D O S

Dum, dab dab, dum ...

Schwungvoll schlug meine Hand auf das nervige kleine Teil, das neben meinem Bett auf dem Nachttisch stand.

Kquic.

Ein unangenehmes Geräusch drang aus der Ecke, wo sich normalerweise mein Wecker befand.

Tschid.

Plötzliche Helligkeit ließ meine Laune noch weiter nach unten sinken.

Wann war meine mamá auch bitte in mein Zimmer gekommen und hatte die Vorhänge zurückgezogen?

Mamá, lass mich schlafen!", murrte ich müde und zog mir trotzig die Decke über den Kopf.

„Nichts da!"

 Ruckartig wurde mir die Decke vom Kopf weggerissen.

Mamá!", jammerte ich klagend und sah sehnsuchtsvoll auf die Decke in ihren Händen.

„Ich habe uns etwas zu Essen bestellt."

Emotionslos faltete meine mamá die Decke, die ich eigentlich lieber auf meinem Bett als in ihren Händen gesehen hätte.

„Die Pizza kann jeden Moment da sein, aber ich bin noch im Pyjama ..."

Schlaftrunken und nicht gerade überzeugt, setzte ich mich auf. Fragend blinzelte ich sie an.

„Und was ist mit mir? Ich bin genauso noch im Pyjama ..."

Nachdenklich sah mich meine mamá an. Dann seufzte sie schwerfällig. 

„Dein padre war gestern da ..."

Als sie nicht weitersprach, murmelte ich: „Das ist mir nicht entgangen ... Er war nicht gerade gut drauf."

„Nein. Willst du auch wissen, warum?"

Natürlich will ich das!

Gespannt sah meine mamá an, hielt jedoch die Klappe, um sie nicht zu unterbrechen.

„Es sind bestimmte Leute in die Stadt zurückgekehrt, die mich nicht sehen dürfen. Zumindest solange, bis wir wissen, was sie hier wollen ..."

Aha.

Ich wartete, dass noch mehr kam. Doch es kam nichts.

„Und was sind das für Leute? Wieso sollten sie dich nicht sehen dürfen?"

Interessiert beobachtete ich meine mamá, die jedoch nur an mir vorbei ins Leere starrte.

„Darüber kann ich momentan nicht mit dir sprechen."

Aha.

Ring. Ring.

Die Klingel von der Haupttür des Clubs schallte laut durch die ganze Wohnung.

Niemand von uns beiden bewegte sich. Stattdessen sah ich meine mamá fragend und sie mich flehend an.

„Du wirst die nächsten Wochen auch das Geschäft leiten müssen, ich werde nur in unserem privaten Wohnbereich bleiben."

Ein euphorisches Quieken entschlüpfte mir aus meiner Kehle. 

Das Geschäft mal alleine leiten; mich beweisen; meiner Familie zeigen, dass ich das konnte; das wollte ich schon so lange!

„Mit allem drum und dran?", hakte ich misstrauisch nach, nur um auf Nummer sicher zu gehen.

„Mit allem drum und dran", bestätigte meine mamá nickend.

Drei Sekunden.

Keine Sekunde länger benötigte ich, um aus dem Bett zu hüpfen und loszusprinten.

Yap, meine Motivation um drei Uhr nachmittags war definitiv da!

„Pablo!", begrüßte ich unseren ganz persönlichen Pizzaboten fröhlich. 

Er lieferte uns Pizza, seit ich denken konnte, und inzwischen zählte ich ihn schon fast zu meiner Verwandtschaft, so fest hatte ich ihn ins Herz geschlossen.

Hola, chica!" 

Wie immer gut gelaunt, stand Pablo vor mir.

 „Ich habe gehört, zwei hungrige Mägen rufen nach Pizza?" 

Grinsend hob er eine Augenbraue. Dann überreichte er mir bedeutungsvoll zwei Pizzakartons.

Der Duft, der daraufhin in meine Nase stieg, ließ mein Herz höherschlagen und meinen Magen aufgeregt knurren.

„Das hast du richtig gehört." Breit grinsend überreichte ich ihm ein paar Scheine.

