[10] 10|Mittwoch

Oh nee. Kein Wunder, dass mir der Schädel brummt. Das Hörspiel läuft immer noch, als sie erwacht. 

Der Abspieler ist auf Wiederholung eingestellt. Glück im Unguten! Die Stelle, die gerade läuft, kennt sie glücklicherweise schon. Sie schaltet das Gerät ab und geht dann ins Badezimmer, um sich fertigzumachen. 

Alles sehr schleppend an diesem Morgen. Doch der Gedanke an Joe, zu dem sie gleich geht, lässt sie grinsen. Wird schon. 

◦◦◦◦◦◦

„Guten Morgen Joe." 

„Guten Morgen meine fröhliche Ronja." Entgegen seiner Worte schwingt ein bedröppelter Unterton mit, bei dem sie nicht weiß, ob der nun gespielt zu verstehen ist oder nicht. 

„Alles gut soweit bei dir?" 

„Ich hab dich ein wenig vermisst. Das war eindeutig ein Tag zu viel ohne dich. Minimum!" 

„Joe, ich war doch nur zwei Tage nicht hier." 

„Ja eben. Sag schon, du hast einen anderen", beharrt er weiter. 

„Einen anderen was ...?", fragt Ronja völlig überrascht, da sie überhaupt keine Ahnung darüber hat, was er meint. 

„Na, einen anderen Bäcker gefunden, bei dem du dir morgens Café holst." 

Joe kann sich das Lachen nicht länger verkneifen, was Ronja erleichtert ausatmen sowie ihre Schultern lockern lässt. Damit hat er sie erwischt. 

„Ich wusste ja gar nicht, dass du so eifersüchtig bist." 

„Oh ja. Gerade, wenn es um solche Gäste wie dich geht. Was soll ich denn ohne meinen Sonnenschein anfangen?" 

„Ach Joe, keine Sorge. Ich bleibe dir treu." 

Nun lachen sie wieder gemeinsam. Es ist mit Joe so leicht und befreiend. Ein schönes Gefühl, einfach blödsinnig herum zu witzeln. 

„Kann ich noch etwas für dich tun?" 

„Wie wäre es mit meinem Café?", wobei sie vor sich zeigt, weil da bisher noch keiner steht. 

„Habe ich eben noch gesagt, dass ich ohne dich nicht kann?!" 

„Jaaa und das glaube ich dir sofort!", stoppt sie ihn, bevor er weiterreden kann. 

 „Aber natürlich ..." Kurz darauf ertönt eines ihrer Lieblingsgeräusche, nämlich das, wie der Becher vor ihr abgestellt wird. 

„Danke, den brauche ich heute. Ja, ich weiß, sonst auch. Aber ... Puh. Momentan bei meiner Arbeit. Es wird echt immer mehr. Viele Anfragen. Es wird ... ja, wie ich sagte ... immer mehr, aber ich habe ja deswegen nicht mehr Zeit. Logischerweise. Bald muss ich beim Vorstand Bescheid geben. Das kann so nicht weitergehen. Wir brauchen dringend noch eine Person." Unbedingt muss sich etwas ändern, sonst kann nicht mehr jede Anfrage angenommen werden, das ist doch schade, denkt sie noch weiter. „Sorry für meine Rede, Joe." 

„Ach, das ist vollkommen in Ordnung. Du kannst mit mir reden. Das weißt du doch." 

„Jetzt muss ich eh erst einmal los. Aber danke dir", damit wendet sie sich bereits zum Gehen. 

◦◦◦◦◦◦

Klatsch, es ist 09:13 Uhr. Gut, schön viel Zeit, bis es zum Hafen geht. 

Mit dem Laptop auf die Terrasse – stellt sie sich schön vor und bewegt sich direkt dorthin –, um auf ihrer Eckcouch die Arbeitsmails zu checken. Zunächst antwortet sie ihren bereits festen Klient*innen auf deren Rückfragen und beginnt parallel die E-Mail-Beratung mit ihrem für heute angesetzten Klienten. Dieser hat Angst, sich in eine Abhängigkeit vom Staat zu begeben. Er war immer in einem Beschäftigungsverhältnis, verdiente für sich genügend Geld, kein reicher Mensch, nicht aus auf Materielles, aber nun hat er enorme Sorgen. Nicht nur, dass er über kein Wissen verfügt, wie er einen Antrag auf Sozialleistungen stellt, geschweige denn wo und welche genau. Seine größte Angst ist, dass sie ihn abweisen, ihn als arbeitsunfähig einstufen und zum Integrationsamt verweisen und das nur wegen seiner Sehstörung. 

Ronja hofft, ihm die Ängste ein wenig nehmen zu können. Dass Ängste und Sorgen nicht von jetzt auf gleich verschwinden, ist ihr bewusst, jedoch können sie durch Aufklärung und dadurch, dass jemand den Prozess mit ihm gemeinsam durchsteht, gemildert werden, manchmal verblassen oder am Ende sogar genommen werden. Beim nächsten Mal wollen sie zumindest einen Antrag beginnen. Ein Erfolg. 

