[23] 23|Dienstag
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Gestern noch mit einem wunderschönen Traum sowie diesem wunderbaren Gefühl aufgewacht, muss sich Ronja heute mit einem zerstäubenden Mix aus Unsicherheit und Besorgnis zufriedengeben.
Es ist wie eine Achterbahn, hoch und runter, mal auf der gleichen Ebene, jedoch nicht rückwärts. So ist es, also geht es zumindest vorwärts. Und wohin, das wird sie schon noch herausbekommen.
Aufgestanden und fertiggemacht, geht sie sich selbst beruhigend los in den Park. Den Weg achtsam entlang schreitend bis zu einer Bank am See. Dort sitzt sie nun ganz verträumt und denkt über die letzten Entwicklungen nach. Habe ich Alice zu viel bedrängt? Habe ich gestern etwas Falsches gesagt? Habe ich etwas falsch verstanden? Hatte Frau Winter eine Info fehlinterpretiert? Gibt es Missverständnisse? Sollte ich das ansprechen? Wie wäre es, wenn Alice bei ihr wohnen würde? Wäre es denn nicht schön?
Ronja wird aus ihren Gedanken gerissen. Etwas hat sie am Fuß getroffen, nicht doll, aber merklich. Jemand nähert sich.
„Hallo. Tut mir leid. Mein Ball ist gegen Sie gekommen."
„Ach, das macht doch nichts. Ist ja nichts passiert."
„Okay danke. Schönen Tag."
„Danke, den wünsche ich dir auch."
Ein freundliches Kind. Kinder sind etwas Schönes. Sie selbst würde gerne eines haben, aber ob es dazu mal kommen wird. Wer weiß, abwarten.
Genug der Gedanken! Somit steht sie auf und lässt sich von Woody nach Hause führen. Dort angekommen stellt sie das zuletzt gemalte Bild zur Seite und bringt ihre Malutensilien wieder raus auf die Terrasse, um ihre Sorgen und Gefühle freien Lauf lassen zu können. Vielmehr klatscht sie heute mit einem großen breiten Pinsel riesige breite Farbkleckse unterschiedlicher Farben auf das Bild, um ihre Sorgen auf die Art von sich lösen zu können – so ihre Hoffnung zumindest.
Folgend schöpft sie diesen Moment auf der Couch draußen aus, indem sie sich besser, insbesondere freier fühlt.
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Am Mittag trifft sie sich am Hafen mit Elmar. Das ist zum einen eine neue Routine, zum anderen etwas, worauf sie sich richtig freut. Er ist ein mutiger Mann, der sich dieser nicht unbedingt in jede Richtung wandlungsfähigen Gesellschaft stellt und sein Leben lebt. Ich habe ihn sehr gern.
„Hallo Ronja."
„Hey Elmar."
„Heute ohne Alice."
„Ja, ist das schlimm?"
„Nein. Ich find euch beide nett."
„Das ist aber lieb von dir. Möchtest du Alice öfter sehen?"
„Ja."
„Soll ich sie fragen, ob sie öfter mitkommen möchte?"
„Ja, das wäre nett."
„Okay, das mache ich."
„Geht es Alice besser?"
„Je nachdem."
„Impressionsweise?"
„Ja genau."
„Beratungsstelle gut?"
„Ja, ich denke schon."
„Gut."
„Ja."
„Bis morgen Ronja."
„Bis morgen Elmar."
Ronja macht sich auch auf den Weg, geht aber Richtung Le Petit. Dann nach rechts und zu ihrem geliebten Laden motley's.
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„Guten Tag. Ich bin gleich da. Schauen Sie sich gerne um. Wenn Sie Fragen haben, können Sie gerne fragen. Ich komme gleich."
Ronja muss schmunzeln und nicht, weil sie sich nicht umzusehen braucht. Pat scheint mal wieder vertieft in irgendeiner Suche zu sein und wird gleich nach vorne kommen, weil er mal wieder vergessen hat, wonach er ursprünglich suchen wollte. Sie wartet begierig auf diesen Moment.
