[32] 1|Donnerstag
◊
Eine Familie werden sie sein, was für ein schöner Gedanke. Ronja hatte schon fast mit diesem Gedanken abgeschlossen. Aber jetzt sieht es wieder ganz anders aus. Ein Mädchen oder ein Junge? Ist mir völlig egal, Hauptsache gesund.
Apropos gesund, sie ist blind, kann sie das Kind denn wirklich alleine betreuen?, diese Frage schießt ihr plötzlich durch den Kopf.
Sie dreht sich um und rüttelt Alice wach.
„Was, wenn ich das nicht schaffe?"
„Ronnie. Was ist denn los?"
„Ja, bisher habe ich zwar alles gut gemeistert, aber du darfst nicht vergessen, ich bin blind. Zu Beginn werde ich wieder alles neu lernen müssen, also ich meine alle richtigen Handbewegungen, einfach alles, was unser Kind betrifft. Was, wenn ich das nicht schaffe?"
„Beruhige dich."
„Aber Al. Ich will doch nicht, dass unserem Kind etwas zustößt."
„Das weiß ich doch. Bitte beruhige dich."
„Al! Denk doch mal nach. Wie kannst du mir das zutrauen?"
„Ronnie, weil ich dich kenne!"
„Aber ..."
„Ronnie, denk an deine Atemübung. Langsam und ruhig tief ein- und ausatmen ... Gut ..."
Alice legt ihre Hand auf Ronjas Bauch, spürt, ob Ronja auch wirklich ein- und ausatmet sowie tief genug atmet.
Ronja beruhigt sich langsam wieder.
„Ronnie, weißt du noch, als du mich besucht hast und ich eine Panikattacke bekam?"
Ronja nickt.
„Du kanntest meine Wohnung nicht, sie war ebenso neu für dich und doch, weil du mir helfen wolltest, hast du es auch geschafft. Und so wirst du es auch bei unserem Kind schaffen. Ich weiß, dass es mehr ist, aber ich habe ja auch Mutterschutz und in dieser Zeit werden wir alles gemeinsam machen, okay? Und wenn du länger brauchst, ist das okay, dann nehme ich noch Elternzeit und wir üben weiter, okay? Aber ich weiß, dass du es schaffst. Eben, weil du willst, dass unserem Kind nichts passiert, richtig?"
„Richtig ... Ich habe Angst."
„Das ist doch auch okay. Angst hilft uns Menschen doch auch vor Gefahren, macht uns achtsam. Angst ist nicht immer nur schlecht."
„Ja, da hast du recht." Ronja muss grinsen.
„Ronnie alles gut bei dir?"
„Tut mir leid, ich musste an die letzte Mail an Elmar denken. Er fragte mich, was ich unter Angst verstehe. Ich habe zum Teil das geschrieben, was du eben zu mir gesagt hast."
„Tja, dann hör auf mich und auch auf dich."
„Danke Al."
◦◦◦◦◦◦
Sie liegen noch einen kurzen Moment, um in Ruhe aufstehen zu können. Während Ronja sich duscht und fertig macht, bereitet Alice das Frühstück vor.
Bei dem Frühstück bereden sie, wie sie Elmar und Joe danken können für ihre Anschubser. Sie beschließen die beiden am Sonntag zum Café und Kuchen und vielleicht auch, wenn sie länger bleiben mögen, einem spontanen Grillen einzuladen.
Alice geht heute wieder alleine zum Hafen, sich mit Elmar treffen, auch wenn Ronja das schon vermisst. Aber aus zeitlichen und anderen Gründen lässt sie es auch heute aus.
Alice wird ihn heute für Sonntag einladen und geht danach zu ihrer Ärztin, um mit dieser über die Krankschreibung bis zum 14.06. zu sprechen. Sehr wahrscheinlich geht sie dann sogar zu Pat weiter, um sich selbst weiter einzuarbeiten sowie ihm auch die Arbeitstage zu benennen.
◦◦◦◦◦◦
Derweil geht Ronja ebenso los.
„Hey Joe."
„Hallo Ronja."
„Du hattest doch angedeutet, dass du die Babysachen und so noch hast oder?", fragt Ronja vorsichtig nach.
„Ja schon."
„Hast du auch noch ein Babybett?"
„Ah ja klar, hätte ich ja selbst mal drauf kommen können."
„Schon okay, du kannst auch nicht immer an alles bedenken. Aber hast du noch eins?"
