V E I N T E

Nach vier Tagen hegte ich Zweifel, ob meine Familie und die Polizei mich wirklich finden würden. 

Auch wenn ich um allmögliche Informationen gespielt hatte – um Geld wollte inzwischen nämlich niemand mehr gegen mich antreten – wusste ich immer noch nicht, in welcher Stadt ich mich befand.

Raus durfte und konnte ich nicht. 

Mal abgesehen davon, dass es allerlei Passwörter und Sicherheitssysteme bis zum Ausgang gab, lungerten dutzende Securitymänner vor den einzigen zwei Ausgängen.

Nach drei Wochen bekam ich den berüchtigten Namen Goldkarte

Denn die Gangster mochten ja schießen können, doch beim Spielen waren sie wirklich eine absolute Katastrophe. 

Mit einer Ausnahme: Der Typ mit der Goldkette.

Die Goldkette hing nun an meinem Hals, da ich wirklich viel Glück beim Spiel gehabt hatte.

Nach zwei Monaten hatte ich mich bei fast allen Gangstern eingeschleimt und mir ihren Respekt erarbeitet. 

Durch Spiele, ein paar kleine Gefallen und sogar einer Rauferei, fingen die Gangster an, mich zu mögen.

Mit einer einzigen Ausnahme: Zac. Er schien mich zwar mittlerweile zu respektieren, doch da er immer noch verantwortlich war, dass ich nicht einfach abhaute, blieb er misstrauisch.

Manchmal war es sogar echt witzig mit ihm. 

Man konnte lachen und selten mochte ich ihn sogar für einen kurzen Moment, bis mir wieder einfiel, wegen wem ich eine Art Gefangenen war.

Sobald ihm auch wieder einfiel, dass er nicht zu freundschaftlich mit mir umgehen durfte, verschloss auch er sich wieder und wurde ernst. 

Vor allem in solchen Momenten sehnte ich mich nach Boston.

Nach drei Monaten fing ich an, Briefe an ihn zu schreiben. 

Briefe, die ich logischerweise nie absendete. Briefe, die Boston nie lesen würde.

Als mich Zac dabei erwischte, wie ich einen weiteren von hunderten Liebesbriefen schrieb, wurde er ganz grummelig. 

Er sagte, ich solle mich darauf konzentrieren, die Schulden abzuarbeiten.

Und genau das tat ich die darauffolgenden Tage dann auch.

 Ich verbrachte meine Zeit damit, jemanden zu finden, der mir die Goldkette abkaufen wollte.

Jeder kannte die Geschichte. Jeder wusste, dass diese Goldkette einst Feuer gehört hatte.

Jep, so hieß der Goldketten-Gangster wirklich. Zumindest war das sein Gangstername.

Auf jeden Fall hatten alle Gangster solchen Respekt vor Feuer, dass es niemand wagte, mir das gute Stück abzukaufen.

Entmutigt schlenderte ich Richtung Dachterrasse. 

Der einzige Ort, in diesem riesigem Bürokomplex, wo man frische Luft schnappen konnte.

„Guten Morgen, Goldkarte." Der Türsteher auf der Dachterrasse war heute also Tigerauge.

Respektvoll nickten wir uns zu. Er sollte heute also aufpassen, dass ich keinem Flugzeug hilfesuchend zuwinkte oder mich vom siebenundzwanzigsten Stockwerk stürzte.

Doch zugegebenermaßen gingen inzwischen alle, außer Zac, ziemlich gelassen mit mir um. 

Nach zwölf vollen Wochen, war ich für die meisten schon ein Teil der Bande geworden.

Niemand will also die Goldkette von Feuer kaufen...

Ich lehnte mich an das Geländer, als ich einen Geistesblitz hatte.

Tigerauge." 

Euphorisch und mit meinem schönsten Lächeln wandte ich mich ihm zu. 

„Du, als Hochangesehener, siehst heute bestimmt Feuer."

Erstmal ein paar Komplimente machen.

