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William Baker kam vor zwei Jahren auf unsere Schule. Ich erinnerte mich noch genau, wie er mit lautem Motor in den Schulhof fuhr und sein Auto bei den Parkplätzen abstellte. Ein großer, muskulöser Mann stieg heraus. Seine braunen Haaren sahen etwas zottelig, aber so gewollt aus. In dem Moment hatte er schon etwas kühles, verschlossenes an sich. Er holte eine Zigarette raus, zündete sie und zog kräftig an ihr. Normalerweise war dies der Moment, wo ich mich abwendete und mich meinen Hausaufgaben widmete. Doch genau in dem Augenblick huschte ein trauriger Ausdruck auf sein Gesicht, der seine braunen Augen noch dunkler erscheinen ließ. Diese Traurigkeit verschwand jedoch sofort, als seine Schwester, ein kleines rothaariges Mädchen, ausstieg und sich lauthals über etwas beschwerte. Zuerst dachte ich, ich hätte mir den Gesichtsausdruck nur eingebildet, doch etwas in mir sagte, das dies nicht der Fall war. Etwas sagte mir, er war traurig und gebrochen. Und der neugierige Teil in mir, wollte wissen, warum.
Dies war der Grund warum ich Will auch heute, 1 Jahre später, noch immer beobachtete. Gesprochen hatten wir zu dem Zeitpunkt kaum miteinander. Ich habe mir immer vorgenommen, ihn in der Pause anzusprechen. Leider konnte ich ihn nie alleine erwischen, immer war er mit seiner Gruppe unterwegs. Und es war keine normale Gruppe, es war die sogenannte Bad Boy Gruppe, die irgendwie jede Schule hatte. Dabei wirkte Will nie wie ein Bad Boy auf mich. Meistens war er nur mit zwei Leuten davon zusammen, während die anderen sich auf Frauensuche machten oder die jüngeren Schüler ärgerten. Auf dem Pausenhof ließ ich ihn aber nicht aus den Augen, auch wenn ich so tat, als würde ich auf mein Blatt schauen. Selbst bei seinen Freunden wirkte er sehr kühl und verschlossen, als wollte er niemanden an sich ranlassen. Er schien wie ein Anführer zu sein. Die anderen Jungs richteten sich immer nach ihm. Was mir auch auffiel, war, dass er kaum Mädchen um sich hatte. Besonders am Anfang versuchten sich die "coolen" Mädchen an ihn ranzumachen, nur um einen Korb zu kassieren. Es ging eine Weile so und ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt, er sei schwul, bis Ellie, meine beste Freundin, mir erzählte, sie hätte ihn auf einer Party mit einem Mädchen rummachen sehen. Und da Ellie öfter in Clubs oder auf Partys war, habe ich sie immer wieder gefragt, ob sie jemanden aus unserer Schule getroffen hatte. Und fast jedes Mal hat sie Will mit einem anderen, fremden Mädchen gesehen. Danach hatte sie die Mädchen nicht mehr gesehen. Als würde er sich jene aussuchen, die nur für eine Nacht blieben und dann gingen.
"Also manchmal denke ich wirklich, du stehst auf ihn." Ich zuckte zusammen als ich plötzlich angesprochen wurde. Ich sah auf und erblickte Ellie, die mich mit ihren graublauen Augen grinsend ansah. Sie hatte ein rundes Gesicht und verhältnismäßig große, runde Augen. Ihre Nase, die eh schon klein war, wirkte noch kleiner dadurch. Ihr Haar war dunkelbraun und war so gut wie immer zu einem unordentlichen Dutt gebunden. "Ich steh nicht auf ihn, das weißt du", gab ich zurück und rutschte etwas zur Seite, damit Ellie sich neben mich auf die Bank setzen konnte. Dabei fuhr ich mit meiner Hand durch mein glattes, braunes Haar und schob meine Notizen zu mir.
Da sie die Klasse wiederholen mussten, sie ist wegen Geschichte durchgefallen, gingen wir nicht mehr in die selbe und hatten deshalb ab und an unterschiedliche Pausenzeiten. Wir trafen uns aber immer auf "unserer" Bank. Offiziell gehörte die Bank der Schule, doch da wir immer auf der Bank saßen, haben wir sie zu unserer ernannt. Manchmal leistete uns noch Ellie's Klassenkameradin - und zufälligerweise die Schwester von Will - Maxime Gesellschaft.
