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Schritt 3: Geh zum Friseur! Justin-Bieber-Look war gestern. Pott-Schnitt sowieso. Lass dir eine freshe Frisur verpassen, die nicht aussieht, als hätte deine besoffene Mutter mit verbundenen Augen Hand angelegt. Momentan ist der Undercut sehr beliebt. Alternativ kannst du dir die Haare natürlich auch komplett abrasieren.

Nach der peinlichen Nummer im Matheunterricht war ich kurz davor, Lorcans und mein Experiment abzubrechen und die dämliche Liste feierlich zu verbrennen. Ersterer hat mich allerdings daran erinnert, dass ich jetzt erst recht nichts mehr zu verlieren habe, weshalb ich auch einfach weitermachen könnte. Leider sind mir keine Gegenargumente eingefallen und darum sitze ich nun mit einem Handtuch über den Schultern im Badezimmer der Familie O'Casey, um mit Lorcans Hilfe Schritt Nummer Drei auszuführen.

Weil ich nicht die geringste Lust habe, zum Friseur zu gehen und für dieses schräge Experiment Geld auszugeben, machen wir einfach kurzen Prozess. Lorcan ist gerade dabei, den richtigen Aufsatz für den Rasierapparat auszuwählen, während ich hoffe, dass ich hinterher nicht schlimmer aussehen werde als vorher. Allerdings konnte ich meine blonden Locken noch nie wirklich leiden und bin deshalb fast froh, sie nun endlich loszuwerden.

Tatsächlich habe ich schon öfter mit dem Gedanken gespielt, sie abzurasieren, doch meiner Mutter zuliebe bin ich nie bis zum Äußersten gegangen. Mittlerweile bin ich aber an einen Punkt gelangt, an dem es mir egal ist, was andere über mich oder meine Frisur denken. Für meine Mitschüler – und damit auch für Georgia – bin ich sowieso nur noch der komische Loser mit der Batman-Unterhose. Also kann ich genauso gut der komische Loser mit der Batman-Unterhose und dem Buzz Cut sein.

„Ich würde sagen, wir fangen mit neun Millimetern an", meint Lorcan und im selben Moment ertönt das mechanische Surren des Rasierers. Aufmunternd tätschelt er meine Schulter. „Vertrau mir, das wird gut aussehen. Zumindest nicht hässlicher als vorher."

„Dankeschön", entgegne ich trocken, woraufhin er das Gerät grinsend an meinem Hinterkopf ansetzt. Sekunden später spüre ich, wie die ersten Haarbüschel fallen.

Lorcan wäre nicht Lorcan, wenn er die Gelegenheit nicht nutzen würde, um seine albernen Späße mit mir zu treiben. Statt meine Haare ordentlich abzurasieren, verpasst er mir einen breiten, fast kahlen Streifen quer über meinen Kopf, der vom Nacken bis zur Stirn reicht und die übrigen Haare teilt wie eine Schneise in einem Kornfeld. Es sieht fast so aus, als wäre ein Rasenmäher über meinen Schädel gefahren.

„Schick", kommentiert er sein eigenes, katastrophales Werk und feixt von einem Ohr zum anderen. „Wenn Georgia dich jetzt sehen könnte!"

„Hör auf zu labern und mach weiter", maule ich ungeduldig, doch bevor Lorcan damit fortfahren kann, mich zu verunstalten, klopft es plötzlich laut an der Badezimmertür.

„Jungs, lasst mich rein, ich muss pinkeln", ertönt die Stimme seines Bruders James draußen im Flur, allerdings wartet er nicht auf eine Reaktion unsererseits, sondern platzt Sekunden später einfach ins Zimmer.

James O'Casey sieht aus wie eine ältere Version von Lorcan. Er ist Anfang Zwanzig und studiert Wirtschaftschemie an der Universität von York. Das tut er allerdings nur seinen Eltern zuliebe, die sich nichts mehr wünschen, als dass ihr erstgeborener Sohn ein Akademiker wird. James selbst hätte dagegen lieber eine Ausbildung zum Tätowierer gemacht und jedes Mal, wenn seine Eltern außer Hörweite sind, beschwert er sich darüber, wie ätzend er sein Studium findet. Ich glaube, es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis er es abbricht.

