Vela


„Vela!" Der kleine blondgelockte Teufel wich quietschend den Erwachsenen aus, die sie einfangen wollten.

„Wo nimmt sie nur die Energie her?", keuchte Aruna. „Hat sie etwa von Arachnés Mittelchen genascht?"

Quen warf ihr einen finsteren Blick zu. Auf die Idee sollte besser niemand das Kind bringen. Auch so war es schwer, die Kleine im Zaum zu halten. Das Mädchen war wahrhaftig eine Sturmflut, die durch das Raumschiff brauste und pures Chaos in ihrem Kielwasser hinterließ. Ein Wirbelwind, der sich durch nichts stoppen ließ. Von fast nichts.

„Vela." Seine sanfte Stimme brachte das Kind dazu, innezuhalten. Alasdair, vom Lärm angelockt, ging in die Hocke und breitete die Arme aus. Sie ließ sich nicht zweimal bitten und rannte strahlend auf ihn zu. Mit einem fröhlichen Glucksen warf sie sich an seine Brust. So an ihn gekuschelt sah sie aus, als ob sie kein Wässerchen trüben könnte. Doch der Schein trog. Das hatten Quen und die anderen Großhexer kurz nach dem Aufbruch begriffen. Vermutlich war ihr Verhalten ein Grund, weshalb Erina ihnen das Kind überlassen hatte, obwohl die Mission alles andere als ungefährlich war.

„Und er hat es wieder geschafft." Andreu schüttelte den Kopf, die Lippen missbilligend zu einem dünnen Strich zusammengepresst. „Und ihr seid euch sicher, dass er sie nicht verhext hat?"

Gleich darauf fing er sich einen Schlag in den Nacken ein. „Gibst du verdammter alter Brummbär endlich mal Ruhe", zischte Aruna. „Du siehst doch auch, wie sehr sie in ihn vernarrt ist." Und er in sie. Daran bestand kein Zweifel. Quen beobachtete, wie ihr Gefährte mit dem Mädchen auf dem Arm den Gemeinschaftsbereich des Raumschiffs verließ und mit ihr aller Wahrscheinlichkeit nach zu Aria verschwand. Kind und Katze waren wie Pech und Schwefel. Wenn es darum ging, Chaos anzurichten, nahmen sich die zwei nicht viel. Und bei Beiden wusste Alasdair instinktiv, wie er sich zu verhalten hatte, um sie zu beruhigen.

„Er wächst immer mehr in seine Vaterrolle hinein", murmelte Quen. So sehr sie es ihm gönnte, so wehmütig war ihr gleichzeitig ums Herz. Sie schaffte es nicht, Vela als ihre eigene Tochter anzusehen. Zu sehr spukte es in ihrem Hinterkopf herum, wie die Eltern der Kleinen ums Leben gekommen waren.

„Lass ihn. Er braucht das nach all den Jahrzehnten des Krieges." Aruna tippte sich ans Kinn. „Weiß er mittlerweile, weshalb Vela eine Waise ist? Wenn nicht, sollten wir es ihm nicht länger vorenthalten."

Andreu hob abwehrend die Hände. „Das ist nicht meine Aufgabe. Das könnt ihr Frauen schön alleine regeln."

„Ist ja wieder typisch, dass du dich aus der Verantwortung stiehlst", schimpfte die ältere Großhexe, lächelte aber nachsichtig, als der Mann aus dem Gemeinschaftsbereich flüchtete. „Seit dem Tod seiner Familie kann er nur schlecht mit Emotionen umgehen", erklärte sie in sanfterem Tonfall. „Dein Gefährte ist, was das angeht viel stärker. Er schafft es, sich von den Schrecken seiner Vergangenheit zu lösen. Das ist zu einem Großteil dein Verdienst."

„Meiner? Ich tue doch gar nichts Besonderes."

„Du liebst ihn. Das genügt." Aruna nickte zufrieden. „Und er liebt dich über alles. Ich kann mir vorstellen, wie sehr er dich auf Händen tragen wird, wenn du erst einmal selbst ein Kind von ihm erwartest." Sie lachte leise. „Dann tötet er jeden, der dir Böses will, auf die meist grausame Art."

Quen verzog das Gesicht. „Erinnere mich bloß nicht daran."

„An eine mögliche Schwangerschaft oder an seinen ausgeprägten Beschützerinstinkt?" Die Großhexe wandte sich zum Gehen. „Wir sollten ihn mal suchen. Ich gehe davon aus, dass er Vela mittlerweile beruhigt hat."