Sie hört die sich nähernden Schritte; versucht krampfhaft ihr Schmunzeln nicht in ein Lachen verwandeln zu lassen.
„Ach Ronja, du bist es. Ich habe irgendetwas gesucht. Aber herrje. Ehrlich gesagt, habe ich jetzt schon wieder vergessen, warum ich nach hinten gegangen war."
„Ach Pat, das wird dir sicherlich wieder einfallen." Ronjas Schmunzeln wird breiter.
„Ja ja. Älter werden und arbeiten, das sag ich dir. Puh, das darf ein Mann wohl nicht. Ich hab hier überhaupt keine Übersicht mehr, glaube ich."
„Hast du immer noch niemanden gefunden?"
„Nein, kannst du das verstehen? So ein schöner Bedarfsladen für die Kunst. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch alleine schaffe."
„Ich werde es weitertragen, dass es hier einen wertvollen Job zu ergattern gibt."
„Das ist lieb von dir."
„Welche Voraussetzungen muss die Person denn erfüllen?"
„Hier, ich gebe dir einen Zettel zu der Stellenausschreibung mit."
„Pat ...?"
„Ja Liebes."
„Ähm ..."
„Wo bin ich schon wieder mit meinen Gedanken hin. Tut mir leid, Ronja. Natürlich. Grundsätzlich war es als eine reine Verkaufs- und Beratungsanstellung angedacht. Die Person braucht nicht von Anfang detailliertes Wissen. Das könnte und würde ich auch gerne übernehmen, die neue Person ins Wissen einarbeiten. Aber der Bezug sowie die Leidenschaft zur Kunst sollte da sein."
„Ja, das kann ich verstehen. Was heißt denn grundsätzlich? Kommen nun doch mehr Aufgaben hinzu?"
„Ich würde mich freuen, wenn die Person Interesse und die Fähigkeit besitzt, ein neues Organisationssystem mit mir hier zu erarbeiten. Ich glaube, es geht einfacher. Und ich denke, die Person hätte ebenso etwas davon anstelle diesem Chaos, was im Lager und teilweise im Laden herrscht."
„Okay. Und um wie viele Stunden in der Woche geht es?"
„So zwischen 15 und 20 Stunden die Woche, habe ich angenommen. Aber das kann man ja auch alles noch bei einem Gespräch besprechen."
„Okay. So Pat, jetzt hätte ich gerne noch meine bestellte Ware."
„Aber ja, na klar Ronja." Pat kramt hinter dem Tresen. Zum Glück hat er diese wohl schon vorbereitet. Kurz darauf überreicht er ihr eine Tüte.
„Danke, dann bis nächste Woche Pat und viel Erfolg."
„Danke, bis nächste Woche meine Liebe."
Ronja verlässt das motley's durch die Tür mit noch immer dem Zettel in der Hand, sie packt ihn einfach in die Tüte ihrer Waren.
Klick. Die Uhr sagt, dass es bereits 13:06 Uhr ist. Da war sie heute recht lange am Quatschen mit Pat.
Sie macht sich schnell auf den Weg nach Hause, um pünktlich zu den Telefonberatungsterminen da zu sein.
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Feierabend und leider ist immer noch keine Mail vom Vorstand gekommen. Nach einer erfrischenden Dusche setzt sie sich, wie sie es gerne macht, mit einem Holunder-Ingwer-Tee raus auf die Terrasse und legt ihr Handy neben sich. Als sie sich einige Minuten zum Besinnen gönnen konnte, nimmt sie ihr Handy in die Hand.
Ronja:
»Ich hoffe, dass zwischen uns
alles gut ist?! Ich wünsche
dir eine gute Nacht. Kannst
dich gerne jederzeit melden.
