V - Türklingelüberraschungen

Gegen achtzehn Uhr läutete es an der Tür. Durch die Kamera konnte Erik von der ersten Etage aus erkennen, dass Dario mit seiner Freundin und Marvin vor der Tür standen. Während die Jungs lässig mit Jeans und T–Shirt bekleidet waren, hatte das Mädchen sich ganz schön aufgedonnert. Den schulterlangen, exakt geschnittenen Bob in honigglänzendem Blond hatte sie geglättet und die grünen Augen mit rosa Lidschatten bepinselt. Aus dem Kunstunterricht wusste Erik, dass Grün und Rot Komplementärfarben waren und darüber schien Darios Freundin auch informiert zu sein.

Marvin fuhr sich verlegen über die rapselkurz geschnittenen dunkelblonden Haare und sah sich unschlüssig um, während Dario sich in der Reflexion der gläsernen Kugellampe neben der Tür die dunkelbraune Wuschelfrisur richtete. Erik grinste. Er fand es immer ein wenig reizvoll, die Leute durch die Kamera an der Tür zu beobachten. Das war viel besser als der Türspion, weil man bei letzterem immer den Schatten des Beobachters hinter der Tür sehen konnte. Mit der Kamera verriet man sich nicht – wer draußen war, musste theoretisch immer damit rechnen, beobachtet zu werden. Es hatte etwas Voyeristisches, das musste Erik schon zugeben. Schnell öffnete er die Tür und begrüßte seine Gäste.

„Was geeeht, Digga?", rief Dario, gab Erik einen festen Handschlag und klopfte ihm noch fester auf den Rücken.

„Alles Gute zum Geburtstag", murmelte die Freundin mit einem scheuen Lächeln. Erik hatte sie zu selten gesehen, um sich ihren Namen zu merken, aber oft genug, um zu erkennen, dass Darios aufgedrehtes Verhalten ihr peinlich war. Obwohl sie nichts zu dem Geblödel sagte, sprach ihr verlegenes Lächeln, bei dem sie die Lippen aufeinander presste, Bände. Sie trug eine große Plastiktüte in der Hand, voll mit Geschenken.

„Alles Gute, Mann", sagte Marvin und klatschte Erik ab. Er war der Wortkarge in der Freundesgruppe und man musste seine Gefühle erraten. Jetzt, wo Erik ihn von nahem sah, fiel ihm ein Kratzer über der linken Augenbraue auf. Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um das anzusprechen. Erik führte die drei in den Partykeller, doch kaum war er am Fuß der Treppe, klingelte es erneut. Die übrigen beiden trudelten nun auch ein. Noah und Alex.

„Was kann ich euch zu trinken anbieten?", fragte Erik und hatte schon die Flasche Schnaps in der Hand. Auf dem Tresen war in einem Metallkorb alles Mögliche an Obst vorbereitet, das man für verschiedene Drinks gebrauchen konnte. Zitronen, Limetten, alles frisch eingekauft. Gestern hatte es noch in der Papiertüte gelegen. Die Tüte, die ... Nicht jetzt.

„Einen Doppelten für mich!"

Dario war wieder der erste, der sich meldete und Erik bereute es, gefragt zu haben. Wenn Dario trank, dann laberte er viel Stuss – noch mehr als sonst – und schlief in absehbarer Zeit ein. Geplant war ein gemütlicher Abend mit seinen Freunden und keine Übernachtungsparty.

„Einen Halben, wenn überhaupt!", warf Noah dazwischen und verschränkte die Arme vor der trainierten Brust. Seine dunkelblauen Argusaugen fixierten Dario tadelnd. Dieser schmollte gespielt beleidigt, willigte dann aber ohne Widerstand ein. Vielleicht hatte seine Freundin ihn vorher bearbeitet, dass es jetzt so einfach ging.

Für Dario gab es einen Schnaps, für die anderen mischte Erik Drinks. Darios Freundin – sie hieß Kristina, hatte sich herausgestellt – bekam einen Mojito, den Erik auch für sich selbst machte. Für Noah gab es einen Manhattan und für Alex ein Bier, weil er nun der Einzige in der Gruppe war, der noch nicht die Achtzehn erreicht hatte. So viel Verantwortung musste dann doch sein, dachte Erik sich. Auch wenn ihm durchaus bewusst war, dass ein Dario das Hochprozentige auch nicht erst seit einem halben Jahr für sich entdeckt hatte.

