Reise ins Ungewisse
Sie wachte mit einem Ziehen im Bauch auf und schnappte nach Atem. Jemand drückte auf ihren Brustkorb und versuchte, sämtliche Luft hinauszupressen. Ein seltsames Brummen hallte in ihren Ohren wider und ließ ihre Bronchien vibrieren.
Mühsam öffnete Quen die Augen und wurde mit einem Maunzen begrüßt. Die Hrerecatte streckte eine Pfote aus und berührte sie sanft an der Wange. „Hallo Aria", begrüßte sie das Tier, das nun aufstand, um seinen Kopf an ihr zu reiben.
Langsam setzte Quendresa sich auf und schaute sich um. Metallene Wände, die ihr seltsam bekannt vorkamen. Keine Fenster, dafür zwei verschlossene Türen. In einer Ecke lehnten ihr Bogen und der Köcher mit den Pfeilen. Sie ließ ihren Blick weiter wandern. Auf dem kleinen runden Tisch entdeckte sie drei Bücher, die Niederschriften Alasdairs, des Bibliothekars und ihrer Tante. Bedeutete das, dass ihr Gefährte nicht in der Kryokammer eingesperrt worden war? Ruckartig stand sie auf, fiel sogleich zurück auf die Matratze. Vor ihren Augen tanzten Sterne. Tief durchatmend massierte sie ihre schmerzenden Schläfen. Dann kämpfte sie sich erneut in die Senkrechte.
„In Ordnung. Wo steckt denn dein Freund? Wollen wir ihn suchen?", fragte sie die Flederkatze, die sich auf ihrer Schulter niederließ. „Hat er dich wieder eingefangen oder wieso bist du hier, um mir Gesellschaft zu leisten?" Sie erinnerte sich an den Moment, als Aria Reißaus genommen hatte. Ihre eigene Verzweiflung, als sie die Männer erkannte, die ihnen auflauerten. Sie schüttelte den Kopf, verscheuchte die Bilder. Nur das Stechen in ihrem Bauch blieb. Sie rollte ihr Shirt hoch, strich über die rötlich schimmernde Narbe, von der sich der Schorf erst vor kurzem gelöst hatte.
Wer war ihnen zu Hilfe gekommen? Denn dass Alasdair sich selbst hatte befreien können, glaubte sie nicht. Tränen traten ihr in die Augen, als sie an den Moment zurückdachte, als sich die Kryokammer schloss. Jemand musste ihn befreit haben und sie beschlich eine Ahnung, wer dafür verantwortlich war. Doch warum? Ein Schnüffeln an ihrem Ohr riss sie aus ihren Überlegungen.
„Hast ja recht. Hier herumzustehen, bringt mich nicht weiter." Sie kraulte die Katze unterm Kinn und lief zur Tür, die geräuschlos zur Seite glitt. Mühelos schlug sie den Weg zum Cockpit ein, aus dem leise Stimmen zu ihr drangen. Verwirrt schaute sie zwischen den zwei Personen hin und her, die sich blendend zu verstehen schienen.
„Hallo Bebela. Es freut mich, dass es dir besser geht", begrüßte die alte Pilotin sie lächelnd.
„Ich grüße dich, Doana", erwiderte sie höflich.
Alasdair stand auf und umarmte Quendresa. „Ich bin so froh, dass du aufgewacht bist." Er führte sie zum Copilotensessel, ließ sich nieder und zog sie auf seinen Schoss. Die Hrerecatte siedelte auf seine Schulter über und schnurrte zufrieden.
„Da ist ja das kleine Fellmonster." Die alte Frau strich Aria bewundernd über das schwarze Fell.
„Danke, dass du mir das Leben gerettet hast, Doana."
„Das war nicht ich, sondern dein Gefährte hier. Eine Heilerin hätte es hinbekommen, dass keine Narbe zurückbleibt." Sie kratzte sich am Nacken. „Ich bin zwar wie du eine Hohe Großhexe, darüber hinaus eine ausgezeichnete Kampfpilotin, aber eine Heilerin bin ich nicht."
„Du hast mich gerettet?" Verwirrt drehte sie den Kopf zu Alasdair, der schmunzelnd ihren ungläubigen Blick erwiderte.
„Ja, aber frag mich nicht, wie ich das hinbekommen habe. Ich weiß noch, dass ich dich verzweifelt im Arm gehalten habe und Aruna dann auftauchte. Aria hatte sie zu uns geführt."
„Aruna?" Quen runzelte die Stirn.
„Das ist mein Name." Die Pilotin lächelte. „Und da ich der Nervensäge schon alles erzählt habe, kann ich die Maskerade fallenlassen." Die Falten verschwanden aus ihrem Gesicht. Das Haar nahm seine ursprüngliche hellblonde Farbe an. „Deine Urgroßmutter hatte uns damals empfohlen, von Hayreni zu verschwinden. Sie hat dich im Glauben aufwachsen lassen, dass du nach ihrem Tod die einzige Hohe Großhexe bist. Vermutlich, damit du dich bedeckt hältst und nicht in die Hände der Gripari fällst. Hat ja hervorragend geklappt, wie man sieht", fügte Aruna mit einem Seitenblick auf Alasdair hinzu.
