[11] 11|Donnerstag
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Reich-an-Arbeit-Woche, danach fühlen sich die vergangenen Tage an. Zumindest jetzt gerade, kurz nach dem Aufstehen. Es wird sich schon wieder legen, wenn sie erst einmal draußen ist. Unter anderem aus diesem Grund lässt sie Joe heute mal aus, er verkraftet das bestimmt, gestern war sie schließlich da. Sie muss bei dem Gedanken an seine Aussagen schmunzeln. Lieber geht sie direkt in den Park, um länger am See sitzen zu können.
Heute schnattert es ungewöhnlich viel. Die Enten und Gänse fühlen sich wohl mehr gestört als sonst. Dabei scheinen recht wenige Menschen unterwegs zu sein. Jedenfalls kann Ronja keine lautstarken Gespräche ausmachen, sondern lediglich vereinzelte Schritte anderer Leute.
Schnatter, schnatter, die Enten fühlen sich gestört, Ronja fühlt sich gestört. Was ist denn mit mir los? So kennt sie sich ja gar nicht. Sie bricht auf. Auf dem Rückweg geht sie doch zu Joe.
„Hey! ... Äh ... Wo ist mein Sonnenschein hin?"
„Das weiß ich auch nicht."
„Hast du schlecht geschlafen oder schwirrt dir jemand im Kopf herum?"
„Echt Joe, ich weiß es nicht. Ich kenne das gar nicht von mir."
„Hier, der geht heute mal auf mich."
Er stellt ihr einen Café hin und legt seine Hand auf ihren Arm.
„Danke Joe. Das ist echt sehr nett."
„Ich revanchiere mich nur. So oft, wie du mir meinen Tag schon gerettet hast."
◦◦◦◦◦◦
Ronja öffnet zu Hause wie immer direkt die Terrasse. Sie benötigt das, ansonsten hat sie das Gefühl, nicht genügend Luft, zumindest frische Luft in der Wohnung zu haben und kann sich nicht wohlfühlen. Sie ist sehr dankbar für ihre Wohnung mit ihrer Terrasse. Kleines Grünstück ist auch mit dran, das bepflanzt sie aber nicht, das darf Woody ausschließlich für sich nutzen. Auch dafür ist es natürlich toll, dass sie die Terrasse öffnen und er einfach nach Lust und Laune raus kann.
Noch einmal kurz frisch gemacht, als würde es ihren merkwürdigen Zustand wegwaschen, ... dann setzt sie sich mit dem Restcafé sowie ihrem Laptop auf die Terrasse. Keine Antwort vom Verein. Wäre ja auch zu schön gewesen, grummeln ihre Gedanken. Zugegebenermaßen wäre das auch sehr schnell gewesen. Damit hatte sie eigentlich nicht gerechnet. Sie schickt ihren Laptop lediglich in den Schlummermodus. In der Zuversicht, sich zu erden, macht Ronja eine ihrer Atemübungen.
Diese lernte sie mitsamt einem Konzept zum achtsameren Leben in einem Präventionskurs über ihre Krankenkasse. Es hat ihr viel gebracht. Austausch mit anderen Teilnehmenden, Rückmeldungen zu bereits angewendeten Methoden, Verbesserungsvorschläge und neue Übungen. Durch den Kurs wurde ihr die Atemtechnik noch einmal bewusster und wie schnell ein Mensch sich selbst wieder regulieren kann. Herrlich. Die Macht über und der Einfluss auf sich selbst.
Vielleicht könnte ich Alice ja so einen Kurs vorschlagen, vielleicht ist es etwas für sie?
Danach trinkt sie nun ihren restlichen Café aus, geht hinein in die Wohnung und macht sich fertig für den zweiten Spaziergang.
◦◦◦◦◦◦
„Woody, ab zum Hafen", ruft sie aus und kurz darauf befinden sie sich schon auf dem Weg dorthin.
Dort angelangt, bemerkt sie erst, dass es heute ein wenig windiger scheint als die letzten Tage. Dankbar holt sie ihr Tuch aus ihrer Tasche, was sie immer dabei hat und macht es sich um.
„Hallo Ronja."
„Hey Elmar. Ich freue mich, dich zu sehen. Wie geht es dir?"
„Ganz gut."
„Was meinst du mit ganz gut?"
„Eigentlich gut."
„Kannst du genauer sagen, warum nur eigentlich?"
„Nein."
„Das macht nichts."
„Okay."
„Ja."
„Danke."
„Hast du noch weitere Hobbys außer Boote anzuschauen?"
„Ich mag Kunst anschauen. Und Bücher. Und Musik hören."
„Wow, das sind wirklich schöne Interessen. Und was für Bücher?"
„Ich hab ganz viele über Boote und Schiffe, über das Wasser und ein paar über Regenbogensachen."
