36.
In der Früh des nächsten Tages ist auch Mama verschwunden. Ich packe ein paar Sachen in eine Tasche und fahre mit dem Bus zu Manuel. Auf gut Glück hoffe ich, dass wir heute etwas zusammen unternehmen.
Als ich bei ihm klingle, wird die Tür nach nur Bruchteilen von Sekunden geöffnet. Ich bin ein wenig überrascht.
"Oh, hey Hannah. Was machst du hier?"
Ich zögere. "Dich besuchen. Störe ich?" Ich befürchte, dass vielleicht eine Frau bei ihm ist, weil er heute irgendwie so anders ist.
"Ne. Komm doch rein."
Es ist stickig und der Geruch von Alkohol liegt in der Luft. Was hat er denn gemacht? Sich etwa besoffen? Hat er ein Problem?
"Manuel, ist alles in Ordnung?" Er sieht mich an. Fast bekomme ich den Eindruck, dass er sich fragt, ob ich noch ganz dicht bin.
"Ja, sicher. Und ... Bei dir? Du bist heute so anders. Hast du was von René gehört?" Abwesend schüttle ich meinen Kopf und setze mich auf die kleine Couch.
"Eigentlich wollte ich dich fragen, ob wir irgendwohin fahren können. Baden oder so."
Sofort grinst er und streckt einen Daumen nach oben.
"Sicher! Warum nicht?"
Erleichtert, dass anscheinend doch kein Besuch bei ihm gewesen ist, steige ich in sein Auto und lasse mich dort hinfahren, wo er hin möchte.
Die Reise ist bei einem großen See beendet. Hier bin ich noch nie gewesen.
"Wow, das ist schön. Wie warm ist der?"
"Ich habe keine Ahnung, Hannah. Bist du etwa empfindlich bei sowas?" Er lächelt mich an.
"Vielleicht ein bisschen."
Wie sich herausstellt, ist der See wirklich nicht besonders warm, aber Manuel hat das schnell erledigt, da er mich ins Wasser geworfen hat. Ich schreie und renne ihm nach. Lachend flüchtet er. Dadurch bewegen wir uns fast über den ganzen Bereich, an denen Menschen liegen können. Die meisten mustern uns mit Kopfschütteln und missbilligen Blicken. Als meine Ausdauer langsam schlafen geht, werde ich langsamer und bleibe anschließend ganz stehen. Manuel dreht sich um und lacht nur noch mehr, als er mich erblickt.
"Wie verdammt unsportlich bist du bitte?!" Er kommt zu mir und betrachtet mich. Ich stütze mich noch immer auf meinen Knien ab und versuche, genügend Luft in meine Lungen zu bekommen.
"Ja tut mir leid, aber jeder kann halt nicht so eine Sportsau sein", rede ich mich raus und beschließe dann, zurück zu unserem Platz zu gehen, da mir erst jetzt die Blicke von ein paar Jugendlichen auffallen. Die Jungs sehen interessiert aus; die Mädels eher skeptisch. Einer von ihnen erhebt sich und kommt tatsächlich auf Manuel zu. Die beiden begrüßen sich, als würden sie sich schon Jahrzehnte lang kennen.
"Oli, hey! Was macht ihr denn hier?!", wird der Fremde begrüßt. Anscheinend sind sie Manuel wirklich bekannt.
"Chillen und du? Wer ist das dort?" Die zwei sehen zu mir. Ich gehe zu ihnen und schmunzle leicht.
"Hi, ich bin Oliver."
"Hannah, freut mich."
Die beiden Männer führen einen kurzen Smalltalk, um sich nur kurze Zeit später zu verabschieden.
Als wir endlich bei unserer Decke angekommen sind, lasse ich mich sofort fallen. "Hast du Hunger?"
"Mh, ja. Pommes wären lecker!", rufe ich und stehe sogleich wieder auf.
Wir sitzen wieder auf unserem Platz - dieses Mal mit Essen in der Hand - und beobachten die Leute um uns herum. Ein Junge spielt mit seinem Chihuahua apportieren. Eine andere Familie streitet sich darum, wer den Ball als nächstes bekommt. Eine etwas ältere Frau liegt nur in Badehöschen auf ihrer Matte und lässt sich den Oberkörper sonnen. Igitt. Ich an ihrer Stelle hätte das nie getan.
Unter einem Baum, der kühlen Schatten wirft, liegt ein Liebespaar, das sich ständig küsst. Wie es scheint, sind die zwei noch nicht lange zusammen; sonst würden sie sich nicht so benehmen.
"Schon unterhaltsam, den Leuten zuzusehen, oder?", fragt Manuel und verschränkt seine Arme hinter dem Kopf. Ich nicke.
Irgendwann dürfte ich eingeschlafen sein, denn ein kurzer Blick auf mein Handy verrät mir, dass es schon später ist, als ich gedacht habe. In zwölf Minuten ist es sechs Uhr. Wie kann es sein, dass die Zeit so verdammt schnell vergangen ist?!
