[31] 20|Mittwoch
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Was für ein schöner Abend das war. Ein schöner Tag. Und nun ein neuer Morgen. Jetzt dürfte nur noch ER ... nein, abhaken für jetzt. Ein schöner Morgen.
Ronja dreht sich um und schmiegt sich an Alice ran, die mit freiem Rücken zu ihr liegt. Zu verführerisch ...
Sie tippt etwas darauf und muss selbst dabei grinsen.
„Morgen, Ronnie. Hast du etwas bestimmtes vor? Dann ..."
„Dazu können wir auch gleich gerne kommen, aber um ehrlich zu sein, habe ich gerade etwas geschrieben, also auf deinem Rücken", unterbricht sie sie.
„Ach echt? Mach noch mal."
Ronja wiederholt das von eben. „Kann ich nicht entziffern. Tut mir leid."
„Tja Al, vielleicht, weil es eine Schriftart ist, die du nicht standardmäßig nutzt."
„Aaaah." Alice dreht sich zu Ronja um. „In Braille?"
„Ja."
„Und was hast du mir so Versautes geschrieben?"
„Also Al, denkst du wirklich, dass ich nur daran denke?"
„Nein, aber ich, zumindest oft und vor allem, wenn du neben mir im Bett liegst", lacht sie.
„Ja, das merke ich", schmunzelt auch Ronja.
„Und was hast du nun geschrieben?"
„Dass du sexy bist."
„Und warum sollte ich noch mal auf die Idee kommen, dass du nicht nur daran denkst?!", hakt Alice nach, woraufhin beide lachen.
Als es verebbt, sie nach wie vor nah beieinander liegen und die Hitze zwischen ihnen wieder aufkeimt, legt Alice ihre Lippen auf die von Ronja. Ronja zieht sie noch näher an sich ... Sie beide lassen sich in diesen Moment fallen.
Sich gegenseitig streichelnd, die Sequenz des eben Geschehenen genießen, liegen sie nebeneinander und hängen ihren Gedanken nach. Ein Augenblick, der einfach wunderschön ist, den ihnen niemand mehr wegnehmen kann.
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„Möchtest du Braille lernen?", fragt Ronja, derweil sie am Frühstückstisch in der Küche sitzen.
„Ja, total gerne", freut sich Alice.
„Okay. Dann werde ich dich darin unterrichten müssen, hm?!"
„Hah, darauf hast du gewartet, oder? Und was wird meine Strafe sein, wenn ich schlecht bin?" Alice' Stimme wird erneut rauer mit einem gewissen Unterton.
„Da muss ich dich enttäuschen, Al. Ich arbeite andersherum", lacht sie. „Also ich meine mit Belohnungen. Wenn du gut bist, dann wirst du belohnt", wobei Ronja sich dem gleichen Farbton der Stimme bedient.
„Dann werde ich mich besonders bemühen müssen."
„Das hoffe ich doch", wobei Ronja ihr zuzwinkert. „Doch nun ist erst einmal Alltag dran."
„Schade", erwidert Alice gespielt traurig, steht jedoch auf und gibt ihr noch einen Kuss.
Ronja zieht sich an, um mit Woody die morgendliche Parkrunde zu drehen. Bereits im Treppenhaus kommt ihr das süßliche Aroma von Erblühendem entgegen, der sie direkt enthusiastischer losgehen lässt. Mittendrin ploppt ein Gedanke hoch, der ihren Magen zusammenziehen lässt. Schon wieder ist es passiert. Schon wieder hab ich etwas vergessen. Was ist nur los?
Klick, es ist 9:29 Uhr. Okay, schnell. Sie dreht um, mit eiligen Schritten geht es zum neuen Ziel. Die Türklinke drückt sie hinunter.
„Ronja? Ist alles gut?"
„Ja. Oder nein. Ich weiß nicht. Es tut mir leid."
„Atme erstmal. Was ist passiert?" Joe klingt nun besorgt.
„Was passiert ist? Ich bin eine schreckliche Freundin!"
„Gibt es was Neues? Ist etwas bei euch zu Hause los?" Joe kommt noch näher ran, seine Sorge ist beinahe greifbar.
