C I N C O
„Und du bist?"
Skeptisch sah mich die Sportlehrerin mit der Trillerpfeife um den Hals herum an.
„Paris Valencia, die Neue", stellte ich mich höflich vor.
Resigniert nickte die Frau und schrieb dann irgendetwas auf eine ihrer hunderten Listen.
Dann klatschten sie in die Hände und rief: „Chicas, fünf Runden einlaufen, danach machen wir Bauch-Beine-Po!"
Das aufkommende Gestöhne ignorierte sie gekonnt.
Stattdessen hob sie abwartend die Augenbraue in meine Richtung, was mich, ohne zu zögern, zu Olivia flüchten ließ.
Vor dieser Frau sollte man sich in Acht nehmen!
„Bauch-Beine-Po, ernsthaft?", fragte ich meine neue Freundin skeptisch.
„Gewöhn dich lieber dran, das machen wir jede Stunde. Wirklich jede. Ohne Ausnahme. Nicht mal in der Weihnachts- oder Osterstunde machen wir etwas anderes."
„Waaaaassss?" Lachend und gespielt verzweifelt vergrub ich meine Hände in meinen Haaren.
Dann liefen wir gemütlich los.
Das mit meiner mamá beschäftigte mich zwar immer noch, doch ich schaffte es, dieses Thema erstmal zu verdrängen.
Das Einzige, was ich aktuell tun konnte, war mit meinem padre darüber zu sprechen und herauszufinden, ob er wusste, woran mamá gedacht hatte.
Allerdings würde ich bis zum Abend warten müssen. Früher würde ich meinen padre nicht zu Gesicht bekommen.
„Wenigstens sind wir draußen", meinte Olivia.
„Mmh ..." Zweifelnd sah ich in den strahlend blauen Himmel.
Soviel Sonne auf einmal hatte ich in meinem ganzen Leben noch nie gesehen.
„Überraschung!"
Sowohl Olivia als auch ich zuckten vor Schreck zusammen, als plötzlich Carlo und Boston neben uns liefen.
„Wo kommt ihr denn her?"
„Mmmh." Gespielt angestrengt dachte Carlo nach. „Von dort drüben?"
Er deutete beim Laufen auf das Nachbar-Sportfeld, an dem ihr Sportlehrer stand – ebenfalls mit einer Trillerpfeife um den Hals hängen.
„Wir spielen heute Fußball."
Augenblicklich leuchteten Olivias Augen auf.
„Echt jetzt? Ich will auch!", jammerte sie. „Und was machen wir?! Bauch, Beine, Po."
Jedes einzelne Wort spuckte sie förmlich aus.
„Ui, das brauchst du ganz dringend, Bro!" Augenwackelnd sah Carlo Boston an.
„Vielleicht kannst du ja bei den Mädels mitmachen!"
„Pfeife", sagte ich laut, obwohl ich wieder mal eigentlich nur daran gedacht hatte, ohne es wirklich laut aussprechen zu wollen.
„Weißt du, was du ganz dringend brauchst?"
Neckend wuschelte Boston Carlo durch die Haare und schubste ihn leicht zur Seite.
„Ein paar Gehirnzellen."
Augenverdrehend sahen Olivia und ich uns an. Dieser Spruch war ja schon so alt.
„Einen Po kann man sich wenigstens jederzeit erarbeiten. Bei der Intelligenz ist es ein bisschen schwieriger. Die hat man – oder eben auch nicht", fügte Boston als Erklärung hinzu.
Empört schubste Carlo Boston zurück und die beiden fingen spielerisch an zu raufen.
Wir Mädels joggten währenddessen achselzuckend weiter.
„Jungs."
Augenverdrehend warf Olivia Carlo einen verstohlenen Blick zu.
Ich bemerkte diesen Blick, konnte seine Bedeutung jedoch nicht deuten.
„Ach ja!" Nun sah Olivia wieder mich an.
„Was ich dich fragen wollte ... naja, eigentlich ist es keine Frage ..."
Sie druckste und spielte unbehaglich mit ihren Fingern herum.
„Jaaa?"
„Heute Abend steigt bei Boston eine Party, das wollte sie sagen."
Auf einmal lief Carlo wieder neben ihr und spielte Olivias neues Sprachrohr.
Boston, der sich wieder auf meiner Seite befand, fügte hinzu: „Und was sie auch sagen wollte, ist, dass du gar keine andere Wahl hast, als zu kommen. Du bist schon eingeladen und Absagen werden nicht akzeptiert."
Ein bisschen überfordert guckten ich zwischen den beiden hin und her.
„Ist das ein Witz?"
