Eine unerwartete Wendung


Einen Fluch unterdrückend rappelte Quen sich langsam auf, den Blick nach unten gerichtet. Ein Blutbad hatte sie nicht mit ihrem Gefährten anrichten wollen. Sie schluckte. Er hatte sie nur verteidigt und dennoch fühlte sie sich mitschuldig. Gleich darauf hielt sie wie erstarrt inne. Ein Singsang in einer fremden Sprache erhob sich um sie herum. Verwirrt sah sie sich um. Etwa ein Dutzend halbnackter Eingeborener hatten einen Kreis um sie gebildet. Die Männer knieten auf dem Boden, den Oberkörper lang ausgestreckt ins Gras gedrückt. Ihre Arme wiesen auf Alasdair. Dieser richtete sich auf und zog sich mit stoischer Miene einen Pfeil aus dem Körper, der sich in seine Schulter gebohrt hatte. Quen drehte sich weiter um. In den Ranken des Blutbaums, die sich immer enger zogen, lag eine einzelne Person. Vermutlich der Krieger, der auf sie geschossen hatte. Es dämmerte ihr, dass ihr Gefährte nur den Mann getötet hatte, der eine Gefahr für sie bedeutete. Kein wahlloses Morden wie früher, sondern eine wohlüberlegte Handlung, für die ihn die Einheimischen nun anbeteten.

Tränen sammelten sich in ihren Augen. Nicht aus Trauer oder Verzweiflung. Viel mehr aus Erleichterung, weil er ihr erneut bewies, dass er nicht das Monster aus den alten Erzählungen war. Sie stand auf und trat zu ihrem Gefährten, der sich die blutende Schulter hielt. „Lass mich mal." Sanft zog sie seine Hand von der Verletzung. Energie durchströmte erst sie, dann ihn und heilte den beschädigten Muskel, bis nicht mal mehr ein Kratzer zu sehen war.

„Danke." Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und wandte sich den Eingeborenen zu, die noch immer leise singend auf dem Boden knieten. Er gab ihnen mit einer leichten Handbewegung das Zeichen, aufzustehen. Erst als sie seiner Aufforderung nachgekommen waren, schritt er zum Baum und trennte mit seinem Messer einige Ranken ab. Quen rollte sie säuberlich zusammen und folgte dann seinem Blick, der auf einen jungen Trieb gerichtet war, der etwa auf Schulterhöhe am Stamm wuchs.

Auf ein Geräusch hin drehten sich beide gleichzeitig um. Einer der Eingeborenen näherte sich, die Hände mit den Handflächen zu ihnen zeigend erhoben. Alasdair wies mit dem Messer auf den Pflanzentrieb und vollführte in der Luft eine schneidende Bewegung. Der fremde Mann nickte zögerlich. Quen runzelte die Stirn. Was wollte ihr Gefährte damit? Ein Trank oder Pulver ließ sich daraus nicht herstellen. Nachdenklich sah sie zu, wie er den Trieb vorsichtig löste und dann in ein Tuch einwickelte. Er schulterte die aufgerollten Ranken und nickte den Eingeborenen freundlich zu. „Komm, lass uns gehen, meine Geliebte." Er bot Quen seinen Arm zum Unterhaken an.

Sie umklammerte seinen Oberarm, drückte mit den Fingern gegen seinen Bizeps. Der Muskel war entspannt wie auch der ganze Mann. Quendresa war sich nicht sicher, was sie von der Situation zu halten hatte. Vor dem Ausflug auf diesen Planeten hatte sie einen Kampf erwartet, der in einem Massaker endete. Nicht den Respekt, mit dem er die Eingeborenen behandelte oder die Leichtigkeit, mit der sie diesen Ort verließen. Keine weiteren Feindseligkeiten, niemand, der jeden ihrer Schritte beobachtete. Dennoch war sie froh, als sie am vereinbarten Ort die Rampe hinauf ins wartende Raumschiff huschen konnten.

„Auftrag erfolgreich erledigt." Alasdair drückte Andreu, der ihn misstrauisch musterte, die Ranken gegen den Brustkorb. „Aruna, hast du ein Pflanzgefäß für mich?", wandte er sich an die dazukommende Großhexe.

„Natürlich. Aber verrätst du mir erst, wofür du es benötigst?" Voller Neugierde sah sie zu, wie er den Pflanzentrieb auswickelte. „Du hast einen Trieb von der Chrysocoma Rubia mitgebracht?" Vor Überraschung blieb ihr der Mund offenstehen. Selbst Andreu starrte nur fassungslos auf den Ableger, den Alasdair einpflanzen wollte.

„Ich dachte mir, wenn ihr einen geeigneten Platz sucht und die Chrysocoma ordentlich füttert, werdet ihr bald nicht mehr auf diesen Planeten reisen müssen, um Ranken für das Mittel zu holen." Er zuckte mit den Achseln. „Also, hast du irgendwo ein geeignetes Pflanzgefäß?"