◦◦◦◦◦◦

Mit leicht feuchten Fingern und einem merkwürdig angespannten Brustkorb nimmt Ronja ihr Handy zur Hand. Stotternd beginnt sie, bricht ab, fängt neu an, bis sie endlich die paar Worte zusammen hat. 


Ronja: 
»Hey Alice. Ich wollte mich 
nur so melden und fragen, wie 
es dir so geht. LG, Ronja.« 


Ronja erwartet keine Antwort, sie wollte sich selbst einfach gemeldet und erkundigt haben. So, nun ab zum Hafen und sich mit Elmar treffen. Und sich dadurch auch direkt von Alice ablenken. Als sie ankommt, empfängt sie ein bereits ungeduldiger Elmar, der mit den Füßen auf dem Boden dribbelnd auf sie wartet. 

„Hallo Ronja." 

„Hey Elmar, wie geht es dir?" 

„Ich bin aufgeregt." 

„Gut oder schlecht?" 

„Ich glaube gut." 

„Warum bist du denn aufgeregt?" 

„Wegen meinem Geburtstag. Weniger als eine Woche. Und weil Alice und du mich eingeladen habt." 

„Und das freut dich?" 

„Ja." 

„Dann ist es gut." 

„Ja." 

„Hast du in der Wohngruppe Bescheid gegeben oder musst du das gar nicht?" 

„Ich habe Frau Peters Bescheid gesagt. Es ist okay." 

„Schön. Alice freut sich sehr, dass du die Einladung angenommen hast." 

„Ich mich auch." Das lässt auch sie lächeln. 

„Ist Blau deine Lieblingsfarbe?" 

„Ja." 

„Und Boote magst du auch sehr?" 

„Ja sehr. Und sie sind auf blauem Grund." 

„Ja, das stimmt. Das passt sich ja gut." 

„Danke Ronja." 

„Wofür?" 

„Für das Reden." 

„Ich danke dir auch. Ich freue mich jeden Tag." 

„Okay. Bis morgen Ronja." 

„Bis morgen Elmar." 

◦◦◦◦◦◦

Im gleichen Moment, wie sie die Tür zu ihrer Wohnung öffnet, piepst ihr Handy. 


Alice: 
»Danke für deine Nachricht. 
Es geht mir ganz okay. Kann mich 
nicht ablenken, auch nicht gut 
nachdenken ...« 

Ronja: 
»Kann ich etwas tun, um dich 
zu unterstützen? Vielleicht 
telefonieren oder anderes?« 

Alice: 
»Gerade nicht, aber danke, 
vielleicht später oder morgen? 
Ist das auch okay?« 

Ronja: 
»Klar. Meld dich einfach, wenn 
du es möchtest. Hab einen 
schönen Tag und Abend. LG« 

Alice: 
»Danke. Wünsche ich dir auch.« 


◦◦◦◦◦◦

Ronja legt ihr Handy weg, geht zurück an ihren Laptop, holt diesen aus seinen Schlummermodus hervor und beantwortet weitere E-Mail Anfragen. Zudem versucht sie Termine für die Neuanfragen zu finden. Ihre Zeitkapazitäten sind fast erschöpft, sodass sie nicht mehr alle, die es wünschen, als Telefonberatungstermine aufnehmen kann. Denen, die sie von der Mail her als priorisierter einstuft, gibt sie einen Termin. Den anderen erteilt sie keine Absage, sondern schreibt ihnen: 

Aufgrund von mangelnder zeitlicher Kapazität ist momentan leider keine telefonische Beratung möglich. 
Per Mail stehe ich ebenso für alle möglichen aufkommenden Fragen zur Verfügung.
Im Anhang sind meine Zeiten zu finden. 
Ich bitte Sie diese Unannehmlichkeiten zu entschuldigen. 
Sobald sich neue Kapazitäten ergeben, werde ich mich bei Ihnen melden. 
Mit freundlichen Grüßen, 
Ronja Flemming 


Nachdem sie allen geantwortet hatte, verfasst sie noch eine Mail an den Verein. Sie unterbreitet ihnen auch ihre eigenen Wünsche diesbezüglich. Eine zusätzliche Stelle käme ihr entgegen, da sie sich beide dann austauschen und einander vertreten könnten. Außerdem würden sie mehr Menschen erreichen. Nicht zu vergessen der aktuelle Anlass. 

Mit der Hoffnung auf eine baldige Nachricht von ihren Arbeitgebenden sowie dem Gefühl der Erschöpfung geht sie nach getaner Arbeit gleich ins Bett. 

Ohne Hörbuch und ohne Tee. 
Und schläft dann irgendwann ein. 

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