Liebe Grüße, Ronja«
Kurz darauf bimmelt ihr Handy. Alice hat geantwortet, erhofft sie sich, doch ihr Handy sagt, sie hat eine Mail von Elmar erhalten. Sie freut sich trotzdem, ist nur mit anderen Erwartungen ans Handy herangegangen.
Hallo Ronja.
Ich schreibe dir zuerst ein kleines Beispiel für meine Wahrnehmung. Wenn du das verstehst. Dann kannst du fragen. Dann erkläre ich weiter.
Stell dir einen Raum vor, wo ein geschlossener Kleiderschrank drin ist. Was denkst du, was andere dir beschreiben, was in diesem Raum zu sehen ist?
Antwort: Ein geschlossener Kleiderschrank. Manche sagen dir vielleicht noch die Farbe, manche geben dir vielleicht noch die Position an.
Für mich ist es so: Ich sehe eine Tür mit einem Rahmen, aus welchem Material diese Dinge bestehen, aus wie vielen Einzelteilen diese noch bestehen, ich sehe die Klinke, dass diese aus Metall ist, nicht aus Holz wie die Tür, ein Unterschied, womöglich ändert sich auch die Bodenbeschaffenheit, wo ich jetzt langgehen soll. Die Dichte verändert sich, da die Luft nach oben für diesen kleinen Augenblick weniger wird. Dann komme ich in einen Raum, ein Raum mit vier Wänden, die, sagen wir mal, um es einfacher zu machen, weiß gestrichen sind, okay alle gleich, ich sehe Risse, Spalten, Staub oder auch nicht, je nachdem. Ich sehe das, was da ist, alles, und das, was da sein könnte, alles. Dann sehe ich den Schrank, es könnte ein Schrank für Kleidung sein. Er ist zu. Warum? Wenn er offen wäre, wäre es einfacher. Dann könnte ich die Sachen für mich aufzählen, was dort drin ist und weitergehen, so bleibe ich davor stehen und gehe alles durch, was drin sein könnte. Alles, was für mich da drin sein könnte. Dann will ich ihn trotzdem öffnen, weil es mir keine Ruhe lässt, aber ich habe gelernt, dass ich nicht einfach fremde Schränke aufmachen kann, also versuche ich zu widerstehen, ruhig zu bleiben. Ich werde hibbelig, wippe, meine Ausgleichsbewegung, meine Hände fangen an, sich zu bewegen. Ich werde angeguckt, ich werde nervöser. Was nun? Ich weiß von früher: Ausrasten oder weglaufen.
So ist es in meiner Welt.
Danke für das Lesen. Danke, dass ich schreiben darf.
Ich schreibe dir wieder am Donnerstag, den 25.05..
Bis morgen.
Viele Grüße.
Von Elmar.
Hallo Elmar.
Ich denke, ich habe verstanden. Aber nur du kannst mir sagen, ob ich es wirklich verstanden habe.
Ich denke, dass du jeden Tag zu vielen Reizen ausgesetzt bist und das ist natürlich ein andauernder Kampf, den du führen musst. Du kannst dir zwar Linderung verschaffen, wahrscheinlich durch Übung oder wenn jemand mal auf dich eingeht, aber es wird immer so sein. Na ja, und wenn ich an 'Tag' denke, ist es dann auch so, dass du eher an 24 Stunden denkst oder morgens, mittags und abends? Oder dabei nicht? Gibt es Verhaltensweisen, die ich blöd mache, die ich für dich anders, also besser machen könnte?
Ich bewundere dich für deinen Humor, deine Freude und deinen Mut.
Viele Grüße.
Von Ronja.
In Gedanken bei Elmar – versuchend sich zu überlegen, wie sein Alltag womöglich aussehen mag, unter welchen Belastungen er ihn so wunderbar bestreitet – trinkt Ronja ihren Tee noch aus und geht zu dieser doch recht spät gewordenen Stunde ins Bett.
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