„Komm mal mit." Sie winkte ihn mit sich. Wie ein treuer Hund lief er Aruna nach, noch immer völlig entspannt, die Schultern locken hängenlassend.

„Wieso macht er das alles für uns?" Andreu schaute dem Griparo stirnrunzelnd hinterher. „Er hat keine Garantie, dass wir uns nicht seiner entledigen, wenn wir unsere Ziele erreicht haben. Aua." Er rieb sich über den Hinterkopf und schmollte. „Quendra hätte dir bessere Manieren beibringen sollen."

„Ich passe mich nur dir an, Andreu." Quen warf ihm einen tadelnden Blick zu. „Lass endlich die Stänkereien. Mein Gefährte hilft uns aus freien Stücken. Er hat selbst die Eingeborenen, die uns angriffen, am Leben gelassen."

„Alle?", hakte der alte Großhexer mit einem listigen Grinsen nach.

„Nein. Derjenige, der mich fast verletzt hatte, wurde als Blutzoll geopfert." Noch immer schien es ihr unwirklich, dass Alasdair nur den einen Mann getötet hatte. Als er seine Macht aufrief, hätte sie schwören können, dass er kurzen Prozess mit allen Fremden machen und keiner je wieder aufstehen würde. Es überraschte sie, dass er in der Lage war, seine Kraft so bedächtig und feinfühlig einzusetzen.

„Vielleicht hat Aruna recht", murmelte Andreu.

„Damit, dass du deine Feindseligkeiten einstellen sollst? Wäre mal an der Zeit." Quen seufzte und lehnte sich gegen die Wand. „Ich verstehe, weshalb du ihn all die Jahre gehasst hast. Doch jetzt ziehen wir alle an einem Strang."

„Und was, wenn er sich unser Vertrauen nur erschleichen will, um uns alle auf einen Schlag umzubringen? Ich würde es nicht ertragen, noch mehr zu verlieren." Die Augen des alten Großhexers füllten sich mit Tränen. Seine Unterlippe zitterte unkontrollierbar, sein ganzer Körper bebte.

Einem Impuls folgend schlang Quen die Arme um ihn. „Es wird alles gut. Du wirst schon sehen, Andreu, mein Gefährte wird uns helfen, die Machtverhältnisse in unserer Galaxie ins Gleichgewicht zu bringen." Etwas anderes konnte sie sich gar nicht mehr vorstellen. Alasdair bewies ihr jeden Tag aufs Neue, dass es ihm ebenso wichtig war wie ihr. Sie glaubte auch nicht, dass er sie als seine Marionette auf den Thron Macras setzen wollte, um im Hintergrund als der wahre Herrscher zu agieren.

Nach einiger Zeit löste sie die Umarmung und suchte ihren Gefährten im gemeinsamen Quartier auf. Er war gerade damit beschäftigt, die Erde um den Trieb herum fest anzudrücken. „Du hast nicht zufällig einen abgeschnittenen Finger oder ein Glas Blut mitgebracht?", fragte er sie, ohne aufzusehen.

„Wieso, brauchst du eine kleine Zwischenmahlzeit?", erwiderte sie augenrollend. Kaum hatte sie ihn gedanklich gelobt, kam er mit so einer Bemerkung an.

„Nee, ich vernasche lieber dich, wenn ich hier fertig bin", bemerkte er trocken. „Ich vermute, dass wir das Wachstum der Chrysocoma beschleunigen können, wenn wir ihr regelmäßig Blut geben."

Das klang gar nicht so abwegig. Quen hörte ein Flattern und hob den Kopf. Aria ließ sich auf Alasdairs Schulter nieder und zeigte ihre Fangzähne. Ein tiefes Grollen drang aus ihrer Brust. Die Hrerecatte sträubte das Fell und fauchte die Pflanze missbilligend an.

„Ich weiß, meine Kleine." Geistesabwesend streichelte er mit seinen dreckverschmierten Fingern über ihr Fell. „Aruna hat versprochen, dass wir als Nächstes einen Planeten ansteuern, wo wir den Ableger an einer geeigneten Stelle einpflanzen können. Dann bist du ihn los." Er trat vom Pflanzgefäß zurück und nahm Aria von seiner Schulter. Mit dem schnurrenden Tier setzte er sich aufs Bett und kraulte sie unterm Kinn. „Du spürst instinktiv, welche Gefahr von der Chrysocoma ausgeht, nicht wahr, mein Schatz?" Die Katze rollte sich auf seinem Schoß ein und schlug die Flügel eng um ihren Körper.

„Und du willst mir immer erzählen, dass sie dich nicht liebt." Quendresa setzte sich neben ihn und fing ihrerseits an, das seidigschwarz schimmernde Fell zu streicheln. Aria öffnete ein Auge und leckte Quen schnell über die Hand.

