12 | Under pressure

Das Direktorat ist ein kleiner, rechteckiger Raum im ersten Stock, der von Neonröhren erleuchtet wird und nur ein einziges Fenster hat, das jedoch keinen besonders schönen Ausblick bietet. Wenn man hinausschaut, bekommt man lediglich den langweiligen, grauen Lehrerparkplatz zu sehen, der von einer Handvoll windschiefer Trauerweiden gesäumt wird. Sehr passend, wie ich finde.

Auf der Fensterbank setzen bunte Kunstblumen Staub an, der Geruch von Kaffee, Papier und Vintage Parfum hängt in der Luft. Die linke Wand schmückt, neben einigen alten Fotos, das bekannteste Gemälde des niederländischen Malers Jan Vermeer – ich glaube, es heißt „Das Mädchen mit den Perlenohrringen" oder so ähnlich. Dieses gemalte Mädchen scheint mich unentwegt anzustarren und ich fühle mich zunehmend von ihr beobachtet. Kann es sein, dass ich langsam bekloppt werde?

„Albert, hier spielt die Musik!", herrscht mich Mrs. Hardy an und klatscht wenige Zentimeter vor meiner Nase schallend in die Hände. Auf ihrer gerunzelten Stirn pulsiert eine prominente Zornesader. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, unsere Schulleiterin ist gerade etwas gereizt.

Mrs. Helena Hardy genießt an der Eastwood High eigentlich einen guten Ruf. Sie gilt als kompetent, fair und verständnisvoll, weshalb die meisten Schüler ihr mit Respekt begegnen, sogar die schweren Fälle wie zum Beispiel Reece oder Kim. Für meine Auseinandersetzung mit Mr. Mount scheint unsere Schulleiterin jedoch herzlich wenig Verständnis zu haben. Nachdem er bei ihr petzen gegangen ist, hat sie mich unverzüglich in ihr Büro zitiert – natürlich per Lautsprecherdurchsage, sodass nun die ganze Schule darüber Bescheid weiß.

„Ich hoffe, dir ist klar, dass dein Verhalten gegenüber Mr. Mount absolut inakzeptabel war", schimpft Mrs. Hardy und verschränkt die Arme vor ihrer gewaltigen Oberweite, die ihr unter uns Schülern den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Mrs. Boobs" eingetragen hat. „Du kannst doch nicht vor versammelter Mannschaft seine Kompetenz als Lehrer in Frage stellen!"

„Irgendeiner muss es ja machen", entgegne ich trocken und bemühe mich, nicht auf ihren tiefen Ausschnitt zu starren, obwohl dieser sich genau auf Höhe meines Gesichts befindet. Während ich auf einem Stuhl vor ihrem Schreibtisch sitze, steht sie mir mit finsterer Miene gegenüber.

„Albert Wilfred Goldsborough, es reicht!", zischt sie mich wütend an, wendet sich ab und lässt sich schnaubend auf ihren Schreibtischstuhl fallen. „Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder, du entschuldigst dich bei Mr. Mount für dein Verhalten oder ich lade deine Eltern zu einem persönlichen Krisengespräch mit mir ein. Deine Entscheidung."

Nicht ihr Ernst, oder? Ungläubig starre ich Mrs. Hardy an. Sie kann doch nicht wirklich von mir verlangen, dass ich mich bei meinem blöden Mathelehrer dafür entschuldige, dass er mich vor allen anderen als Trottel dargestellt hat. Und dann droht sie mir auch noch damit, meine Eltern einzuschalten, wenn ich es nicht tue? In meinen Augen ist das nichts anderes als eine dreiste Erpressung.

„Nun, Albert", sagt Mrs. Hardy gereizt und beugt sich ein wenig vor. „Ich warte. Wenn du nicht dazu in der Lage bist, eine Entscheidung zu treffen, werde ich das für dich übernehmen und ich schätze, sie wird dir nicht gefallen. Also?"

Schlange, schießt es mir durch den Kopf und ich starre sie finster an. Mir ist klar, dass ich keine Wahl habe – ich werde mich bei dem Arschloch entschuldigen müssen, denn ich kann unter keinen Umständen zulassen, dass mein Dad in seinem gegenwärtigen Zustand auf die Schulleiterin trifft. Wie ich Mrs. Hardy kenne, würde sie ohne zu zögern die zuständigen Behörden informieren und dafür sorgen, dass er zwangseingewiesen wird oder so.

„Ist schon okay", gebe ich mich zähneknirschend geschlagen. „Ich werde mich bei Mr. Mount entschuldigen." Danach werde ich auf die Toilette verschwinden, um eine Runde zu kotzen, aber das behalte ich lieber für mich.

Ein triumphierendes Lächeln huscht über Mrs. Hardys Gesicht. Schon setzt sie zu einer Antwort an, als es zweimal laut an der Tür klopft. Prompt entfährt ihr ein genervtes Seufzen. „Herein?", ruft sie augenrollend, doch es klingt mehr wie ein „Hau ab!"