„Beides." Quen seufzte. „Vermutlich hat er sie in unser Quartier gebracht und schläft sie friedlich zusammen mit Aria auf dem Bett." Die Hrerecatte suchte die Nähe des Kindes fast noch mehr als die von Alasdair.

„Dann sollten wir die zwei nicht aufwecken. Vela nicht, damit sie nicht wieder Chaos verursacht. Und die Flederkatze, damit sie uns nicht angreift. Sie scheint es nicht sonderlich zu mögen, wenn man Vela auch nur schief anguckt."

Quen lachte auf. „Das ist eine Untertreibung. Ich dachte früher, Wachhunde seien schlimm, aber diese Katze stellt alle in den Schatten. Wenn sie jemanden als Bedrohung sieht, fährt sie sofort die Krallen aus." Was das betraf, waren Herrchen und Haustier einander sehr ähnlich. Beide schützten, was sie liebten.

Die zwei Frauen liefen gemeinsam durch das Raumschiff, das ihnen eine Heimat geworden war. Nur vereinzelt dachte Quen an Hayreni, denn die Einsatzbesprechungen und anderen Vorbereitungen nahmen viel Zeit in Anspruch. Freizeit hatte momentan selten einer von ihnen. Entweder bereiteten sie die Tränke und Pulver unter Arachnés Aufsicht vor, sprachen sich über verschlüsselte Funknachrichten mit Donikas Leuten ab und sorgten dafür, dass Vela in einem Moment der Unachtsamkeit nicht das Raumschiff oder Teile davon in die Luft sprengte. Erst vor wenigen Tagen hatten sie das Mädchen aus einer der Luftschleusen geholt, wo Vela wie eine Besessene hochsprang, um auf die bunten Knöpfe zu schlagen. Mit ein Grund, weshalb ein eigenes Kind vorläufig nicht in Frage kam. Selbst ohne die Mission hätte sie Angst, dass etwas schiefgehen würde.

Vor ihrem Quartier hielten sie an. Die Tür glitt geräuschlos zur Seite und gab den Blick auf Alasdair frei, der mit ausgestreckten Beinen auf dem Bett saß. Vela lag halb auf ihm und auch die Katze hatte es sich auf ihm gemütlich gemacht. Quen grinste. Ihr Gefährte ging vorläufig nirgendwo hin. Sie setzte sich neben ihn. Aruna ließ sich auf einem Stuhl nieder.

„Verhaltet euch ja leise", brummte der Mann gedämpft. „Ist sie nicht niedlich, wenn sie schläft?" Sein Gesicht nahm wieder den verträumten Ausdruck an, den er so oft zur Schau stellte, seitdem sie das Kind an Bord gebracht hatten.

„Ja, wenn sie schläft." Aruna seufzte und betrachtete das Mädchen einen Moment stumm. „Sie fühlt sich bei dir geborgen. Erina hat mir erzählt, dass Vela seit dem Tod ihrer Eltern kaum jemandem vertraut. Sie wollte erst nicht glauben, dass Mutter und Vater niemals zu ihr zurückkehren würden."

Alasdair strich der Kleinen eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Wie sind ihre Eltern umgekommen?" Er behielt sie im Auge und hoffte, dass sie nicht ausgerechnet in diesem Moment aufwachte.

„Sie waren auf einer der Caleassen, die vom Zerstörer getroffen wurden." Die Großhexe senkte den Blick und auch Quen sah weg. Sie hatte schon eher erfahren, was passiert war und aus welchem Grund die zwei Oameni bei dem Transport anwesend waren. Ihr Gefährte würde es sich vermutlich gleich zusammenreimen. Sie verschränkte die Hände auf dem Schoß und lauschte seiner Atmung. Blieb sie entspannt oder beschleunigte sie? Was würde er mit dem Wissen anstellen?

Einen Augenblick blieb es still. Dann holte Alasdair tief Luft. „Sie wollten den Konvoi sabotieren, korrekt?"

„Nicht nur das. Bevor sie an Bord gingen, schickten sie einen verschlüsselten Funkspruch ab. Sie wussten, dass du und Quen anwesend sein würdet."

„Sie wollten mich töten und Quen befreien, weil sie davon ausgingen, dass ich meine Gefährtin gefangen hielt. Das ist es doch, was du mir sagen wolltest, Aruna." Auf seinen fragenden Blick hin nickte sie. Er wandte sich von den Frauen ab, starrte auf das schlafende Kind in seinen Armen. „Schon seltsam, deine Eltern wollten mich töten, doch du suchst meine Nähe. Das Schicksal hat dich genauso zu mir geführt wie Quen, unsere zukünftige Königin."