„Siehst du jemanden lachen?"
Überfordert sahen mich beide Jungs an. Mit dieser Antwort hatten sie anscheinend nicht gerechnet.
„Ach komm schon!" Schmollend griff Olivia nach meiner Hand.
Inzwischen waren wir bestimmt schon über fünf Runden gelaufen, doch wir blieben nicht stehen, sondern machten einfach weiter.
„Ich gehe nicht auf Hauspartys", erklärte ich.
Olivia, sichtlich verwirrt, starrte mich mit offenem Mund an.
„Ähhh und warum nicht?"
„Ich habe meinen eigenen Club, deshalb."
Augenblicklich prustete Carlo los.
Gleichzeitig wendeten alle den Blick zu ihm.
„Das ist absurd!" Unschuldig hob er die Hände.
„Die beliebtesten Typen der Schule laden dich auf eine Party ein und du kommst nicht ...! Ich meine, wir holen dich und Olivia sogar ab, wenn ihr wollt! Gib dir mal diesen Service ..."
Schrrrr.
Das schrille Trillern der Sportlehrerin unterbrach ihn.
„Olivia, Paris! Drei Strafrunden, ihr sollt nicht mit den Jungs ein Kaffeekränzchen veranstalten!"
Ihr Brüllen dröhnte über den ganzen Sportplatz.
Doch wir schmunzelten nur. Jetzt konnten wir unser Kaffeekränzchen offiziell drei Runden länger abhalten.
„Ich möchte ja nicht dreist klingen", meinte nun Boston vorsichtig.
„Aber euer Club ist sowieso gerade gesperrt."
„Woher weißt du das?" Überrascht sah ich ihn an.
Das kann er gar nicht wissen ...
„Das stand in der Zeitung."
Ok ... Dann weiß es jetzt die ganze Stadt.
„Gut, dann wäre ja alles geklärt!", warf Olivia übertrieben fröhlich ein. „Wir sehen uns heute Abend, Jungs!"
Alle drei lächelten triumphierend.
Wie gut, dass niemand weiß, dass ich nicht mehr Valencia heiß ...
Fies grinste ich.
Ohne den Nachnamen meines Vaters werden sie mich heute Abend niemals finden und somit auch nicht abholen können.
Für einen kurzen Moment wurde mir schwindelig.
Puh, es ist schön ganz schön warm!
„Olivia, Paris! Hierher!"
Vorbildlich folgten wir dem Gebrüll der Lehrerin.
Die Jungs liefen wieder zu ihrer Gruppe zurück und wir durften ein witziges Workout durchschwitzen, was mich, optimistisch ausgedrückt, eher an Schwangerschaftsübungen als an Sport erinnerte!
„Du wirst ganz schön rot", neckte mich Olivia.
Gerne hätte ich etwas gekontert, aber selbst zum Reden war mir zu warm.
„Auf den ersten Blick siehst du aus wie ein Verkehrsschild", keuchte sie schmunzelnd.
Platsch.
Stöhnend fiel ich geradeaus nach vorne auf den harten Boden.
„Wie ein fallendes Verkehrsschild", stellte sie fest.
Die anderen Mädchen kicherten.
Wäre nicht alles vor meinen Augen verschwommen, hätte ich wahrscheinlich auch mitgelacht.
Ehrlich, dann hätte ich diesen Witz richtig lustig gefunden!
Doch diese quälende Hitze, der ganze Schweiß ... ich fühlte mich ausgelaugt. Durstig.
Wasser. Wieso hat denn hier niemand eine Trinkflasche dabei?
„Ähm, Paris? Ich finde dich super witzig, aber dein erster Eindruck kommt bei der Lehrerin nicht so gewaltig an, wenn du am Boden schläfst. Sie guckt schon ganz komisch", drängte Olivia.
Ich wollte mich bewegen, doch es funktionierte nicht.
„Oje, sie kommt!"
Am Rande bekam ich mit, wie sich Olivia hastig vor mich stellte und sehr motiviert ihre Kniebeugen erledigte.
Erstaunlicherweise wurde ich sogar von niemanden gehindert, am Boden liegen zu bleiben.
Das mag jetzt sehr verrückt klingen, doch die Lehrerin war zu sehr damit beschäftigt, zwei Schülerinnen das Handy abzunehmen, und meine Sportgruppe feierte meine Rebellion – oder wie auch immer sie meinen plötzlichen Schwindel nannten.
Nur, dass ich mich halt tatsächlich nicht gut fühlte.
Schwach versuchte ich, die anderen um Wasser zu bitten, doch aus meiner Kehle drang nur ein heiseres Krächzen.