„Ja und natürlich bekommt ihr das. Ich schaue einfach noch mal nach, was ich genau noch da habe und sag dir Bescheid. Soll ich das Bettchen vorbeibringen?"
„Das wäre super."
„Klar, wann?"
„Wenn du Lust hast, jetzt." Ronja lacht.
„Geht es auch wann anders?"
„Du kannst es auch Sonntag mitbringen. Da laden wir dich und Elmar nämlich ganz herzlich zu einem Dankeschön ein. Für die Schubser, die ihr uns so liebevoll gegeben habt. Also eher mir. Es gibt auf alle Fälle Café und Kuchen."
„Echt?"
„Ja wirklich."
„Das ist ja lieb und wann?"
„So um 12:00 Uhr, du kannst auch ein bisschen früher kommen, wenn du das Bettchen bringst."
„Du bist so eine ..."
„... super tolle liebenswerte Freundin, wolltest du sagen?"
„Ja genau das wollte ich sagen."
Es tut so gut, dass sie gemeinsam abermals lachen können. Erfrischend. Locker. Leicht.
◦◦◦◦◦◦
Wieder zu Hause setzt sich Ronja mit einem Café draußen auf die Terrasse und klappt ihren Laptop auf. Zwei E-Mails. Die eine von ihrem neuen Kollegen, es passt ihm genauso gut nächste Woche Dienstag. Die zweite – sie freut sich sehr – Mail ist von Elmar.
Hallo Ronja.
Alice hat bestimmt erzählt. Für mich okay, wenn Alice allein kommt, wenn du allein kommst, wenn ihr beide kommt. Ich mag euch beide.
Angst. Deine Erklärung finde ich sehr gut.
Angst kann gut sein. Angst kann schlecht sein.
Ich frage dich das alles, weil Menschen sagen, Menschen mit Autismus können nicht fühlen. Angst ist ein Gefühl. Ich kenne Angst.
Nur weil Menschen anders sind, bedeutet das nicht, dass sie nichts fühlen. Vielleicht fühle ich anders, aber ich fühle.
Meine nächste Mail kommt am Montag, den 05.06..
Ich danke dir.
Viele Grüße.
Von Elmar.
Hallo Elmar.
Ich glaube dir.
Ich glaube dir, dass andere Menschen das behaupten.
Ich glaube dir, dass du fühlst.
Anders fühlen ist nicht schlimm.
Für mich ist es nicht schlimm.
Nicht jeder versteht das.
Aber das ist ihr Problem und nicht unsres.
Ich freue mich auf Sonntag.
Ich danke dir auch.
Viele Grüße.
Von Ronja.
Nachdem sie die Mail an Elmar weggeschickt hat, geht sie erneut in die Küche, füllt ihre Tasse auf, geht zurück und setzt sich an ihren Arbeitsplatz. Die Telefonberatungen können beginnen.
Zwischen den Terminen und der offenen Sprechzeit macht sie eine kurze Pause, in der sie eine Nachricht von Alice abhört, dass sie erst gegen 18:30 Uhr nach Hause kommt, dafür aber mit Essen. Essen, da war ja was. Sie holt sich eine Banane aus der Küche.
◦◦◦◦◦◦
Sie beendet das letzte Gespräch und hört im gleichen Augenblick, wie sich die Wohnungstür öffnet. Sie dokumentiert noch eilig ihre Arbeitstermine zu Ende, um ihre Partnerin schnellstmöglich begrüßen zu können.
Alice hat nicht zu viel versprochen. Sie hat zwei volle Tüten ihres Lieblingsimbisses mitgebracht. Es riecht köstlich nach asiatisch. Ronja kann Frühlingsrollen, dampfenden Reis und, sie meint, eine scharfe Note ausmachen. Sie soll sich überraschen lassen.
„Hast du irgendwelche Lebensmittelallergien, bevor ich dich jetzt einfach essen lasse?"
Ronja antwortet Alice, indem sie grinsend anfängt zu speisen. Leicht über dem Essen gebeugt saugt sie den herrlichen Duft auf, welcher ihren Appetit nur umso mehr anregt. Jede Zutat für sich sowie alles zusammen – einfach köstlich –, befindet Ronja.
Voll gefuttert und erschöpft verziehen sich die beiden direkt ins Bett. Die eine mit ihrem Hörbuch, die andere mit einem gebundenen Buch, beide mit einem Ingwertee.
◊
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top