Als gemütlichen Ausklang entscheiden wir, noch in ein Restaurant essen zu gehen.
Es wird uns Champagner serviert und die Speisen sehen auch echt lecker aus. Es ist schon eine Weile her, dass ich so fein essen gewesen bin.
"Hannah?"
"Mh?"
"Ich hab dich echt gern." Ich schmunzle.
"Ich dich auch, Manuel. Aber warum sagst du mir das jetzt?"
"Ich hatte das Bedürfnis." Meine linke Augenbraue wandert ein wenig höher.
"Achso?" Als sich unsere Blicke kreuzen, läuft ein eiskalter Schauer über meinen Rücken. Noch einmal spricht Manuel dieses Thema nicht an. Er wollte mir wahrscheinlich einfach sagen, dass er mich gern hat.
Als er mich bei meinem Haus absetzt, und ich gerade aus dem schwarzen Golf Polo aussteigen will, hält Manuel mich zurück. Ich sehe ihm fragend in die Augen.
"Heute in dem Restaurant, als ich dir gesagt habe, dass ich dich mag, habe ich eigentlich etwas anderes gemeint ..." Er zögert. Ahnungslos schaue ich ihn weiterhin einfach nur an.
"Hannah ich ..."
"Was, Manuel?"
Er räuspert sich und scheint sich selbst zu beruhigen.
Plötzlich lehnt er sich zu mir und zielt mit seinem Mund auf meine Lippen. Erschrocken weiche ich zurück.
"W-Was?", stottere ich. "Manuel ich kann nicht ..."
Er schämt sich, denn seine Wangen färben sich rot und er betrachtet einen Punkt bei seinen Füßen.
"Sorry", flüstert mein Gegenüber.
"Versteh mich bitte nicht falsch, aber du kennst doch die Geschichte mit René." Es wird leise. So schüchtern habe ich ihn noch nie erlebt. Habe ich einen Fehler gemacht? Hätte ich den Kuss zulassen sollen? Aber ich habe mich nicht bereit dazu gefühlt, ihn schon so an mich heranzulassen. Immerhin hab ich René noch nicht vergessen. Das wird auch nicht so schnell geschehen.
Mit einem letzten Blick zu Manuel öffne ich die Autotür und verlasse ihn für heute. Als ich mich noch einmal umdrehe, sieht mich Manuel an. Er hat einen undefinierbaren Gesichtsausdruck, den ich einfach nicht deuten kann.
Mit einem Seufzer schließe ich die Haustür auf und frage mich, wie es im Augenblick um meine Eltern steht.
Mein Vater ist nicht mehr gekommen; höchstwahrscheinlich hat er sich ein Hotel gesucht. Und meine Mutter kann es nicht fassen, dass sie betrogen worden ist. Am späten Abend sitze ich bei ihr im Wohnzimmer und schaue sie mitleidig an.
"Mum, wir schaffen das auch zu zweit."
"Ich will aber nicht ohne ihn." Erneut kullern Tränen ihre Wange hinunter und landen auf ihren Oberschenkeln. Sie reibt sich mit ihren Händen die Augen.
"Mama, am besten ist, du gehst jetzt schlafen. Es ist ein anstrengender Tag gewesen und etwas Ruhe wird dir bestimmt gut tun. Ich bin mir sicher, Papa bereut es." Ich ziehe meine Mutter hoch und führe sie in ihr Schlafzimmer. Behutsam decke ich sie zu, nachdem ihre Zähne geputzt sind, und ihr Schlafanzug aus Seide sie umhüllt.
"Gute Nacht", flüstere ich und drücke Mama einen sanften Kuss auf die rechte Wange. Ich komme mir so vor, als wäre nicht ich ihre Tochter, sondern umgekehrt.
Die Uhr zeigt bereits halb zwölf an. Ich gähne und logge mich trotzdem noch schnell in Facebook ein.
Nachricht von Manuel (23:37)
Tut mir leid wegen der Sache im Auto ...
Nachricht an Manuel (23:38)
Schon okay, ich hab aber auch echt unsanft reagiert. Ich kann das einfach noch nicht. Bitte versteh' mich.
Nachricht von Manuel (23:41)
Ich kann mich gut in dich hineinversetzen; keine Sorge
Es ist halt so, dass ich mich irgendwie in dich verliebt habe ...
Ich muss auf einmal lächeln.
Nachricht an Manuel (23:42)
Tut mir leid, dass ich deine Gefühle nicht erwidern kann :(
Nachricht von Manuel (23:44)
Schon okay. Darf ich trotzdem schreiben, dass ich dich lieb habe?
Mein Lächeln verwandelt sich in ein Grinsen.
Nachricht an Manuel (23:45)
Natürlich.
Nachricht von Manuel (23:47)
Okay, ich hab dich lieb❤
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Hallo!
Was sagt ihr denn einstweilen zu den beiden? Mögt ihr Manuel? Mehr als René?
Habt ihr Wünsche wie es weitergehen soll? Dann schreibt mir diese! :)
Bb, eure Lina_Cel_❤❤
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