Meine Augenlider wurden schwer und langsam schloss ich sie.
Die Geräuschkulisse wurde immer leiser und die Ruhe immer schöner.
Diese Leere ... Ich war kurz davor, mich einfach in diese Leere fallen zu lassen ...
Unsanft rüttelten zwei Hände an meinem Körper.
„Mierda, was ist mit ihr?!"
Diese Stimme, ich kannte sie.
Tief, rauchig.
Sehr ...
„Sie ist ja am ganzen Körper so rot!"
Die hysterische Stimme eines Mädchens mischte sich dazu.
„Mierda, wir dachten, das wäre nur ihr Gesicht!"
„Was ist hier los?" Nun drängte sich auch eine erwachsene Stimme dazwischen.
Lasst mich doch einfach schlafen!
Ich murrte. Ich wollte wieder zurück in die Leere. Dort war es so schön ruhig gewesen.
„Carlo, hol Wasser. Dylan, wir brauchen Eis. Du da, der Erste-Hilfe-Kasten!" Die erwachsene Stimme gab Anweisungen. Doch das alles kam mir so weit entfernt vor.
„Boston, sie muss in den Schatten."
Mein Körper schien zu schweben. Diese sengende Hitze war immer noch da, doch von einem Moment auf den anderen kühlte sie ein wenig ab.
„Eis! Hier ist Eis."
Carlo?
Ein bisschen wacher versuchte ich, meine Augen zu öffnen.
Das Ergebnis: Ein schwaches Flattern.
Ganz kurz sah ich die Gesichter der Jungs und das eines erwachsenen Mannes aufblitzen.
Auch die ausgestreckte Hand von Boston nahm ich wahr, die verlangend nach dem Eis griff.
„Das Zauberwort?", fragte Carlo und hob abwartend die Augenbraue.
„Carlo! Wir haben keine Zeit dafür!"
Boston?
„Mit doppelt T", half Carlo nach.
„CARLO! Hör auf mit den Spielchen!"
Boston war nun nicht mehr gereizt, sondern richtig wütend.
„Flott", krächzte ich heiser.
„Hä?"
Vor Schreck ließ Carlo das Eis fallen.
Plums.
Mit einem dumpfen Knall landete es – wo denn sonst? – direkt auf mein Gesicht.
„Das Zauberwort mit doppelt T ist flott", flüsterte ich schwach.
Dann war ich weg.
-
„Durch die Auswirkungen eines sehr ausgeprägten Hitzeschlags bist du ohnmächtig geworden", erklärte die Frau im weißen Kittel und einem Klemmbrett unter dem Arm vor mir.
„Deine Blutgefäße sind jedoch unbeschädigt geblieben. Wir geben dir noch ein paar Salben für deine heftigen Sonnenbrände mit und dann kannst du wieder nach Hause gehen."
Die Worte prasselten wie Regen auf mich ein. Neunzig Prozent davon perlten an mir ab.
Mehr als benommen zu nicken, schaffte ich nicht.
Piep, piep.
Die Geräuschkulisse des Krankenhauszimmers war filmgetreu.
„Was ich allerdings noch nicht verstehe ...", wandte sich die Kittelfrau nun an meinen padre.
„... ist, dass es Frühling ist. Die Sonneneinstrahlung ist für spanische Verhältnisse eher niedrig. Wie kommt es dann, dass ihre Tochter so eine dramatische körperliche Reaktion zeigt?"
Nervös steckte padre seine Hände in die Hosentaschen. Das tat er immer, wenn er nervös war.
„Paris ist die letzten Jahre sehr sonnenscheu gewesen und hat viel im Haus für die Schule gelernt. Sie muss sich erst wieder an die ganze Strahlung gewöhnen."
Die Ärztin nickte verständnisvoll, reichte ihm eine Tüte und verschwand dann.
Davor blieb sie jedoch nochmal kurz im Türrahmen stehen.
„Soll ich ihre Freunde jetzt reinlassen?"
„Ja gerne, vielen Dank", sagte mein padre.
„Nein, auf keinen Fall!"
Protestierend setzte ich mich auf und sah ihn vorwurfsvoll an.
Doch bevor auch nur einer von uns beiden etwas sagen konnte, wurde die Tür auch schon aufgerissen und Olivia, Carlo und Boston stürmten herein.
„Mierda, es tut mir so leid!" Schluchzend fiel mir Olivia in die Arme.
Da ich nicht wusste, was ihr leid tat, klopfte ich ihr nur überfordert auf den Rücken.
„Ähm, alles gut. Keine Sorge."
