V E I N T I T R É S
„Mama?!"
Entsetzt sah ich auf meine, am Boden liegende, Mama.
Bostons Vater hatte instinktiv nach ihr gegriffen und den Sturz abgefedert, doch selbst er war nicht schnell genug gewesen, sie rechtzeitig aufzufangen.
Mein Vater kniete sich besorgt neben meine Mama.
„Schatz, bitte nicht ..."
Er murmelte unverständliche Sätze, während er Mamas Puls fühlte und mit einer Herz-Druck-Massage begann.
„Der Cocktail! Was war in dem Cocktail drinnen?"
Hysterisch wollte ich mit den Fingern über den nassen Boden wischen, doch Boston fasste bestimmt nach meiner Hand.
„Nicht. Hier liegen überall Scherben."
Selbst total entsetzt, zog er mich an seine Brust.
Seine Körperwärme wirkte beruhigend auf mich, konnte jedoch nicht das Entsetzen in mir auftauen.
„Ein Arzt!"
Levin drängelte sich durch die Menge der gaffenden Gäste, die sich besorgt um meine Mama geschart hatten.
Hinter Levin stolperte ein älterer Mann, ebenfalls in Smoking, herbei.
Ein Kellner brachte den Erste-Hilfe Koffer.
Bostons Vater rief den Notarzt an.
„Komm ..."
Vorsichtig zog mich Boston von dem Geschehen weg.
In meiner Schockstarre bemerkte ich es erst, als wir schon bei der Eingangstür des Prachthotels standen.
„Was, Boston, nein!" Ich zuckte zusammen und blickte zurück.
„Ich kann nicht einfach gehen! Meine Mama, sie ..."
Ich fand nicht die richtigen Worte. Doch Boston wusste auch so, was in mir vorging.
„Ich versteh dich." Zärtlich griff ich nach meiner zweiten Hand.
„Aber momentan stehen wir nur im Weg rum. Wir warten ab, bis ein Notarzt weiß, was los ist."
In meinem Leben hatte ich schon viel erlebt.
Nachdem Zac bewusstlos am Boden gelegen und Boston betrunken in dem Ferienhaus meiner Eltern gestanden hatte, hatte ich gedacht, dass es nicht mehr aufregender kommen konnte.
Schließlich hatten meine Eltern ihr Ferienhaus einer internationalen Verhaftung zur Verfügung gestellt.
Früh genug hatten sich die Polizei dort versteckt und alles vorbereitet.
Dass ich bei diesem Raub dabei sein würde, war nicht geplant, sondern einfach nur ein glücklicher Zufall gewesen.
Zac und Crystal hatten es jedoch geschafft zu verschwinden.
Bei der Menge an Verhafteten, war es bei dem Transporter nicht aufgefallen, dass zwei fehlten und Tigerauge gab vor, keine Ahnung zu haben, wie die beiden entkommen waren.
„Glaubst du, Zac steckt dahinter?"
Inzwischen standen wir in meinem Hotelzimmer.
Mein Koffer lag immer noch unordentlich und offen neben dem Bett. Die Kleidung quoll nur so heraus.
„Wir wissen gar nicht, ob der Cocktail vergiftet war, oder ob sich deine Mama einfach nur unglücklich verschluckt hat."
Ironisch sah ich ihn an.
„Das glaubst du doch selbst nicht! Wie viele erwachsene Leute haben es denn schon zusammengebracht, beim Trinken zu ersticken?"
„Naja, wie viele Frauen flogen vor ihren Kindern schon auf, dass sie diese Kinder verheiratet haben? Der Stimmungskiller hätte nicht besser sein können."
„Ich gebe zu, das war etwas ungeschickt von ihr", kicherte ich.
„Ungeschickt? Das war ein katastrophaler sozialer Ausrutscher!"
Boston nahm sanft meine Hände und fing an, mit mir in dem Hotelzimmer zu tanzen.
Dass keine Musik lief, störte uns nicht. Wir stellten uns die Musik einfach vor.
„Ich habe die Bedeutung ihres katastrophalen sozialen Ausrutschers aber immer noch nicht genau verstanden ..."
Boston drehte mich wieder zu ihm. Dann hielt er inne.
„Sag mal Paris, kriegt dein Gehirn eigentlich Arbeitslosengeld?"
Verwirrt und ein bisschen eingeschnappt, reckte ich mein Kinn.
„Was soll das denn jetzt schon wieder heißen?"
„Glaubst du an Schicksale?", fragte Boston weiter, nun ein bisschen freundlicher.
