15 | Raise your glass
Schritt 8: Trinke Alkohol und konsumiere (harte) Drogen! Noch besser wäre es natürlich, wenn du gleichzeitig auch mit Drogen dealen würdest, aber alles zu seiner Zeit.
Allmählich lässt die Motivation nach und ich bin zunehmend frustriert. Das hängt nicht nur mit der blöden Liste zusammen, die ich von Schritt zu Schritt fragwürdiger finde, sondern auch damit, dass ich bei Georgia bisher nicht wirklich weitergekommen bin. Sie scheint mich zwar zu mögen, aber ich glaube, dass es mehr Mitleid ist als echte Zuneigung. Abgesehen davon ist Reece natürlich immer noch ihre Nummer Eins – erst neulich habe ich die beiden nach dem Sportunterricht beim Rummachen erwischt.
Auch außerhalb meines nicht vorhandenen Liebeslebens läuft es aktuell ziemlich bescheiden. Dad vegetiert konstant zuhause vor sich hin und Mum ist schlecht auf mich zu sprechen, weil ich mich beim gemeinsamen Abendessen mit Bruce ihrer Meinung nach danebenbenommen habe. Um ehrlich zu sein, verstehe ich ihr Problem nicht. Ich bin recht zeitig nach Hause gegangen, weil ich Dad nicht so lange alleine lassen wollte. Dass sie dafür kein Verständnis hat, ist erstens ziemlich egoistisch und zweitens nicht meine Schuld.
Manchmal bedauere ich es wirklich sehr, dass ich ein Einzelkind bin und keine Geschwister habe, die mein Leid teilen. Der einzige Mensch, der einem Bruder am nächsten kommt und dem ich mich anvertrauen kann, ist natürlich Lorcan. Den heutigen Nachmittag verbringe ich wieder einmal im Haus der Familie O'Casey, die allerdings vorübergehend auf zwei Mitglieder geschrumpft ist. Mr. und Mrs. O'Casey sind nämlich spontan nach Irland gereist, um Lorcans Urgroßmutter zu pflegen, der es nach einem Sturz nicht sonderlich gut geht.
Sein älterer Bruder James hat die Gelegenheit natürlich gleich am Schopf gepackt und sich einen Haufen Kumpels eingeladen, mit denen er nun unten im Wohnzimmer zusammenhockt. Lorcan und ich befinden uns derweil in seinem Zimmer, doch aus dem Erdgeschoss dringen permanent laute Stimmen und Gelächter. Das geht mir maximal auf die Nerven, denn eigentlich bin ich hierhergekommen, um mich in aller Ruhe bei Lorcan über mein verkorkstes Leben auszuheulen.
„Vielleicht hätten wir uns doch lieber bei mir treffen sollen", sage ich grimmig, während ich der Länge nach auf Lorcans Bett fläze und an die Decke starre. „Mein Dad hat zwar ein Problem, aber wenigstens ist er leise. Meistens zumindest."
„Ach komm", sagt Lorcan beschwichtigend, der verkehrt herum auf seinem Schreibtischstuhl sitzt und mich mit einem schiefen Lächeln mustert. „So laut ist es hier auch wieder nicht. Außerdem gibt's Schlimmeres. Denk doch mal an die Sache mit Georgia und diesem Reece."
„Danke, dass du mich daran erinnerst", brumme ich miesepetrig und rapple mich auf, um ihn besser sehen zu können. „Was hat mir diese Liste bisher eigentlich gebracht? Außer kurze Haare, Stress in der Schule und einen gepiercten Schwanz?"
„Perfekt zusammengefasst", gackert mein bester Freund, wird jedoch schnell wieder ernst und setzt eine wenig ernst zu nehmende, pseudo-strenge Miene auf. „Du willst doch jetzt nicht etwa aufgeben, oder? Mehr als die Hälfte hast du schon geschafft, die letzten vier Schritte packst du ja wohl auch noch!"
„Alles klar", schnaube ich gereizt. „Dann erklär mir doch mal, wie ich als Minderjähriger an Alkohol und harte Drogen rankommen soll, Mr. Superbrain!"
„Kein Problem", entgegnet Lorcan gelassen und steht auf. „Wir fragen einfach James. Am besten jetzt sofort. Also, schwing deinen Arsch von meinem Bett und ab nach unten mit dir!"
Widerwillig folge ich ihm, obwohl ich im Prinzip weder an Alkohol, noch an Drogen interessiert bin. Allerdings hat Lorcan schon Recht – es wäre albern, das Bad-Boy-Experiment ausgerechnet jetzt abzubrechen, nachdem ich mich deswegen sogar ins Piercing-Studio geschleppt habe. Ich meine, was kann schon schlimmer sein als ein Intimpiercing, das auch noch genauso heißt wie man selbst?
Schon auf dem Weg nach unten bemerke ich den eigenartigen Geruch, der in der Luft hängt. Ich kann ihn nicht genau zuordnen – irgendwie riecht er scharf, erdig und holzig zugleich. Meine Vermutung, dass es sich um Cannabis handeln könnte, bestätigt sich in dem Moment, als ich hinter Lorcan das Wohnzimmer betrete. James und seine Freunde, die zum Teil etwas asozial aussehen, sitzen im Kreis um den Wohnzimmertisch herum und spielen Karten – offenbar mit Einsatz. Mir entgeht nicht, dass eine angebrochene Flasche Irish Whiskey auf dem Tisch steht und einige von ihnen Joints rauchen.
