5 | Jealous guy

Draußen regnet es in Strömen. Stürmische Windböen fegen über die Stadt hinweg und Regentropfen trommeln wütend gegen die Fensterscheibe. Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier stehe und auf die regennasse Straße hinausstarre. Von meinem Zimmer aus habe ich einen weitläufigen Blick über den Prior's Walk, doch momentan gibt es da draußen nicht allzu viel zu sehen. Bei diesem Sauwetter wagt sich verständlicherweise kaum jemand vor die Haustür.

Mir ist das ohnehin egal, denn ich nehme die Straße selbst gar nicht wirklich wahr. Stattdessen sehe ich immer noch Georgia und Reece vor mir, wie sie sich gegenseitig anlächeln. Sie verliebt, er lüstern. Noch immer habe ich den Nachklang seiner Stimme im Ohr, die Georgia irgendwelche schmierigen Komplimente zuraunt. Ich habe keine Ahnung, wie nahe sich die beiden mittlerweile stehen, aber ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, dass diese Sache zwischen ihnen kein gutes Ende nehmen wird.

Jemand wie Reece, der die Mädchen öfter wechselt als andere Menschen ihre Unterhosen, verändert sich nicht von heute auf morgen. Auch nicht für Georgia oder sonst irgendwen. Er wird sie solange bezirzen, bis sie sich endgültig auf ihn einlässt und danach wird er sie eiskalt abservieren. Genauso, wie er es schon mit unzähligen Mädchen vor ihr getan hat. Am liebsten würde ich ihn zur Rede stellen und ihm sagen, dass er sie in Ruhe lassen soll, doch natürlich steht es mir nicht zu, mich einzumischen.

„Was findest du eigentlich so toll an ihr?", fragt Lorcan, der hinter mir auf meinem Bett rumlümmelt, als wäre es sein eigenes. Neben ihm liegt Steven, eingerollt wie eine Zimtschnecke und schnurrt leise im Schlaf.

„Weiß nicht", antworte ich dumpf, ohne mich vom Fenster abzuwenden. „Alles irgendwie. Ich kann's dir nicht erklären, tut mir leid." Dazu müsste ich es ja selber erst mal verstehen.

Seitdem Georgia an der Eastwood High aufgetaucht ist, muss ich beinahe ständig an sie denken. Tagsüber wandern meine Gedanken immer wieder zu ihr und nachts begegnet sie mir in meinen Träumen – manchmal auf eine Art und Weise, die alles andere als jugendfrei ist. So oft wie in den letzten sieben Tagen habe ich mir noch nie vor der Schule einen runtergeholt. Wenn ich mit zusätzlichem Druck im Unterricht hocke, bin ich noch unkonzentrierter als ohnehin schon.

Ich kann beim besten Willen nicht sagen, was genau ich an Georgia so anziehend finde. Ich weiß nur, dass ich sie gerne näher kennenlernen würde. Wäre da nicht dieser bescheuerte Reece. „Eigentlich darf ich mir gar keine Hoffnungen machen", sage ich mehr zu mir selbst und beobachte einen besonders fetten Regentropfen, der gerade die Scheibe runterkullert. „Sie steht sowieso nicht auf Typen wie mich."

Abrupt reiße ich mich vom Fenster los und schaue stattdessen in den runden Spiegel, der über meinem Nachtschränkchen an der Wand hängt. Er ist ziemlich fleckig, weil ich ihn nie sauber mache, doch diese Tatsache ignoriere ich geflissentlich. Wesentlich kritischer als sonst betrachte ich mein eigenes, gespiegeltes Selbst. Wie immer stören mich meine dunkelblonden Haare, die sich munter kräuseln und mir das Aussehen eines wolligen Pudels verleihen.

Als ich dreizehn oder vierzehn war, hatte ich stark mit Akne zu kämpfen, deren Spuren bis heute meine Wangen zieren. Richtigen Bartwuchs habe ich nicht, nur ein paar mickrige Stoppeln, die man nicht einmal wirklich sehen kann, weil sie blond sind. Am meisten nerven mich jedoch meine Augen. Sie sind nicht strahlend blau wie die von Reece, sondern dunkel und grau. Im Prinzip haben sie dieselbe Farbe wie die dreckige Straße draußen, die nass vom Regen ist.

Mit zusammengekniffenen Brauen stiere ich mein Spiegelbild an. Langsam verschwimmt mein Gesicht und verwandelt sich in das von Reece. Hochmütig erwidert er meinen Blick, grinst mich dumm an und zwinkert mir zu, um mich daran zu erinnern, dass seine Augen schöner sind als meine. „Arschloch", brumme ich grimmig, während ich dem Drang widerstehe, meinen fleckigen Spiegel abzumontieren und aus dem Fenster zu werfen.

„Was?", fragt Lorcan verständnislos, setzt sich aufrecht hin und mustert mich stirnrunzelnd. Wenn ich seine Miene richtig interpretiere, zweifelt er gerade an meiner Zurechnungsfähigkeit.

„Nichts", antworte ich hastig und spüre, wie ich leicht rot werde. „Alles gut. Ich hab nur ... an Reece gedacht." Wie idiotisch sich das anhört. Aber leider ist es die Wahrheit.