„Natürlich nicht!" Etwas beunruhigt, verpasste ich ihm einen Klaps auf die Schulter.
„Habe ich auch nicht, doch wo meine Mama uns gerade vor aller Augen erzählt hat, dass unsere Eltern uns beide verheiratet haben, schon."
„Hat sie? Hä, was, wann?" Überrascht runzelte ich die Stirn.
Ich wusste nicht, dass sie deine Tochter ist. Dass sie meine Schwiegertochter sein wird.
Ihre Worte hallten in meinem Kopf wider.
Erst jetzt verknüpfte ich das Wort Schwiegertochter mit mir.
„Oh."
Lachend schubste mich Boston auf mein Bett. „Ja, oh!"
„Ahhh." Intelligent, wie ich nun mal war, hob ich wissend meinen Zeigefinger.
Klopf, klopf.
Hastig sprintete ich zur Tür.
Ich riss sie auf und blickte in Levins verheultes Gesicht.
Verheult vor Erleichterung.
Schluchzend fiel er mir in die Arme.
„Es war wirklich ein Gift in dem Cocktail. Welches, wird noch untersucht, aber das Wichtigste ist, dass es ihr wieder gut geht", flüsterte er heiser.
Erleichtert atmete ich auf. Es würde alles wieder gut werden.
„Können wir zur ihr?"
Mein Bruder nickte und führte mich durch die unzähligen Hotelgänge zu ihrer Suit.
Boston folgte uns. Er hielt sich jedoch im Hintergrund.
Srrrt.
Die Hoteltür klickte und öffnete sich.
Keinen Augenblick später, stand ich neben Mamas Bett.
Ich war nicht die Einzige, die ihr beim Schlafen zusah.
Sowohl unser Vater als auch einige Ärzte und andere Menschen in Anzügen leisteten ihr Gesellschaft.
„Paris, Levin." Erleichtert umarmte Salvador uns gleichzeitig.
Mehr sagte er nicht, doch das musste er auch nicht. Es gab nicht mehr zu sagen.
„Das wird wieder", flüsterte Levin leise.
„Sie ist stark. Wir glauben daran, dass alles wieder gut wird."
Ich musste an die Worte bei der Rede denken.
„Wer glaubt, der leitet es ein", hauchte ich leise und hoffte, dass diese Worte mit jeder einzelnen Silbe stimmen würden.
„Sie ist unbesiegbar", sagte unser Vater und sah seine Ehefrau liebevoll an.
Brrrt.
Auch wenn mein Handy auf lautlos gestellt war, empfand ich es trotzdem als unangenehm, dass es in meiner Hosentasche brummte.
Denn in dieser bedachten Stille, war ein Vibrieren ganz und gar nicht lautlos.
Paris, hilf mir!!!!
Peinlich berührt, verschwand ich im Badezimmer der Suit.
Brrt, Brrt, Brrt.
Olivia spamte mich mit Nachrichten voll.
Ich hab ein ganz großes fettes Problem!
Ich hatte ungeschützten Sex mit Carlo ... Was ist, wenn ich jetzt ein Baby bekomme?!
Als ich diese Nachricht las, fiel mir fast das Handy aus der Hand.
Was? Olivia, was treibst du nur?!
Wenn das ein Scherz ist, dann ist das ein sehr ungünstiger Zeitpunkt, schrieb ich zurück.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten:
Kein Scherz! Wir hatten beide wohl ein Gläschen Wein zu viel und haben das Ganze dann als nicht mehr so wichtig angesehen.
Olivia!
Die Wahrscheinlichkeit liegt bei 25%! Was nüchtern betrachtet, vielleicht doch ein bisschen viel ist ...
Und jetzt hatte ich den Salat. Blieb ich bei meiner vergifteten Mama oder ging ich zu meiner schwangeren Teenagerfreundin?
Dann gehe mit Carlo in die Apotheke und hole die Pille-Danach!
Zugegebenermaßen klang das leicht asozial.
Woher weißt du, dass ich es mit Carlo gemacht habe?
Belustigt sprangen meine Finger über das Display.
Ich hoffe doch, dass du es mit Carlo gemacht hast und nicht mit irgendeinem anderen dahergelaufenen Trottel aus der Stufe über uns!!!!!!!!!!!!!!
Mehr Ausrufezeichen hatten nicht Platz.
Ich trau mich nicht ... Ich bin mir nämlich gar nicht so sicher, ob er noch so genau weiß, dass wir kein Kondom verwendet haben.
Oh Gott!