„Hey, ihr Zwei!", ruft James über das Stimmengewirr hinweg, sobald er uns bemerkt und winkt uns mit benebeltem Blick zu sich. „Setzt euch doch zu uns, Jungs. Wollt ihr auch was trinken?" Weder er, noch seine Kumpels scheinen sich von Lorcan und mir gestört zu fühlen.
„Klar wollen wir das", antwortet mein bester Freund für uns beide und schubst mich auf das Sofa zu, das bereits von zwei Typen in James' Alter belegt wird. Beide wirken etwas zugedröhnt, rücken jedoch wie selbstverständlich auseinander, um mir Platz zu machen.
Zögernd setze ich mich zwischen die beiden Studenten, die sich mir als Sean und Isaac vorstellen. Letzterer scheint sich längst großzügig am Whiskey bedient zu haben, denn seine Brille ist verrutscht und er lallt ein wenig beim Sprechen. Ehe ich mich versehe, drückt er auch mir ein Glas in die Hand und Lorcan, der sich auf der anderen Seite des Tisches neben James niedergelassen hat, ereilt das gleiche Schicksal.
Grinsend hebt er sein Glas und prostet mir zu. „Auf dich, Prinz Albert", sagt er laut, während die anderen schallend anfangen zu lachen, obwohl sie den Witz hinter diesem Namen nicht einmal verstehen.
Kopfschüttelnd nippe ich an meinem Whiskey und verziehe unwillkürlich das Gesicht. Für jemanden wie mich, der bisher nur Bier, Sekt und Weißwein probiert hat, ist dieses Zeug definitiv zu stark. Es brennt wie Feuer und schmeckt rauchig, sodass ich mich beinahe zum Schlucken zwingen muss. Die Iren müssen wirklich besondere Geschmacksnerven haben, sonst würden sie die Plörre wohl kaum fässerweise produzieren.
Isaac, dem meine angewiderte Miene trotz seines hohen Promillewerts offenbar nicht entgangen ist, klatscht mir lachend auf die Schulter. „Stell dich nicht so an, Junge", sagt er und füllt mein halbleeres Glas wieder auf, noch bevor ich überhaupt reagieren kann. „Trink mehr, dann wird's besser."
Ich glaube zwar kaum, dass er damit Recht behalten wird, folge aber dennoch widerwillig seinem Rat, um nicht wie eine Memme dazustehen. Unauffällig schaue ich zu Lorcan rüber, dem der Whiskey zu schmecken scheint. Kein Wunder, schließlich wurde er schon als Zwölfjähriger von James abgefüllt, ohne dass die Eltern der beiden etwas davon mitbekommen haben. Wahrscheinlich ahnen sie auch jetzt nicht, dass ihr Ältester ihre Abwesenheit dreist ausnutzt, um mithilfe seiner Kumpels ihren Whiskeyvorrat zu vernichten.
Der Alkohol steigt mir schneller zu Kopf, als mir lieb ist. Schon nach kurzer Zeit stellt sich ein leichtes Schwindelgefühl ein und meine Lider werden schwer, während ich gleichzeitig eine bleierne Müdigkeit spüre. Schlaff hocke ich auf dem Sofa, lausche den Stimmen um mich herum und beobachte Sean, der gerade nicht mit den anderen Karten spielt, sondern in aller Ruhe und mit flinken Fingern einen Joint dreht.
Irgendwann scheint er meinen Blick zu bemerken, denn ein Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus und er hält mir den fertigen Joint unter die Nase. „Schenk ich dir", sagt er großzügig. „Du siehst aus, als könntest du einen gebrauchen."
Unter normalen Umständen würde ich jetzt dankend ablehnen, doch meine Zunge will mir nicht recht gehorchen, weshalb ich das Ding wortlos entgegen nehme. Trotz meines vernebelten Hirns erinnere ich mich dunkel daran, dass der achte Schritt darin besteht, neben Alkohol auch Drogen zu konsumieren. Wenn Georgia wüsste, was ich mir ihretwegen alles antue – ohne zu wissen, ob es mir am Ende überhaupt etwas nützt.
Ich nehme nur am Rande wahr, wie Sean ein Feuerzeug zückt und den Joint anzündet. Träge ziehe ich daran und bekomme im nächsten Moment einen heftigen Hustenanfall, der mir die Luft zum Atmen raubt. Einige der anderen lachen, darunter auch Sean, dem es offenbar kein schlechtes Gewissen bereitet, dass ich seinetwegen kurz davor bin, zu ersticken.
„Keine Angst, das hört gleich wieder auf", behauptet er leichthin, während er unsanft meinen Rücken tätschelt. „Mach einfach weiter, dann gewöhnst du dich dran."
„Vergiss es", ächze ich und wische mir mit dem Ärmel über meine tränenden Augen. „Ich bin definitiv zu jung, um zu sterben." Meine brüchige, heisere Stimme klingt so fremd, dass ich sie selbst kaum wiedererkenne.
„Übertreib mal nicht!",entgegnet Sean streng und verpasst mir einen Klapps auf den Hinterkopf, sodass ich kurzzeitig Sternchen sehe. „Sei ein Mann, Albert!"
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