Tigerauge wiegte den Kopf zur Seite und nickte. „Ich sehe ihn heute bei einem Meeting."

„Kannst du ihm ausrichten, dass mir sein Gold zu schwer wird und ich bereit wäre, sie ihm zurück zu verkaufen?"

Lächelnd blinzelte ich ihn an.

Dusch.

Die Tür zur Dachterrasse schwang auf und Zac spazierte zu uns.

Zu spät bemerkte ich ihn und er sah mein vertrauensvolles Blinzeln, womit ich Tigerauge zu bezirzen versuchte.

Dieser fiel darauf rein und sagte, er müsse jetzt eh los. Dann zwinkerte er mir nochmal verschwörerisch zu.

Zac blickte ihm nachdenklich hinterher.

„Vielleicht müssen wir dir einen älteren Aufpasser besorgen, wenn ich nicht da bin."

Verärgert sah er mich an. Wahrscheinlich dachte er, dass ich Tigerauge um den Finger wickeln wollte, nur um dann abzuhauen.

Naja, wollte ich auch, aber ehrlich gesagt, wäre es mir lieber, wenn Boston oder irgendjemand anderes kommen und mich retten würde.

„Du denkst, nur weil er in unserem Alter ist, ist er nachlässiger?"

 Provozierend sah ich ihn an. „Ui, dass muss ich ihm aber später gleich erzählen ..."

„Das hat nichts mit dem Alter zu tun. Es liegt nun einfach an seinem Charakter, sich von schönen Mädchen den Kopf verdrehen zu lassen. Das hätte mal fast eine Mission ruiniert und seinen Kopf gekostet."

Interessiert setzte ich mich neben Zac auf einen Liegestuhl. Das Kompliment überhörte ich derweil mal.

„Was ist passiert?"

Ich wusste, dass – wie auch immer man das Ganze hier nennen wollte –, die Organisation Geld verdiente, indem sie Informationen verkaufte. Informationen über Personen, Familien und Firmen. Eigentlich konnte man Informationen über alles und jeden kaufen, wenn man genügend zahlte.

Tigerauge, Zac und die ganzen anderen Verbrecher, besorgten die benötigten Informationen dann teils legal, doch vor allem illegal, indem sie große Suchmaschinen und Soziale Netzwerke hackten oder in deren Zentralen einbrachen.

Außerdem hatten sie einen heiligen Gral, der auch unglaublich viele Informationen zu Verfügung stellte, den ich aber bis heute noch nie zu Gesicht bekommen hatte.

Feuer war dabei der Stellvertretende für den Boss.

Der wahre Boss, wegen dem ich noch am Leben war.

Der Boss, dessen Gesicht und wahren Namen nur die höchsten Mitglieder kannten.

Zac schien anscheinend einen guten Tag zu haben, denn er zögerte nicht, mir seine Geschichte zu erzählen: „Wir hatten uns einen Auftrag gekrallt. Ich und vier andere sollten den Boss eines Kunden besuchen, der nicht gezahlt hatte. Wir fanden ihn auch schnell."

Hatte ich schon erwähnt, dass die Organisation soviel Daten und Technik hatte, um jede Person auf der Welt mit einem einzigen Mausklick aufzuspüren?

„Anscheinend war er mal Boss eines Drogenkartells, doch als wir ihm unsere Waffen in seine staubige Visage hielten, war er alles andere als das", fuhr Zac munter fort.

„Er versprach, zu zahlen und noch einiges drauf zu setzen. Wir müssten den Lohn nur einen Tag später abholen." 

Zac starrte in die Ferne, während er in seinen Erinnerungen schwelgte. 

„Damals waren wir noch neu im Geschäft und unerfahren. Wir stimmten zu und liefen geradewegs in einen Hinterhalt." 

Nun blinzelte Zac. 

