[7] 7|Sonntag
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Ronja wacht richtig fröhlich auf. Sie kann kaum den Mittag erwarten, das Treffen mit dem Kerl. Andererseits, wird ihr im nächsten Moment bewusst und fühlt sich beinahe schrecklich für ihre Freude, hofft sie auch auf ein Zeichen von Alice. Eins nach dem anderen. Das wird schon. Tiefdurchatmend bringt sie ihren Puls, der ein wenig höher ging, wieder zur Beruhigung.
Hände in die Luft. Klatsch. Es ist 07:58 Uhr. Nachdem sie sich angezogen und frisch gemacht hat, geht sie los und macht Halt bei Joe.
„Joelein. Ich bins. Geht es dir auch so gut an diesem herrlichen Tag?"
„Guten Morgen Sonnenschein. Bei deiner Ausstrahlung kann es mir nur gut gehen. Du strahlst ja richtig."
„Ja, ich bin einfach gut drauf."
„Das kann man deutlich spüren. Dein Lächeln ist einfach nur ansteckend."
Joe reicht ihr ihren Café, sie schnappt sich seine Hand, dreht sich und lässt sich zurück in seine Hände fallen. Es gibt Beifall für die kleine Tanzeinlage von den zwei anderen Gästen. Die beiden lachen wieder einmal. Ronja ist auch für Joe dankbar. Sie sind keine engen Freunde und doch in gewisser Weise vertraut miteinander. Sie weiß, dass sie Glück hat mit ihrer Umgebung, den netten wohlwollenden Menschen um sich herum. Aber sie kann auch für sich dankbar sein, durch ihre positive Ausstrahlung und Einstellung fällt es ihr leicht Kontakte zu knüpfen. Sie will sich nicht von ihrer Beeinträchtigung bestimmen lassen, sondern ihr Leben selbstbestimmt in die Hand nehmen.
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Nach der Parkrunde geht sie auf die Terrasse. Ihr ist total nach Malen. So als ob dieser Moment nur dafür gemacht worden wäre.
Auch wenn es nicht die richtige Antwort sein sollte, so fühlt sie sich dadurch inspiriert. Sie hat das Bedürfnis, ihre Lösung aufs Papier zu bringen, weil sie sich dem so nah fühlt. Denn Harmonie ist eines ihrer bedeutsamsten Bedürfnisse. Einerseits in Harmonie mit anderen – für sie wichtigen – Menschen, aber ebenso mit sich selbst im Einklang zu sein, ist für sie fundamental. Sie greift direkt zu Blau.
Ihre Finger gleiten geschmeidig über das raue Blatt Papier, frei nach dem Gefühl in diesem Moment. Sie verbindet sich mit ihren Gefühlen und Gedanken, bis sie sich verschmolzen fühlt mit dem, was sie zum Ausdruck bringen möchte. Mit unterschiedlichen Farbabstufungen von Blau drückt sie es auf dem Aquarell aus.
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Klatsch. Es ist ... Die Türklingel, die in diesem Moment schalt, übertönt die Ansage der Fluruhransage. Habe ich einen Termin vergessen? Stockend geht sie zur Tür und fragt beinahe haspelnd über die Gegensprechanlage, wer da ist. Alice antwortet. Alice? Ronja ist überrascht, aber betätigt natürlich den Türsummer, um sie reinzulassen.
„Hallo Alice", begrüßt sie sie, wobei Ronja ihre Verwunderung nicht sonderlich gut überspielen kann. Muss sie sich Sorgen machen? Ist etwas passiert? Ihre Hände werden schon schwitzig.
„Hey Ronja. Tut mir leid, dass ich nicht mehr geschrieben habe. Oh, wolltest du gleich los?"
„Ja, schon. Ich wollte erst einmal horchen, wie spät es ist. Aber wenn wir erst einmal reden wollen, ist mir das wichtiger."
„Es ist 10:45 Uhr. Wir können ja auch unterwegs quatschen. Das ist für mich okay."
„Wenn es wirklich okay ist, dann okay." Alice klingt nicht aufgebracht, also ist es vielleicht wirklich okay. Wie oft haben wir gerade okay gesagt? Hierbleiben und fokussieren!, ermahnt sie sich mal wieder.
