[22] 22|Montag
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Ronja wacht lächelnd auf. Was hatte sie denn geträumt? Nichts Schlimmes, ganz und gar nicht, eher das Gegenteil. Es war ein schöner Traum. Sie hatte sich sehr wohlgefühlt. Er spielte in ihrer Wohnung, wenn diese auch ein wenig anders schien, aber sie weiß, dass es ihre Wohnung sein sollte. In ihrem Traum wachte sie am Morgen auf, in ihre Nase kam direkt ein Duft von frisch gekochtem Café und gebackenen Croissants. Der Neugierde nachgehend stand sie auf und folgte direkt dem Duft. Und da war sie, das wusste sie einfach, sie spürte es, sie wartete anscheinend auf Ronja, und als sie Ronja erblickte, wünschte sie ihr einen schönen Morgen. Es fühlte sich richtig und wohlwollend an. Als wäre das völlig normal, setzte sich Ronja zu ihr an den Tisch und sie frühstückten gemeinsam und erzählten sich von dem vorherigen Tag, dem was am heutigen ansteht und dem, was in den nächsten Tagen so komme. Alles so harmonisch. Sie fühlte sich im Traum einfach pudelwohl. Davon zeugt ja auch ihr überbreites Grinsen im Gesicht.
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Klick, es ist bereits 09:00 Uhr. Oh, das ist aber spät. Keine Zeit mehr zu verlieren, im Schnelldurchgang macht sie sich fertig und geht mit Woody los in den Park. In Erinnerungen an den Traum schwebt sie leichtfüßig auf dem Pfad und lässt sich nebenher von den leisen Klängen der Umgebung berieseln, die ihren wohligen Gemütszustand bekräftigen.
Als sie zurück vor ihrer Wohnungstür ankommt, begrüßt Alice sie bereits von weiter weg. Wie lange sie wohl schon dort steht und auf mich wartet?
„Hey Alice. Habe ich mir etwas falsch gemerkt?"
„Nein nein, alles gut. Wir wollten uns am Hafen treffen. Ich hoffe, es stört nicht, wenn ich dich hier so überfalle."
„Nein gar nicht. Komm mit rein. Du darfst mir sehr gerne einen Café kochen. Dir natürlich auch." Ronja grinst sie frech an.
„Wie lieb von dir. Du bist ja so sooo so gütig." Alice lacht.
Sie gehen in die Wohnung hinein und die Aufgaben scheinen von selbst verteilt. Ronja kümmert sich zunächst um Woody und dann um die Vorbereitung auf der Terrasse, Alice geht direkt in die Küche.
Als Alice mit den Getränken Richtung Terrasse geht, bemerkt sie das Bild von Ronja mit einem geräuschvollen Staunen.
„Ist es so hässlich geworden?", fragt Ronja.
„Nein ganz im Gegenteil. Es ist wunderschön. Ich bestaune es."
„Oh okay, danke."
„Es ist so belebend. Wahnsinn."
„Danke schön."
Alice kommt mit den Getränken hinaus und stellt Ronja ihre Tasse auf den dafür vorgesehenen sogenannten Kringel-Platz.
„Ist alles okay bei dir Alice?"
„Geht. Ich wollte einfach nur schon raus an die frische Luft und dann dachte ich, ich versuch's mal bei dir."
„Okay. Klar."
„Wegen neulich möchte ich mich bedanken, aber auch entschuldigen. Ich meine, als du bei mir warst. Und ich ... auf dem Boden ..."
„Schon gut, du musst dich nicht entschuldigen. Weißt du, woher ich das mit dem Atmen und Kühlen weiß?"
„Nein ..."
„Weil ich auch schon Panikattacken hatte." Und was für welche ...
„Du?"
„Ja klar, warum nicht?"
„Weil du so gut wie immer fröhlich bist, immer Rat weißt, weil du halt Ronja bist."
„Aber auch ich hatte schon andere Zeiten und konnte nur zu dem Menschen werden, der ich heute bin, weil ich das andere auch erlebt habe."
„Verstehe. Und wo hast du das gelernt mit der Atmung?"
„In einem Präventionskurs über die Krankenkasse. Das kannst du auch machen, kann jeder machen." Bei mir war es damals richtig. Ohne wäre ich da nicht rausgekommen. Ich war auch allein. Bin es irgendwie immer noch. Obwohl ... so langsam nicht mehr. Letzteres lässt sie innerlich kribbeln. Auf gute Weise.
„Cool, denn das hat echt gutgetan. Vielleicht sollte ich auch mal so einen Kurs machen, oder?"
„Warum nicht? Schaden kann es nicht. Ich mache immer noch öfters Atemübungen, ist für viele Situationen hilfreich."
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Nachdem sie ihre Getränke in Ruhe auf der Terrasse ausgetrunken haben, machen sie sich fertig, um Richtung Hafen zu gehen. Denn nur, weil sie sich spontan hier getroffen haben, können und wollen sie ja nicht Elmar vergessen.
„Hey Ronja. Hey Alice."
„Hallo Elmar", erwidert Ronja und setzt sich.
„Hallo Elmar", begrüßt auch Alice ihn.
„Heute seid ihr beide da."
