[8] 26|Montag
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Heute erwacht sie vor Alice, die tatsächlich noch neben ihr im Bett liegt. Oder wieder. Wer weiß. Nachdem sie gehört hat, wie Woody bei ihren Puschen war, steht sie behutsam auf, schleicht sich mit dem Babyphone aus dem Schlafzimmer und zieht die Tür hinter sich ran.
Zunächst der Gang ins Badezimmer. Und wie sollte es anders sein, fängt Nika direkt an, sich bemerkbar zu machen. Sie beeilt sich, damit Alice es nicht durch die Tür noch mitbekommt. Mit Nika auf den Arm, sie dabei beruhigend, geht sie in die Küche. Das Fläschchen wird erwärmt und derweil bekommt Nika erst einmal eine neue Windel.
Wieder zurück in der Küche legt sie Nika in die glücklicherweise leicht verschiebbare Wiege. Okay, eins nach dem anderem. Sie klickt auf den Schalter, damit eine ihrer liebsten Maschinen startet und setzt sich dann mit Nika hin.
Was für ein Glück sie doch hat, manchmal kann sie es noch gar nicht fassen. Hoffentlich hält es an. Bei diesem Gedanken spannt sich ihr Körper leicht an. Sie legt viel in das heutige Beratungsgespräch von Alice bei Frau Winter.
Da Nika genug hat, legt Ronja sie wieder in die Wiege und macht sich an das Frühstück, denn das traut ihr Alice gerade so noch zu. Croissants gibt es allerdings nur bei ihr, wobei sie wieder anfangen muss zu schmunzeln. Dabei fällt ihr ein, dass sie vielleicht noch welche von gestern übrig haben. Alice hatte es natürlich viel zu gut gemeint und Joe hat, so meint sie, kaum oder gar nicht zugelangt. Joe. Irgendetwas passte ihm gar nicht.
Sie kam gestern leider nicht mehr dazu mit Alice darüber zu reden beziehungsweise hatte Alice keine Kraft mehr dafür. Wenn sie so überlegt, war Joe relativ schnell nach dem Film gegangen. Sie selbst hatte Elmar dann zum Hafen gebracht. Als sie wieder zu Hause ankam, hatte sie Alice gefragt, ob etwas zwischen ihr und Joe gewesen war. Anscheinend nicht. Ob etwas anderes vorgefallen war?, wollte Ronja wissen und bemerkte an, dass sie die Spannung spürte, doch Alice meinte, sie sei viel zu fertig, dass sie das Gespräch bitte auf den nächsten Tag verschieben. Weiß Alice etwas? Vermutet sie irgendetwas?
Hatte Joe vielleicht doch keine Lust auf diese Art Filme zu schauen? Hat es mit ihr zu tun? Was war nur los? Das beschäftigt sie doch sehr.
„Guten Morgen, Ronnie."
„Ach du ..."
„Hast du mich gar nicht gehört?"
„Nee, ich war total in Gedanken."
„Sehe ich." Alice kommt näher. „Wolltest du eigentlich Frühstück machen oder was hast du mit dem Messer vor?"
„Oh. Ja. Eigentlich schon. Mist, da bin ich ja nicht weit gekommen."
„Hätte aber auch schief gehen können", wobei Alice tief ausatmet. „Zum Glück ja nichts passiert. Und der Café ist ja immerhin schon fertig. Ist doch das Wichtigste."
Ronja spürt Alice Grinsen. „Nika hab ich auch schon gemacht."
„Cool. Komm, setz dich hin, den Rest mach ich. Geht eh schneller als bei einer müden Ronja."
„Ha ha, aber trotzdem gerne."
„Wolltest du die Äpfel hier gerade machen?"
„Ja. Wie fühlst du dich denn heute so, wo du doch ab heute offiziell in Elternzeit bist und nicht mehr im Mutterschutz? Irgendeine Veränderung?", witzelt nun Ronja.
„Du bist ja lustig drauf. Aber wenn du mich so fragst. Ja ... Doch ... Ich spüre eine leichte Veränderung in einer bestimmten Gegend. So mittig."
„Hm?" Ronja verschluckt sich beinahe an ihrem Café, wodurch Alice anfangen muss zu lachen.
„Kleiner Scherz."
„Oh, kapiert", lächelt Ronja ihre Antwort daher.
„Warst du letzte Woche eigentlich bei Pat?", wechselt Alice das Thema.
„Ach stimmt ja. Ähm ... sollte euch beiden Lieben natürlich grüßen. Sorry, vergessen. Und er hat Sorge, von dir Ärger zu bekommen." Nun muss Ronja lachen.