„Durch viel Glück konnten wir rechtzeitig verschwinden und wurden nicht von den Beamten gefasst. Leichtfüßig gingen wir in den nächsten Club und wollten noch schnell anstoßen, bevor wir zur Zentrale zurückkehrten. Doch Tigerauge, der Spast, vergaß den Plan natürlich sofort, als er in die Augen dieser einen Tussi blickte."

Verbittert starrte Zac in die Ferne. Für mich klang das so, als wären die beiden mal gute Freunde gewesen, bis sich dieser Vorfall ereignet hatte.

„Die Frau gehörte natürlich zu der Polizei. Sie verführte Zac und verabreichte ihm ein Schlafmittel. Unser Anteil der Mission war damit sofort wieder weg, da wir das ganze Geld für Waffen ausgegeben mussten, um diesen Trottel vor seinem Verhör wieder aus dem Gefängnis zu holen."

Zac und Tigerauge waren ungefähr in meinem Alter. 

Tatsächlich waren viele Gangster, die die Aufträge ausführten und eher zu der unteren Kategorie der Rangordnung gehörten, in unserem Alter. 

Doch wie waren sie dazu gekommen? Warum waren sie zu Gangstern geworden?

„Das war genau andersrum!"

Erschrocken fuhr ich herum, als eine wütende Stimme hinter uns explodierte.

Zac blieb wie versteinert sitzen.

An der Tür lehnte Tigerauge, sein Gesicht rot vor Wut.

„Ich habe sie zuerst gesehen, doch du wolltest sie auch aufreißen!"

Tigerauge marschierte rasend vor Wut auf Zac zu. 

Wütend wollte er ihn am Kragen packen, doch Zac schleuderte Tigerauge mit einem geübten Griff von sich weg.

„Ich habe mir wenigstens nichts von ihr in mein Getränk mischen lassen."

Tigerauge war wieder auf den Beinen und ging in die Knie. 

Mittlerweile wusste ich, was das bedeutete: Der Junge ging in Kampfhaltung. 

Er wollte raufen. Anscheinend war das eine ernstere Geschichte zwischen den beiden.

„Du hast provozierend einen Wettbewerb eröffnet." 

 Aufgelöst funkelte er Zac an. 

„Es war ein Wettbewerb. Wer ist besser! Für wen entscheidet sie sich ..."

Goldkarte, du solltest jetzt besser reingehen", knurrte Zac zwischen zusammengebissenen Zähnen.

„Äh, Jungs?" Überfordert sah ich zwischen den beiden hin und her. 

„Wollt ihr nicht nochmal tief Luft holen?"

Eine Antwort erhielt ich nicht, dafür Kampfgeschrei.

Zac raste auf Tigerauge zu. Er schlug ihm ins Gesicht, bekam dafür einen Kinnhacken.

Flink holte er zu einem erneuten Angriff aus, doch Tigerauge wich geschickt aus und schleuderte ihn quer über die ganze Terrasse.

„Du hast mich zwar aus dem Gefängnis geholt, aber nur um deinen eigenen Kopf zu schützen! Wäre nämlich irgendeine Information aus mir herausgesickert, wärst du genauso dran gewesen!"

Schäumend vor Wut, sprang Zac auf, rannte los und und rammte Tigerauge zu Boden.

„Ich habe dich vor allem da herausgeholt, weil du mein bester Freund warst! Wie wär's mit ein bisschen Dankbarkeit?!"

Die Jungs fingen an, gegenseitig aufeinander einzuschlagen.

Ich stand währenddessen hilflos daneben und wusste nicht recht, was ich tun sollte. 

Sich einmischen, war eine ganz schlechte Idee, da hatte ich schon Erfahrung gesammelt.

Dusch.

Die Tür der Terrasse wurde zum wiederholten Male aufgerissen.

„Ihr tut es schon wieder!"

Gleichzeitig wandten wir drei unsere Köpfe zur Tür. 

„Ihr habt schon wieder einen Wettkampf, um eure Männlichkeit eröffnet!"

Aufgelöst stand Crystal im Türrahmen.

