Q U I N C E
Es war kurz nach Mitternacht.
Inzwischen hatte ich mich an dieses traumhafte Zimmer gewöhnt und war kurz davor, in dieser unglaublich weichen Decke einzuschlafen, als ich ein leises Klopfen wahrnahm.
Konzentriert lauschte ich. In meinem Zimmer war es stockdunkel.
Klick, klack. Klick. Klick.
Das Geräusch war nicht laut, genau deswegen machte es mich so aufmerksam.
Ein Einbrecher?
Unruhig drehte ich mich in dem riesigen Bett um.
Genug zum Stehlen gäbe es hier ja.
Das Klacken verstummte, stattdessen vernahm ich jetzt ein dumpfes Kratzen an der Hauswand.
Langsam breitete sich eine Gänsehaut auf meinen Armen aus.
Sollte ich Levin holen?
Auf Zehenspitzen schlich ich zum Fenster.
Es war stockdunkel, ich sah genau das Vordach, sonst nichts.
Patsch!
Eine Hand klatschte auf mein Fenster.
Erschrocken wich ich zurück.
Ein stummer Schrei blieb in meiner Kehle stecken.
Die Hand bewegte sich nach oben, dann zur Seite und schlussendlich wieder nach unten.
Wie zur Salzsäule erstarrt stand ich vor dem Fenster.
Angst breitete sich in mir aus.
Wie stabil war so ein Fenster? Konnte man das zerschlagen?
Eine große Nase drückte sich gegen die Scheibe und zwei dunkle Augen starrten mich von dort aus an.
Dann kapierte ich es.
Die fremde Hand hatte etwas auf mein Fenster gezeichnet.
Genauer gesagt, hatte sie ein Herz gezeichnet.
Zwar ein ziemlich schiefes Herz, aber trotzdem ein Herz.
Und so fremd war die Hand dann doch nicht, wenn man bedachte, dass sie meinem Freund gehörte.
Mit immer noch klopfendem Herzen öffnete ich das Fenster.
„Was zur Hölle machst du hier?"
Skeptisch musterte ich meinen Freund, der mitten in der Nacht auf meinem Vordach saß.
Ihn reinzubitten, kam mir nicht in den Sinn.
„Ich wollte nur sehen, wie es dir geht." Unschuldig sah er mich an.
„Du hast dich nicht gemeldet ... Also ich weiß, dass Salvador und Cecilia die superfreundlichsten Menschen auf der ganzen weiten Welt sind, aber ich wollte trotzdem wissen, wie du mit ihnen klarkommst."
Überwältigt von seiner Fürsorge beugte ich mich über den Fensterrahmen.
Unsere Gesichter näherten sich und dann trafen sich unsere Lippen.
Zärtlich streichelten seine über meine.
Mir wurde warm und kalt zu gleich und unbewusst streckten sich meine Lippen verlangend noch weiter nach vorne.
Unser Kuss wurde inniger.
Während seine Hände zu meiner Taille wanderten, suchten unsere Zungen einander.
In meinem Bauch bildeten sich Schmetterlinge und meine Hände fanden den Weg zu seinem Hals.
Zärtlich küsste er meine Mundwinkel und wanderte dann immer weiter nach innen, bis sich unsere Zungen wieder trafen.
Dabei schafften wir es irgendwie, in mein Zimmer zurück zu klettern.
Verlangend ging er auf mich zu, mein Rücken berührte die Wand. Seine Finger streichelten behutsam meinen Bauch.
Meine Härchen stellten sich auf und meine Beine schlangen sich automatisch um seine Taille.
Innig küsste ich ihn. Zwischen unseren Körpern hatte kein Blatt mehr Platz.
Alles passierte so instinktiv.
Wir beide wollten mehr.
Dennoch wussten wir, dass das weder der richtige Zeitpunkt, noch der richte Ort war.
„Ich liebe dich", flüsterte er in mein Ohr und knabberte sanft daran.
Sofort bekam ich Gänsehaut. Ein wohliges Gefühl breitete sich in mir aus.
„Ich liebe mich auch", hauchte ich zurück und kicherte.
„Doch vor allem liebe ich dich!"
Ich suchte erneut seine Lippen und während sich diese trafen, trug er mich zu meinem Bett.
„Mein Leben war toll", fuhr ich leise fort.
„Ich kannte es nicht anders, als in der Nacht zu leben und nur zu tanzen. Ich war glücklich damit."
Unsere Hände verhakten sich ineinander und wir sahen uns in dem fahlen Licht leidenschaftlich an.
„Doch ich wusste gar nicht, was mir gefehlt hat ..." Meine Stimme wurde heißer und brach. „
Du ..." Eine heiße Träne kullerte meine Wange hinunter.
„Du, Boston Valencia Garcia. Du hast mir gefehlt!"
Es war keine Träne der Trauer, sondern eine Träne der Dankbarkeit.
Dankbarkeit, dass mir das Leben einen so einzigartigen Menschen wie Boston geschenkt hatte.