Ronja macht Woody fertig und sie gehen los. Doch keine der beiden fängt an zu reden. Sie gehen still nebenher. Vielleicht warten beide, dass die andere den Anfang macht. Und so bleiben sie lautlos. Schneller als geahnt kommen sie bei den Steinplatten an.
„So Alice, das ist mein Wohlfühlplatz hier am Hafen."
„Ah okay." Das klang nicht überzeugt.
„Kannst du mir sagen, warum der nie besetzt ist? Ist es hier so extrem hässlich oder ist hier irgendetwas enorm Abschreckendes, dass sich niemand hierher setzt?"
„Na ja, also es tut mir leid, dass ich dir das jetzt sagen muss. Ich hoffe, ich mache dir damit jetzt nichts kaputt. Es ist einfach kein vorgesehener Sitzplatz."
„Wie meinst du das, Alice? Wo sitze ich denn drauf?"
„Es sind Treppenstufen zu einem riesigen Anwesen. Also so wirklich richtig große breite Stufen."
„Oh, echt? Es hat noch nie jemand etwas zu mir gesagt." Ronja muss lachen.
„Es wird wahrscheinlich auch niemanden wirklich stören. Es können immer noch bestimmt an die zehn Menschen an dir vorbeigehen." Alice' Stimme wird ausladender und unterstreicht damit ihr Gesagtes.
„Hahaha. Okay, dann bleibe ich einfach bei dem Ort, bis mich mal jemand anspricht. Immerhin ist es kein ekliger Ort."
„Ja, das stimmt, das wäre schlimmer." Nun wirkt ihre Stimme getrübter.
Alice setzt sich neben Ronja und schaut sich scheinbar um. Beide verstummen wieder. Ronja hat das Gefühl, Alice Zeit geben zu sollen, damit sie sich trauen kann zu sprechen.
„Ronja, das ist wirklich ein schöner Platz. Schwer zu beschreiben, aber Ruhe und Geschäftigkeit ist irgendwie gleichzeitig hier vorzufinden. Man kann für sich sein und trotzdem ist man in der Welt. Klingt das irgendwie blöd?"
„Nein, das klingt nicht blöd. Ich weiß genau, was du meinst. Ich mag das auch sehr."
„Ronja ...?"
„Ja ...?"
„Wegen vorgestern. Sollen wir das einfach vergessen? Oder bist du mir böse?"
„Ich bin dir nicht böse. Ich bin verwirrt, Alice. Ich weiß einfach nicht, was da passiert ist. Vielleicht hätte ich den Satz mit einer blinden Partnerin nicht so theatralisch sagen sollen, das tut mir leid. Aber das danach habe ich wirklich nicht verstanden."
„Was meinst du?"
„Wenn ich das wüsste. Ich hatte das Gefühl, dass du dich angegriffen gefühlt hast und als du mich fragtest, ob ich etwas gegen andere Sexualitäten habe ... Also ich weiß nicht, ob und wenn welches Missverständnis da aufkam."
„Und ich weiß nicht, ob es ein Missverständnis ist. Oder ob ich mich für etwas schämen muss."
„Das verstehe ich schon wieder nicht. Wirklich Alice, ich kam da am Freitag schon nicht mehr mit. Und ich wüsste nicht, wofür du dich schämen müsstest." Ronja versucht ihre Ungeduld zu zügeln, möchte aber auch Klarheit haben.
„Mensch Ronja, es fällt mir einfach schwer zu sagen, dass ich ..." Alice unterbricht sich. Ronja hört lediglich den Versuch die Atmung unter Kontrolle zu halten.
„Dass du ...? Sag es doch einfach. Hey, selbst wenn ich es schlimm finden würde, kannst du einfach gehen, ich kann ja nicht sehen, wohin du gehst." Ronja betont das Sehen und zeigt auf ihre Augen.
„Ich wollte sagen, es fällt mir schwer zu sagen, dass ..."
„Alice?"
„Ja tut mir leid. Ich glaube, der ..."
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„Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist blau."
