[9] 9|Dienstag

Joe muss heute auch ohne Ronja auskommen, sie möchte unbedingt malen. 

Seit mehr als einer Woche fühlt sie sich durch die Wärme der Sonne gestärkt und ermutigt, sodass sie sich ausgeglichener und fröhlicher fühlt als sonst schon. Durch das Kennenlernen mit Elmar und engere Vertrautheit zu Alice verspürt sie gegenseitiges Verständnis. Gelb und Orange – diese Farben sind heute dran. Ihr ist es egal, wie es wirkt und ob andere sagen könnten, dass es nicht zusammen passen würde, denn sie fühlt sich nach Gelb und Orange. Ihr kommt aus dem Nichts Elmars Wort in den Sinn: Impressionsweise, ja das ist ihre. Und so malt sich das Bild fast von alleine. 

◦◦◦◦◦◦

Auf dem Weg zum Hafen bleibt Woody plötzlich stehen. Scheinbar ist jemand oder etwas im Weg. 

„Hallo, ist da jemand?", fragt Ronja. 

Keine Antwort. Hm, dann ist es vielleicht nur ein Gegenstand, der mir den Weg versperrt. Daher will sie Woody umlenken, um die Straßenseite zu wechseln, doch Woody lässt sich nicht bewegen. Ronja spitzt ihre Ohren, sie spürt, dass Menschen da sind. Doch niemand sagt etwas. Sie kann keine eindeutigen Geräusche ausmachen, nur den üblichen 'Draußenlärm'. 

„Hallo, ist da jemand? Können Sie bitte aus dem Weg gehen, damit ich weitergehen kann?" Sie hört ihrer eigenen Stimme ein leichtes Flehen an. Nicht gut. 

„Hahaha, guckt mal, die kommt einfach nicht weiter, nur weil wir hier stehen." 

„Ja, wie leicht das geht, einen Blindenhund zu verwirren. Hahaha." 

„Lasst uns noch näher rangehen. Hahaha." 

 „Hey. Ich sag euch jetzt mal was." Woher ihr Mut kommt, weiß sie selbst nicht genau. „Ich kann vielleicht nichts sehen, aber ich höre euch. Und ich kann meinem Hund durchaus befehlen, einfach weiterzugehen, nur bin ich nicht so drauf wie ihr. Alles klar?!" Das war gut, oder? Oder nicht? „Also kann ich bitte durch?! Oder muss ich die Polizei rufen?" 

„Und was dann? Willst du denen eine Beschreibung von uns geben? Hahaha." 

Ronja atmet noch einmal tief durch. „Kennst du die Erfindung Smartphone? Damit kannst du echt gute Fotos machen, dafür musst du nicht mal selbst gucken können." 

„Ja okay, ist ja gut, beruhig dich. Alter, geh weiter. Wir lassen dich. Verstehst wohl keinen Spaß." 

„Doch, nur habe ich den wohl verpasst. Tschüss." 

Sie lassen sie nun weitergehen. Als sie vorbei war und sich außer Sicht wähnt, atmet Ronja ein paar Mal ruhig ein und aus. Mit dem Einatmen wird sie von einer Welle der Erleichterung durchflutet, ihre Gliedmaßen lockern sich langsam. Sie hat es geschafft, ihnen zu kontern und ihr gewünschtes Ergebnis zu erzwingen. Erfolgserlebnis. Puh.

Noch erleichterter ist sie, als sie am Hafen ankommt. Sofort setzt sie sich auf ihre Steinplattentreppe. Auf ihren Atem achtend wartet sie auf Elmar, dadurch bekommt sie sein Eintreffen jedoch gar nicht mit.

„Hey Ronja." 

„Oh. Hallo Elmar." 

„Geht es dir nicht gut?" 

„Mein Weg ... Der war ein bisschen aufregender als sonst. Ich habe ein paar Idioten getroffen, die mich nicht vorbeigehen lassen wollten, ... aber ich hab es ja geschafft. Ist alles gut gegangen. Und wie geht es dir?" 

„Gut." Er bleibt eher einsilbig. Vielleicht meint er das unter anderem mit seinen Kommunikationsproblemen?! Das stört mich ganz und gar nicht. 

„Wann hast du denn eigentlich Geburtstag?" 

„Mein Geburtstag ist in einer Woche, nächsten Dienstag." 

„Und Frau Peters backt Käsekuchen?" 

„Vielleicht." 

„Wohnst du bei Frau Peters?" 

„Nein!", kommt überraschend stark aus seinem Mund. „Frau Peters ist meine Betreuerin in der Wohngruppe, in der ich wohne", erklärt er nun wieder ruhiger. 