„Du nimmst es besser auf, als ich erwartet hatte." Die Großhexe stand auf und lief zur Tür, die sich geräuschlos öffnete. „Wir treffen uns nachher mit Donika und ihren Leuten, um das weitere Vorgehen abzustimmen."

Alasdair drehte den Kopf, musterte sie eindringlich. „Dir ist bewusst, dass ich nicht zu viele Leute mit nach Macra nehmen kann. Egal wie viele von euch sie mobilisieren konnten. Der König hat es auf mich abgesehen. Eine große Garde zum Schutz meiner Gefährtin wird ihn noch misstrauischer machen. Auf den Zerstörer kann ich ebenfalls nur wenige mitnehmen."

„Andreu wird dich begleiten." Aruna schloss für einen Moment die Augen. „Er ist der Erfahrenste und er kennt sich mit dem Zerstörer aus, wie du weißt. Donika, ein paar ihrer Männer und ich werden auf Quendresa aufpassen. Ich sollte jetzt packen gehen." Sie verschwand aus dem Raum. Lautlos glitt die Tür wieder zu.

„Sie liebt Andreu." Verwundert schaute Quen zu ihrem Gefährten. Die Worte waren ihm so beiläufig über die Lippen gekommen, dass sie erst glaubte, sich verhört zu haben. „Bist du dir da sicher?", hakte sie nach.

„Sie liebt ihn genauso, wie er sie liebt. Es fällt ihnen schwer, sich vom anderen zu trennen und doch tun sie es, um uns bestmöglich zu unterstützen." Er rutschte aus dem Sitzen in eine liegende Position. „Wie sie sollten wir die Zeit, die uns bis zur Trennung bleibt, bestmöglich nutzen." Er wartete, bis Quen sich ebenfalls hingelegt hatte, dann bettete er das Kind zwischen ihnen. „Falls mir etwas zustößt, wirst du dich um sie kümmern müssen."

„Du wirst heil zu uns zurückkommen, etwas anderes will ich nicht hören", unterbrach sie ihn.

Alasdair hob beschwichtigend eine Hand, strich Quen dann liebevoll über die Wange. „Nur für den Fall, dass etwas passiert. Vela soll mich nie im schlechten Licht sehen. Sie soll verstehen, dass ich immer alles im Glauben getan habe, Gutes zu bewirken. Erkläre ihr bitte, warum ich so verblendet war. Auch wenn alle Wesen unseres Sternensystems in mir weiterhin das Monster sehen, das gnadenlos und ohne Unterlass jeden verfolgt, der anderer Meinung ist, soll sie sich an mich als ihren treusorgenden Vater erinnern. An jemanden, der sie über alles geliebt hat." In seinen Augen schimmerte es feucht. „Versprich es mir."

„Ich verspreche es dir." Quen schluckte den Klos in ihrem Hals runter. „Aber ich verspreche dir ebenso, dass ich dich wiedererwecke und selbst umbringe, falls du nicht zu uns zurückkehrst."

Alasdair lachte leise. „Damit kann ich leben. Aber lass uns jetzt noch ein wenig schlafen. Viel Zeit miteinander bleibt uns nicht mehr, bevor jeder von uns an einem anderen Ort weilen wird."

Am Abend packte Quen sorgfältig die Taschen für sich und ihren Gefährten. Die Mittelchen von Arachné wurden bruchsicher verstaut. Vela würde bei der Großhexe auf dem Raumschiff bleiben, während sie und die anderen versuchen würden, den König zu stürzen und den Frieden im Weltall wiederherzustellen. Dafür würden sich ihre Wege trennen. Sie schluckte schwer. Von Alasdair getrennt zu sein und ihn allein mit Andreu zu wissen, verursachte ihr Magenkrämpfe. Hoffentlich verriet der Alte die Mission nicht, wenn er wieder einmal sauer auf ihren Gefährten war. Allein der Gedanke, ihn womöglich zu verlieren, bevor sie richtig zueinandergefunden hatten, trieb ihr die Tränen in die Augen. Die Mission musste gelingen. Eine andere Option gab es nicht.

*****

Hattet ihr erwartet, dass Alasdair die Nachricht, wie Velas Eltern ums Leben gekommen sind, so gut aufnimmt?

Was haltet ihr denn von seinen Befürchtungen in Bezug auf die Mission? Gerechtfertigt?

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