Ellie strich sich ihr gewelltes, braunes Haar zurück und warf mir einen spöttischen Blick zu. Natürlich war Ellie aufgefallen, das ich Interesse an Will hatte, aber romantische Gefühle hatten da bisher nicht mitgewirkt. Das wusste sie auch und trotzdem zog sie mich aber immer damit auf. Sie verstand meine Beweggründe nicht, warum ich so an ihm interessiert war und wenn ich ehrlich war, konnte ich ihr auch keine Begründung nennen. Es war einfach ein Instinkt, ein Gefühl, dass mehr hinter der Maske steckte, als er zugab. "Wir werden sehen, Süße", sie holte ihre Brotbox aus der Tasche und biss genüsslich in ihr Nutellabrot. Ich schmunzelte und zeichnete auf meinem Matheblatt rum. Dabei sah ich Will aus dem Augenwinkel, wie er lässig an seiner Zigarette zog und mit Jackson redete, der auch Teil der Clique war. "Wie geht's dir?", fragte ich Ellie. Diese kaute ihr Brot fertig und meinte dann: "Mir geht's gut, bis jetzt ist auch überhaupt nichts spannendes passiert." Ich lächelte mitfühlend. "Der Tag hat auch erst angefangen, es wird schon was passieren. Dir passiert immer was", tröstete ich Ellie und erwähnte damit versteckter ihre Tollpatschigkeit, die meine beste Freundin oft in Schwierigkeiten brachte. Ellie, die schon wieder einen vollen Mund hatte, sah mich mit glänzenden Augen an und murmelte: "Fum Beifpiel, daff du mit Will rummaffst?" Daraufhin erhielt sie einen Boxer auf die Schulter und verschluckte sich fast an ihrem Brot vor Lachen. "Das hast du davon", erwiderte ich, musste aber Lächeln. Das meinte ich damit, dass sie mich immer damit aufzog. Ellie schluckte runter und sah mich ernst an. "Cassy, jetzt aber mal im ernst. Wenn zwischen euch was läuft, bin ich die erste, die davon erfährt!" "Träum weiter, da wird nichts laufen!", gab ich zurück und dachte an viele Liebesgeschichten, die ich schon gelesen hatte. Nicht selten leugnete der Protagonist, dass sie keine Gefühle für den anderen hatte. Jedoch war ich mir sehr sicher, dass ich mich nicht in Will verliebt hatte. Es war eh sehr unwahrscheinlich, dass ich ihm überhaupt auffiel. Er war beliebt, bei Lehrern und Schülern. Und ich? Ich war das ruhige Mädchen, das versuchte nicht aufzufallen.
Der Schultag neigte sich langsam dem Ende zu und endlich konnte ich mich auf dem Heimweg machen. Wenn ich Zuhause bin, werde ich erstmal Abendessen machen und dann vielleicht einen Film ansehen. Mit meinen 17 Jahren lebte ich mehr oder weniger alleine. Meine Mutter war Flugbegleiterin und dementsprechend ständig unterwegs. Mein Vater ist abgehauen, als ich 8 Jahre alt war, weil er eine neue Frau kennengelernt hatte. Und aus anderen Gründen, an die ich nicht denken will. Seit dem haben wir keinen Kontakt zueinander, ich weiß nicht mal, ob ich irgendwelche Halbgeschwister habe. Aber ganz ehrlich, dass war auch gut so. Mein Vater hat uns beide kaputt gemacht. Meine Mutter und ich lebten in einer kleinen Wohnung ziemlich in der Innenstadt. Wir hatten einen alten Kater, Anton, der mittlerweile nichts anderes tat, als schlafen und essen. Deswegen war ich etwas überrascht, als ich die Wohnungstür aufschloss und er auf der Kommode für die Schuhe saß und mich mit seinen grünen Augen musternd ansah. "Gibt's ein Probleme?", fragte ich und streichelte sein weiches graues Fell. Eine Antwort erhielt ich nicht, stattdessen schmiegte er sich an meine Hand und schnurrte. Anton war ein reinrassiger russischblau Kater, den wir aus dem Tierheim geholt haben. Irgendjemand hat unüberlegt eine Katze gekauft und sie mit der Begründung "er sei zu wild" abgegeben. Dabei ist es allgemein bekannt, dass diese Rasse sehr verspielt und aktiv ist und viel Aufmerksamkeit brauchte. Nur das Alter machte Anton zu schaffen, schließlich war er fast 13 Jahre alt und damit unser kleiner Senior.
Ich schlüpfte aus meinen Schuhen und ging den Flur ein Stück weiter um dann nach rechts in die Küche abzubiegen. Auch sie war klein, aber da wir hier keinen Tisch hatten - wir aßen im Wohnzimmer - doch sehr geräumig. Ausgestattet mit einer einfachen Küchenzeile, einem silberenen Kühlschrank und einem guten Herd hatte sie alles, was man sich wünschen kann. Anton folgte mir und maunzte. "Was ist den los, kleiner Kerl?", fragte ich ihn und holte eine Packung Katzenfutter aus dem Schrank, die ich anschließend in seine Schüssel kippte. Er rieb sich an meine Beine und schnurrte ehe er sich ans Fressen machte. "Ich mach mir nur mein Essen warm und bin dann für dich da", vertröstete ich ihn und schnappte mir die Dose mit den Resten Carbonara von gestern. Diese machte ich in der Mikrowelle warm und ging dann mit Kater im Schlepptau ins Wohnzimmer, der scheinbar gerade nicht fiel Hunger hatte. Dieses lag am Ende des Flures und war Verhältnismäßig groß. Geschmückt war er mit einem grauen Sofa, von dem man einen guten Blick auf den Fernseher hatte. Dieser stand auf einem großem, auch grauem Regal. Daneben hingen zwei Regale, die im Set dabei waren und den Fernseher in ihre Mitte nahmen.
Ich setzte mich auf das Sofa, stellte die Dose mit einer Gabel auf den Wohnzimmertisch. Sofort sprang Anton zu mir und kuschelte sich an mein Bein. Sein Schnurren beruhigte mich und ich genoss den entspannten Abend mit meinem Kater vor dem Fernseher.
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