„Wie schön. Das hört sich gut an." Auf den ersten Blick vielleicht einseitig und doch irgendwie vielfältig.
„Okay. Bis morgen Ronja."
„Bis morgen Elmar."
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Als sie sich gerade erheben wollte, piepst ihr Handy. Sie überlegt kurz, dann holt sie doch die Kopfhörer heraus, um sich die Nachricht jetzt vorlesen zu lassen.
Alice:
»Heute ist dein Tag für die
Telefonberatungen oder? Hast
du dann überhaupt Zeit zum
Telefonieren? LG«
Kleiner Stupser ans Handy. Klick. Es ist 11:48 Uhr.
Ronja:
»Ich habe trotzdem Zeit. Wenn
ich vom Hafen zurück bin, rufe
ich dich an, okay?«
Alice:
»Okay, danke. Dann bis gleich.«
Schneller als sonst ist sie nach Hause gegangen, damit sie so viel Zeit wie möglich für Alice hat. Doch als Erstes wird die Terrasse geöffnet.
Dann schnappt sie ihr Handy und sagt diesem, dass es Alice anrufen soll. Doch die Nummer, die sie gerade versucht anzurufen, sei momentan nicht erreichbar, wird ihr von der Computerstimme erzählt. Das ist aber merkwürdig, denkt sie sich und sagt dem Handy erneut, dass es Alice anrufen soll. Noch einmal das Gleiche.
Ronja:
»Versuchte anzurufen. Dein
Handy ist wohl aus. Ruf mich
einfach an, sobald du möchtest
und kannst. LG«
Den Gedanken versuchend nicht sorgenvoller werden zu lassen, macht Ronja sich an die Vorbereitung für die Arbeit und setzt sich dann mit ihrem Café und ihrem Handy draußen hin.
Klick, das Handy sagt, es ist 12:45 Uhr. Sie hat dementsprechend noch eine dreiviertel Stunde bis zum ersten Telefontermin. Vorbereitet hat sie schon alles, also kann sie warten, ob Alice noch anruft.
Was, wenn nicht? Was, wenn ihr etwas zugestoßen ist? Was, wenn es ihr so schlecht geht? – All diese Fragen und Gedanken gehen ihr durch den Kopf. Sie macht sich Sorgen.
„Atmen, ruhig atmen, ein und auch aus, denk an deine Übung", flüstert sie sich zu.
Tief einatmen
und wieder ausatmen.
Dabei auf den Atem achten,
wie er eingesogen wird,
wie er die Lungen füllt,
wie er durch die Nase an den Nasenflügeln vorbei
wieder heraus strömt.
Sich vorstellen, beim Einatmen Kraft aufzunehmen
und beim Ausatmen Ruhe auszustrahlen.
Tief einatmen
und wieder ausatmen.
Und das ein paar Mal wiederholen.
Es wird besser, sie merkt, wie sich der Stresspegel langsam wieder senkt. Gut. Was kann ich denn überhaupt tun? Abwarten; Mehrmals anrufen; Mehrere Nachrichten schreiben; Auf gut Glück hinfahren geht nicht, ich habe ihre Adresse nicht; und sonst?
Alice weiß, dass sie telefonieren wollten, Alice wird sehen, dass sie angerufen hat und sie wird ihre Nachricht sehen, dass sie einfach anrufen kann. Vielleicht ist es auch nichts Dramatisches, vielleicht möchte sie sich ausruhen. Sie weiß es einfach nicht. Also scheint ihr Abwarten die sinnvollste Lösung. Natürlich würde Ronja einen Telefontermin auch vorzeitig beenden oder einen absagen, wenn Alice akut anruft.
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Aber nun ruft die Arbeit, woraufhin sie ihre zu Betreuenden nach und nach kontaktiert. Sie erwischt sich dabei, wie sie zwischen den Telefonberatungen ihr Handy anstupst, damit es ihr sagen kann, ob sie neue Nachrichten oder einen Anruf in Abwesenheit hat. Dabei hätte sie es mitbekommen, zum einen hat sie es auf Vibration gestellt und zum anderem auf laut gelassen.
Doch es kommt nichts von Alice.
Auch nach Feierabend bleibt sie achtsam, ob Alice sich melden wird. Sie hat ihr Handy bei sich und macht weder das Hörbuch an, noch tut sie etwas anderes Ablenkendes.
Gegen halb neun den Abend versucht sie Alice noch einmal anzurufen, doch wieder kommt die Computerstimme zum Einsatz.
Aufgrund sich selbst erschwindelnder Gründe bleibt sie sogar länger wach als üblich. Nur irgendwann kann sie der Müdigkeit nicht widerstehen und geht ins Bett. In Gedanken bei Alice schläft sie an diesem Abend ein.
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