Schwungvoll wird die Tür aufgerissen und ein süßlicher Weihnachtsduft weht ins Zimmer. Mein Herz stolpert kurz, denn ich kenne nur einen einzigen Menschen, der so duftet, als käme er gerade erst aus einer warmen, behaglichen Weihnachtsbäckerei voller Zimtsterne und Lebkuchen. Mit roten Wangen drehe ich mich um und sehe tatsächlich Georgia im Türrahmen stehen. Im ersten Moment glaube ich, dass sie sich vielleicht verlaufen hat, doch ihr entschlossener Gesichtsausdruck passt irgendwie nicht zu diesem Szenario.

„Ach, Gianna", sagt Mrs. Hardy unwirsch, die sich anscheinend keine Namen merken kann. „Wie du siehst, ist es gerade ziemlich schlecht. Ich habe noch mit Albert zu reden."

„Georgia", entgegnet sie trocken, stellt sich hinter mich und legt die Hände auf die Lehne meines Stuhls. „Genau deswegen bin ich hier. Wegen Albie, meine ich."

„Was?", rutscht es mir heraus und ich drehe mich perplex zu ihr um. Da sie direkt hinter mir steht und ich nach wie vor sitze, muss ich mir praktisch den Hals verrenken, damit ich sie anschauen kann. Lächelnd erwidert sie meinen Blick, doch sobald ihre Augen zurück zu Mrs. Hardy wandern, wird ihre Miene wieder so ernst und entschlossen wie zuvor.

„Soso", sagt unsere Schulleiterin missbilligend. „Dann erkläre mir doch bitte, was du mit der Auseinandersetzung zwischen Albert und Mr. Mount zu tun hast, meine Liebe."

„Ich war dabei, im Gegensatz zu Ihnen", erwidert Georgia unbeirrt, während ich mir ein Grinsen verkneifen muss. „Und ich finde nicht, dass Albie Derjenige ist, der sich zu entschuldigen hat, sondern Mr. Mount. Seine Kommentare haben überhaupt erst zu dem Streit geführt."

„Aha", äußert sich Mrs. Hardy wenig eloquent und mustert mich stirnrunzelnd. So richtig überzeugt wirkt sie noch nicht. „Stimmt das, Albert?"

„Ja", bestätige ich mit Nachdruck. „Das habe ich Ihnen vorhin doch schon gesagt, aber Sie wollten mir ja nicht glauben." Als ich zu Beginn unseres Gesprächs erwähnt habe, dass ich lediglich wegen Mr. Mounts Provokationen so frech geworden bin, hat sie nur gemeint, ich solle nicht so übertreiben.

Die Schulleiterin seufzt und spielt unschlüssig mit einem Kugelschreiber. „Na schön", sagt sie schließlich in etwas verbindlicherem Ton. „Vielleicht sollte ich erst nochmal mit dem Kollegen reden, bevor wir weitersehen. Danke, Giann ... Georgia, für deinen Einsatz. Du und Albert, ihr könnt jetzt gehen."

Erleichtert stehe ich auf. Mit ein bisschen Glück bleibt es mir erspart, mich bei dem Ekelpaket namens Mount entschuldigen zu müssen. Ich sage Mrs. Hardy vorerst auf Wiedersehen und folge Georgia anschließend nach draußen. Die große Pause hat bereits angefangen – das erklärt wohl auch, wieso sie plötzlich einfach so mir nichts, dir nichts im Direktorat aufgetaucht ist. Am besten bedanke ich mich bei ihr, bevor Reece auftaucht und sie wieder nur noch Augen für ihn hat.

„Danke für deine Hilfe", sage ich deshalb an Georgia gewandt und schaffe es ausnahmsweise, nicht zu stottern. „Ich hoffe, ich kann mich irgendwann dafür revanchieren."

„Das musst du doch gar nicht", erwidert sie abwinkend und lächelt mich erneut an. „Ich freue mich, dass ich dir helfen konnte. Mr. Mount sollte mit seinem Mobbing nicht einfach so davonkommen."

Zustimmend nicke ich, obwohl ich mich insgeheim immer noch darüber wundere, dass sie sich aus freien Stücken für mich eingesetzt hat. Ich meine, wir kennen uns im Prinzip überhaupt nicht. Keiner meiner Mitschüler, mit denen ich seit Jahren in denselben Kursen hocke, hätte so etwas für mich getan. Aber was hat das nun zu bedeuten? Ist Georgia einfach nur nett oder hat sie das gemacht, weil sie mich mag? Letzteres erscheint mir irgendwie schwer vorstellbar. Ich bin schließlich nicht Reece und ich werde auch niemals so sein wie er.


Was haltet ihr eigentlich von Georgia? Schreibt mir gerne euren Eindruck von ihr in die Kommentare :)

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