[35] 24|Sonntag

„Und? Bin ich immer noch eine Spaßzerstörerin oder wie auch immer, du mich gestern genannt hast?" 

„Aha, das war also der Grund für eben?" Ronja hebt ihre Augenbrauen. 

Alice lacht. „Nein, natürlich nicht, eine Antwort hätte ich trotzdem gerne." 

„Kannst du vergessen." 

„Wenn du so vor mir liegst, kann ich dich doch nicht nicht wollen. Überzeugt?" 

„Schon besser." 

„Und?" 

„Und jetzt stehen wir auf und bereiten den Tag vor." 

Ronja bekam mit, wie Woody bereits bei ihren Puschen war und eilt lachend davon. 

„Du bist eine Spinnerin, aber ich liebe dich." 

„Ich liebe dich auch, meine Spinnerin", entgegnet Ronja, die sich noch einmal umdreht und Alice' Gesicht in die Hände nimmt, um ihr einen Kuss zu geben. 

So den Morgen zu beginnen, hat schon was. Auf jeden Fall. 

◦◦◦◦◦◦

„Also, da wir ja heute irgendwie deinen Geburtstag feiern, kannst du heute komplett entscheiden, wie wir den Tag verbringen. Aber ich würde gerne den Vormittag mit Backen für später verbringen. Wäre das okay für dich?" 

„Backst du auch Croissants?" 

„Das ist doch selbstverständlich!" 

„Und auch Käsekuchen?" 

„Wenn du das möchtest?" 

„Ja, deiner schmeckt einfach echt himmlisch und Elmar wird sich freuen." 

„Alles klar. Wird gemacht." 

Derweil sich Alice wieder in die Küche aufmacht, geht Ronja los, um mit Woody durch den Park zu schlendern. Nach einem ausgedehnten Spaziergang setzt sie sich gemütlich auf die Terrasse mit ihren Kopfhörern und trinkt ihren Café, den Alice ihr gerade brachte. 

Gefühlt sind lediglich ein paar Minuten verstrichen, bis sie die Vibrationen am Boden wahrnimmt, aber wahrscheinlich sind es einige Stunden, denn Alice will nun los, um Elmar vom Hafen abzuholen. 

Sie verabschieden sich und Ronja setzt sich nur auf der einen Seite den Kopfhörer auf, um das eventuelle Klingeln zu hören. Schon echt praktisch. 

◦◦◦◦◦◦

Als alle eintrudeln, freut Ronja sich riesig. Sie muss sich zwingen, ruhig zu bleiben und Elmar seine Zeit zu lassen. Zu ihrer Verwunderung verabschiedet sich Alice und geht in die Küche. Kurz darauf übermannt sie wieder dieses seltsame peinliche Gefühl, was ihr jedoch schon ein wenig vertraut geworden ist, als die drei anfangen zu singen. Happy Birthday. Woody kommt angelaufen und gesellt sich zu ihr. Schöne beruhigende und wohltuende Stimmen. Und ein Geruch mischt sich mit ein. Ah. Alice hat Kerzen angezündet und den Kuchen geholt. Mittels des Gesangs leiten die drei sie in das Wohnzimmer. Sie hört, wie der Kuchen dort auf den Tisch abgestellt wird. 

„Ich danke euch. Ihr seid so lieb." Sie verharrt mit ihrer Hand auf Woodys Kopf, der ihr folgte. Bin noch nicht an so was gewöhnt. 

„Kerzen auspusten und dir etwas wünschen!", ermahnt Elmar sie in einem liebevollen Ton. 

„Okay, wird gemacht!" 

Ronja schließt ihre Augen. Einatmen ... Uuund auspusten ... Gemeinsam. Daran festhalten. Meinen Fixpunkt nicht aus den Augen verlieren. 

„Und hast du dir etwas gewünscht?", fragt er direkt nach. 

„Ja, habe ich." 

„Gut. Dann kann ich dir mein Geschenk jetzt geben." 

„Dein Geschenk? Ich habe doch schon ein unglaublich schönes von dir bekommen." 

„Aber wir feiern heute deinen Geburtstag." 

„So ist es, Elmar. Ich habe auch noch etwas für dich, Sonnenschein. So ist das nun mal an Geburtstagen", bestärkt Joe Elmar. 

„Oh je. Okay." 

