☁︎ Wolke 4 ☁︎
„Du bist mein bestes Pferd im Stall."
„Ich bin das einzige." Leona lachte, doch irgendetwas sagte ihr, dass da gerade der Wolf im Schafspelz neben ihr lag. Basti streckte sich rücklings über ihr Bett und paffte mit seiner E–Zigarette den ganzen Raum voll. In Kombination mit den Räucherstäbchen ergab sich eine Mischung, dass einem übel wurde. Leona machten die Dämpfe schläfrig. Seit einigen Wochen kam Basti zu Besuch und dann taten sie im Grunde nichts anderes, als mit Blick zur Decke auf ihrem Bett zu liegen und Pläne zu schmieden. Und zu rauchen.
„Auch?", fragte Basti und hielt ihr die Zigarette hin.
„Heute nicht", lehnte Leona ab. Ihr Papa wusste nicht, dass Basti hierher kam. Sie arrangierte seine Besuche so, dass sie in seine Arbeitszeit fielen. Sie hatte kein Interesse daran, ihrem Vater den verkommenen jungen Mann vorzustellen, bei dem sie nicht einmal wusste, in welchem Verhältnis sie zu ihm stand.
„Wir sollten expandieren", meinte Basti plötzlich. Wenn er Fremdwörter verwendete, dann wirkte das total absurd. Er, mit seinen ganzen Schrammen in der Visage, mit der schlecht geschnittenen Frisur – er, mit dem Aussehen eines Hinterwäldlers, er nahm nur allzu gerne solche Wörter in den Mund. Irgendwie imponierte es Leona. Sie stützte sich mit dem Ellenbogen ab und sah ihn an. Erforschte sein Gesicht, das nun wirklich nicht besonders ansehnlich, aber trotzdem irgendwie total attraktiv war. Das einfallende Frühlingslicht streichelte jede Unebenheit, die die Narben in sein Gesicht gerissen hatten.
Das einzige Schöne an ihm waren seine Augen. Die waren so hellblau und fröhlich, dass man den kleinen Jungen in dem zwielichtigen Kerl noch zu gut erkennen konnte. Ein reines Blau, durch das man auf den Grund schauen konnte wie bei einem klaren Bergsee. Zumindest war es das, was Leona bei dem Anblick immer spürte. Sie ließ sich gerne trügen. Wenn er lächelte, dann schlossen sich seine Augen fast ganz und er sah aus wie ein Smiley im Chat.
„Was meinst du damit?", fragte Leona.
„Wir nehmen Kathi mit ins Boot", entgegnete Basti und blieb eine Dampfwolke in die fünfzehn Quadratmeter. Darüber hatte er sich in letzter Zeit öfters Gedanken gemacht. Nicht, dass er Kathi, die er ein oder zweimal gesehen hatte, besondere kognitive Fähigkeiten zusprach. Sie würde sich viel eher als eine Art Lockvogel eignen. Gerade weil ihr Aussehen so auffällig war. Basti kalkulierte einen Mittelwert aus allen möglichen Risiken, die sich ergeben könnten. Kathi wäre die Erste, die im Worst Case auffliegen würde. Und er der Letzte.
„Die macht das nicht", winkte Leona ab. Kathi hatte einen kleinen Sohn, den sie allein großzog. Sie würde das Risiko nicht eingehen wollen.
„Sie muss ja gar nicht klauen. Sie könnte für Ablenkung sorgen", meinte Basti und schaute entrückt an die Decke. Manchmal fragte Leona sich, ob in der E–Zigarette noch irgendwelche anderen Stoffe enthalten waren.
„Das ist doch auch Mittäterschaft. Ich würde mich nicht mal trauen, sie überhaupt zu fragen. Lass es uns weiterhin so machen wie immer. Das hat doch funktioniert", lenkte Leona ein und konnte es nicht verhindern, dass ihr Finger eine braune Strähne aus Bastis Stirn strich. Der schien das vollkommen zu ignorieren, worüber sie froh war. Von ihr waren bisher weitaus mehr Annäherungsversuche ausgegangen als von ihm. Und die, die von ihm ausgegangen waren, hatten wohl auch nicht viel zu bedeuten.
„Wenn man auffliegt, ja, dann ist das Mittäterschaft. Aber wir fliegen nicht auf."