Die fünf machten es sich an der Bar gemütlich, Erik zog die mit Knabberzeug aller Art gefüllten Kristallglasschüssel heran und es wurde geredet und gelacht. Sie Stimmung war richtig angenehm und die Gesprächsthemen gingen nicht aus. Was wahrscheinlich daran lag, dass sich die Jungs schon eine Weile nicht mehr in dieser Konstellation gesehen hatten. Jeder ging mittlerweile seinen eigenen Weg, nach dem Abschluss. Erik war ganz froh, dass seine Sozialstunden nicht zur Sprache kamen, doch kaum hatte er den Satz zu Ende gedacht, meldete sich Dario.

„Und wie läuft es so bei dir? Ich meine, mit deinen, na du weißt ja ..."

„Gut."

Erik räusperte sich und nahm einen Schluck von seinem Drink. Der darin enthaltene Rum schoss ihm in den Kopf und ließ ihn zusätzlich erröten.

„Echt beschissen, oder? Aber besser als im Knast zu landen ...", klinkte sich nun auch noch Noah ein. Haltet die Klappe, rief Erik in Gedanken, doch äußerlich lächelte er gezwungen und nickte knapp. Und hoffte, dass das Thema gewechselt werden würde. Und das wurde es. Die Türklingel läutete. Erik erwartete keine weiteren Gäste und seine Eltern waren auch nicht zuhause. Manchmal kamen noch Pakete später am Abend, vielleicht hatte jemand etwas bestellt. Vielleicht Lena? Die war gerade bei ihrem Freund, also würde der Paketbote das Päckchen einfach vor der Tür abstellen. Das Grundstück war videoüberwacht, sollte es jemand klauen, würde das nicht unbemerkt bleiben.

„Hast du noch wen eingeladen?", fragte Marvin, der bisher noch nicht sehr viel erzählt hatte, außer dass er die Zusage für seinen Studienplatz für Luft– und Raumfahrttechnik erhalten hatte. Da niemand etwas mit diesem Studiengang anzufangen wusste, waren auch nicht sonderlich viele Nachfragen gekommen.

„Eigentlich nicht. Bestimmt ist das nur wieder ein Paket", winkte Erik ab und nahm sich eine Salzstange.

„Früher haben wir so getan, als ob das Zigaretten seien ...", sagte Kristina mehr zu sich selbst und schnappte sich auch eine. Sie nahm sie zwischen ihre manikürten Zeige– und Mittelfinger und tat, als würde sie einen Zug nehmen und Rauch auspusten. Erik erkannte ein Marmormuster in Roségold auf ihren langen Nägeln. Das musste verdammt lange gedauert haben.

„Stimmt! Wie lange das her ist ...", meinte Alex und wollte sich entspannt zurücklehnen, wobei er vergaß, dass der Barhocker keine Lehne hatte. Als er beinahe rückwärts herunterfiel, brachen alle anderen in lautes Gelächter aus. Die alkoholgeschwängerte Gelassenheit tat doch gut. Dann klingelte es nochmal.

„Willst du mal nachschauen? Ist vielleicht wichtig", meinte Noah, der Verantwortungsbewusste. Nervig verantwortungsbewusst. Doch Erik hatte gar keine Lust darauf. Er wollte abhängen und seinen Geburtstag feiern und dabei alles andere vergessen. Die Idee konnte Noah sich also gerne in die kinnlangen blonden Beachboy–Haare schmieren. Doch dann klingelte er wieder.

„Hm, ja, dann schau ich mal nach ...", murmelte Erik nun unwillig und rutschte vom Barhocker.

Ein Blick durch die Kamera neben der Treppe zeigte ihm jemanden, auf den er an diesem Tag gut hätte verzichten können. Der dunkelbraune Haarschopf und die grauen Augen. Er überlegte, ob er überhaupt öffnen, oder darauf warten sollte, dass sie von selbst wegging, aber dann druckte sie nochmal auf die Klingel, diesmal länger. Mit einem genervten Seufzen riss Erik schwungvoll die Tür auf.

„Was willst du?"

„Wow, was für eine Begrüßung. Dir auch einen schönen Tag, Erik Settler!", entgegnete sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Seinen Namen hatte sie so lange und gedehnt ausgesprochen, dass Erik sie am liebsten auf der Stelle weggeschickt hätte. Doch er war neugierig, was sie von ihm wollte.