„Du, Boston Valencia Garcia bist das Beste, was mir in meinem ganzen Leben je passiert ist!"
Weitere Tränen flossen mir über das Gesicht.
„Mit dir fühle ich mich ganz."
Krächzend wischte ich mir über das Gesicht. Bostons blaue Augen leuchten wie Scheinwerfer in der Dunkelheit.
„Mit dir fühle ich mich lebendig."
So lebendig wie noch nie in meinem Leben.
Jedes einzelne Wort entsprach der Wahrheit.
„Ich liebe dich", wisperte ich durch die Dunkelheit und rutschte näher an Boston ran.
Seine Brust war warm und seine Arme so stark.
„Und ich dich erst", flüsterte Boston mit rauer Stimme.
„Als ich dich das erste Mal im Club gesehen habe, mit deinem entschlossenen Lächeln und deiner unerschrockenen Art, wusste ich es schon ..."
Vorsichtig legte Boston seine Arme um mich.
„Du ..." Liebevoll sah er mich an.
„Du bist die eine Person, mit der ich mein ganzes Leben verbringen will."
Sanft küsste er mich auf der Stirn.
„Wenn ich mit dir zusammen bin, fühle ich mich unbesiegbar. Ich weiß nicht, wie du das schaffst, aber mit dir zusammen zu sein, macht mich zu dem glücklichsten Menschen der Welt. Alles, was ich mit dir noch brauche, ist Wasser und Brot."
Gerührt lauschte ich seinem klopfenden Herzen. Es schlug schnell und aufgeregt, was eine beruhigende Wirkung auf mich hatte.
„Hast du auch immer Schmetterlinge im Bauch, wenn du mich siehst?" Neckend lächelte ich ihn an.
Er erwiderte mein Lächeln. „Nein."
In der Dunkelheit meinte ich, auch seine Augen lächeln zu sehen. „Ich habe Flugzeuge im Bauch."
-
Wann genau Boston gegangen war, wusste ich nicht. Er lag auf jeden Fall nicht mehr neben mir, als mein Handywecker klingelte.
Dum, dads, dibaba, da.
Gut gelaunt stand ich auf und dafür war sicherlich nicht nur mein aktuelles Lieblingslied verantwortlich, das gerade laut durch mein neues, großes Zimmer schallte.
„Hey, Schwesterchen!"
Levin drückte mir am Frühstückstisch einen Kuss auf die Stirn und setzte sich grinsend mir gegenüber hin.
„Was?"
Auch wenn ich übertrieben gut gelaunt war, störte es mich, dass er anscheinend etwas wusste, was ich nicht wusste.
„Nun ja."
Genüsslich dehnte Levin meine Unwissenheit aus, indem er seelenruhig sein Toast mit Marmelade bestrich.
„Eigentlich hätte ich dich auf den Weg zu meiner Schule an deiner rausgelassen, aber ..."
„Guten Morgen, Kinder."
Unsere Mutter eilte durch die Küche, während sie sich flüchtig ihre Jacke überzog.
„Ich muss leider schon los, aber ich wünsche euch einen wunderschönen Schultag."
Schnell umarmte sie erst Levin, dann mich.
„Wann kommst du heute zurück?", fragte sie während unserer Umarmung.
„Eher am Abend. Ich habe mich schon seit längerem mit Freunden fürs Kino verabredet."
Dass ich eigentlich zu Boston ging, um seine Eltern kennenzulernen, musste sie ja noch nicht wissen.
Boston würde ich ihr zuerst irgendwann anders mal vorstellen.
Cecilia schien kein Problem mit meiner improvisierten Planung zu haben.
Gut gelaunt schnappte sie sich ihre Autoschlüssel und ihre Tasche. Dann verließ sie die Villa.
Tschuk.
Die Haustüre laut fiel zu.
Sofort drehte ich mich gespannt zu meinem Bruder um. „Jetzt sag schon ...!"
Levin grinste frech.
„Einer meiner besten Freunde steht draußen vor der Tür und aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass er nicht mich abholt."
Tick, tack, tick...
Das Ticken der Wanduhr schallte unangenehm laut durch die gespannte Stille.
„Boston?!" Ohne eine Antwort abzuwarten, stürzte ich aus dem Haus.
Tatsächlich. In der Einfahrt stand Bostons schicker Wagen.
Und an der Beifahrertür lehnte ein gutaussehender Junge.
Der beste Mensch der Welt.
Mein Freund.
Boston.
Überschwänglich rannte ich auf ihn zu.
Kurz vor ihm breitete er seine Arme aus, nahm mich in ihnen auf und hob mich in die Luft.
Lachend sahen wir uns in die Augen und bevor er mich wieder runterließ, küssten wir uns.
Sanft trafen sich unsere Lippen. Gleichzeitig hüpfte mein Herz aufgeregt auf und ab.
„Hey, ihr Turteltauben!"