Ronja begreift und schüttelt energisch den Kopf. Sie atmet noch einmal tief durch „Nein Joe. Ich meine dich. Ich bin dir eine schlechte Freundin."
„Hä?" Irritiert, aber auch etwas erleichtert lässt Joe seine Arme von Ronja sinken. „Was meinst du denn?"
„Gestern. Ich hab dich nicht mal gefragt, wie es dir geht."
„Beruhig dich erst einmal und komm kurz hierüber." Joe dreht sich um und gibt irgendwem anders Anweisungen. „Na los. Erzähl mal, was dich auf solche Gedanken bringt."
„Hab ich doch gerade. Letzte Woche war sehr schwierig für dich. Daran hatte ich schon erst gar nicht gedacht ... Was mir auch wirklich leidtut. Und dann habe ich gestern nicht mal mehr nachgefragt, wie es dir geht. Nur wegen mir, weil ich an mich gedacht hab. Das ist so, so ..."
„Gut. Es ist gut und völlig okay." Joe nimmt Ronjas Hand. „Es ist wirklich in Ordnung und du sollst und darfst auch mal an dich denken. Du kümmerst dich doch sonst ständig um andere, es ist doch schön, wenn du auch mal an dich denkst."
„Also bist du gar nicht sauer?"
„Nein." Joe lacht. „Unser Spaziergang tat mir gut, ich weiß, dass ich mit dir reden kann und du dann da bist, der Ausflug mit Elmar war echt gut und auch am Sonntag darüber zu reden. Das hat mir schon echt geholfen und das verdanke ich dir. Wie sollte ich da sauer auf dich sein? Und wegen was? Nein, da gibt es nichts."
„Hm."
„Wirklich."
„Okay."
„So und nun solltest du los. Ich hab Denise gerade schon Bescheid gegeben, du bekommst noch einen Café aufs Haus mit. Die Arbeit ruft, richtig?"
Mit einem Lächeln sowie ihrem heiß geliebten Getränk verlässt sie Joes Laden. Besser, befreiter, erleichtert. Und dennoch bleiben ein paar der Zweifel.
◦◦◦◦◦◦
„Schmeckt dir mein Café nicht mehr?"
„Hä?" Ah. Stimmt. „Doch natürlich, Al. Erklär ich dir später. Bin spät dran."
„Ich weiß, Ronnie. Chill. War ein Spaß."
„Keine Zeit. Äh. Sorry. Deinen hol ich mir später. Danke." Und schon verschwindet sie im Wohnzimmer.
Während sie am Laptop auf ihren Klienten wartet, mit dem sie vor Kurzem die Abmachung traf, ihm mittwochs neben seiner Therapeut*innensuche via E-Mail beratend und unterstützend zur Seite zu stehen, lässt sie sich die anderen eingetroffenen Mails vorlesen.
Was war das eigentlich eben für ein Duft? Und diese Wärme? Backt Alice schon wieder? Es würde sie freuen, denn das bedeutet immer, dass es etwas Leckeres gibt.
Da läutet das Mailprogramm und katapultiert sie wieder in die Arbeitswelt.
Guten Tag Frau Flemming,
Tut mir leid für die Verspätung.
Ich habe Angst.
Mein Telefon liegt neben mir.
Aber ich traue mich nicht.
Guten Tag.
Es freut mich, dass Sie da sind.
Also alles gut.
Haben Sie die Liste mit den Telefonnummern bei sich?
Auf Papier oder online?
Online geöffnet.
Was fällt Ihnen leichter? Telefonat oder Mail?
Die Antwort lässt auf sich warten. Ronja macht sich ein wenig Gedanken. Soll sie noch etwas schreiben? Wenn, ... Doch da kommt eine Antwort.
Ich denke Mail.
Dann jetzt Schritt für Schritt?
Wie besprochen?
Ja. Danke.
Sehr gerne.
Öffnen Sie die Kontaktdaten der ersten Person
und klicken Sie auf die Mailadresse.
Okay.
Schreiben Sie in die Betreffzeile: Termin/Rückruf
Okay.
Klicken Sie ins Textfeld
und fügen Sie den Text aus der Vorlage ein,
den wir bereits vorbereitet haben.
Okay.
Schicken Sie die Mail ab.
Okay.