„Du weißt, wer er ist?" Quen ergriff die Hand ihres Gefährten und verschränkte die Finger mit seinen.
„Der dunkle Vrajitor, der Schrecken unseres Volkes. Doch deine Mutter hatte damals einen Narren an ihm gefressen und geglaubt, dass sie mit seiner Hilfe den Krieg beenden könnte."
„Sie hat mich nicht verraten. Ich habe das Buch deiner Urgroßmutter gelesen. Wir wurden damals in eine Falle gelockt, von den Menschen, denen sie vertraute." Alasdair schlang einen Arm um sie. „Der König von Macra steckt hinter dem Widerstand, wie es scheint. Sie sollten ihm die Edelsteine besorgen, damit er die Waffe auch gegen andere Völker einsetzen kann. Die Pläne dafür habe ich ihm leider geliefert." Er seufzte. „Zum Glück haben einige der untergetauchten Großhexer die Edelsteine gestohlen und versteckt."
„Was ich dabei nicht verstehe, die Widerstandsgruppe entstand kurz nach dem Angriff auf Macra, also vor etwa einhundertfünfzig Jahren. Da regierte doch noch die andere Königsfamilie."
„Das stimmt. Dein Großvater war damals der König. Zieh nicht so ein Gesicht", tadelte ihr Gefährte sie. „Dank deiner Abstammung und den Informationen, die deine Urgroßmutter uns mit ihrer Niederschrift geliefert hat, können wir den jetzigen Herrscher vom Thron vertreiben und den Frieden wiederherstellen. Wie es aussieht, gehört seine Familie zu dem Kreis, die vor langer Zeit den Krieg heraufbeschworen haben."
Urgroßmutter. Quendresa zog eine Grimasse. „Wieso bezeichnest du meine Tante als meine Urgroßmutter?" Die Informationen prasselten sie seit dem Aufwachen nur so auf sie ein. Einige zu verwirrend, um sich sofort mit ihnen zu beschäftigen.
„Weil sie es war, Bebela. Quendra hat viele Generationen hoher Großhexer trainiert. Wie wir beherrschte sie den Zauber, sein Äußeres zu verändern." Aruna schüttelte betrübt den Kopf. „Sie wusste, dass man ihre Enkelin und deren Kind jagen würde. Deswegen tauschten sie die Babys. Der Junge, der getötet wurde, war Quendras jüngster Sohn. Durch ihr hohes Alter bei der Schwangerschaft war er zu schwach, um zu einem starken Hexer heranzuwachsen. Sie hat ihn geopfert, um dich zu retten. Nach dem Tod deiner Mutter hat sie uns von Hayreni weggeschickt."
„Weißt du, wo die anderen Großhexer leben?" Quen überlegte, welche Möglichkeiten sich ihnen eröffneten, wenn sie ein größeres Team zusammenstellten. Sie benötigten Verbündete für Alasdairs Plan. Auf Hayreni, auf Macra und verteilt über das Universum.
„Viele reisen wie ich durch unsere Galaxie und verweilen nie länger als notwendig an einem Platz. Aber ich weiß, wo die Wahrscheinlichkeit groß ist, jemanden zu treffen."
„Dann auf nach Xera", brummte Alasdair. „In der Zeit, die wir bis dorthin benötigen, sollten wir noch einmal alle Informationen durchgehen, die uns zur Verfügung stehen." Er erhob sich mit Quen auf dem Arm, die müde den Kopf an seine Schulter lehnte. „Doch erst sollte meine Gefährtin noch ein wenig schlafen."
„Dann lass sie auch schlafen. Nicht, dass ihr mir Unfug in eurem Quartier anstellt", rief Aruna ihnen hinterher.
„Keine Sorge, dafür ist noch Zeit, wenn die rechtmäßige Königin auf dem Thron von Macra sitzt", konterte er lachend und trug Quen aus dem Cockpit. „Meine kleine Königin", fügte er leiser hinzu.
Quendresa knabberte an ihrer Lippe. Die Ereignisse hatten sich überschlagen, seitdem sie den Vrajitor aus der Kryokammer befreit hatte, und sie ihm in die Hände gefallen war. Der Krieg, der sich als direkte Folge über die Galaxie ausbreitete und an Intensität zunahm. Die Erkenntnis, dass Freunde Feinde waren und ursprüngliche Gegner sich als Verbündete entpuppten. Familiengeheimnisse, die gelüftet wurden. Was würde sie in den kommenden Wochen und Monaten noch erfahren? Würde es ihnen gelingen, den Frieden wiederherzustellen? Sie atmete tief durch, suchte dann den Blickkontakt zu dem Mann, der sie behutsam auf dem Bett absetzte. „Ich bin froh, dass du mich auf dieser Reise ins Ungewisse begleitest."
„Es gibt keinen Ort, an dem ich jetzt lieber wäre", erwiderte er mit einem Blick auf ihren Mund.
Quendresa packte Alasdair am Kragen und zog ihn zu sich heran. Flüchtig küsste sie ihn auf die Lippen. Ein unausgesprochenes Versprechen, dass sie zueinander gehörten. Egal, was die Zukunft für sie bereithielt.
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