16 | Hangover
Aus meinem gestrigen Besuch bei den O'Caseys habe ich eine Sache gelernt: Es ist mit Abstand die hirnrissigste Idee meines Lebens gewesen, als absoluter Anfänger zwei Gläser Whiskey zu trinken und gleichzeitig zu kiffen, nur um vor den anderen nicht wie eine Spaßbremse dazustehen.
Ich weiß gar nicht mehr, wie ich es in meinem benebelten Zustand nach Hause geschafft habe – zum Schluss konnte ich nicht mal mehr gerade stehen, geschweige denn laufen, ohne dabei zu schwanken. Zum Glück war mein Dad gestern Abend erneut in seinem selbstinduzierten Delirium gefangen, weshalb ihm meine motorischen Aussetzer und die Alkoholfahne nicht weiter aufgefallen sind.
Eigentlich hatte ich gehofft, dass es mir heute Morgen besser gehen würde, doch die Realität sieht leider etwas anders aus. Wahrscheinlich wäre es klüger gewesen, wenn ich einfach zuhause geblieben wäre, denn der Stress, dem ich in der Schule täglich ausgesetzt bin, trägt nicht gerade dazu bei, dass mein heftiger Kater erträglicher wird – im Gegenteil.
Physik und Geschichte habe ich nur überlebt, weil ich an meinem Platz in der letzten Reihe ungestört vor mich hin dösen konnte, ohne dass es irgendjemanden interessiert hat. Während des Sportunterrichts ist das leider nicht möglich, zumal wir heute Basketball spielen müssen und Mr. Blackmore keine faulen Ausreden duldet – wie eigentlich immer. Dieser Kerl würde mich wahrscheinlich selbst dann zum Mitmachen zwingen, wenn ich halbtot und bewegungsunfähig wäre.
Wenigstens lande ich diesmal nicht mit Reece oder Kim in einem Team. Dafür muss ich gegen die beiden antreten, was auch nicht gerade von Vorteil ist, da beide natürlich viel besser sind als ich und mich gnadenlos ausspielen. Zudem schrecken sie nicht davor zurück, unfaire Mittel einzusetzen – besonders Kim lässt wieder einmal keinen Zweifel daran, dass er die Unsportlichkeit in Person ist.
„Ey, Albert, so scheiße wie du bist, solltest du vielleicht lieber bei den Mädels mitspielen!", ruft er mir mit einem boshaften Grinsen zu, sodass nicht nur ich ihn hören kann, sondern auch alle anderen.
Einige seiner blöden Kumpels – darunter Reece – lachen höhnisch, während durch die Reihen der Mädchen ein empörtes Raunen geht. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Georgia Kim einen bitterbösen Blick zuwirft. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, dass sie seinen Spruch alles andere als komisch findet. Mr. Blackmore hingegen schafft es nur mit Mühe, sich ein Schmunzeln zu verkneifen. Arschloch.
Ich beiße die Zähne zusammen und versuche, dieses Spiel so gut wie möglich durchzuziehen, doch meine Kopfschmerzen und das flaue Gefühl in meinem Magen werden gefühlt mit jeder Bewegung stärker. Am liebsten würde ich entweder aufs Klo rennen oder nach draußen an die frische Luft – Hauptsache weit, weit weg von hier.
Gerade als ich denke, dass es eigentlich kaum noch schlimmer werden kann, holt Kim aus und wirft den Ball schwungvoll in meine Richtung. Dummerweise funktionieren meine Reflexe aufgrund des Katers wesentlich langsamer als sonst, weshalb ich zu spät reagiere und den Ball weder fangen, noch rechtzeitig ausweichen kann. Folgerichtig trifft das Ding mit voller Wucht meine Magengrube und ich taumle benommen zurück. Fuck.
„Meine Güte, Goldsborough!", blökt Mr. Blackmore durch die halbe Halle und marschiert mit großen Schritten auf mich zu, bis er wutschnaubend vor mir zum Stehen kommt. „Kannst du dir nicht wenigstens ein bisschen Mühe geben? Das, was du hier ablieferst, grenzt schon an Arbeitsverweigerung!"
Ich nehme sein Gezeter nur am Rande wahr, denn ich bin vollauf damit beschäftigt, mich darauf zu konzentrieren, meinen Mageninhalt bei mir zu behalten. Es gelingt mir nicht. Ehe ich überhaupt weiß, wie mir geschieht, krümmt sich mein Oberkörper zusammen und ein Schwall Erbrochenes ergießt sich auf Mr. Blackmores blütenweiße Sportschuhe. Ein paar meiner Mitschüler geben angeekelte Geräusche von sich, andere lachen mich aus. Reece und seine Gang gehören natürlich zu Letzteren.
Nachdem ich mich ausgekotzt habe, riskiere ich einen Blick zu Mr. Blackmore. Sein Kopf leuchtet wie eine rote Ampel, er hat die Lippen fest aufeinander gepresst und scheint nicht recht zu wissen, ob er mich anschnauzen oder übers Knie legen soll. Ungläubig starrt er auf seine vollgereiherten Schuhe, die nun nicht mehr weiß sind und es vermutlich auch nie wieder werden. Ich an seiner Stelle würde sie einfach wegschmeißen.