„Wie läuft das Geschäft?", erkundigte ich mich dann, während er in seinen Hosentaschen nach Restgeld suchte.

Pablos Lächeln wurde, wenn das überhaupt möglich war, noch breiter. „Super! Es boomt und könnte nicht besser laufen!"

Endlich hatte er die passenden Münzen gefunden und reichte sie mir. Gleichzeitig fing sein Diensttelefon an zu klingeln.

Ring. Ring.

Mit einem entschuldigenden Blick ging er dran und winkte mir noch einmal freundlich zum Abschied zu.

Zufrieden und mit Pizza beladen machte ich mich zurück auf den Weg zur Wohnung, als die Klingel an der Haustüre erneut läutete.

Neugierig machte ich kehrt und fragte mich, ob ich Pablo zu wenig Geld gegeben hatte.

„Carlo?" 

Baff starrte ich den breit grinsenden Typen vor mir an. 

Das war doch der Freund von dem nullachtfünfzehn Typen mit den eisblauen Augen von gestern!

„Der unheimliche Typ hat Recht gehabt, du wohnst ja wirklich hier!" Erstaunt musterte Carlo mein Zuhause hinter mir, während ich ihn nur mit weit aufgerissenen Augen schockiert anstarren konnte.

„Was zur Hölle tust du hier?!", brachte ich schließlich völlig überfordert raus.

„Hmmm." 

Ohne mich wirklich zu beachten, sah sich Carlo weiterhin erstaunt um und fixierte alles, was man von der Tür aus sehen konnte.

„Wo schläfst du denn dann? Unter der Bar?!"

Interessiert beugte sich Carlo vor uns schielte an mir vorbei zu dem Ort, wo Jackson gestern noch gestanden und Getränke ausgeteilt hatte.

Langsam fasste ich mich wieder. 

„Carlo, was tust du hier?"

Eindringlich sah ich ihn an. Besuch so früh am Morgen, war selten und ungewohnt für mich.

„Vielleicht bist du ja auch ein Vampir", überlegte Carlo munter weiter.

„Was?!"

Wie bitte, sagt man da", korrigierte er mich patzig.

„Carlo ..." 

Langsam wurde mir die Situation echt zu bunt. Warnend sah ich ihn an. 

„Was. Tust. Du. Hier?"

Ein bisschen perplex über die Ernsthaftigkeit in meiner Stimme runzelte Carlo die Stirn. 

Dann schien ihm jedoch wieder einzufallen, weswegen er eigentlich hier war, denn sein Gesicht erhellte sich.

„Naja, da du nicht auf unsere Schule gehst, dachte ich mir, dass ich mal vorbeikomme und dir den Weg zu Boston zeige."

Abwartend sah er mich an.

Was redet er da?

Verständnislos sah ich ihn an. „Wieso sollte ich zu Boston wollen?"

„Hä?" 

Wie ein Außerirdischer starrte mich Carlo an. 

„Jede will zu Boston, wenn er es auch nur irgendwie zulässt ...!" 

Seine Stimme wurde mit jedem Wort leiser, als er meinen immer finster werdenden Blick bemerkte.

„Ich bin halt nicht wie jede."

Der Gedanke, dass irgendwelche Mädchen einem Jungen nachrannten, sich vielleicht sogar um ihn prügelten, fand ich komisch und irgendwie auch krank.

„Na dann, man sieht sich." 

Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte ich mich um und schloss die große Flügeltür hinter mir.

Ring. Ring.

Lächelnd starrte ich die geschlossene Tür an.

Nein, mein lieber Carlo, ich öffne dir jetzt ganz sicher nicht nochmal die Tür!

Ring. Ring.

Das Klingeln ließ nicht nach, stattdessen wurde es nur noch intensiver.

Komm doch heute Abend wieder!

Ring. Ring.

Das Klingeln schallte weiterhin unbeirrt durch den leeren Club.

Ring. Ring.

Ring. Ring.

Genervt verdrehte ich die Augen und marschierte zurück zur Tür. Diese Klingelei und das dazugekommene Klopfen waren echt nervig.

