10 | Who let the dogs out

Schritt 5: Ändere deine Sprache! Wer will schon einen Kerl, der den Mund nicht aufkriegt und zu allem nur Ja und Amen sagt? Richtig, keiner. Schaufel dir ein paar coole Sprüche drauf, gib Widerworte und scheiß auf Bitte und Danke. Mit Höflichkeit kommst du bei den Ladys nicht weit.

Im Vergleich zum vierten Schritt wirkt der fünfte geradezu lächerlich einfach. Angetrieben von Lorcan habe ich mein Trainingsprogramm während der letzten Tage knallhart durchgezogen. Ich muss zugeben, dass es sich sehr gut anfühlt, etwas für die eigene Gesundheit und Fitness zu tun, allerdings bezahle ich meinen Einsatz mit dem heftigsten, schmerzhaftesten Muskelkater meines Lebens.

Bei jeder noch so kleinen Bewegung spüre ich den quälenden Schmerz – sogar in meinem Hintern, obwohl ich diesen Teil meines Körpers gar nicht bewusst trainiert habe. Für Lorcan ist das natürlich ein Grund zum Lachen. Er blüht voll auf in seiner Rolle als Drill Coach und denkt überhaupt nicht daran, mir auch nur eine klitzekleine Pause zu gönnen. Noch während ich von meinem unmenschlichen Muskelkater geplagt werde, drängt er mich dazu, mit Schritt Fünf fortzufahren.

Auf den ersten Blick wirkt die Anweisung ziemlich simpel, allerdings gefällt mir die Vorstellung nicht, ab heute ein Dasein als unhöflicher, respektloser Rüpel ohne Manieren zu pflegen. Für mich ist es selbstverständlich, Bitte und Danke zu sagen und selbst wenn ich jemanden nicht mag, versuche ich dennoch, diese Person so neutral wie möglich zu behandeln. Derartige Verhaltensweisen scheinen jedoch nicht mit denen eines Bad Boys vereinbar zu sein, weshalb ich mich bemühen werde, sie entsprechend anzupassen.

In der Schule bietet sich dummerweise kaum eine Gelegenheit dafür, denn ich bin nach wie vor ein Einzelgänger und habe so gut wie gar keinen Kontakt zu meinen Mitschülern. Weder während des Unterrichts, noch in den Pausen. Letztere nutze ich, um in der Mensa nachzuschauen, ob es außer ungekühltem Fertigsalat und pappigen Sandwiches auch noch etwas anderes zu essen gibt. Meine Hoffnungen werden allerdings bitter enttäuscht und ich trete mit knurrendem Magen den Rückzug an.

Ohne Eile trotte ich den leeren Gang entlang, doch plötzlich höre ich wie aus dem Nichts Schritte hinter mir. Gleich darauf steigt mir der Geruch eines penetranten, moschusartigen Rasierwassers in die Nase, der mich dezent anekelt. „Na, Batman, wie geht's?", ertönt Reeces zynische Stimme aus nächster Nähe und Sekunden später schiebt er sich grinsend in mein Sichtfeld. „Alles fit im Schritt?"

Entnervt verdrehe ich die Augen. Der Idiot hat mir gerade noch gefehlt. Es überrascht mich kein bisschen, dass er mich mit der Batman-Nummer aufzieht, schließlich hat er am lautesten über mich gelacht. Ich sollte diese bescheuerte Unterhose einfach vernichten, auch wenn ich genau weiß, dass das nichts ändern würde. Seufzend hole ich Luft, um Reece zu bitten, mir aus dem Weg zu gehen, aber dann erinnere ich mich an Schritt Fünf und daran, dass ich unfreundlich sein muss, wenn ich ein echter Bad Boy sein möchte.

Bei Reece brauche ich nicht einmal ein schlechtes Gewissen zu haben, schließlich behandelt er den Großteil seiner Mitmenschen, insbesondere Frauen, wie Dreck. „Verzieh dich", sage ich deshalb schroff und stelle im selben Moment fest, dass es sich ziemlich befreiend anfühlt, meine Gedanken laut auszusprechen.

„Reg dich ab, Albert", stichelt Reece weiter, während seine blöden blauen Augen mich spöttisch anfunkeln. „Warum so frech heute?"

„Weil du mir auf den Sack gehst", antworte ich ungerührt und halte seinem stechenden Blick mühelos stand. „Also, könntest du dich jetzt bitte verpissen?" Scheiße. Ich hätte nicht „Bitte" sagen dürfen.

