31.

Die kühle, feuchte Luft dringt in meine Lungen. Es schüttet wie aus Eimern; deshalb bin ich auch nach nur fünf Metern total durchnässt. In Italien hat es kein einziges Mal geregnet. Ich bin es gar nicht mehr gewöhnt.

Mit einem Taxi erreiche ich mein Haus, das mir mein Herz schneller schlagen lässt. Endlich wieder in Deutschland, bei meiner Familie und bei meinen Freunden.

"Hannah?", ruft meine Mum überrascht und zieht mich sogleich in eine Umarmung.

"Hallo Mama." Ich klinge ganz heiser. Mir kommt es so vor, als hätte ich drei Jahre nichts gesprochen, obwohl es nur wenige Stunden gewesen sind.

"Wo ist René?"

"Nicht da."

"Das sehe ich allerdings. Habt ihr euch gestritten? Oder ist etwas passiert? Liegt er im Krankenhaus?!"

"Nein, Mama! Ich brauche einfach eine Pause. Ich kann nicht mehr."

"Ich hab es doch gewusst, Schatz. Er ist nicht gut für dich, Hannah. Du weißt doch, dass er im Gefängnis war, und das nicht aus einem unbestimmten Grund."

"Ja verdammt! Jeder wirft mir vor, wie böse er ist, und dass ich mich von ihm fernhalten soll! Warum habt ihr mir das nicht schon früher gesagt?! Dann hätte ich mir diesen ganzen Scheiß erspart!", schreie ich meine Mutter an und laufe verzweifelt in mein Zimmer. Schluchzend lasse ich mich auf mein Bett fallen und zerquetsche beinahe das Kissen. Ich wollte sie nicht so anmotzen, aber irgendwie ist es einfach so geschehen.

Nach einer Weile klopft es leise an der Tür.

"Hannah?" Ich spüre, wie die Matratze ein wenig nach unten sinkt, als sich meine Mum auf die Bettkante setzt. Ich komme mir vor wie ein kleines Kind.

"Ich weiß, dass du eine schlimme Vergangenheit hast, und ich besser auf dich aufpassen hätte müssen, aber ich kann nichts dagegen machen, wenn du dich in jemanden verliebst. Vielleicht könnte ich dich in einen Raum sperren, aber was bringt mir das? Und daher finde ich es nicht in Ordnung, wenn du heimkommst, und mich sofort anbrüllst. Ich kann dich verstehen, wirklich. Ich weiß zwar nicht, was passiert ist, aber es wird schon seinen Grund haben."

Ich drehe meinen Kopf so, dass ich meine Mutter ansehen kann. Auf einmal plagen mich Schuldgefühle.

"Er hat einen vierjährigen Sohn, der gezeugt wurde, als ich bei diesem Arschloch namens Anton war. Aber das hat er anscheinend schon vergessen. Außerdem hat er vor meinen Augen einen Typen, der uns angegriffen hat, umgebracht. Er wird von drei Männern gejagt, weil er sie verraten hat mit der Befreiung von mir - das wird mir eindeutig zu viel. Er hat auch gesagt, dass ich verschwinden soll, weil er zu gefährlich für mich ist. Und zu schlecht."

"Da hat er allerdings Recht. Schatz, ich war mir von Anfang an nicht sicher. René ist ein falscher Typ, das sage ich dir." Enttäuscht schaue ich auf einen Punkt hinter Mama.

"Und er ist wirklich Vater?! Wie hast du das rausgekriegt?"

"Eine gewisse Nadine hat ihm geschrieben ..."

"Er hat es dir nicht einmal selbst gesagt?" Ich schüttle meinen Kopf.

"Soll er sich doch zu der schleichen." Im Moment bin ich einfach nur wütend auf René. Enttäuschung macht sich in mir breit und Tränen treten mir in die Augen.

Meine Mutter zieht mich an sich, sodass ich halb sitze, halb liege. In ihren Armen weine ich mich aus; so wie früher. Ich kann es nicht fassen, dass mir mein Freund so etwas antut.

Nach einer Weile beschließen wir, hinunter essen zu gehen. Mein Vater hat eine Pizza bestellt. Eigentlich mag es Mum nicht gerne, Fertigessen, oder gelieferte Sachen zu verspeisen, aber heute meckert sie nicht einmal herum. Wir genießen unser Abendessen und sitzen gemütlich im Wohnzimmer. Morgen werde ich Felicia besuchen. Ich sollte mich jetzt auf die Zukunft richten, und nicht in der Vergangenheit herumwühlen. Das bringt rein gar nichts. Müde und ausgelaugt ziehe ich einen pinkfarbenen Pyjama an und kuschle mich dann in mein Bett.

