O N C E

„Und das soll funktionieren?"

Kritisch musterte ich den kleinen Privatflughafen vor uns. 

Das Ganze mochte ja Bostons Familie gehören, doch das würde nichts daran ändern, dass uns trotzdem irgendjemand nach Papieren fragen konnte.

„Jetzt hab ein bisschen Vertrauen, natürlich wird das funktionieren!" 

Zuversichtlich sah mich Boston an. „Die kennen mich und werden nicht groß nachfragen."

Als ich immer noch nicht überzeugt aussah, schob er hinterher: „Ehrlich! Ich bin der beste Freund von denen!"

Selbstsicher grinste er.

„Solange wir kein Flugzeug stehlen", murrte ich und gab nach.

Sofort neigte sich Bostons Kopf zu mir nach unten. „Genau das war eigentlich der Plan."

Carlo setzte an, etwas zu sagen, doch wurde von Olivia unterbrochen: „Das soll wohl ein Witz sein?!"

Leider war das keiner.

Denn anscheinend brauchte Boston die Erlaubnis seiner Eltern, um einen der Privatjets starten zu dürfen, was in diesem Fall ganz offensichtlich nicht möglich war.

„Boston."

Mein Herz beschleunigte sich, als ein Typ mittleren Alters mit grimmiger Miene auf uns zukam.

Unruhig bemühte ich mich, ganz ruhig zu atmen.

Scheiße. Was ist, wenn die uns erwischen?

„Benito!", rief Boston und breitete fröhlich die Arme aus.

Der Mann ignorierte seine offene Geste jedoch gekonnt und musterte mich und die anderen stattdessen.

Er weiß es.

Panisch zuckte mein Blick von links nach rechts und suchte nach möglichen Fluchtwegen.

Dieser Benito beobachtete mich dabei aufmerksam.

„Wie auch immer", grummelte Boston, der seine ausgebreiteten Arme inzwischen wieder zurückgezogen hatte. 

„Meine Freunde und ich machen ein Referat über Flugzeuge und wollen uns deswegen die Prachtstücke meiner Eltern mal genauer ansehen."

Schwungvoll drückte er dem Typen einen großen Schein in die Hand.

„Wir sind in einer halben Stunde wieder weg."

Selbstbewusst nahm er meine Hand und stolzierte mit mir an dem grimmigen Benito vorbei.

„Dann müssen wir jetzt nur noch ein Flugzeug stehlen", murmelte Carlo, der uns mit Olivia gefolgt war und zwinkerte Boston verschwörerisch zu.

Unwohl ließen Olivia und ich uns den Plan erklären, den die Jungs zuvor anscheinend schon zusammen ausgeheckt hatten.

Wir wollten es eigentlich nicht tun. Der Widerwille war wirklich groß. Doch was war die Option?

Wir stehlen ja nicht, versuchte ich mich selbst zu beruhigen.

Wir tun nur das, was wir auch tun würden, wenn Bostons Eltern JA sagen würden.

Gangstermäßig schlich ich um den Privatjet herum.

Aber Boston am Steuer? Mag sein, dass er einen „Flugschein" hat, aber trotzdem schießen uns die Behörden doch sofort vom Himmel, wenn wir unerlaubt durch die Gegend fliegen!

Leise öffnete ich die Tür des Flugzeuges, die erstaunlicherweise offen war.

Immerhin etwas.

Gerade war ich dabei, die Treppen hochzuschleichen, als mich jemand an der Schulter antippte.

Einen Schrei konnte ich gerade noch unterdrücken.

Wenn das jetzt Carlo ist, dann bringe ich ihn eigenhändig um!

Langsam drehte ich mich um.

Es gab eine gute Nachricht und eine schlechte Nachricht: 

Die gute Nachricht war, dass es nicht Carlo war und ich ihm folglich nicht den Kopf abreißen musste.

Die schlechte Nachricht wiederum war, dass es nicht Carlo war, sondern ein mittelalter Herr in Uniform.

„Was machst du da?"

 Empört und mit verschränkten Armen funkelte mich der Typ an.

Oh Gott, der sieht richtig angsteinflößend aus ...!

„Naja, ich bin gerade dabei den Tank zu überprüfen, um ein privates Flugzeug zu stehlen."

Meine Klappe war mal wieder schneller als mein Kopf gewesen.

Aber ganz ehrlich, was konnte ich auch dafür, dass meine mamá mir das Lügen verboten hatte?

Jahrelang hatte sie mir täglich eingeprägt, dass Lügen nicht gut war und nichts brachte.

„Gut, dann nimmst du das Flugzeug und ich den Tresor", sagte der Typ vor mir und quetschte sich an mir vorbei, ins Flugzeug.

