18 | Bounce back
Schritt 10: Prügel dich! Ein echter Bad Boy muss gelegentlich seine Kräfte unter Beweis stellen. Dabei ist es egal, ob es einen Grund gibt, sich zu schlagen oder nicht. Wichtig ist nur, dass du gewinnst – und zwar um jeden Preis!
Ich habe mich bisher genauso oft geprügelt, wie ich Sex hatte – nämlich noch gar nicht. Meine Jungfräulichkeit finde ich nach dem Gespräch mit María allerdings nicht mehr so tragisch. Obwohl ich James' Aktion anfangs total bescheuert und peinlich fand, bin ich ihm rückblickend sehr dankbar dafür. Seine Uni-Bekanntschaft hat mir nämlich die Augen geöffnet und mir klar gemacht, worauf es letztendlich wirklich ankommt.
Statt mich für Georgia zu verändern, sollte ich lieber dafür sorgen, dass sie erkennt, wer ich tatsächlich bin. Die Frage ist nur, ob sie den wahren Albie anziehend oder eher zum Davonlaufen finden wird. Wer auf Typen wie Reece steht, kann jemandem wie mir garantiert nichts abgewinnen. Obwohl ich nicht vergessen habe, was sie nach meiner Kotzerei im Sportunterricht zu mir gesagt hat.
Diese Geschichte hängt mir im Übrigen noch immer nach, aber mittlerweile höre ich gar nicht mehr hin, wenn meine blöden Mitschüler sich meinetwegen ihre Mäuler zerreißen. Sollen sie doch lästern und dabei ihren Spaß haben. Ich bin mit meinen Gedanken ohnehin ganz woanders. Schritt 10 ist so absurd, dass ich ernsthaft darüber nachdenke, ihn einfach zu überspringen.
Mal abgesehen davon, dass ich trotz meiner regelmäßigen Trainingseinheiten mit Lorcan niemals eine Schlägerei gewinnen würde, kann ich mir auch überhaupt nicht vorstellen, jemals die Hand gegen eine andere Person zu erheben. Ich verabscheue jede Form von Gewalt und könnte keiner Fliege etwas zuleide tun. Dementsprechend stehe ich vor einem Dilemma, für das ich bis jetzt noch keine Lösung gefunden habe, obwohl ich mir schon seit geraumer Zeit den Kopf darüber zerbreche.
„Ey, Batman, keine Augen im Kopf, oder was?", reißt mich eine unangenehm vertraute Stimme aus meinen Grübeleien und ich taumle zurück, weil ich soeben in jemanden reingelaufen bin.
Leider ist dieser Jemand niemand Geringeres als Reece, der extra für mich eine besonders ekelhafte Version seines üblichen arroganten Grinsens zum Besten gibt. „Komm mir bloß nicht zu nah, Albert", sagt er spöttisch und hebt abwehrend die Hände. „Ich hab echt keinen Bock, nachher deine Kotze von meinen Schuhen zu kratzen."
„Keine Sorge", antworte ich kühl und sehe ihm direkt in seine tückisch funkelnden blauen Augen. „Für dich ist mir sogar meine Kotze zu schade. Und jetzt geh mir aus dem Weg, du Arsch."
Kaum habe ich das letzte Wort ausgesprochen, verwandelt sich Reeces überhebliches Feixen zu einer wütenden Grimasse. „Sag das nochmal!", fordert er mich lautstark auf, sodass sich einige andere Schüler zu uns umdrehen. Da wir gerade Mittagspause haben und es draußen regnet, sind die Gänge gut gefüllt.
„Was denn?", provoziere ich ihn weiter, weil mir im selben Moment auffällt, dass er ausnahmsweise ohne seine Schergen unterwegs ist. „Das mit der Kotze oder das mit dem Arsch?" Es erfüllt mich mit Genugtuung, dabei zuzusehen, wie seine Mimik mit jeder Silbe angespannter wird.
„Pass lieber auf, Batman", warnt mich Reece mit einem drohenden Unterton in der Stimme. „Sonst zeig ich dir gleich mal, wie man fliegt!"
Ich unterdrücke ein Lachen. „Dann leg mal los, Doctor Death", entgegne ich frech und deutlich genug, dass es alle Anwesenden hören können. „Aber du merkst schon, dass du dich gerade voll lächerlich machst, oder?"
Statt etwas darauf zu erwidern, schubst Reece mich ohne Vorwarnung nach hinten. Nur mit Mühe fange ich mich wieder, doch er lässt nicht von mir ab, sondern verpasst mir direkt den nächsten Stoß. „Bereust du's schon?", fragt er giftig, während ich erneut strauchle. Um uns herum bildet sich innerhalb von Sekunden eine Traube aus Schülern, die unsere Auseinandersetzung gebannt verfolgen.
Ich bleibe dabei, dass ich Gewalt verabscheue – gleichzeitig halte ich es aber für absolut legitim, sich selbst zu verteidigen, wenn man körperlich angegangen wird. „Auf keinen Fall!", antworte ich deshalb kalt, finde mein Gleichgewicht wieder und schubse meinen Widersacher mit aller Kraft von mir weg.
Was danach passiert, nehme ich gar nicht so richtig wahr, weil alles viel zu schnell geht. Es fliegen Fäuste, Reece flucht, ich spüre, wie mir Blut aus der Nase spritzt und im Gang hallen Anfeuerungsrufe wider. Zwischendurch liege ich rücklings auf dem Boden und versuche mich zu befreien, während Reece mir sein Knie in den Brustkorb drückt, im nächsten Moment habe ich ihn im Schwitzkasten und wische mir mit der freien Hand das Blut aus dem Gesicht.