„Oh, sie mag mich schon, verstehe mich nicht falsch." Er legte den Kopf in den Nacken und atmete tief durch. „Nur bin ich mir sicher, dass sie dir nicht mehr von der Seite weichen wird, wenn du unser Kind unter deinem Herzen trägst. Aria wird ständig darauf bedacht sein, dir Ruhe und Wärme zu schenken. In der alten Zeit begleiteten Hrerecatten jeden Magier und dessen Familie. Sie scheinen sich von unserer Gabe angezogen zu fühlen."

„Du hast nie etwas davon erwähnt, dass es auf Macra mehr von deiner Sorte gab." Quen lehnte sich an seine Schulter und wartete darauf, dass er ihr mehr erzählte. In Gedanken ging sie die Geschichten durch, die sie über die Gripari gehört oder gelesen hatte.

„Weil ich auf Macra der Einzige meiner Art bin. Unsere Wurzeln liegen viel weiter zurück." Geistesabwesend starrte er zu dem Pflanzentrieb. Er hob die entrüstet maunzende Aria hoch und legte sie auf die Mitte des Bettes. Dann lief er zum Tisch und stach sich mit seinem Messer in den Finger. Dicke rote Tropfen fielen auf das saftige Grün und die fast schwarze Erde.

Quen beobachtete, wie die Blätter das Blut aufsogen. Obwohl absolute Windstille herrschte, wie es für einen Innenraum üblich war, schien sich die Pflanze hin und her zu wiegen. „Du bist also gar kein Griparo?", durchbrach sie nach einer Weile die Stille, die sich über den Raum gelegt hatte.

„Ja und nein. Meine Wurzeln liegen wie die der Chrysocoma woanders. Eine Reihe von Vulkanausbrüchen hat so viel Giftstoffe in die Luft gepumpt, dass meine Vorfahren ihren Heimatplaneten verlassen mussten. Nur wenige schafften es, denn die Gifte hatten die Körper der meisten zu schwer geschädigt. Die Raumfahrt steckte damals noch in ihren Kinderschuhen, wenn du es so nennen willst. Flüge dauerten über Jahre, teils Jahrzehnte. Die wenigen Überlebenden gaben dennoch nicht auf. Aufgrund ihrer Fähigkeiten erhielten sie auf Macra ein neues Heim. Doch bald schon fehlten die Seelengefährten, um die Blutlinie aufrecht zu erhalten."

„Also bist du der Letzte deiner Art." Quen nickte nachdenklich.

„Der letzte der Magier. Langlebige gibt es auf Macra, nur hat keiner meine Begabung. Die habe ich zu meiner Überraschung bei den Großhexern gefunden." Er verstummte, visierte einen Punkt an der Wand an. „Möglicherweise hat deine Mutter geahnt, dass wir uns ähnlicher sind, als ich mir damals in ihrer Gegenwart eingestehen wollte. Ich habe es bis jetzt nie in Erwägung gezogen, dass es noch mehr Menschen gelungen war, mit Raumschiffen das Universum zu erobern. Ihr seid doch ebenfalls anders als die Oameni. Was, wenn wir gemeinsame Vorfahren haben? Vom selben Planeten stammen? Das würde erklären, warum ich in dir meine Seelengefährtin gefunden habe." Er setzte sich wieder neben sie. „Deswegen hat auch kein Großhexer etwas von mir zu befürchten. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um unserem Volk zu Ansehen zu verhelfen. Der Krieg hat lange genug für Unruhe gesorgt."

„Du solltest mit Andreu reden. Wenn du ihm erzählst, was ich gerade erfahren habe, hört er vielleicht auf, dich ständig zu reizen." Quen ließ sich rücklings auf die Matratze fallen und ernte von Aria ein entrüstetes Maunzen. „Wo will Aruna eigentlich den Ableger einpflanzen?"

„Auf dem Planeten, wo sie die Kinder verstecken." Alasdair beugte sich über sie. Flüchtig streiften seine Lippen ihre Schläfe. „Ich sollte wirklich mit Andreu reden. Sonst bringt der mich um, weil er glaubt, dass ich eine Gefahr für den Nachwuchs bin." Er stand auf und lief zur Tür. „Falls ich das Gespräch nicht überlebe, kannst du meine Leiche verwenden, um die Chrysocoma zu füttern." Lachend flüchtete er auf den Gang, als ein Kissen gegen die Wand knallte.

Quen atmete tief durch und rollte sich neben der Hrerecatte ein. „Männer", murrte sie. Warum waren die Kerle nur so anstrengend? Und wieso vermisste sie jetzt schon wieder seine Nähe? Seufzend richtete sie sich auf und folgte ihrem Gefährten zum Aufenthaltsraum. Womöglich war es besser, wenn sie zwischen Alasdair und Andreu vermittelte. Irgendwann mussten die zwei Dickköpfe doch einsehen, dass sie alle auf derselben Seite standen.

*****

Haben Alasdair und die Großhexer wirklich gemeinsame Vorfahren?

Was erwartet ihn und Quen auf dem Planeten, auf dem die die Großhexer ihre Kinder versteckt halten?

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