Seufzend verließ ich das Badezimmer.
Bleib wo du bist und rühr dich nicht vom Fleck! Ich komme!
„Ähm, Salvatore?" Ich winkte ihn in ein Nebenzimmer und trat unbehaglich von einem Bein aufs andere.
„Olivia hat eine Krise und hat mich gefragt, ob ich kommen kann ..."
Selbst nicht ganz überzeugt, schielte ich zu Mamas Bett. „Kann ich ...?"
„Natürlich kannst du. Hier kannst du momentan eh nichts ausrichten ..."
„Danke." Erleichtert umarmte ich ihn.
„Ich bin auch so schnell wie möglich wieder zurück!"
„Aber du nimmst Boston mit!" Ernst sah mich mein Vater an.
„Und einen Türsteher! Wenn dieser Zac immer noch auf freiem Fuß ist, sollten wir kein Risiko eingehen."
Ich wusste, dass er es nur gut meinte.
Doch mit einer hysterischen Freundin, einem supersüßen Freund und einem zwei Meter breiten Bodyguard die Apotheke stürmen und die Pille-Danach kaufen?
Nichts lieber als das.
Vielleicht konnte ich den Koch fragen, ob er nicht auch noch mitkommen wolle.
-
„Uff ..."
Sichtlich überfordert öffnete Olivia die Haustür und starrte uns mit offenem Mund an.
„Paris! Ich dachte, du kommst alleine und nicht mit einer ganzen Eskorte!"
Dass der muskulöse Bodyguard neben mir recht furchteinflössend wirkte, verstand ich.
Aber hey, immerhin hatte ich den Koch Zuhause gelassen!
„Hola, Olivia." Boston nickte ihr freundlich zu. „Wie geht's Ca ..."
„Boston, mein Freund!"
Carlo tauchte überrascht und gleichzeitig sichtlich erfreut hinter Olivia auf.
„Und Paris?" Strahlend lächelte er uns an.
Dann sah er den breiten Bodyguard.
Sein Lächeln erstarb.
Zumindest ein bisschen.
„Findet heute eine Party statt, von der ich nichts weiß?"
Oh, oh. Olivia hat ihm immer noch nichts gesagt ...
„Also eigentlich gehen Paris und ich nur kurz Halsschmerz-Tabletten aus der Apotheke holen."
Lächelnd sah Olivia ihren Freund an.
Dabei nahm sie meine Hand und zog mich Richtung Ausgang.
„Mmh ... Halsschmerzen, genau!"
Wenig überzeugend räusperte ich mich einige Male.
Boston, dem ich nur erzählt hatte, dass Olivia eine kleine Krise hatte, sah mich verwirrt an.
„Aber die hätten wir doch auch im Hotel bekommen oder auf ..."
„Ah, ah!", mischte sich Olivia ein.
„Die wahren Halsschmerz-Tabletten gibt es nur in dieser Apotheke!"
Misstrauisch sah sie zu dem Bodyguard auf.
„Und die eben genannte Apotheke befindet sich direkt auf der anderen Straßenseite. Sie müssen also nicht mitkommen, sondern können uns ruhig vom Küchenfenster aus zusehen!"
Unbeholfen versuchte ich durch ein strahlendes Lächeln, Olivias Befehlston zu neutralisieren.
„Wir sind in fünf Minuten wieder da."
Olivias Griff um mein Handgelenk verstärkte sich. Selbstbewusst warf sie ihre Haare über ihre Schultern und spazierte durch die Tür.
„Hasta ahora, amigos!"
Bum.
Laut schlug sie die Tür zu.
Wenn dieses Temperament von den Schwangerschafts-Hormonen kommt, dann will ich nie Kinder haben ...
Misstrauisch musterte ich meine Freundin.
Olivia lachte über unseren schlechten Auftritt. Insgesamt sah sie eigentlich ziemlich gut aus, vor allem da sie ziemlich glücklich zu sein schien.
Vor dem Eingang der Apotheke schwand ihr Glück und ihre Selbstsicherheit jedoch schlagartig
„Ich geh da nicht rein ...", jammerte sie.
Seufzend sah ich meine beste Freundin an. „Wieso? Willst du jetzt ernsthaft kneifen?"
„Weißt du, wie peinlich es ist, vor einem männlichen Apotheker zu sagen: Ich bin siebzehn Jahre alt und schwanger. Bitte einmal die Pille-Danach, damit ich mit meinen Eltern keinen Ärger bekomme?"