Irgendwann erschallt eine Stimme, welche das schadenfrohe „Weiter!"-Geschrei unserer Mitschüler übertönt. Zunächst kann ich sie nicht genau zuordnen, aber trotz des Lärms erkenne ich, dass es sich um eine weibliche Stimme handelt. Für den Bruchteil einer Sekunde spitze ich die Ohren und nun verstehe ich, was sie ruft: „Aufhören!"
Georgia, schießt es mir durch den Kopf und ich halte inne, nur um einen Augenblick später beinahe zu ersticken, weil Reece seine breiten Pranken um meine Kehle schließt. Unsere Blicke kreuzen sich – in seinen Augen lodert etwas, das sich nur als blinder Hass beschreiben lässt. Ich bin kein Arzt, aber dieser Junge braucht dringend eine Therapie. Mit professioneller Hilfe schafft er es vielleicht, sein Aggressionsproblem und seinen notorischen Frauenverschleiß in den Griff zu kriegen.
„Reece, hör auf!" Georgias Stimme ist ganz nah bei mir. „Lass los, du erwürgst ihn noch!" Danke, endlich spricht es mal jemand an.
Tatsächlich spüre ich, wie er den Druck auf meinen Hals verringert und sich schließlich komplett zurückzieht. Ich erhasche gerade noch einen Blick auf seine wutverzerrte Visage inklusive aufgeplatzter Lippe, ehe sich eine aufgeregte Georgia in mein Sichtfeld schiebt. Unter ihren Sommersprossen ist sie ganz blass und in ihren braunen Augen liegt ein Ausdruck tiefer Besorgnis.
„Du blutest", stellt sie schockiert fest und mustert mich von oben bis unten. „Tut dir sonst irgendwas weh?"
„Nein", ächze ich, obwohl mein Hals sich durchaus beengt anfühlt und ich einen pochenden Schmerz in meiner Nase spüre. Über Georgia und die gaffende Meute hinweg entdecke ich eine Gestalt am Ende des Ganges, die Mr. Mount erschreckend ähnlich sieht. Der Typ ist echt der Letzte, den ich jetzt brauchen kann. „Ich muss hier raus", sage ich zu ihr und sehe sie fragend an. „Kommst du mit?"
„Natürlich", erwidert sie prompt und greift nach meiner Hand. „Lass uns gehen." Ohne Reece oder die anderen eines Blickes zu würdigen, zieht sie mich hinter sich her in Richtung Ausgang. Ich folge hier, als hätte ich nie etwas anderes getan.
Draußen regnet es immer noch, aber der eisige Wind vermischt mit nasskalten Tropfen beruhigt mich irgendwie und senkt mein Adrenalinlevel. Mit dem Ärmel meiner Jacke, die zum Glück schwarz ist, wische ich mir das restliche Blut aus dem Gesicht. Meine Nase tut zwar weh, aber ich glaube, sie ist nicht gebrochen, sondern nur geprellt. Glück gehabt.
Ich schaue zu Georgia, deren kupferfarbene Locken im Wind wehen. Sie hält immer noch meine Hand und berührt mit der anderen zaghaft meine Wange. „Bist du wirklich okay?", hakt sie besorgt nach, während ich trotz verletzter Nase ihren weihnachtlichen Duft riechen kann.
„Ja, mir geht's gut", beteuere ich und lächele sie an. Weil du bei mir bist, würde ich am liebsten hinzufügen, doch ich verkneife es mir.
Einen Moment lang stehen wir einfach nur da, mitten auf dem menschenleeren Schulhof und schauen uns an. Sie ist Diejenige, die als Erste wieder das Wort ergreift. „Weißt du noch, was ich neulich zu dir gesagt habe?", will sie von mir wissen, ohne unseren Blickkontakt zu unterbrechen. „Im Sportunterricht, meine ich."
Ich verziehe den Mund zu einem schiefen Grinsen. „Klar weiß ich das noch", antworte ich und fange beinahe an zu schwitzen bei der Erinnerung an mein eigenes, verkatertes Selbst, das in Gesellschaft von Georgia auf dem Boden der Jungentoilette hockt. Wie könnte ich das jemals vergessen?
„Als ich gesagt habe, dass ich dich gerne besser kennenlernen würde, war das ernst gemeint", fährt sie fort und ein kleines Lächeln umspielt ihre schmalen Lippen. „Aber natürlich nur, wenn du das auch möchtest."
Habe ich bei der Prügelei mit Reece einen Schlag auf den Kopf bekommen oder passiert das hier gerade wirklich? „Ich möchte dich auch besser kennenlernen", höre ich mich sagen und bin gleichzeitig erstaunt, weil ich diesen Satz ohne einen einzigen Stotterer hervorgebracht habe. Meine Zunge fühlt sich nämlich plötzlich an wie Blei.
Georgias Lächeln wird noch eine Spur breiter und in ihrer rechten Wange bildet sich ein Grübchen. „Dass ich dich mag, war übrigens auch ernst gemeint", sagt sie und ich bin froh, dass sie weiterhin meine Hand hält. Ansonsten wäre ich jetzt eventuell aus den Latschen gekippt.
Wer das liest, ist schön <3
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