„Was ist?", raunzte er sie noch forscher an.

„Ach, nichts, ich bin nur zum Spaß mit der U–Bahn durch die ganze Stadt gefahren, um mich hier im Nobelviertel ein bisschen umzuschauen und vielleicht einen diamantenbesetzten Gartenzwerg mitgehen zu lassen ...", sagte sie im Plauderton und wippte vor und zurück, während sie sich betont gelassen umschaute. Schnaubend verdrehte Erik die Augen. So war das also ...

„Kann ich reinkommen?", fragte Leona und trat einen Schritt vor, doch Erik machte sich im Türrahmen breit.

„Ich hab Gäste da. Also sag mir einfach, was du willst und dann ..."

„... und dann mache ich mich vom Acker. Der Typ, den du in die Grube gestoßen hast, lebt."

Unsicher schaute Erik sich um, trat nach draußen und zog die Tür hinter sich ein Stückchen zu.

„Ist das die gute oder die schlechte Nachricht?", fragte er leise.

„Wahrscheinlich die gute, in Anbetracht dessen, was mir heute passiert ist ...", sagte Leona und atmete bebend ein und aus. „Er hat einen Stein durch unser Küchenfenster geworfen."

Erik wusste darauf nichts zu sagen. Aber nicht, weil es ihm die Sprache verschlagen hatte, sondern weil ihn das echt nichts mehr anging. Die Sache war für ihn erledigt. War es denn sein Problem, wenn der Kerl immer noch hinter Leona her war? Sie sollte zur Polizei gehen und ihn anzeigen. Irgendwie konnte Erik nicht so recht glauben, dass die junge Frau ihn nicht kannte. Bestimmt wusste sie zumindest seinen Namen.

„Zeig ihn an. Das geht so nicht, wenn der dich verfolgt", riet Erik ihr halbherzig interessiert, begann nun aber selbst eine beginnende Unruhe zu spüren.

„Aber das kann ich nicht!", warf Leona ein.

„Wenn er dich bedroht, dann kannst du das sehr wohl tun", sagte Erik.

„Nein, eben nicht ..."

„Pass mal auf, ich muss jetzt wieder rein, meine Freunde warten auf mich. Die nächste Polizeiwache ist nicht weit von hier. Ich kann dir bei diesem Problem nämlich nicht helfen."

Die grauen Augen glänzten verräterisch. Betreten schaute Erik zu Boden. Was hatte er denn jetzt gesagt, dass sie anfing, zu weinen? Mann, er wollte sie loswerden und nicht auch noch trösten müssen!

„Du sollst mir doch gar nicht helfen! Ich wollte dich nur warnen. Der Kerl hat sich bestimmt dein Gesicht gemerkt. Pass auf dich auf."

Mit diesen Worten lief das Mädchen eilig über die asymmetrisch angeordneten Steinplatten in dem sorgfältig gepflegten Vorgarten. Die Reihen an verschiedenfarbigen Rhododendren passierte sie, ohne sich umzusehen. Mit einem komischen Gefühl, das wohl ein Ableger des schlechten Gewissens sein musste, schaute Erik ihr hinterher, schloss dann aber die Haustür. Zurück im Keller bemerkte er, dass Dario sich einen weiteren Schnaps eingeschenkt hatte. Oder mehrere, denn die Flasche war nur noch halbvoll.

„Hey, wollt ihr ohne mich feiern?", rief Erik lachend und schob unauffällig die Schnapsflasche weg von dem Schluckspecht.

„Alter, wer war denn da an der Tür, dass es so lange gedauert hat? Vielleicht eine ganz besondere Gratulantin?", fragte Dario und zwinkerte Erik zu.

„Was? Wie kommst du darauf?", fragte der stutzend. Hatte hier irgendjemand etwas mitbekommen? Die Kellerfenster waren geschlossen, also hätte niemand etwas hören können.

„Nur so. Du warst ein ganzes Weilchen weg. Länger, als es dauert, ein Paket anzunehmen", setzte Noah hinzu. Seine Mundwinkel zuckten verräterisch und er strich sich schnell eine blonde Strähne hinters Ohr, wie er es immer tat, wenn er verlegen war.

„Es war für Lena, also das Paket. Ich hab es hoch in ihr Zimmer gebracht. Aber das ist jetzt auch egal. Wer hat Lust auf Torte?"

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