Elmar überreicht ihr seins. Es scheint nicht eingepackt zu sein. Es ist ... ein Blatt. Etwas dicker. Aus Pappe vielleicht. Sie dreht es um. Und da bemerkt sie es. Sie erkundet es, gleitet sorgsam mit den Fingern drüber. Sie muss an Mittwoch denken, an die Karte, für die er sich so viel Mühe gegeben hat, die ihr so viel bedeutet. Eine freudige Erregung macht sich breit in ihrer Bauchgegend. Die Karte! Ein rechteckiger Rahmen ist zu erfühlen. Ist das die Tür vom Text? Je mehr sie erkundet, desto mehr erschließt sich der Zusammenhang. Ihre Lippen lassen es die anderen wissen. 

„Elmar, das muss ja echt lange gedauert haben. Wenn ich das richtig erfühle, ... ist das ein Bild zur Karte? Ich finde es wahnsinnig schön!" 

„Ja, Ronja." 

„Danke dir. Das freut mich riesig. Ich weiß schon, wo das hinkommen wird." 

„So, Sonnenscheinchen. Möchtest du es hinter dich bringen?" 

„Ganz genau so ist es, liebster Joe." 

„Aber nur, damit es klar ist. Wenn Elmar nichts dagegen hat, würde ich die Karte zu diesem wunderbaren Bild gerne sehen." Er überreicht ihr einen Umschlag, den sie öffnet. Entgegen ihrer Erwartungen ist es in Braille geschrieben. Sie liest mehrmals, weil sie das nicht glauben kann, was dort steht. 

„Joe? Steht das da wirklich? Oder bilde ich mir das ein?" 

„Also ich denke, dass du das schon richtig verstanden hast." 

„Wieso, was hast du ihr denn geschenkt?", fragt nun auch Alice interessiert neugierig nach. 

Ronja gibt ihr die Karte und muss dann lachen. 

„Äh Ronnie. Noch kann ich kein Braille lesen." 

„Ja, tut mir leid. Das ist ein Gutschein für einen Malkurs, zu dem Joe mit mir zusammen hingehen möchte. Und der Kurs ist für Menschen, die mit den Händen malen wollen, also mit einer Sehbeeinträchtigung oder auch deren Angehörigen." 

„Ich dachte, du magst Malen nicht?", kommt von Elmar direkt. 

„Da hast du recht, aber ich dachte, für Ronja kann ich mal eine Ausnahme machen und es soll ja gut für die Seele sein." 

„Das ist gut", meint Elmar ehrlich. „Joe, du darfst die Karte sehen", setzt er noch zaghaft nach. 

„Ich danke euch beiden. Das sind beides richtig richtig schöne Geschenke! Wow", bedankt sich Ronja gerührt. 

„Sehr gerne. Hast du dir denn überlegt, was du heute machen möchtest?" Hat Joe Angst?  

„Ja. Und das werdet ihr gleich erfahren. Aber erst einmal möchte ich Elmar die Gelegenheit geben, seine Neuigkeiten zu verkünden." 

„Oh ja. Ich bin schon so neugierig, Elmar. Ronja wollte mir nichts sagen. Kann ich auch verstehen. Oh, tut mir leid. Ich rede zu viel. Aber das interessiert mich echt! Aber bitte noch kurz: Darf ich euch vorher wenigstens mal fragen, was ihr trinken wollt. Dann können wir uns in Ruhe mit Getränken und Kuchen hinsetzen und Elmar kann uns auch in Ruhe erzählen." 

Alle stimmen dem zu, nennen die gleichen Getränke wie immer und Alice verschwindet in der Küche und bereitet alles zu. Elmar hibbelt vor Freude, weil es Käsekuchen gibt. 

„Elmar, wir sind gespannt und hoffen, dass du hierbleibst", beginnt Joe. 

„Ist nicht viel zu erzählen. Danke Ronja, dass du wirklich nichts gesagt hast. Ja, bleibe. Ziehe nicht weg. Möchte ich nicht. Weil ihr hier seid. Nicht woanders. Wie Familie. In eine Wohnung ziehe ich von einer Einrichtung. Mit einer Betreuung." 

„Das finde ich ja richtig gut. Ich freue mich ja so", strahlt Alice. 

„Aber die Betreuung wohnt nicht mit in deiner Wohnung oder?", fragt Joe nach. 