„Harmonie."
„Ja richtig. Wie bist du darauf gekommen?"
„Das Blau aus der Regenbogenflagge steht für Harmonie", erklärt Ronja stolz.
„Ja, das stimmt."
„Wie heißt du?" Endlich kann ich ihn mehr fragen. Hoffentlich.
„Ich bin Elmar und habe Probleme."
„Ich heiße Ronja und meine Freundin neben mir heißt Alice. Was heißt denn Probleme?"
„Ich habe extreme Kommunikationsprobleme."
„Hallo Elmar. Ich freue mich wirklich, dich kennenzulernen." Mittlerweile.
„Hallo."
„Weißt du, was mich interessiert?"
„Warum ich dich das gefragt habe und das jeden Tag?"
„Ja genau."
„Weil du die Dinge anders siehst. Also anders wahrnimmst. So wie ich."
„Warum hast du mir das denn nicht gesagt? Ich habe das am Anfang nicht verstanden."
„Wegen meiner Kommunikationsprobleme."
„Ah okay, ich verstehe. Heute reden wir aber ganz schön lange oder?"
„Ja, das stimmt. Bis morgen Ronja. Tschüss Alice."
„Bis morgen Elmar", verabschiedet sich Ronja grinsend von ihm.
„Bye Elmar."
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„Wow, das ist also der Kerl, also Elmar. Der scheint ja doch ganz in Ordnung oder?", bricht Alice als Erste die Stille, nach dem Elmar gegangen ist.
„Ja stimmt. Konntest du vom Aussehen erahnen, wie alt er vielleicht ist?"
„Darin bin ich gar nicht gut, tut mir leid. Kannst du ihn ja beim nächsten Mal fragen."
„Da hast du natürlich recht. So nun wieder zu uns, Alice."
„Du kennst also die Regenbogenflagge?"
„Ja klar. Du nicht?"
„Doch. Sehr gut sogar ... Ich ... habe eine zu Hause."
„Cool. Und hängt die irgendwo oder hast du die für bestimmte Anlässe?"
„Die hängt tatsächlich bei mir. Ähm ... Ja, also ... sie hängt bei mir über dem Bett." Die letzten Worte wurden immer mehr zu einem Nuscheln, doch für Ronja macht es auf einmal einen Sinn ...
„Warte mal. Ist es das, was du mir erzählen wolltest?"
„Ähm ... Ja, schon. Und ich komme mir gerade ein wenig bescheuert vor, weil ich Angst hatte, dass du mich wegstoßen könntest."
„Alles gut, das kenne ich." Nur zu gut. „Also das mit dem Wegstoßen."
„Mit Männern kann ich mir zwar Sex vorstellen, wie du dir eventuell denken kannst, aber generell ... Na ja, mag ich ... eben Frauen."
„Ja verstehe. Ist doch völlig in Ordnung. Jeder soll das doch für sich selbst entscheiden. Hauptsache glücklich."
„Ja, sehe ich auch so. Ich bin so erleichtert. Danke."
„Hast du das noch nie jemandem erzählen können?"
„Abgesehen von der Beraterin und dir? Nein. Ich hab ja niemanden so richtig Enges."
„Das ist schade. Das tut mir leid."
„Schon okay. Wollen wir noch weiter oder wie sieht dein Tag heute aus?"
„Wir können gerne weiter spazieren."
Ronja und Alice gehen noch eine Weile spazieren, ohne sich viel zu unterhalten. Sie genießen die Ruhe und alles rundherum sowie dass zwischen ihnen wieder Frieden ist.
Wieder an der Abzweigung vorbeikommend, an der Ronja entweder zum Le Petit oder zu sich nach Hause geht, trennen sich ihre Wege.
Noch einmal betont Ronja, dass Alice sich wirklich jederzeit melden kann. Alice scheint dankbar. Ronja pustet nach ihrer Verabschiedung alle Anspannung aus, von der sie vorher gar nicht mitbekam, wie sehr diese sich angesammelt hatte. Glücklich darüber, dass sie sich 'bis morgen' gesagt haben, macht sie sich auf den Nachhauseweg. Mit einem Strahlen.
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