„Ja richtig. Wir gehen gleich noch zu einem Termin von mir."
„Wie geht es dir, Elmar?"
„Gut. Und euch?"
„Mir geht es heute auch gut."
„Ich bin ein bisschen aufgeregt wegen meines Termins gleich, deswegen kommt auch Ronja mit."
„Und, weil sie deine Freundin ist, oder?"
„Ja genau."
„Ist das ein böser Termin?"
„Nein, da wird mir geholfen. Also ein guter Termin."
„Das ist gut."
„Hast du denn böse Termine?", hakt Alice schockiert nach.
„Nicht mehr."
„Das ist auch gut."
„Bis morgen Ronja. Tschüss Alice."
„Bis morgen Elmar."
„Bye Elmar."
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Die beiden kommen bei der Beratungsstelle an und werden beim Eingang von Frau Winter freundlich begrüßt.
„Und Frau Becker, heute erst einmal nur wir beide? Was sagen Sie?"
„Ja, so wollten wir es doch machen."
„Schön. Das freut mich."
„Ronja?"
„Ja, Alice."
„Du wartest doch draußen, oder?", fragt Alice nervös nach.
„Ja klar, so wie letztes Mal. Ich bin draußen, wenn etwas ist."
Nach etwa dreißig Minuten kommt Frau Winter heraus und holt Ronja zum Gespräch dazu.
„Frau Becker und ich hatten ein sehr gutes Gespräch, würde ich sagen und wir wollten Sie dazu holen, weil es um einen wichtigen Aspekt in dem Leben von Frau Becker geht. Mit Frau Beckers Erlaubnis übernehme ich den Beginn des Gesprächs. Es geht um ihre Wohnsituation. Sie kann schon allein aus rein emotionalen Gründen nicht in ihrer Wohnung bleiben. Da muss eine Alternative her. Frau Becker hat sich das bisher nicht getraut, so im Klaren auszusprechen, aber vielleicht haben Sie das schon bemerkt."
„Ja, das war deutlich zu spüren. Was können wir machen?" Während Ronja antwortet, versucht sie auf Alice' Reaktionen zu achten. Ruhig scheint sie zu sein.
„Eine neue Wohnung zu finden ist keine leichte Angelegenheit. Das wird sehr lange Zeit in Anspruch nehmen."
„Von wie viel Zeit sprechen wir da?"
„Von mehreren Monaten, vielleicht ein halbes Jahr. Vielleicht mehr."
„Aber dann ist ja vielleicht schon das Kind da. Das geht doch nicht."
„Ja, das sehe ich auch. Ich finde auch, dass das ganz schön viel Stress ist, den man umgehen könnte."
„Was für Optionen gibt es noch?" Ronja kann immer noch keine Verhaltensweisen bei Alice ausmachen.
„Also ich möchte eine Mutter-Kind-Einrichtung vermeiden, wenn es möglich ist. Ich finde das auch nicht angebracht bei Ihnen beiden."
„Ja, sehe ich auch."
„Meine Frage ist, wie groß ist denn Ihre Wohnung und könnten Sie sich vorstellen unter diesen nicht sehr romantischen Umständen Frau Becker in Ihre Wohnung als Untervermieterin mit aufzunehmen?"
„Aber Alice natürlich. Du hättest doch was sagen ..."
„Wie ich eben schon sagte, es ist ihr ein sehr unangenehmes Thema."
„Alice, wenn du möchtest, natürlich kannst du bei mir einziehen", versucht Ronja es nun anders zu formulieren, damit es nicht wie ein Vorwurf klingt.
Die ganze Zeit schien Alice stocksteif auf ihrem Stuhl gesessen zu haben, doch nun bewegt sie sich hin und her. Die leichten Bewegungen kann Ronja deutlich ausmachen. Es kommt ihr wie eine Ewigkeit vor, in der Alice nicht antwortet.
„Alice ..."
„Nein. Danke Ronja. Aber nein, das ist mir nun doch zu viel." In Alice' leiser Stimme schwingen viele Emotionen mit, zu viele auf einmal, als dass Ronja alle erfassen könnte. Trauer, Wut, Frust, Zweifel und noch viele weitere schallen ihr entgegen.
„Okay, tut mir leid. Ich wollte nicht, ich weiß auch nicht. Habe ich etwas Falsches gesagt?"
„Nein Ronja. Wirklich nicht", erwidert sie etwas gefasster.
„Okay, dann gehe ich wieder raus, denke ich und warte draußen auf dich."
Nach weiteren ungefähren fünfzehn Minuten kommt Alice raus und sie gehen schweigend nebenher zu Ronja.
Wieder vor der Tür angekommen. Wieder fragt Ronja Alice, ob sie noch einen Tee möchte, wieder verneint Alice das Angebot, wieder geht Ronja an einem Montagabend alleine in ihre Wohnung.
Sehr aufgewühlt, aber auch nicht mehr in der Lage, das Geschehene richtig zu ordnen, verschwindet Ronja direkt ins Bett. Sie versucht einzuschlafen, presst ihre Lider zusammen, es will ihr nicht gelingen, sie wälzt sich hin und her. Ohne es mitzubekommen, reißt sie die Erschöpfung irgendwann endlich in die Traumwelt.
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