"Hannah!" Eilig läuft Feli auf mich zu und umarmt mich. "Komm rein, du bist ja ganz nass."

In ihrem Zimmer mit einem Tablett voller Kekse und Getränke reden wir über mein Problem. Eigentlich sollte ich mich auf die Zukunft konzentrieren, doch jetzt muss das alles einfach so richtig raus!

"Okay, ich denke, du kannst dir schon vorstellen, was ich sagen will, oder?", erwidert Felicia. Ich nicke bedrückt.

"Dann sage ich was anderes. Du wirst es schon tausendmal gehört haben, dass René so ein schlechter Umgang für dich ist, aber warum hat er dich dann befreit? Aus schlechtem Gewissen? Na ja, Hauptsache, er hat dich gerettet. Das bedeutet, er ist doch nicht ganz bescheuert. Ich glaube an ihn, Hannah. Irgendwie wird er es wieder gut machen."

"Denkst du wirklich, dass er es riskiert, wieder zu mir zu kommen? Er hat doch selbst gemeint, er sei gefährlich für mich."

"Ach was. Wenn er dich echt liebt, dann verschwindet er nicht einfach und bleibt verschollen. Er fliegt hier her und sucht dich. Dich zu finden ist nicht besonders schwierig." Eine Weile herrscht Schweigen. Ich habe Hoffnungen, dass René vielleicht doch zurückkommt.

Eine Woche später ist es schon wieder fast wie früher; als ich meinen Freund noch gar nicht gekannt habe. Da bin ich siebzehn gewesen, und nun bin ich schon so alt. Ich habe die wichtigsten Jahre meines Lebens versäumt. Normalerweise steckt man in diesen Jahren tief im Studium und genießt das Jugendleben, aber nein, ich nicht.

Feli und ich haben beschlossen, wieder einmal feiern zu gehen. Ich freue mich schon auf die laute Musik, den Bass, die tanzenden Leute und den Alkohol. Ich stehe wieder einmal vor meinem Kleiderschrank, und suche das passende Outfit. Vor sieben Jahren bin ich auch hier gestanden und hab nicht gewusst, was ich zur Party von Julian anziehen soll. Doch jetzt entscheide ich mich einfach ganz schnell und verschwinde im Bad. Früher habe ich alles viel aufwendiger gemacht, doch im Moment finde ich, dass es so genau perfekt ist.

Felicia und ich treffen uns vor der Disco. Einige Typen stehen an der Hausmauer und rauchen. Sie sind sicher zu sechst.

"Hey, Hannah." Meine Freundin umarmt mich und wir gehen gemeinsam hinein, wo uns sofort die heiße Luft überwältigt. Ich muss augenblicklich lächeln, weil ich dieses normale Leben sehr vermisst habe.

Die Bar ist gerade äußerst überfüllt und deswegen beschließen wir zwei, erst einmal tanzen zu gehen. Um uns unterhalten zu können, müssen wir schreien. Morgen werde ich bestimmt heiser sein. Scheiß drauf!

Ich lache und erlebe so viel Spaß wie schon lange nicht mehr. Nach einer Weile tanzt ein Typ Feli an und die beiden entfernen sich etwas. Ich komme mir auf einmal einsam vor, obwohl ich viele Menschen berühre, denn heute haben anscheinend einige Menschen die Idee gehabt, in diese Disco zu gehen. Es ist stickig und man kann den Schweiß riechen. Nicht gerade angenehm, aber wenn man, so wie die meisten hier, besoffen ist, bekommt man das ja nicht mit.

Ich tanze trotzdem weiter, auch wenn ich mich alleine fühle, und entdecke dann einen Mann, der mich wie gebannt anschaut. Als er kapiert, dass ich ihn erblickt habe, winkt er mich mit einem Finger zu sich. Ich halte inne und sehe mich um, ob er auch wirklich mich meint, doch keiner beachtet ihn auch nur ansatzweise, deshalb bewege ich mich zögernd in seine Richtung. Was ist, wenn es einer von James, Tom und Anton ist? Er starrt mich noch immer an. Als ich nur mehr anderthalb Meter von ihm entfernt bin, erhebt der Mann sich und kommt auf mich zu. Für ihn sind es nur zwei Schritte. Ich bin erschrocken, wie riesig er ist.