„Weil er meine Ordnung bereits jetzt schon wieder durcheinandergebracht hat?"
„Denke schon."
„Pat eben. Aber irgendwie kann ich ihm nie böse sein oder so was. Und auch bei seinem Alter ist das schon in Ordnung."
„Wie alt er denn eigentlich?"
„Gefragt habe ich nie, aber ich würde schätzen, dass – wenn er zur Altersrente wirklich in Rente gehen wird – er bis dahin nicht mehr so viel hat."
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Fertig vorbereitet zum Losgehen wartet Ronja vorne im Flur hibbelig auf Alice. Die ist noch dabei, ihre Tasche zu befüllen, die Unterlagen noch einmal zu sichten und sich dann Nika mit dem Tragegurt umzuschnallen.
Alice berührt sie sanft am Arm und meint, dass alles gut wird, dass sie eine Familie sind und sie das mit dem Offiziellen auch noch hinbekommen, das dies aber ein wenig dauert. Ronja weiß das zwar; tut trotzdem gut, es noch einmal zu hören.
Gemeinsam gehen sie zum Hafen, an dem ein klatschender Elmar sie empfängt. „Hallo ihr beiden."
„Hey Elmar."
„Hallo Elmar. Na bist du aufgeregt?", das zumindest kann sich Ronja an den Geräuschen denken.
„Ja."
„Gut oder schlecht?"
„Weiß ich nicht."
„Gibt es denn etwas Neues?"
„Nein."
„Hast du Sorgen?"
„Ja."
„Weil du noch nichts weißt?"
„Ja."
„Verstehe ich."
„Okay."
„Du weißt, du kannst mit uns sprechen, aber auch Mails schreiben."
„Ja."
„Okay."
„Heute ist Montag. Heute Beratungsgespräch."
„Ja, das ist richtig. Aber heute nur Alice."
„Wieso?"
„Ist ja eigentlich ihre Beraterin. Momentan hilft sie uns gemeinsam. Aber heute brauche ich nicht dabei sein."
„Ah. Okay. Bis Mittwoch Ronja. Bis Freitag Alice."
„Bye Elmar."
„Bis dann Elmar."
Elmar geht davon, scheint etwas beruhigter, vielleicht weil die beiden ihm weiterhin Halt geben.
„So, nun geh du mal zu Pat und hol deine Bestellung ab und mach es dir zu Hause schön. Versuch, ein bisschen weiter zu schreiben oder mach irgendetwas anderes Schönes. Keiner ist da, der dich stören kann. Und ich bring das mit Frau Winter in die Gänge. Hm?"
„Das klingt gut, wenn es ..."
„Nichts wenn. War das nicht mal meine Eigenschaft?", versucht Alice sie aufzumuntern.
„Stimmt, aber so gefällst du mir ebenso."
„Ach ja?!"
„Ja sehr sogar, meine sexy starke Al."
„Das klingt schon viel besser."
Die beiden verabschieden sich und Ronja visiert das motley's an. Ob Pat gleich wieder fragen würde, wann Alice wieder kommt? Das kann sie sich super gut vorstellen. Sie glaubt, das hat er jede Woche, wenn sie ihre Ware abgeholt hat, gefragt. Sie betritt den Laden, die Glocke bimmelt, aber Pat scheint mal wieder irgendwo im Laden untergetaucht zu sein.
„Pat?"
Keine Reaktion.
„Pat? Ich bin es Ronja."
Sie kann immer noch kein Geräusch ausmachen. Die Tür ist offen, also muss er doch da sein oder vergisst er nun schon, die Tür zuzuschließen?!
„Pat, wo bist du denn?"
Auf einmal läutet die Glocke und Ronja zuckt zusammen.
„Ach Ronja. Mensch Liebes. Hallo."
„Pat?"
„Ja, wer denn sonst, meine Liebe?"
„Warst du gerade unterwegs?"
„Ja, aber ich hatte doch einen Aufpasser."
„Und wen?"
„Ach, ich hatte so 'nen Jungspund gefragt, ob er mal kurz hierbleiben kann, weil ich unbedingt rüber zur Apotheke musste."
„Hier ist doch aber niemand oder höre ich die Person nur nicht?"
„Ach, hat der Herr dir nicht Bescheid gegeben?"
„Pat, du kannst doch nicht einfach jedem vertrauen. Du hättest einfach den Laden für die paar Minuten schließen sollen."
„Scheint ja nichts zu fehlen. Und wenn doch, dann jetzt auch egal."
„Och mensch, Pat."
„Ja, sag mal, wann kommt denn die liebe Alice wieder?"