Plötzlich taxierten seine blassblauen Augen Leona auf scharfe und unangenehme Weise. Es fühlte sich so an, als habe man in ein Gericht viel zu viel Chili gegeben.
„Ach, komm, das kannst du doch nicht wissen. Früher oder später fliegt man mit sowas doch immer auf", gab Leona zurück und merkte erst, als sie es ausgesprochen hatte, dass sie damit ihren Vater zitiert hatte. Nur, dass er die Aussage in einem anderen Zusammenhang gemacht hatte. In Bezug auf eine andere Person. Eine Person, die ... Nicht jetzt. Leona ging der Satz durch den Kopf, wie ihr Vater ihn ausgesprochen hatte. Und sie bemerkte sehr wohl auch, dass es vollkommen dem widersprach, was sie die ganze Zeit über mit Basti tat.
„Wenn man so denkt, dann ja. Dann wird man geschnappt. Außerdem: Warum machst du dann mit? Bist du scharf auf Sozialstunden? Ist dir dein Vorstrafenregister zu sauber? Warum hilfst du mir bei der Aneignung fremden Eigentums, hm?"
Plötzlich schien er darauf zu brennen, dass Leona ihm die Frage beantwortete. Langsam richtete Basti sich auf und schaute sie erwartungsvoll an. Doch Leona wusste nichts darauf zu antworten. Gleichzeitig fühlte sie sich unangenehm ertappt, gerade auch, weil sie keine Antwort auf die Frage hatte. Und plötzlich war Leona wieder die kleine Grundschülerin, die dabei erwischt worden war, wie sie die Klassenpetze in eine Pfütze geschubst hatte. Was war damals ihre Erklärung gewesen?
„Okay, ich geb's zu – ich mache es wegen der Kohle. Und du nicht auch?"
Basti lachte. Natürlich wegen der Kohle. Manchmal könnte er sich über Leonas Naivität ärgern. Aber dann erinnerte er sich daran, dass es besser so war, als wenn sie mehr hinterfragen würde, als sie ohnehin schon tat.
„Doch, doch. Aber dahinter steckt immer noch irgendwas. Du willst Geld – und dann? Ich meine, niemand will Scheine, um sie dann einzurahmen oder um damit sein Kopfkissen zu polstern. Also? Was ist dein Begehren?"
Das letzte Wort sprach Basti so unerwartet gedehnt aus, dass Leona unwillkürlich einem Lachanfall verfiel. Es schüttelte sie gnadenlos und sein Gesicht, das von wenig Verständnis zeugte, machte es für sie noch schwerer, sich wieder zu fangen.
„Was? ... Hast du ein neues Wort gelernt?", keuchte sie. Ihr standen die Tränen in den Augen. Basti ignorierte hartnäckig, dass sie sich gerade einmal wieder über seine Ausdrucksweise kaputtlachte. Er war es bestimmt schon längst gewöhnt. In stillen Momenten schämte Leona sich immer wieder dafür, dass sie ihn dafür verhöhnte. Wenn nur nicht der Kontrast zwischen seinem Aussehen und seinem Sprachstil so verdammt groß wäre!
„Entschuldige ...", murmelte Leona und wischte sich mit dem Handrücken über die lachtränennassen Augen.
„Sag schon", forderte Basti. Es ging ihn nichts an. Was wollte er denn? Leona wusste über ihn fast gar nichts, außer, dass seine Mutter bei der Polizei arbeitete. Was sie ziemlich spannend fand, in Anbetracht der Tatsache, dass er ein ausgezeichneter Langfinger war. Manchmal fragte Leona sich, was er zuhause erzählte, wenn man ihn fragte, wo er sich aufhielt. Er würde lügen, mit Sicherheit. Und niemand, der dem Zauber seiner hellblauen Augen verfallen war, würde es hinterfragen.
Und jetzt wollte er wissen, wofür Leona Geld brauchte? Es ging ihn doch wirklich nichts an. Oder? Naja ... Leona sah ihn an. Ein leichtes Grinsen zuckte um seinen Mund. Warum zierte sie sich so, warum machte sie so ein Geheimnis daraus? Sie konnte es auch genauso gut sagen. Einfach sagen. Also ...
„Na gut. Es ist wegen meinem Papa. Ich will ihm einen großen Gefallen tun."
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