Die Falten auf Lorcans Stirn glätten sich und er legt nachdenklich den Kopf schief. „Wenn Georgia nur auf Typen wie diesen Reece steht, solltest du vielleicht versuchen, auch so zu werden", sagt er unvermittelt und ohne den leisesten Hauch von Sarkasmus.

Ungläubig glotze ich ihn an. „Wie bitte?", frage ich perplex. „Soll ich jetzt etwa anfangen, Mädchen zu verarschen und irgendwelche Bullen-Steroide zu schlucken, damit mein Bizeps wächst, oder was?"

Der Anflug eines Lächelns huscht über sein Gesicht. „Ganz so meinte ich das nicht", entgegnet er schmunzelnd. „Eigentlich fände ich es nicht gut, wenn du dich wegen Georgia verändern würdest. Du willst sie aber unbedingt rumkriegen, obwohl sie nicht auf dich steht, wie du vorhin selber gesagt hast. Deshalb glaube ich, dir bleibt nichts anderes übrig, als dich ihrem Beuteschema anzupassen. Capisci?"

Trotz dezenter Zweifel nicke ich langsam. Irgendwie klingt das total bekloppt, aber gleichzeitig auch plausibel. „Alles klar, Professor O'Casey", sage ich dennoch mit einem albernen Unterton in der Stimme. „Schon 'ne Idee, wie ich das anstellen soll?"

„Nicht verzagen, Big Mummy Google fragen", antwortet er grinsend und schnappt sich kurzerhand das iPad von meinem Nachtschränkchen.

Ich bin etwas misstrauisch und lasse ihn nicht aus den Augen, während er mit flinken Fingern darauf herumtippt. Innerhalb von Sekunden wird sein Grinsen breiter, sodass es nun beinahe grotesk wirkt. Mich würde interessieren, welche Anfragen er in die Suchmaschine eingegeben hat. Vielleicht Wie wird man ein Oberarsch? oder Top-10-Verhaltensregeln für Playboys. Gerade als ich Lorcan danach fragen möchte, meldet er sich von alleine zu Wort.

„Ich glaube, ich hab genau das Richtige für dich gefunden", verkündet er und kann sein Lachen kaum zurückhalten. Mühsam beherrscht fängt er an, laut vorzulesen: „In zwölf Schritten zum Bad Boy: Wenn du diese ultimativen Tipps befolgst, steigst du innerhalb kürzester Zeit zum Platzhirsch auf und die Frauen werden dir zu Füßen liegen."

„Ach du Scheiße", rutscht es mir heraus und ich verdrehe die Augen. Bad Boy und Platzhirsch, wenn ich das schon höre. Kopfschüttelnd zeige ich meinem besten Freund einen Vogel. „Vergiss es, Lori. Das ist doch kompletter Bullshit."

„Stell dich nicht so an, Albert", kontert er ungerührt. „Was hast du denn schon zu verlieren, hm? Betrachte es doch einfach als spannendes Selbstexperiment!"

„Sinnlose Zeitverschwendung trifft's eher", sage ich trocken, doch im nächsten Moment wird unsere Diskussion jäh unterbrochen.

Es klopft zweimal laut an meiner Zimmertür. Steven, der bis gerade eben friedlich vor sich hin geschlummert hat, hebt träge den Kopf und äußert seinen Unmut durch ein missbilligendes Gurren. „Herein?", rufe ich fragend, während Lorcan den Kater streichelt, um ihn zu besänftigen.

Im nächsten Moment steht mein Dad auf der Schwelle. Er ist unrasiert und trägt sein T-Shirt falschherum, aber wenigstens scheint er diesmal bei klarem Verstand zu sein. „Tut mir leid, dass ich euch störe, Jungs", sagt er und lächelt entschuldigend. „Ich wollte dich nur fragen, ob du zufällig meine Brille gesehen hast, Albert? Seit heute Morgen bin ich praktisch blind."

Kein Wunder. „Sie liegt neben dem Aquarium", antworte ich ruhig, ohne eine Miene zu verziehen. „Ich hab sie gestern beim Saubermachen rausgefischt. Wahrscheinlich ist sie dir aus Versehen reingefallen und du hast es nicht gemerkt."

„Hm, kann schon sein", meint er zerstreut und kratzt sich am Hinterkopf. „Danke für den Tipp." Schon wendet er sich wieder zum Gehen, doch dann hält er noch einmal inne. „Wie geht's dir eigentlich, Lorcan? Du hast dich hier ja schon länger nicht mehr blicken lassen."

Tja, warum wohl. „Danke, Mr. Goldsborough, mir geht's gut", erwidert Lorcan freundlich und räuspert sich verlegen. „Ich hoffe, Ihnen auch?"

„Na ja", sagt Dad achselzuckend. „Man kommt schon irgendwie klar. Hab ich Recht?" Anscheinend erwartet er keine Antwort auf diese Frage, denn er dreht sich ohne ein weiteres Wort um und verlässt das Zimmer.

Sobald die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen ist, schaut Lorcan mich zweifelnd an. „Er kommt nicht klar, oder?"

Entschieden schüttele ichden Kopf. „Nein", sage ich nüchtern. „Überhaupt nicht."


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