Das Lachen kann sie gerade noch unterdrücken, aber ihr Mundwinkel zucken dennoch. „Am Freitag, Pat. Am Freitag. Und dann vorerst, weil sie ja in Elternzeit ist, nur freitags."
„Okay, okay, das ist ja auch alles völlig in Ordnung. Und bringt sie dann eure kleine Maus mit?"
„Nein, freitags ist mein und Nikas Tag. Tut mir leid, Pat."
„Ach schade. Na ja, dann grüß mir die Alice."
„Pat?"
„Ja meine Liebe?"
„Ich würde meine Bestellung gerne noch mitnehmen."
„Natürlich. Wo bin ich nur schon wieder mit meinem Kopf?"
◦◦◦◦◦◦
Zu Hause angekommen, reißt sie zunächst die Terrassentür auf. Dann klatscht sie sich eine Menge Wasser ins Gesicht und über ihre kurzen Strubbelhaare. Sie selbst mag es auch, wenn das Wasser daran wieder direkt zurückgeschleudert wird und wie pieksig weich es sich anfühlt.
Während die Kaffeemaschine durchläuft, schlüpft sie in bequemere und frische Kleidung.
Auf dem Weg zur Terrasse kann sie sich direkt eine Tasse Café und die Reste vom Obst von heute früh mitnehmen. Den Laptop noch unter die Arme und hinaus an die frische wohltuende Luft.
Bevor sie sich ans Schreiben macht, führt sie ihre Atemübung bewusst durch. Bevor DAS noch einmal passiert, achtsam bleiben. Sie hat Sorge, wieder die Kontrolle über ihr Handeln zu verlieren. Das bewusste Atmen hilft, im 'Hier und Jetzt' zu bleiben, sich zu fokussieren.
Nach ein paar kräftigen weiteren Atemzügen klappt sie den Laptop auf.
Froh darüber, dass die Punkte 'Adoption' oder 'Muttersein' nicht anstehen, beginnt sie zu diktieren, in welchen Punkten sie von viele anderen Menschen als schwach gesehen wird, es für sie jedoch nicht der Fall ist, sich sogar bestärkt und kraftvoll fühlt. Was anderen hierzu wohl einfallen würde?, geht ihr durch den Kopf. Das wäre auch interessant.
◦◦◦◦◦◦
Ungeduldig wartet sie auf Alice, was sie von dem heutigen Beratungsgespräch zu berichten hat. Ronja hofft darauf, dass Frau Winter sie weiterhin betreut. Zu ihr hat sie Vertrauen, Alice auch. Sie kennen sich mittlerweile.
Alice schließt die Tür auf und Ronja zerplatzt fast vor Unsicherheit und Neugier. Dann riecht sie Essensdüfte und sie weiß, was nun auf sie zukommt. Erst einmal essen.
„Hey."
„Wollen wir einfach beim Essen reden?"
„Ja, okay."
„Ich bringe nur schnell Nika ins Bett, mach mich selbst frisch und dann bin ich da."
„In Ordnung."
Ronja bereitet schon einmal den Tisch vor mit Tellern und Besteck sowie Getränken und kocht für Alice und sich Tee auf.
Beim Essen erzählt Alice, dass der Antrag erst nächste Woche eingereicht werden kann, wenn sie beide anwesend sind. Da Ronja das Kind im Rahmen einer Stiefkindadoption adoptieren möchte, muss sie natürlich auch anwesend sein. Aber geklärt werden konnte, dass Frau Winter die Begleitung in ihrem Fall übernimmt. Frau Winter hat bereits ihre Stellungnahme in eben dieser Zuversicht dazu geschrieben, die sie dann gesondert, aber ebenso nächste Woche mit einschickt.
„Okay. Also nächste Woche dann noch mal gemeinsam hin. Dann kann der Antrag endlich eingereicht werden."
„Ja. Und dann kann es um die sechs bis neun Monate dauern oder auch länger, weil ... wegen ..."
„Wegen des Kindesvaters, der nicht zustimmen kann ..."
„Ja genau. Das tut mir leid."
„Das muss es nicht. Das muss das Gericht prüfen, das kann ich auch verstehen und dann werden sie merken, dass er tatsächlich nicht zustimmen kann, also weil wir halt keinen Namen und so haben und die Zustimmung wird dann durchs Gericht ersetzt."
„Richtig. Du hast ja echt viel recherchiert."
„Ja hab ich. Wünschte, es würde schneller gehen, auch wenn ich es wirklich verstehen kann."
„Ich auch, aber immerhin haben wir Frau Winter als Beraterin."
Ja, das stimmt. Das ist gut. Mehr als das.
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