„Nein", kichert Elmar. „Nicht in der Wohnung. Plus Betreuung. Etwa zwei Treffen in der Woche und auf dem Gelände ansprechbar." 

„Herzlichen Glückwunsch. Das ist fantastisch." 

„Ja oder? Ich freue mich auch richtig doll für Elmar, dass das möglich ist", ergänzt Ronja. 

„Möchtest du noch mehr dazu sagen?", fragt Alice. 

„Nein. Mehr gibt es nicht. Wollen wir Joe nicht auch reden lassen?" 

Verwunderung geht durch die Runde, einschließlich bei Joe. 

„Hast du etwas auf dem Herzen und ich habe es schon wieder verpeilt?", fragt Ronja daher nach. 

„Nein. Wirklich nicht. Ich ... ähm ... wusste noch nicht, ob ich das heute anspreche. Wir feiern ja schließlich deinen Geburtstag." 

„Mach ruhig. Ist doch nicht schlimm." 

„Okay. Ich ... habe gemerkt, dass auch ... puh. Also, dass auch wenn ich schon auf einem guten Weg bin, ich doch noch mehr brauche. Dass ich es nicht immer ausblenden kann. Das gehört zu mir. Und darüber sprechen tut gut. Es tut weh, aber auch gut. Das klingt schon wieder ... na ja, egal. Meine Überlegung war oder ist, dass ich eine Selbsthilfegruppe auf das Thema bezogen starte und sie bei mir im Café laufen lasse." 

„Das ist doch eine super Idee!", kommt es prompt von Ronja. „Vor allem, wenn es dir hilft, es sich für dich danach anfühlt, dann auf jeden Fall." 

„Ja, aber na klar." Die anderen beiden stimmen ebenso zu. 

„Danke." 

„Wenn du Fragen hast, dann komm zu mir. Ich kenn da ein paar organisatorische Dinge. Na ja, du weißt schon. Und auch so natürlich." 

„Danke Ronja. Aber jetzt bitte wieder was anderes." 

Ronja greift hinter sich, denn in weiser Voraussicht hat sie die Einladungskarten für Ostern dort positioniert. „Kein Problem. Ich weiß schon, was. Alice und ich haben hier für jeden von euch eine Karte. Was denkt ihr, welche für wen ist?" Bei der Frage muss Ronja schmunzeln. 

„Meine ist blau", prescht Elmar hervor. 

„Das würde ich auch sagen und orange ist dann wohl meine", schließt Joe sich an. 

Ronja übergibt ihnen die Karten und beide fangen gleichzeitig an zu lesen. Gebannt wartet sie ab. Ob sie es verstehen? Alice meinte gestern, dass sie es mit Sicherheit begreifen werden. Ronja ist sich unsicher. Da schaltet sich Alice schon ein und fordert die beiden auf, die unterstrichenen Worte laut vorzulesen. 

Lachend beginnt Joe: „I'll tell you what I want, what I really, really want." 

Er hat es verstanden. Elmar wird es auch verstehen, oder? Doch bestimmt ... Er kennt das Ausgewählte! 

„We. Are. Family. I got all my sisters with me", singt Elmar schon drauf los, bevor Ronja sich noch weitere Gedanken machen kann und zaubert ihr damit ein breites Lächeln ins Gesicht. 

„Okay, okay. Ich bereue es jetzt schon, dass ich gesagt habe, dass du heute entscheiden darfst", bringt Joe an, muss aber immer noch lachen. 

„Das, liebster Joe, war direkt mein Gedanke, als du sagtest, dass ich entscheiden darf." 

◦◦◦◦◦◦

Vor Kurzem dachte sie noch, dass alles drunter und drüber gehen würde. Wohl eher drunter. Eine schier fast unbändige Angst hatte sie ergriffen, welche sich in ihr entfachte. Doch so langsam lösen sich die Fesseln dieser Sorgen um ihr Inneres. Es ist noch nicht alles ausgestanden und sie weiß nicht, was kommen wird. 

Ronja atmet tief ein, wobei sie in sich hineinfühlt. 

Ja, nun stehe ich wieder an einem ganz anderen Punkt, habe meine Familie um mich herum. Es ist wie so oft Impressionsweise, erinnert sie sich und muss schmunzeln. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top