[20] 20|Samstag
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In der Nacht wacht Ronja öfter auf. Sie hat ihr Handy ausnahmsweise mit ans Bett genommen. Nur für den Fall, dass sich Alice meldet; für den Fall, dass sie noch etwas tun könne. Sie bekam es mit, wie schlecht es Alice wirklich geht. Ist es der Gedanke an das Baby? Ist es wegen der Wohnung? Ist es beides zusammen? Ronja kann noch so lange grübeln, sie weiß es nicht. Sie möchte auch nicht zu viel nachhaken, nicht, dass Alice sich noch unwohler fühlen muss. Aber was hat es mit dieser gezwungenen Einzugsgeschichte auf sich? Das würde Ronja gerne wissen. Aber das steht ihr ebenso wenig zu, zu erfahren. Sie fühlt mit Alice oder ist es schon mitleiden?
Der Auslöser ... für die Panikattacke. Das war die Lücke im Raum, dort, wo wahrscheinlich das Bettchen hinkommen würde ... Es macht also wirklich sehr viel mit ihr. Ob sie es dann bekommen wird? Ich möchte, dass es Alice gut geht und sie die Entscheidung treffen kann, die für sie gut ist.
Als sie nach Hause kam, schrieb sie Alice eine Nachricht, dass sie sich immer melden kann, egal zu welcher Uhrzeit, dass sie gerne für sie da ist.
Sie weiß nicht, ob die Nachricht doof herüberkommen konnte, aber so empfindet sie es. Immer, wenn sie in der Nacht aufwacht, befragt sie ihr Handy. Doch bisher hatte Alice sich nicht gemeldet. Vielleicht ein gutes Zeichen, vielleicht schläft sie, beruhigt sich Ronja und versucht selbst immer wieder weiterzuschlafen.
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Nach einer rastlosen Nacht steht Ronja auf. Soll sie ihre Arbeit absagen und lieber nach Alice sehen oder soll sie sie lieber in Ruhe und ihr ihre Zeit lassen?
Sie entscheidet, sich erst einmal frisch zu machen und den Tag zu beginnen. Beim Spaziergang kann sie weiter darüber nachdenken.
Obwohl sie Joe wiedersehen möchte, geht sie an seiner süßen kleinen Bäckerei vorbei. Wie in Trance bestreitet sie die Runde und kann ihre Gedanken gar nicht richtig fassen. Ohne es richtig bemerkt zu haben, landet sie wieder vor ihrer Wohnungstür.
Ausruhen. Sie kann für Alice gerade keine Stütze sein. Sie muss sich ausruhen. Sie schaltet ihren Computer an, kocht sich einen Tee und setzt sich erst einmal hinaus auf die Terrasse. Könnte sie ohne Elmar abzusagen, den Hafen heute auslassen? Oder würde sie ihm damit womöglich ein falsches Signal senden? Vielleicht ist es für sie ja auch ganz gut, noch einmal eine Runde zu drehen.
So oder so, sie meint, dass ihre Arbeit sie ablenken könnte und geht daher mit ihrer halb vollen Tasse Tee hinein an ihren Arbeitsplatz.
Sie hofft inständig auf eine baldige Nachricht ihres Vorstands, sie hat Mitgefühl für die Neuanfragen, die sie nicht aufnehmen kann. Der Mehrbelastung durch die vielen Nachfragen per E-Mail, unter anderem von denen, die sie momentan nicht aufnehmen kann, kann sie irgendwann auch nicht mehr standhalten. Mehr Stunden arbeiten möchte sie aber auch nicht.
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Ganz in Ruhe geht Ronja zum Hafen und weiß jetzt schon, dass sie nicht sehr gesprächig sein wird. Zum Glück hat sie ihm den Spaziergang für morgen angeboten und nicht für heute. Eher ungeschickt lässt sie sich auf ihren Treppenplatz plumpsen, sodass sie meint, am nächsten Tag einen blauen Fleck am Po zu haben. Da muss sie grinsen. Mit Blau fing hier alles an.
„Hallo Ronja."
„Hey Elmar."
„Du siehst aber nicht gut aus."
„Oh danke Elmar. Tut mir leid. Du hast recht, ich bin ganz schön erschöpft."
„Zu viel?"
„Ja genau. Aber schon okay, das wird wieder."
„Wegen Alice?"