Während Olivia in meinen Armen lag, ging Boston auf meinen padre zu und reichte ihm vornehm die Hand.
„Wir haben uns schon im Flur kurz gesehen, ich bin Boston und das sind Carlo und Olivia. Wir sind Freunde ihrer Tochter."
Boston war wie ausgewechselt.
Ok, ich kannte ihn noch nicht so unglaublich lange, aber dass er so höflich sein konnte, hätte ich mir im Leben nie vorstellen können.
Dazu setzte er dieses entwaffnende Lächeln auf, das sogar meinen padre aufgeschlossen stimmte.
„Freut mich euch kennenzulernen, ich bin Paris' Vater."
Die beiden unterhielten sich noch weiter, allerdings wurde ich von Olivias Schmollen zu sehr abgelenkt, um dem Gespräch weiter lauschen zu können: „Das mit der Party heute Abend wird wohl nichts mehr ..."
Sofort spitze mein padre seine Ohren: „Eine Party?"
„Eigentlich eher ein kleines Zusammensein von Leuten", korrigierte Boston mit einem strahlenden Lächeln.
„Wir grillen und schlafen danach unter freiem Himmel im Garten", fügte Carlo, auch an meinen padre gewandt, hinzu.
„Ja und?"
Meiner Meinung nach ein bisschen zu begeistert sah mein padre die Jungs an.
„Natürlich kommt sie! Die Sonneneinstrahlung in der Nacht ist ja Gott sei Dank ziemlich überschaubar."
Übertrieben heftig fing ich an zu husten.
„Willst du mich loswerden? Hast du heute Nacht etwa schon andere Pläne?"
Die Zweideutigkeit meiner zweiten Aussage überhörte mein padre gekonnt.
„Es wird Zeit, dass du dich ein bisschen unter die Leute mischst. Du musst mal anfangen, dich wie eine normale Jugendliche zu benehmen!"
Augenverdrehend, hilfesuchend und bittend sah ich zu Olivia.
Eigentlich wollte ich heute Abend mit meinem padre über meine mamá reden. Oder über das, was sie gesagt hatte.
Statt mir zu helfen, klatschte Olivia jedoch nur euphorisch in die Hände.
„Dann wäre das abgemacht. Eigentlich könntest du gleich mitkommen, es ist eh schon fast Abend!"
Mein derzeitiger Erziehungsberechtigter schien das für eine hervorragende Idee zu halten, denn er nickte, gab mir einen Kuss auf die Stirn und machte sich daran, zu gehen.
„Oh nein, nein, nein!"
Hastig rappelte ich mich auf meinem Bett auf, schlug die Decke zur Seite und stellte mich meinen padre in den Weg.
„Du hast dich jetzt nicht mit denen gegen mich verschworen, oder?!"
Anklagend drückte ich meinen Zeigefinger gegen seine Brust.
„Viel Spaß", war alles, was er zu seiner Verteidigung sagte. Dann war er weg.
„Ihr seid ganz hinterhältige Freunde, wisst ihr das?!"
Alles andere als erfreut, sah ich die drei an.
Carlo schien es lustig zu finden. Kichernd nuschelte er: „Sie hat uns Freunde genannt!"
„Klappe, Schlitzohr!"
Energisch packte ich meine Tasche, die neben dem Krankenbett stand und machte mich auf dem Weg zur Tür.
Die anderen rührten sich nicht vom Fleck.
Langsam blieb ich stehen und blickte über meine Schulter.
„Findet die Party hier statt oder warum seid ihr so unfähig euren culo zu bewegen?"
Sofort kam Bewegung in die drei. Boston hielt mir sogar die Tür auf.
„Das wird die beste Party, die diese Stadt jemals gesehen hat", sagte er augenzwinkernd und sehr zuversichtlich.
„Stimmt, jetzt habt ihr ja mich", antworte ich spitz und verließ das Zimmer.
Achtung mein lieber Boston, du hast dir gerade ziemlich viel vorgenommen!
Mein Magen begann zu flattern, doch ich wusste nicht, warum.
So etwas in der Art hatte ich noch nie zuvor in meinem Leben gespürt.
Ich strich über die Stelle, doch das warme flatternde Gefühl verschwand nicht.
Wahrscheinlich irgendwelche Nebenwirkungen der Medikamente ...
Jedes Mädchen, jedes andere Mädchen auf dieser Welt, hätte mir sofort sagen können, dass nicht die Medikamente daran schuld waren.
Doch weder ich, noch irgendein anderes Mädchen auf der Welt hätte mir zu diesem Zeitpunkt sagen können, dass Boston tatsächlich auch Nebenwirkungen hatte.
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