Dass aktuell nur ein männlicher Verkäufer in der Apotheke arbeitete, sah ich nun durch das Schaufenster hindurch auch.
„Und wenn ich gehe?! Weißt du, wie peinlich es ist, einem männlichen Apotheker zu sagen: Meine beste Freundin ist siebzehn Jahre alt und schwanger. Bitte einmal die Pille-Danach, damit sie mit ihren Eltern keinen Ärger bekommt?!"
„Du musst es ja nicht so detailliert erzählen!", widersprach Olivia.
„Sag einfach: Einmal die Pille-Danach, bitte."
Empört sah ich sie an. „Sag du's doch!"
Oh mein Gott. Warum müssen Mädchen aus allen Steinen Berge machen?
„Wieso gehen wir nicht einfach zu den Jungs?", fragte ich nun mit dem Einfall, dass Jungs in manchen Dingen unkomplizierter waren, als Mädchen.
„Dann können sie von Mann zu Mann die Pille-Danach kaufen."
„Auf gar keinen Fall!" Olivia war kurz vorm Durchdrehen.
„Ich möchte Carlo in Ruhe erzählen, was passiert ist ..."
Ratlos standen wir vor der Apotheke.
„Und was machen wir jetzt?", fragte ich dumm, nach einigen Momenten des Schweigens.
„Können wir nicht einfach zusammen reingehen? Geteiltes Leid ist halbes Leid, oder?"
Olivias Gesichtsausdruck sprach Bände.
Keine zehn Pferde würden sie in diese Apotheke bringen, so sehr hatte sie sich in diese Sache schon hineingesteigert.
„Dann bestellen wir die Pille-Danach einfach übers Internet!"
Begeistert über sich selber, fing Olivia wieder an zu strahlen.
„Damit du noch länger wartest?! Du weißt schon, dass es irgendwann zu spät für die Pille-Danach ist, oder?"
Entgeistert sah ich meine Freundin an.
Im selben Moment fasste ich einen Entschluss: Ich würde da jetzt reingehen und es durchziehen!
Entschlossen nahm ich die erste Stufe zur Tür.
Olivia setzte an etwas zu sagen, doch ich unterbrach sie: „Ah, ah! Du wartest hier! Rühr dich nicht vom Fleck, ich warne dich!"
Dann betrat ich entschlossen die Apotheke.
Tap, tap, tap.
Meine Schritte hörten sich in meinen Ohren unglaublich laut an.
„Guten Tag", grüßte mich der Apotheker freundlich, der keine dreißig Jahre alt sein konnte.
„Wie kann ich Ihnen helfen?"
„Ähm ..."
Ein kurzes Blackout ereignete sich in meinem Kopf.
Was wollte ich nochmal genau sagen?
Dann fiel es mir wieder ein. „Ich bräuchte einmal die Pille-Danach."
Puh, jetzt war es raus.
Endlich geschafft.
Schlimmer konnte es ja nicht mehr werden!
„Für dich?" Immer noch total freundlich lächelnd sah mich der Apotheker an.
Instinktiv drehte sich mein Kopf, oder ehrlich gesagt mein ganzer Köper, zu Olivia.
Der Apotheker folgte meinem Blick.
Olivia, die immer noch draußen stand und sich mittlerweile wieder beruhigt hatte, hob erledigt die Hand in die Höhe.
Nach dem Motto: Yep, ich bin die siebzehnjährige Schwangere, die keinen Ärger mit ihren Eltern haben will.
Schnell wandte ich mich wieder zu dem Apotheker. „Sie ist ein bisschen nervös und hat mich vorgeschickt."
Der Apotheker deutete auf ein kleines Plastiksäckchen, das auf dem Tresen lag.
„Ich weiß, das Fenster war offen."
Sofort blickte ich über das Schaufenster.
Tatsächlich war über ihm noch Fenster eingelassen, das sperrangelweit offenstand.
Trotzdem misstrauisch, dass er so gute Ohren haben konnte, lugte ich in das Plastiksäckchen.
Tatsächlich, in ihm lag die Pille-Danach.
In Windeseile zahlte ich und flüchtete schließlich ohne einen weiteren Kommentar und mit hochrotem Kopf aus der Apotheke.
Olivia wartete auch schon auf mich.
„Hey, schau nicht so böse! Ich gebe zu, ich war vielleicht ein klitzekleines bisschen illoyal, aber sieh's positiv: Dafür konntest du mit diesem heißen Apotheker flirten!"
Verführerisch zwinkerte Olivia.
„Psst! Das Fenster ist offen!"
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