„Carlo!" Schwungvoll riss ich die Tür auf. „Kann das nicht bis..."

... morgen warten?

Schlagartig verstummte ich, als ich mein Gegenüber sah.

Es handelte sich nicht um Carlo.

Und auch nicht um Pablo.

Stattdessen starrten mich acht Polizisten in Uniform und Schusswesten grimmig an.

„Staatspolizei."

Einer der acht hielt mir irgendeinen vollgedruckten Zettel vor das Gesicht.

„Wir haben einen Durchsuchungsbefehl wegen Verdachts auf Drogenhandel. Sind sie Adriana Valencia?"

Überfordert starrte ich auf den Zettel vor meiner Nase und versuchte verzweifelt, die Buchstaben zu Wörtern und die Wörter zu zusammenhängenden Sätzen zusammenzufassen.

Mein Gehirn ratterte und die Aussage des Polizisten hallte in meinem Kopf wider.

Endlich – mehrere Sekunden waren verstrichen – kapierte ich die Bedeutung der Aussage.

„Nein ..." 

Träge sah ich von dem Blatt Papier zu den Polizisten. 

„Aber sie ist hier ... Warten Sie hier, ich hole sie."

Wie in Trance machte ich auf dem Absatz kehrt und bewegte mich durch den Club. 

Ich öffnete die Tür zu unserer Wohnung und erstarrte.

Die Polizisten waren nicht stehengeblieben. Sie waren mir gefolgt.

Aufgewühlt wirbelte ich herum. 

„Ich sagte, Sie sollen warten!"

Der Anführer der Gruppe musterte mich. 

„Wir warten hier. Kommt nicht auf den Gedanken, irgendetwas Dummes zu tun. Wir stehen direkt hier."

Kopfschüttelnd über diese Witzfiguren betrat ich die Wohnung und suchte nach meiner mamá.

Wir hatten nichts Verbotenes getan! Wir zahlten unsere Rechnungen, unsere Steuern und sorgten dafür, dass die Fake-Ausweise von Minderjährigen entsorgt wurden!

„¿Mamá?"

Das muss doch alles ein riesiges Missverständnis sein!

Mamá! Bist du da?"

Tap, tap, tap.

Meine Mutter kam aus ihrem Schlafzimmer geschlurft. Ihre Augen waren noch ganz verschlafen und ihre Haare zerzaust.

„Was ist los, Liebes?", fragte sie und streckte sich wohlig.

Unruhig sah ich meine mamá an. 

„Vor der Tür steht die Polizei. Sie labern irgendwas von Drogen und wollen dich sehen ..."

Bei dem Wort „Polizei" wurde meine mamá auf einmal hellwach. Sie richtete sich auf und eilte mit schnellen Schritten zur Tür.

„Der Club ist momentan geschlossen, zum Feiern müssen sie in ein paar Stunden wiederkommen."

Mit gerecktem Kinn stellte sie sich den Polizisten entgegen.

„Leider sind wir nicht zum Feiern hier", meinte der Dünnste von ihnen, der aussah, als würde man ihm mit einem Boxhieb ohnmächtig schlagen können. 

Nicht, dass ich vorhatte, dass zu tun!

„Es besteht der Verdacht, dass Sie Teil eines Drogenunternehmens sind. Wir haben einen Durchsuchungsbefehl", fügte ein anderer hinzu.

„Gibt es irgendetwas, was sie dazu sagen möchten?" 

Ernst fixierte der Anführer meine mamá.

Empört schnaubte sie. 

„Was ich dazu zu sagen möchte?! Viel, aber vor allem, dass das kompletter Schwachsinn ist!"

Krrr. Knack.

Das Funkgerät des Polizisten begann zu Rauschen.

Dann ertönte daraus eine verzerrte Stimme: „Comisario. Verdacht bestätigt. Unter der Tanzfläche."

Alle Blicke, inklusive meiner, wanderten zu meiner mamá.

„Das kann nicht sein", hauchte sie. Ihre Gesichtszüge entglitten ihr und ihre Augen waren weit aufgerissen.

