und zu bei Biologie und Englisch. Im Gegenzug half mir Charly bei Mathe. Und darum ging's auch jetzt.
"Tut mir leid, falls ich störe, aber könntest du dir das Blatt ansehen? Wir haben gleich Biologie bei Mister Henderson und er will die Hausaufgaben einsammeln um sie zu benoten." Charly reichte mir ein Blatt und ich lächelte, als ich es nahm. "Klar, gerne." Während Max und Ellie hinter mir nuschelten, überflog ich das Blatt und war froh, dass wir das ebenfalls aktuell durchnahmen. So konnte ich einiges aus meinem Gedächtnis rufen. "Es sieht gut aus", meinte ich. "Nur bin ich mir da nicht so sicher.." Ich nannte ihm alle Punkte, was nicht viele waren, wo ich mir nicht sicher war oder die nicht stimmten. Charly schrieb dabei mit. Bei den Sachen, wo ich mir nicht sicher war, sah er im Buch nach und besserte eine Aufgabe aus. Die andere hat doch gestimmt. "Danke, Cassy, du hast was gut bei mir", bedankte er sich bei mir, worauf ich aber abwinkte. "Keine Ursache." Charly sah mich und fragte: "Können wir uns vielleicht heute oder morgen treffen? Wir schreiben am Montag eine Arbeit und ich bin mir bei dem Thema nicht sicher." Okay, damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Normalerweise trafen wir uns nur zu Schulzeiten, aber nie außerhalb. Doch was sprach dagegen? "Heute geht nicht, da helfe ich den beiden Chaoten", meinte ich und deutete Richtung Ellie und Max. "Aber morgen hätte ich Zeit." Charly fing an zu strahlen. "Super, ich bin morgen nach dem Training bei dir." Damit verabschiedete er sich und ging rüber zu Will, Jackson und den Anderen. Mein Blick glitt dabei vorbei an Charly und blieb an Will hängen. Lässig lehnte er an der Wand und zog an seiner Zigarette. Warum sah er in der Lederjacke nur so gut aus?
"Warum musstest du dich nur in Will verknallen? Charly hat voll bei dir angebissen und fragt sogar freiwillig nach einem Treffen!" Ellie holte mich zurück in die Realität und ich drehte mich zu ihr um, mit meinem grimmigsten Blick. "Ich bin nicht in Will verknallt", wies ich sie zurecht. Doch beide sahen mich nur mit einem "Wer's glaubt"-Blick an und äußerten sich nicht weiter dazu. Zu meinem Glück erlöste mich die Schulglocke, die den Unterricht ankündigte. Nur blöd, dass ich die Zwei später die ganze Zeit an der Backe haben werden. Das kann heiter werden.
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