Nun war ich diejenige, die auf jemanden losging.

„Du elendes Miststück!"

Kalte Wut schoss durch meinen Körper. 

Wie konnte sie es wagen, einfach hier zu stehen, als wäre nie etwas geschehen?! Als wäre sie nicht die Freundin meines Bruders gewesen, nur um seine Schwester – mich – anschließend zu entführen!

Schneller als ich es mir selbst zu getraut hätte, stand ich vor ihr.

Ihre Augen weiteten sich ein wenig, sie wich jedoch keinen Schritt zurück.

„Wie kannst du es nur wagen ...?!"

Ich stürzte mich auf sie. 

Meine langen Fingernägel krallten sich in ihre Schultern, während meine Arme sie heftig durchrüttelten und ich sie wütend mit meinen Füßen Richtung Wand drängte.

Drei Sekunden lang, funktioniert das so.

Dann wirbelte Crystal plötzlich herum, packte mich und nahm mich mit ein paar geübten Handgriffen in den Schwitzkasten.

Hustend und würgend hängte ich in ihren Armen. Schmerz zuckte durch meine Muskeln.

Das Blatt konnte sich so schnell wenden ...

Doch meine Wut war größer als der Sauerstoffmangel.

Mein Hass enormer als der Schmerz.

Tollwütig wie eine Furie, wand ich mich in ihrem Griff.

Ein Kampfschrei drang aus meiner Kehle und im nächsten Moment lagen meine Hände an ihrer Kehle.

„Du Schlampe!"

Normalerweise warf ich nicht mit solchen bösen Wörtern um mich, doch Crystals schöne unschuldige Augen reichten, um mich daran zu erinnern, was sie getan hatte.

Energisch versuchte Crystal, meine Hände abzufangen.

Das Resultat war ein Chaos aus Armen und Händen, sodass wir keine zwei Sekunden später wälzend auf dem Boden lagen.

Sie rollte sich auf mich, ihre Hände auf meinen Handgelenken.

Meine Beine kickten mit purer Wut zwischen ihre Beine.

Sie jaulte erschrocken und schmerzerfüllt auf.

Im nächsten Moment lag ich auf ihr. Meine Hände schlugen wütend und unkontrolliert auf sie ein.

„Du ...!"

Zwei Hände packten mich an der Taille und zogen mich zurück. 

Strampelnd wehrte ich mich, doch als dann auch Tigerauge kam und mich zusammen mit Zac an den Armen zurückhielt, hatte ich nicht mehr die geringste Chance.

„Hey", knurrte Zac. „Jeder von uns holt jetzt mal tief Luft."

Witzig, wie er meine Worte wiederholte und erwartete, dass sie aus seinem Munde, auf einmal ernst zu nehmen waren.

Autoritär stieß Zac mich ein Stück zurück. 

Nun hielt er mich zwar nicht mehr fest, stand jedoch wie eine Mauer zwischen mir und ihr.

„Luft holen?!" Fassungslos starrte ich Zac an. 

„Sie ...!" Anklagend deutete ich auf Crystal. 

„Sie hat meinen Bruder ausgenutzt, ihm ihre Liebe vorgespielt und das alles nur, um ihre kleinen kriminellen Spielchen weiterzuspielen!"

In drei Monaten hatte ich ziemlich viel Zeit gehabt, über sie und den einen Abend nachzudenken. 

Insgeheim hatte ich auch dauernd gehofft, ihr endlich mal über den Weg zu laufen, ihr einer meiner schon lang vorbereiteten Reden vorzutragen.

Doch das war jetzt alles egal.

Crystal sah mich entschuldigend an, fast als täte es ihr leid, was passiert war.

Dann reckte sie stolz den Kopf. 

„Ich habe gehört, du musst noch einiges an Schulden abbezahlen."

Sie sah mich an.

Ich sah sie an.

Sie wartete auf eine Antwort.

Ich antwortete nicht.

„Lust, fünfhunderttausend Euro zu verdienen?"

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