„Ah okay. Und ist Frau Peters nett?" 

„Ja." 

„Das ist schön. Meine Freundin Alice, erinnerst du dich?" 

„Ja." 

„Sie arbeitet in einem Café und hat vorgeschlagen, dass wir dich zu deinem Geburtstag dorthin auf Café und Kuchen einladen. Natürlich nur, wenn du möchtest." 

„Das ist sehr nett von euch." 

„Möchtest du Elmar?" 

„Ja." Wobei seine Stimme einen quietschenden Unterton angenommen hat, so als hätte er vorher die Luft angehalten und sie mit der Antwort rausgepresst, nur viel höher.  

 „Okay, dann nächste Woche Dienstag, kommst du einfach von hier aus mit mir dorthin." 

„Aber wir treffen uns ja auch vorher jeden Tag hier." 

„Ja, das stimmt. Ich wollte es nur schon mal sagen." Ronja muss über sich selbst grinsen. Wie recht er doch hat. 

„Okay, sag Alice Danke. Bis morgen Ronja." 

„Mach ich. Bis morgen Elmar." 

◦◦◦◦◦◦

Ronja verweilt noch ein paar Minuten am Hafen und macht sich dann auf den Weg zu Alice ins Café. Heute eine Punktlandung. Um 12:00 Uhr im Le Petit angekommen und sie setzen sich fast gleichzeitig an den Tisch. Alice hat natürlich an Café und Croissant gedacht. 

Während Ronja ihr Croissant verzehrt, erzählt sie Alice vom Gespräch mit Elmar, dass er die Einladung angenommen hat, wann er Geburtstag hat und dass sie ihr Danke ausrichten soll. 

„Also nächste Woche Dienstag am Mittag. Ja?" 

„Ja genau." 

„Schön, dass er es annimmt. Das freut mich irgendwie ganz schön." Alice hibbelt dabei auf ihrem Stuhl herum. 

„Ja, das merke ich. Obwohl du ihn nur einmal gesehen hast, magst du ihn wohl sehr." 

„Ja, komisch oder?" 

„Ist doch schön, muss ja nicht immer alles sinnig sein. Außerdem scheint er sich ebenso zu freuen, wenn ich nach seiner quiekenden Stimme urteilen sollte." 

„Quiekend? Das klingt ja witzig. Und ja, stimmt, muss nicht immer alles einen Sinn ergeben." 

„Und hast du dir was für die zwei kommenden Tage vorgenommen, damit du dich irgendwie ein bisschen ablenken kannst?" 

„Nicht so richtig. Ich möchte lesen. Ich möchte aber auch in meiner Entscheidung weiter kommen. Viel Zeit bleibt mir ja nicht mehr." 

„Weißt du denn, was du möchtest? Ich meine unabhängig davon, was dir deine Vernunft sagt." 

„Ja schon, aber ..." 

„Du musst es mir nicht sagen. Ist schon okay. Aber du kannst immer zu mir kommen oder dich bei mir melden, wenn du reden möchtest." 

„Danke." Alice klingt erleichtert. 

◦◦◦◦◦◦

Da Ronja noch ein bisschen Zeit hat, geht sie über einen Umweg nach Hause. Ronja ist einfach viel lieber draußen als drinnen. 

Klatsch, es ist 13:14 Uhr. 

Ach du heilige Sch... Ein kleiner Schock durchzieht Ronja nun doch, denn sie hat es offenbar mit ihrem Umweg übertrieben, heute ist Telefonberatungstag und der erste Termin ist für 13:30 Uhr angesetzt. Schnellvorbereitungsprogramm ist nun angesagt, was bedeutet, dass sie auf direktem Wege in die Küche eilt, dort die Kaffeemaschine anschaltet und sie direkt durchlaufen lässt, der nächste Gang führt sie ins Wohnzimmer, in dem sie den Computer hochfährt und die Terrassentür öffnet. Daraufhin geht es zurück in die Küche, sich einen Café holen und der letzte Weg bringt sie erneut ins Wohnzimmer an den Schreibtisch. Die letzten Schritte sind Einloggen, Programme und Ordner öffnen und die erste Nummer wählen. Glücklicherweise rechtzeitig geschafft. 

Um 18:45 Uhr macht Ronja gedanklich drei Kreuze. Erst einmal duschen. Somit huscht sie ins Badezimmer. Frisch geduscht geht sie mit ihrem Hörbuch direkt ins Bett und macht es sich dort gemütlich, um dann friedlich eingebettet einzuschlafen. 

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