Eilig marschierte sie die Treppe zur Tanzfläche runter. 

Dort standen vier Männer in weißen Anzügen, die gerade dabei waren, das Parkett auseinanderzunehmen. 

Neben ihnen befand sich ein Hund, der knurrend vor dem Parkett saß und ungeduldig mit dem Schwanz wedelte.

„Das ist unmöglich!", wiederholte meine mamá. „Das -"

Eine weitere Bodenplatte wurde von der Tanzfläche entfernt und alle Anwesenden erstarrten.

Unter der Tanzfläche befand sich ein riesiger Hohlraum. 

Ein breites Becken, das gefüllt mit hunderten lichtgeschützten Kilopackungen und Panzertape-geklebten Drogenpaketen war.

Wuff, wuff.

Der Hund bellte zufrieden und drehte sich glücklich um die eigene Achse.

„Adriana Valencia", unterbrach der größte Polizist die unangenehme Stille. 

„Sie sind verhaftet. Alles was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht zu schweigen."

Verwirrt sah ich zwischen den ganzen Fremden hin und her.

„Was? Nein!", platzte es aus mir raus. 

„Das kann nicht sein, das Zeug hier ist nicht von uns! Stimmt's, mamá?"

Angespannt schnippte ich mit der Hand vor ihrem Gesicht, doch sie war zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, als dass sie mich wirklich wahrnahm.

Alles was sie tat, war stumm ins Leere zu blicken.

Also lag es an mir, die Situation zu retten: „Wir wussten wirklich nichts davon! Irgendjemand muss ..."

„Und Sie sind?", unterbrach mich einer der Uniformierten sofort.

„Die To ..."

„Mein Patenkind", wurde ich abermals unterbrochen.

Verwirrt drehte ich mich zu meiner mamá um, die nun doch wieder in der Realität angekommen war.

Wieso lügt sie?

Ich wusste, dass sie nicht die Wahrheit sagte, schließlich war ich ihre Tochter, doch sie hatte diesen Blick aufgesetzt. 

Diesen bestimmten Blick, der mir signalisierte, jetzt nicht nachzufragen.

Ein andermal schon, aber nicht jetzt. Auf keinen Fall jetzt.

„Paris, dieses Missverständnis wird sich bestimmt bald klären. Fahre mit dem Bus zu deinem Patenonkel und sag ihm, dass er sich um den Papierkram kümmern muss."

„Aber ..."

„Paris." Eindringlich sah mich meine mamá an. 

„Mach dir keine Sorgen um mich."

Das war das Letzte, was sie sagen konnte, bevor sie in Handschellen gelegt und aus dem Raum geführt wurde.

Wie in Trance starrte ich ihr hinterher.

Mach dir keine Sorgen?!

Mamá, du wirst ohne Schuld abgeführt; verhört; musst vielleicht ins Gefängnis und sagst, ich solle mir keine Sorgen machen!

Weitere Leute in weißen Anzügen kamen und klebten gelbe Absperrbänder um die Tanzfläche.

Einer der Typen rempelte mich an und obwohl es diesen Leuten wahrscheinlich egal war, motzte ich: „Gut, dann geh ich mal."

Immer noch ganz benommen, schnappte ich mir meine Haustürschlüssel und sah mich ein letztes Mal sehnsüchtig in meinem Zuhause um. 

Noch wusste ich nicht, dass es mir in nächster Zeit nicht erlaubt sein würde, hierher zurückzukehren.

„Finger weg von der Bar!", knurrte ich, während ich mich zum Gehen wandte. „Am Arbeitsplatz säuft man nicht!"

Dann fiel die Haupttür hinter mir mit einem schweren Knallen zu.

Rums.

Nun stand ich mitten in den kleinen spanischen Gassen von Toledo.

Über mir die untergehende Sonne.

Ich weiß doch, dass das Zeug nicht uns gehört!

Aufgewühlt schritt ich über die gepflasterten Steine.

Ich werde diesen Idioten finden, der uns das alles hier eingebrockt hat! Das verspreche ich dir, mamá!

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