„Wie kommst du darauf?"
„Weil du sie magst. Menschen werden erschöpft, wenn es Menschen, die sie mögen, nicht gut geht."
„Da hast du recht."
„Ist es wegen Alice?"
„Ja."
„Warum seid ihr kein Paar?"
„Haben wir dir schon gesagt."
„Verstehe ich nicht."
„Was wir gesagt haben?"
„Nein."
„Was dann?"
„Warum ihr kein Paar seid."
„Wieso denkst du, dass Alice und ich ein Paar sein könnten?"
„Weil ihr euch so gerne habt wie Menschen, die ein Paar sind."
„Verstehe."
„Gut."
„Freust du dich schon auf unseren Spaziergang morgen?"
„Ja, auf die Suche."
„Hab ich mir gedacht."
„Gut ausruhen und bis morgen Ronja."
„Danke dir und bis morgen Elmar."
Ronja bleibt noch einige Minuten, um diese ungewöhnliche schöne Atmosphäre des Platzes in sich aufsaugen zu können und um über Elmars Worte nachzudenken.
Wie sie Elmar so schnell in ihr Herz schließen konnte, unglaublich, aber er ist auch ein besonderer Mann, von dem auch sie noch vieles lernen und für den sie dankbar sein kann.
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Wieder zu Hause am Computer, beantwortet sie ihren Klient*innen ihre Fragen und sucht für diejenigen, die bereits zum dritten Mal anfragen, zumindest perspektivisch einen Telefontermin heraus. Es ist ja fast zum Verzweifeln. Sie schickt ihnen ihre mittlerweile standardisierte Antwort mit der zusätzlichen Mitteilung, dass sie in zwei Monaten einen Telefontermin frei hat und falls sie früher etwas anbieten kann, sie sich melden wird. „Besser als nichts", murmelt sie vor sich hin und weiß selbst nicht ganz recht, ob sie damit noch zufrieden wäre, wenn sie auf der anderen Seite sitzen würde. Aber ändern kann sie daran nichts.
Pünktlich zum Feierabend kann sie den Computer nicht zuklappen, denn jemand anders war schneller.
Liebe Ronja,
ich weiß, ich habe auch deine private Mailadresse.
Es geht mir aber gar nicht darum, eine Antwort zu bekommen.
Ich möchte es nur loswerden, damit mich jemand erinnern kann und ich keine Ausrede mehr habe, damit ich es einfach mal geäußert habe.
Ich will mein Kind bekommen.
Ich möchte es! Nur mit dieser Wohnung? Hier und ich allein? Wie?
Aber das wichtigste: Ich möchte mein Kind bekommen!
Vielen Dank fürs Lesen.
Alles Liebe, Alice
Ronja lässt sich immer und immer wieder die Mail von Alice vorlesen. Sie freut sich, ist gleichzeitig damit überfordert, eine Antwort zu schreiben. Was soll sie ihr nur schreiben, ohne ein falsches Gefühl oder Signal zu vermitteln? Sie möchte nicht, dass Alice sich unbehaglich fühlt. Sie wäre gerne bei ihr, sie würde sie gerne umarmen. In diesem Moment kommt ihr die Erinnerung, wie sie sich umarmten, wieder in den Sinn, hier vor ihrer Wohnung, als sie sich so wohlfühlte.
Zurück zu diesem Moment!
Liebe Alice,
ich habe deine Mail noch gesehen.
Eine Lösung für die Wohnsituation wird sich bestimmt finden.
Und ich werde, wenn du das möchtest, den Weg mit dir zusammen gehen. Das 'allein' kannst du schon einmal streichen. Ich bin, wenn du das möchtest, an deiner Seite.
Liebe Grüße und fühl dich gedrückt, Ronja
◦◦◦◦◦◦
Ronja lässt den Computer an, nimmt ihr Handy mit auf die Terrasse sowie ihren neu aufgebrühten Tee. Dort verbringt sie nachdenklich den restlichen Abend. Wie könnte ein gemeinsamer Weg aussehen? Wie könnte sie unterstützender zur Seite stehen oder hilfreicher? Was ist, wenn Alice das gar nicht möchte? Diese und viele andere Fragen gehen ihr durch den Kopf, bleiben aber unbeantwortet.
Von Alice kommt keine Antwort mehr.
Somit schaltet sie den Computer aus und legt sich ins Bett.
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