20.

Am nächsten Tag wache ich auf und wundere mich, warum Anton heute noch nicht hier gewesen ist. Eigentlich müsste er mit meinem Frühstück kommen. Wird das etwa eine Strafe? Hab ich nach seiner Meinung nach einen Fehler gemacht? Viel zu spät taucht er in meinem Gefängnis auf und bringt mir mein Essen.

"Warum bist du erst jetzt hier?", frage ich.

"Geht dich nichts an. Ich muss für zwei oder drei Tage weg. Wasser hast du ja genug und deinen Hunger ignorieren kannst du bereits schon. Ich muss jetzt sofort weg, also bis in ein paar Tagen!", erklärt er mir und dreht sich wieder um. Bevor ich etwas erwidern kann, fällt die Tür ins Schloss und man kann die Schritte meines Entführers hören, die immer leiser werden.

"Was?!", rufe ich erschrocken. Ein paar Tage? Vielleicht sogar eine Woche?! Ich schlage mit meinen Fäusten auf die Tür ein und schreie nach Anton, doch natürlich kommt keiner mehr. Die Panik kommt in mir hoch. Ich muss an einen Film denken, den ich vor zehn Jahren oder so gesehen habe. Ein Mann, der ein Mädchen in seinem Keller eingesperrt hatte (haha, wie gleich!) sagte, dass er für wenige Tage weg müsse und dann kam er zehn Tage nicht. Daraufhin ist das Mädchen gestorben. Scheiße! Nein, ich darf nicht an sowas denken. Bei mir wird es bestimmt nicht so sein! Um sicher zu gehen, dass mich Anton nicht angelogen hat, rufe ich in die Freisprechanlage. Eigentlich bringt es sich nichts; er hätte mir sowieso nicht geantwortet. Um mir die Zeit zu vertreiben, schalte ich das Radio ein. Ein Lied, das ich nicht kenne, läuft gerade. Ich horche dem Text zu. Eine Liebesgeschichte, ist ja klar! Der Sänger hat irgendeine Frau verloren, obwohl er sie noch liebt. Immer das Gleiche.

Am nächsten Tag fängt es auch schon an mit dem 'Bauchknurren'. Ich gehe in meinem Zimmer herum, so gut es in einem 2×3 Raum geht. Im Hintergrund läuft leise das Radio. Ich kann nur hoffen, dass Anton so bald wie möglich zurückkommt.

JULIAN

Ich liege in meinem Bett und starre einen schwarzen Punk über mir an der Decke an. Wie lange ich hier schon liege? Keine Ahnung. Auf jeden Fall lange genug, um über alles nachdenken zu können, was mir im Kopf rumschwirrt. Plötzlich klingelt mein Handy. Stefanie ruft an.

"Ja?", melde ich mich mit tonloser Stimme.

"Oh, je. Schon wieder in dieser Stimmung?", vermutet Stefanie.

"Mhh."

"Jul, wieso kannst du nicht endlich über sie hinwegkommen? Sie wird nicht mehr zurückkommen, und das weißt du auch. Keiner spricht mehr von ihr. Womöglich geht es ihr ja sogar gut. Es könnte ja sein, dass sie sich neu verliebt hat und abgehauen ist."

"Das würde sie nie tun", gebe ich zurück.

"Das weißt du nicht. Vielleicht hat sie sich ja verändert."

Nein, das würde mein Mädchen nie im Leben machen. Einfach abhauen und mich zurücklassen, denke ich mir.

"Na gut, du brauchst dringend Ablenkung. Wollen wir ins Kino?"

Vielleicht wäre das das Beste. Ich sollte sie ein für alle mal vergessen. Sie würde nie mehr zurückkehren und damit muss ich leben. Also stand ich schwungvoll auf und zog mich an. Gleich würde ich meine neue Freundin treffen und Hannah für immer aus meinen Gedanken verbannen.

RENÉ

Was soll ich nur tun? Wieso hab ich das gemacht?! Verdammt! Ich bereue alles, was ich in den letzten fünf Jahren getan habe, und das werde ich so bald wie möglich wieder gut machen.

HANNAH

Drei Tage verstreichen ohne Lebenszeichen von Anton. Er hat gesagt, dass er zwei, drei Tage weg sein würde. Mhh, ich hoffe, dass es nicht mehr werden ... Wenn ich Durst habe, drehe ich einfach den Wasserhahn auf und trinke so viel ich will, aber meinen Hunger kann ich nicht stillen. Wo musste dieser Idiot nur so dringend hin?

Das Hungergefühl verschwindet, dann kommt es wieder. Mit jedem Mal wird es stärker und schlimmer, bis es ein richtiger Schmerz ist. Meine Glieder tun weh. Ich liege in meinem Bett und hab meine Augen geschlossen. Wenn jetzt keiner kommt, dann sterbe ich endgültig.

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