"Ich muss dir jetzt mal sagen, wie schön du bist!", schreit er mir ins Ohr. Ich mustere ihn und schmunzle unsicher. Wow, toll. Mit dem habe ich nicht gerechnet.

"Wie heißt du?", fragt er mich (natürlich brüllend).

"Hannah. Du?"

"Manuel. Gehen wir raus? Hier ist es so laut!" Ein ungutes Gefühl taucht in meiner Magengegend auf. Draußen ist es ganz ruhig und man könnte mich leichter entführen. Ich will nicht wieder eingesperrt werden! Noch einmal wird es nicht so gut enden! Anscheinend dauert es diesem Manuel zu lange, denn er nimmt meine linke Hand und zieht mich mit sich. Die kühle Luft tut gut, doch irgendwie vertraue ich ihm nicht.

"Also Hannah. Jetzt können wir normal miteinander sprechen", beginnt er. "Du gefällst mir. Sorry, dass ich dir das einfach so direkt ins Gesicht sage, aber ewig lang um den heißen Brei herumreden bringt auch nichts." Ich ziehe meine Mundwinkel etwas nach oben uns schaue ihm in die schwarzen Augen. Ich habe noch nie zuvor jemanden mit so dunklen Augen gesehen. Er fasziniert mich.

"Wollen wir spazieren gehen?" Ich nicke langsam.

"Du redest sehr wenig. Ist das immer so bei dir?" Ich weiß nicht, was ich sagen soll.

"Ähm, ich muss schnell eine SMS schreiben." Ich wende mich von Manuel ab und tippe so schnell meine Finger es erlauben eine Nachricht, deren Empfänger Felicia ist. Hoffentlich liest sie sie, falls etwas geschehen sollte. Ich schreibe den Namen des Mannes und das Aussehen.

Bis jetzt hat er mir noch nichts angetan. Wir gehen schon eine Stunde herum und reden. Ich bin doch ein bisschen offener geworden, nachdem ich mich ein bisschen entspannt habe.

"Wie viele feste Freunde hattest du schon?" Wir haben schon einige Gläser Alkohol intus. Wir sind in einer Bar eingekehrt, wo weniger Leute sind, und deswegen auch eine ruhigere Atmosphäre herrscht.

Bin ich mit René noch zusammen? Ich denke schon. Auch, wenn wir gerade eine Pause haben. Oder ist es endgültig vorbei?

"Zwei. Und du?"

"Ehrlich gesagt weiß ich das nicht mehr so genau." Auch, wenn es eigentlich nicht wirklich lustig ist; wenn man ein wenig getrunken hat, dann ist alles witzig. Wir lachen und prosten uns mit neuen Getränken zu. Um halb vier Uhr nachts - wir sind die ganze Zeit von Club zu Club gerannt - enden wir in Manuels Wohnung. Er bietet mir Wein an, doch ich lehne dankend ab. Genug für heute. Ich wünsche mir ein Glas Wasser. Gemeinsam sitzen wir in der kleinen Küchen auf zwei Stühlen und trinken schweigend.

"Bist du gerade in einer Beziehung?", frage ich ihn. Die Antwort ist 'Nein'.

"Wieso?" Er grinst. Ich schaue weg.

"Im Moment will ich keine Beziehung."

"Okay. Wie haben deine Freunde geheißen?"

"Julian und René." Er nickt.

"Ich kann dir beweisen, dass ich besser im Bett bin, als die beiden zusammen." Ich schnappe nach Luft und bin gerade dabei, aufzustehen, als Manuel plötzlich hinter mir steht und seinen Körper an den meinen schmiegt. Ich bekomme Angst.

"Du lässt dir etwas entgehen, wenn du jetzt abhaust. Komm schon, ich zwinge dich nicht, aber ich wünsche mir von dir, dass du mit mir schläfst." Ich schlucke und reiße mich von ihm los.

"Nein." Ich schnappe meine kleine schwarze Handtasche und mache die Haustür auf. Anscheinend hat Manuel sich damit abgefunden, denn er hält Abstand von mir und lässt mich ohne weitere Probleme heimgehen. Ich hätte nicht noch eine Vergewaltigung gebraucht.

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