Mit einem Mal verblasst sein hämisches Grinsen und weicht einer tödlich beleidigten Grimasse. Offenbar gefällt es ihm nicht, wie ich mit ihm rede. „Wenn ich du wäre, würde ich nicht so 'ne dicke Lippe riskieren", rät er mir, wobei sein drohender Unterton nicht zu überhören ist.

„Ach, und warum nicht?", gebe ich mich weiterhin unbeeindruckt, obwohl ich nicht scharf bin auf eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihm. Reece ist größer und breiter als ich – bei einer Schlägerei würde ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Kürzeren ziehen.

Noch bevor er antworten kann, nähern sich auf einmal polternde Schritte, vermischt mit dumpfen Stimmen. Einen Augenblick später erscheinen Kim, Parker und Ezra auf der Bildfläche. Wie drei finstere Bulldoggen bauen sie sich neben Reece auf und ich seufze unhörbar. Warum müssen ausgerechnet jetzt seine dummen Kumpels hier antanzen?

„Was ist los?", fragt Kim an seinen Rudelführer Reece gewandt und wirft mir einen abschätzigen Blick zu. „Habt ihr Stress?"

„Nicht direkt", entgegnet Letzterer kalt, ohne seine Eisaugen von mir abzuwenden. „Albert hat nur gerade seine Eier entdeckt und wollte das kurz unter Beweis stellen. Hab ich Recht, Goldsborough?"

Ich wünschte, ich könnte etwas Schlagfertiges darauf erwidern, doch mir fällt auf die Schnelle nichts Gescheites ein. Kim und die anderen lachen sich derweil halbtot über Reeces unlustigen Spruch, während er mit einem selbstgefälligen Grinsen daneben steht. Ihr gehässiges Gegröle hallt im Gang wider, einige Schülerinnen und Schüler, die vorbeilaufen, werfen ihnen missbilligende Blicke zu.

„Gibt's hier ein Problem?", meldet sich unerwartet eine vertraute Stimme zu Wort, die trotz des Lärms, den Reeces Meute veranstaltet, deutlich zu hören ist.

Mein Herz schlägt sofort etwas schneller, als ich Georgia entdecke, die soeben im Gang aufgetaucht ist. Begleitet wird sie von einer unserer Mitschülerinnen, deren Name mir gerade nicht einfallen will. Ich glaube, sie ist Kims Freundin und heißt Charlotte oder Chantal oder so ähnlich. Genau wie Georgia wirkt sie etwas irritiert angesichts der Situation, die für Außenstehende ziemlich komisch aussehen muss.

„Nein, Babe, alles okay", erklärt Reece schmeichelnd, zieht sie an sich und tätschelt ungeniert ihren Hintern. „Wir hatten gerade ein interessantes Gespräch über Albies Eier, das war's. Kein Grund zur Aufregung."

Wut kocht in mir hoch und ich würde ihm am liebsten eine reinhauen, aber Georgia kommt mir zuvor. „Hör doch mal auf damit!", sagt sie gereizt und klatscht ihm tadelnd mit der flachen Hand auf die Brust. „Wie alt bist du? Zwölf?"

„Echt mal", schaltet sich Charlotte-Chantal ein und sendet einen Todesblick an ihren Freund Kim, der daraufhin tatsächlich schuldbewusst den Kopf senkt. „Werdet erwachsen, Kinder."

Prompt setzt Reece zu einer Antwort an, wird jedoch durch den blechernen Klang des Schulgongs unterbrochen. Die Pause ist zu Ende und innerhalb von Sekunden füllt sich der Gang mit Schülern, deren lautes Stimmengewirr einzelne Worte verschluckt. Georgia und Kims Freundin drängen die Jungs zum Gehen, obwohl ich liebend gerne noch ein paar Sätze losgeworden wäre.

Grimmig sehe ich Reece, seinen Bulldoggen und den Mädels nach, während sich alle anderen um mich herum auf den Weg in ihre jeweiligen Kursräume machen. Bevor sie um die Ecke verschwindet, dreht sich Georgia noch einmal zu mir um. Ihre Augen finden meine und auf ihrem Gesicht liegt eine Art entschuldigendes Lächeln. Automatisch lächele ich zurück, aber in meinem Inneren spüre ich dennoch einen schmerzhaften Stich, weil mein Erzfeind Derjenige ist, der sie im Arm hält.


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