Nicht nur ich war erschrocken, als Levin plötzlich einige Meter von uns entfernt in seinen Wagen stieg, auch Boston zuckte zusammen.
„Ich will ja nicht stressen, aber ihr kommt noch zu spät, wenn ihr weiter so trödelt."
Neckend hob Levin noch einmal die Augenbraue und startete dann den Motor.
Eingeschnappt sah ich ihm dabei zu, wie er den Motor aufheulen ließ und das Radio lauter stellte.
Der Beat wummerte und die Melodie war sogar durch die geschlossenen Autofenster mehr als gut hörbar.
„Ist diese übergeschnappte Steckdose wirklich mein Bruder?"
„Du kannst den DNA-Test gerne nochmal machen, wenn du dich dann wohler fühlst."
Gleichzeitig sahen Boston und ich uns an.
„Das können wir besser", grinste Boston.
„Du übernimmst das Steuer!", rief ich, während ich schon halb bei der Beifahrertür eingestiegen war.
Boston folgte meinem Beispiel und dann begann unser kleines Straßenrennen.
Levin hatte zwar Vorsprung, doch Boston mehr PS.
„Schneller, wir haben ihn gleich!"
Boston drehte das Lenkrad nach links und wir wurden beide heftig in den Rücksitz gedrückt.
„Der entwischt uns nicht!"
Konzentriert schaltete Boston einen Gang höher.
„Gleich haben wir die Landstraße erreicht, dort haben wir ihn dann und ..."
„STOOOOP!" Meine Stimme hallte durch den Wagen. Alarmiert drückte Boston die Bremse durch.
Tssschhhhh.
Der Wagen kam mit quietschenden Reifen zum Stehen.
Ich hingegen fokussierte meine Entdeckung intensiv durch den Rückspiegel.
„Was ist los?"
Das kann doch nicht wahr sein ...
Begeistert drehte ich mich zu Boston um. „Kannst du zurückfahren?"
„Hä?" Verwirrt runzelte er die Stirn.
„Wie zurückfahren?"
„Rückwärtsgang betätigen, Gas geben und in fünfhundert Metern wieder bremsen."
Bittend setzte ich meinen liebsten Hundeblick auf.
Immer noch ziemlich verwirrt starrte mich Boston an, tat aber, worum ich gebeten hatte.
Endlich am Ziel angekommen, stieg ich hochmotiviert aus.
Boston blieb sitzen, öffnete jedoch das Fenster, um mir zusehen zu können, wie ich fasziniert vor einem Müllhaufen stehen blieb.
Hup!!!
Erschrocken zuckte ich zusammen, als Boston mit voller Wucht auf die Hupe drückte.
Lachend sah er mich an. „Hast du's bald?"
„Jetzt schau doch mal!"
Verliebt ging ich zu dem eigentlichen Ding, das meine volle Aufmerksamkeit erweckt hatte.
„Sieh dir doch mal diesen Stuhl an!"
Mein Freund stieg nun doch aus, um sich das goldene Teil auf dem Sperrmüllhaufen genauer anzusehen.
„Du willst den doch jetzt nicht ernsthaft mitnehmen?!"
Statt zu antworten, packte ich das mächtige Teil und trug es zu Bostons Kofferraum.
Boston sah mir dabei belustigt zu.
„Du bist zwar nicht das Kind der reichsten Familie des Landes, aber du kannst dir sicher sein, dass sich die Martinis auch einen goldenen Stuhl leisten können, wenn das dein großer Wunsch ist."
„Wieso einen neuen kaufen, wenn dieser hier sonst weggeschmissen wird?"
Bekräftigend schlug ich die Kofferraumtür laut zu und stieg dann kommentarlos wieder ein.
„Paris Martini klaut Sperrmüll", seufzte Boston gespielt geschockt, während er den Motor startete.
„Das ist doch nicht klauen! Das nennt man Wiederverwenden. Umweltschutz und so", verteidigte ich mich, wobei ich mein Gesicht im aufklappbaren Spiegel betrachtete.
„Du kannst es auch Recycling nennen, wenn dir das lieber ist."
„Und egal wie du es umformulierst, es ist trotzdem illegal."
Lächelnd sah er mich an. „Aber die Polizei kennt dich ja mittlerweile eh schon."
„Whooo!" Empört lachte ich.
„Das war gemein", kicherte ich dann.
„Das war Rache", konterte Boston.
„Wofür?" Verwirrt runzelte ich die Stirn.
„Dafür, dass du unser Rennen mit Levin versaut hast."
„Ach das ... wir hätten eh gewonnen!"
„Das weiß Levin aber nicht."
Augenrollend sah ich Boston beim Fahren zu.
Das Radio spielte Musik und die Umgebung zog an uns vorbei.
Ich betrachtete die Farben durch das Autofenster und dachte über mein ganzes Leben nach.
Er ist echt das Beste, was mir jemals passiert ist.
„Ich liebe dich."
„Und ich dich noch viel mehr."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top