Als er meine gewöhnungsbedürftige Frisur und den Rasierer in Lorcans Hand bemerkt, vergisst er seine volle Blase. „Was geht denn hier ab?", fragt er stirnrunzelnd, während er meine Haarpracht eingehend mustert. „Willst du dich in der Geisterbahn bewerben?"

„Nee, bei der British Army", entgegne ich sarkastisch. „Eigentlich sollte dein Bruder mir den Kopf rasieren, aber ich schätze, er ist überfordert damit. Stimmt's, Lori?"

„Ich ...", fängt Lorcan entrüstet an, doch er schafft es nicht, sich rauszureden, da James ihm kurzerhand ins Wort fällt.

„Ach, gib her", sagt er schroff und krallt sich den Rasierer, ohne auf die Proteste seines jüngeren Bruders zu achten. „Lasst mal den Chef ran. Sonst sieht Albie nachher aus wie ein Horrorclown. Obwohl ... tut er eigentlich jetzt schon."

„Mach's bitte nicht noch schlimmer", brumme ich Böses ahnend und halte den Kopf still, um James die Arbeit zu erleichtern.

Im Gegensatz zu Lorcan macht er keine Faxen, sondern gibt sich ernsthafte Mühe, meine Haare sorgfältig und gleichmäßig abzurasieren. Die herunterfallenden Büschel landen auf meinen Schultern und in meinem Gesicht. Einige der losen Haarsträhnen kitzeln mich an der Nase. Ich versuche noch, den Niesreiz zu unterdrücken, aber das klappt höchstes fünf Sekunden lang. Danach muss ich so heftig niesen, dass ich meinen Kopf wegziehe – James rutscht ab und der Rasierer streift mein Gesicht.

„Huch", sagt er relativ unbeeindruckt. „Jetzt hast du einen Cut in der Augenbraue. Ist das schlimm?"

„Nee, überhaupt nicht", antworte ich abwinkend. „Mach einfach weiter." Wenn ich mir überlege, dass mein Schwarm auf den größten Idioten der Schule abfährt, ich mich vor allen anderen blamiert habe, indem meine Hose runtergerutscht ist und mein Vater seit Monaten zuhause vor sich hin vegetiert, scheint dieser blöde Cut in meiner Augenbraue noch das kleinste Problem zu sein.

Ohne weitere Unfälle bringt James sein Werk zu Ende, während Lorcan die Prozedur mit seinem Handy filmt – zur ewigen Erinnerung, wie er grinsend behauptet. Ungläubig betrachte ich meine neue Frisur im Spiegel und streiche mit der Handfläche über die kurzen, dunkelblonden Stoppeln. Zu meiner eigenen Überraschung finde ich es gar nicht so schlecht, im Gegenteil: Die kurzgeschorenen Haare lassen mich nicht nur älter wirken, sondern auch etwas härter, eben nicht mehr wie der langweilige Milchbubi von nebenan.

Der selbsternannte Cheffriseur James ist offenbar zufrieden mit seiner Leistung. „Sieht doch super aus", kommentiert er aus vollster Überzeugung und klopft sich selbst anerkennend auf die Schulter. „Nennt mich Mr. Barber!"

„James hat Recht", pflichtet Lorcan seinem Bruder bei. „Die Frise steht dir echt gut, Albie. Bringt deinen Eierkopf schön zur Geltung!"

Gerade will ich mit einem passenden Spruch kontern, als mein Handy dazwischenfunkt. Milde überrascht stelle ich fest, dass ich eine Nachricht von meiner Mum bekommen habe.

Mum (17:32 Uhr): Hallo Darling, ich habe dir etwas sehr Wichtiges zu erzählen. Was hältst du davon, wenn ich dich morgen nach der Schule abhole und wir zusammen Mittagessen? Dann können wir in Ruhe reden. Kuss!

Oh Gott, was hat das denn jetzt zu bedeuten? Hoffentlich will sie mir nicht sagen, dass sie sich von ihrem Doktor Frankenstein ein neues Gesicht operieren lassen möchte. Trotz meiner Skepsis antworte ich ihr, dass ich damit einverstanden bin, sie morgen zu treffen und freue mich schon diebisch auf ihre Reaktion, wenn sie meine frisch rasierten Haare sieht. Ich weiß jetzt schon, dass sie ihr nicht gefallen werden, aber was soll's. Hauptsache, ich fühle mich wohl. Alles andere ist unwichtig.

Kommentare sind wie immer gerne gesehen ;)

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