Sprachlos starrte ich ihm hinterher. „Ehrlich?! Sind Sie auch ein Räuber?"

Anscheinend waren wir nicht die Einzigen, die den Besitzer dieses Flugzeuges ausraubten. 

Konnte ich mich jetzt besser fühlen?

„Natürlich nicht!" Grimmig sah mich der Typ an. 

„Das ist mein Flugzeug!"

Dass mein Herz bei dieser Aussage nicht für immer und ewig stehen blieb, war ein Wunder.

Erster Einbruch und schon aufgeflogen. Nach nicht mal vier Minuten.

„Ich rette dich!"

Johlend kam Boston um den Privatjet gesprintet.

Er beschleunigte und rannte an mir vorbei – direkt in das Flugzeug hinein.

Was ich dabei machte? Ich sah ihm nur verwirrt dabei zu.

Die mächtige Pranke des Uniformierten legte sich auf meine Schultern. 

Der alte Mann lachte. „Du gehörst bestimmt zu Boston."

Dann schob er mich in den Flieger rein.

„Ich bin der Pilot", erklärte er und war auch schon im Cockpit verschwunden.

Dafür tauchte das spitzbübische Gesicht von Boston auf. „Reingefallen! War nur ein Streich."

Dag.

Laut klappte meine Kinnlade nach unten.

Ich schwöre, ich hätte ihn so schlagen können.

„Witzbold!"


-


„Ihr seid solche Idioten!"

Olivia und ich waren voll und ganz einer Meinung. 

Zu behaupten, wir würden ein Flugzeug stehlen, obwohl es sich Boston ohne weiteres und ohne Erlaubnis seiner Familie ausleihen konnte, war echt mies.

Und wir brauchten auch keine Worte, um uns innerlich einig zu werden, dass es für diese Aktion Rache geben würde!

„Zurück zum Plan."

Boston holte Papier und Stifte, während Carlo auf seinem Tablet tippte.

„Die Verhandlung von Paris' Eltern wird in fünf Tagen stattfinden. Folglich sollten wir höchstens vier Tage in Paris verbringen."

„Solange werden wir gar nicht brauchen."

Olivia schnappte sich einen Stift und malte etwas vom Tablet ab.

„Das sind die Lagerhallen, zu denen Pablo höchstwahrscheinlich möchte."

Sie deutete auf ein paar nebeneinander liegende Rechtecke.

„Boston, wird er eher am Tag oder am Abend dort einbrechen?"

„Am Tag. Er hat alle Zugangscodes und Informationen, die er braucht, um sich als Angestellter meiner Eltern auszugeben."

„Also wird er am helllichten Tag einbrechen oder kurz bevor alles zumacht", schlussfolgerte Carlo.

Verwundert hob ich eine Augenbraue.

„Was?", fragte Carlo.

„Du hast etwas Sinnvolles von dir gegeben, herzlichen Glückwunsch!"

„Leute! Konzentriert euch!" Demonstrativ stellte sich Olivia zwischen uns.

„Heute wird er noch nicht einbrechen. Erstens hat er uns gesehen und wird erstmal mal rausfinden wollen, warum wir da waren. Zweitens muss er erstmal alles ausspähen und die Lage checken."

„Ist doch cool, dann haben wir einen Tag Zeit, uns in Ruhe die Stadt anzuschauen!" 

Fröhlich rieb sich Carlo die Hände.

„Ich war noch nie in Paris und muss die Gelegenheit unbedingt nutzen, mir mit meiner Freundin die Stadt der Liebe zu besichtigen!"

Verliebt reichten die beiden sich die Hände.

„Und warum reicht es nicht, wenn wir Pablo beim Ausspähen erwischen?", fragte ich in die Runde. 

„Wir könnten ihn filmen, wie er unerlaubt, hoffentlich mit dem Aktenkoffer, das Gelände betritt und dann zur Polizei gehen."

„Er wird doch nicht so blöd sein und die ganze Mappe mitschleppen!" 

Carlo schnappte sich eine Zeitschrift und riss daraus ein Werbepapier raus.

„Man nimmt nur die Zettel mit, die man braucht oder macht ein Foto und nimmt nur das Handy mit."

„Darüber sprechen wir heute Abend im Hotel. Bis dahin können wir uns trennen."

Boston hatte sich von hinten genähert, sodass ich schon wieder direkt an seiner warmen muskulösen Brust stand. 

Liebevoll umschlang er meine Taille.

„Ich bin ein ziemlich heftiger Freund, wenn ich dir gleich in der ersten Woche so einen heftigen Streich spiele, oder?"

„Nein." Beruhigend legte ich meine Hand auf seine und fühlte schon wieder diese Schmetterlinge im Bauch. 