„Goldsborough", sagt Mr. Blackmore schließlich zähneknirschend und mit gefährlich ruhiger Stimme. „Verschwinde. Wir sprechen uns, sobald du dazu in der Lage bist, dich wie ein normaler Mensch zu verhalten!"
Beinahe hätte ich mich bei ihm dafür bedankt, dass er mir endlich die Möglichkeit gibt, von hier abzuhauen. Trotz weicher Knie und rebellierendem Magen verlasse ich zügig die Halle und ziehe mich auf die Jungentoilette zurück. Dort übergebe ich mich ein weiteres Mal, wasche mir anschließend das Gesicht, trinke einen Schluck Wasser und ziehe mein T-Shirt aus, das leider etwas dreckig geworden ist.
Erschöpft lasse ich mich auf die trüben Fliesen sinken und lehne mich mit geschlossenen Augen an die Wand. Noch immer dreht sich alles, aber wenigstens dürfte mein Magen jetzt so gut wie leer sein. Trotzdem fühle ich mich beschissener denn je. Am liebsten würde ich Lorcan anrufen, um die vertraute Stimme eines Freundes zu hören, doch da er gerade selber in der Schule ist, werde ich ihn wohl kaum erreichen.
Noch während ich dahocke und gegen den Schwindel ankämpfe, nähern sich draußen auf dem Gang gedämpfte Schritte. Im nächsten Moment wird die Tür geöffnet und als ich die Person erkenne, die mir plötzlich gegenübersteht, springe ich so hastig auf, dass mir beinahe wieder schlecht wird. Nur mit Mühe schaffe ich es, ein Würgen zu unterdrücken.
„Georgia!", keuche ich peinlich berührt, weil sie wirklich der letzte Mensch ist, dem ich halbnackt und in einem derart miserablen Zustand unter die Augen treten möchte. „Das hier ist das Jungenklo."
„Danke für die Info", entgegnet sie trocken, kommt unbeirrt näher und mustert mich besorgt. Ihre Miene wirkt aufrichtig. „Ich wollte schauen, wie's dir geht. Kann ich dir vielleicht irgendwie helfen?"
Ich verkneife mir ein humorloses Lachen. Selbst wenn ihr Mitgefühl ernst gemeint ist, trägt es im Augenblick lediglich dazu bei, dass ich mich noch mehr wie ein Loser fühle. „Mach dir meinetwegen keine Gedanken", sage ich schroffer als beabsichtigt. „Mir geht's schon wieder besser."
„Das sehe ich." Georgias sarkastischer Unterton ist nicht zu überhören. Mit ihren schönen, braunen Augen schaut sie mich unverwandt an. „Komm schon, Albie, was ist los mit dir? Du hast doch irgendwas."
Schnaubend wende ich mich ab. Was soll ich ihr schon sagen? Dass ich in sie verschossen bin und deshalb jeden erdenklichen Scheiß mache, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen? Letzteres scheine ich zwar geschafft zu haben, doch ich möchte nicht, dass sie sich nur aus moralischem Pflichtgefühl mit mir abgibt. Auf diese Art von Zuwendung kann ich gut und gerne verzichten.
„Warum interessiert's dich eigentlich, was mit mir los ist?", frage ich beinahe vorwurfsvoll und drehe mich wieder zu ihr um. „Wir kennen uns doch gar nicht." Es tut weh, diese Worte laut auszusprechen. Ich denke zwar ununterbrochen an sie, aber in der Realität sind wir praktisch Fremde.
„Stimmt", räumt Georgia achselzuckend ein. „Wir kennen uns eigentlich nicht. Aber wie's dir geht, interessiert mich trotzdem. Außerdem kann man sich ja besser kennenlernen, oder spricht irgendwas dagegen?"
Perplex glotze ich sie an. Hat sie das gerade wirklich gesagt oder bin ich jetzt komplett Banane? „Du willst mich echt kennenlernen?", frage ich unsicher und rechne fest damit, dass sie mich gleich auslachen wird. „Ich dachte, du redest nur aus Mitleid mit mir."
Nun ist sie Diejenige, die überrascht wirkt. „Aus Mitleid?", wiederholt sie langsam und schüttelt im nächsten Moment den Kopf. „Du bist echt ein bisschen schräg, Albie. Aber genau deswegen mag ich dich."
Immer noch völlig verdattert sehe ich dabei zu, wie sie ein paar Fetzen aus dem Papierspender zupft und kurz unter den Wasserhahn hält. „Übrigens, du hast da noch was", sagt sie schmunzelnd an mich gewandt, drückt mir das Papier in die Hand und deutet auf mein Kinn.
Das Blut schießt mir in die Wangen, aber gleichzeitig spüre ich, wie sich mein Mund zu einem gequälten Grinsen verzieht. „Danke", erwidere ich verlegen und wische mir die Überreste meines Missgeschicks aus dem Gesicht. Ich rechne es Georgia hoch an, dass sie freiwillig zu mir gekommen ist, obwohl ich eben noch gekotzt habe. Vielleicht ist das der Beweis dafür, dass sie mich wirklich gern hat.
Was haltet ihr eigentlich von Georgia? :)
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