„Alles gut. Wenigstens habe ich jetzt mal etwas, was ich erzählen kann."

Sanft drehte Boston mich zu sich um.

„Trotzdem möchte ich es wieder gut machen."

Tief sah er mir in die Augen. „Lust auf eine Überraschung?"

„Jetzt ist es aber keine Überraschung mehr!", tadelte ich ihn schmollend.

„Es wird dich trotzdem überraschen", versicherten er mir und strahlte mich mit den schönsten blauen Augen der Welt an.

„Aber hoffentlich nicht negativ", rief Carlo von der anderen Seite des Flugzeuges und streckte zwinkernd seinem Freund die Zunge raus.


-


„Ein Stahlturm? Das soll die Überraschung sein?"

Lächelnd sah ich Boston von der Seite her an. Unsere Finger waren immer noch ineinander umschlungen.

„Pfff. Das ist mehr als ein Stahlturm! Fünfzig Ingenieure haben im neunzehnten Jahrhundert um die 5 300 Zeichnungen angefertigt, um aus mehr als 18 000 Stahlteilen das heutige Wahrzeichen von Paris zu errichten! Das heutige Wahrzeichen der Liebe! Ganz nebenbei auch Eiffelturm genannt."

Zusammen streckten wir unsere Köpfe in die Höhe, um an den 312 Metern Stahl hinaufzublicken.

„Und was machen Carlo und Olivia gerade?"

„Die ... sind im Disneyland."

Gleichzeitig sahen wir uns an und begannen zu lachen.

Dann nahm er mich von hinten in den Arm und ich spürte wieder dieses unglaubliche Gefühl von Geborgenheit. 

Er ist wirklich das Beste, was mir jemals in meinem Leben passiert ist.

Ein paar Straßenmusiker begannen ein Lied anzustimmen. 

Ohne irgendetwas zu sagen, drehte mich Boston, sodass wir uns tief in die Augen blickten. 

Im Hintergrund spielten die Musiker den Refrain an. 

Boston machte den passenden Grundschritt und ich ging sofort darauf ein. Keine Sekunde später, wirbelten wir unter dem Eiffelturm, dem Wahrzeichen der Liebe, herum und tanzten.

„Es ist wunderschön hier", hauchte ich, als er mich um sich herumdrehte.

Nun begann nicht nur sein Mund zu lächeln, sondern auch seine Augen.

Ein unvergesslicher Moment.

Stocksteif blieb ich stehen.

„Was ist los?" Verwirrt blieb Boston ebenfalls stehen.

Die Musik spielte weiter und die anderen Paare um uns herum, tanzten auch weiter.

„Ich könnte schwören, dass ich Pablo dort gerade gesehen habe."

Meine ganze Umgebung verschwamm. 

Alles was ich sah, war die Menschenmenge vor dem Eiffelturm, in der ich Pablos Kopf kurz aufblitzen gesehen hatte.

Instinktiv rannte ich los, kam aber nicht weit, da mich Boston schnell am Arm zurückhielt.

Unkontrolliert schwang ich wieder auf seine Brust zu.

„Nicht so schnell! Selbst wenn Pablo dort gewesen wäre, wüsste ich nicht was wir tun, wenn ..." 

Er verstummte, als er merkte, dass ich ihm nicht zuhörte. 

Stattdessen folgte er meinem Blick, direkt zu einem kleinen Kiosk am Straßenrand. 

Genauer gesagt, zu der Zeitung, auf dessen Titelblatt die Gesichter meiner Eltern prangten.

Was zur Hölle ...

Wie in Zeitlupe ging ich darauf zu. Mein Freund hielt mich dieses Mal nicht auf, sondern folgte mir

„Paar sorgt für internationale Aufmerksamkeit ...", las ich mit zittriger Stimme vor.

Meine Augen huschten gleichzeitig von dem Titel zum Bild darunter. 

Meine Eltern saßen in Handschellen an einem kleinen Tisch, der Raum um sie herum sah karg und staubig aus.

„Gerichtsverhandlung ... 19 Uhr, 7. April ..." Ich konnte zwar nicht wirklich Französisch sprechen, aber die Zahlen brachte ich gerade noch zusammen.

„Was, wie, warum? Die Gerichtsverhandlung sollte doch später stattfinden. Am ..."

Wir hatten keine Zeit zum Reden. 

Boston packte meine Hand und zusammen stürmten wir zurück in unser Hotel. Dort benachrichtigten wir Olivia und Carlo.

Und hätte Boston Französisch gekonnt, hätten wir den Artikel mitgenommen und Olivia gezeigt, die Französisch konnte, dann wäre alles ganz anders verlaufen. 

Dann wäre mein Leben nicht so aus dem Ruder gelaufen.

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