Sehr schön. Das freut mich.
Ronja schreibt noch ein wenig mit dem Klienten hin und her, der es erst gar nicht realisierte, dass er tatsächlich eine Mail an eine Therapeutin weggeschickt hat und etwas über sich lachen musste. Aber dann konnte er sich freuen. Er hat es geschafft, den nächsten Schritt. Ronja freut sich sehr für ihn mit.
Auf diese Beratung folgend schlendert sie mit einem Grinsen in die Küche – in der es tatsächlich nach Teig riecht, – holt sich den Café von Al, der sie ein Danke zuruft, die auch etwas erwidert, was sie aber nicht verstehen kann. Al scheint im Schlafzimmer in ihrer gemütlichen Ecke zu sein. Ja, das hat sie sich wirklich richtig gut eingerichtet. Sehr gemütlich und so wie sie es möchte.
Zurück am PC beantwortet sie weitere Anfragen und gibt Hilfestellungen.
Als Oskar zum Teammeeting ans Telefon geht, begrüßt er sie gleich lautstark mit einem Happy Birthday, wodurch sie sich erschreckt. Ups, das hab ich selbst schon wieder vergessen.
◦◦◦◦◦◦
„So Al. Ich geh dann jetzt los. Magst du mir noch Tschüss oder so sagen?", fragt Ronja aus dem Flur heraus, bereit loszudüsen.
„Oh! Ist es schon so spät? Mist, tut mir leid", reagiert Alice hektisch. „Warte bitte noch kurz. Ich hab noch was."
„Okaaay ..."
„Hier." Alice reicht Ronja die Träger eines großen Beutels. „Da ist Kuchen drin, den ich noch gebacken habe, für »wörterrausch«. Ich dachte, ähm ... Es wäre schön, wenn du, ja ... was mitbringst, weil du gestern halt ..."
„Danke, das ist echt lieb", unterbricht Ronja die unsicher gewordene Al und gibt ihr stattdessen noch einen Kuss.
Kurz darauf trifft sie am Hafen ein, schon bevor sie bei ihm steht, kann Elmar nicht an sich halten.
„Alles Gute!", ruft er los.
„Danke dir!", freut sich Ronja darüber.
„Hast du Kuchen dabei?"
„Ja. Hat Alice gebacken. Können wir gleich bei »wörterrausch« essen."
„Sehr gut."
Ist es Einbildung? Auf dem Weg zum Lese- und Schreibzirkel hat Ronja das Gefühl, dass Elmar Unsicherheit ausstrahlt. Viel spricht er nie oder selten, aber er macht kaum einen Laut, geht noch gleichmäßiger und bedachter als sonst. Zumindest ihrem Gefühl nach.
Doch er sagt und fragt nichts. Vielleicht freut er sich auf Kuchen. Und kann es kaum abwarten.
Etwas, womit Ronja nicht gerechnet hat, überrascht sie ... überfordert sie ebenso ein wenig. Als sie bei »wörterrausch« ankommen. Die ganze Truppe empfängt sie am Eingang. Singend. Happy Birthday. Ist das jetzt so, wie es scheint? Oder hat jemand anders Geburtstag?
Sie wartet ab. In der dritten Zeile wird klar, für wen sie singen, was sie so sehr rührt, dass sich direkt ein paar Tränen anbahnen.
„Danke", ringt sie sich ab, als das Lied endet, und während die anderen noch klatschen. Darüber ist sie jedoch froh, da ihre brüchige Stimme dadurch nicht so herauszuhören ist.
„Danke", wiederholt sie noch einmal, nachdem sie sich räusperte. „Das ist echt total lieb von euch."
„Ich hoffe, wir haben dich nicht erschreckt." Agnis kommt näher und umarmt Ronja.
„Nein, das nicht. Ich bin überrascht, ja. Und gerührt. So halt."
Einer nach dem anderen gesellt sich dazu und gratuliert Ronja nachträglich zum Geburtstag.
„Ah. Ich hab auch Kuchen dabei. Von Alice gebacken."
„Das ist ja prima. Dann können wir definitiv noch ein wenig deinen Geburtstag drinnen feiern", meint Agnis.
„Na ja, außer Alice hat es nicht so mit backen", witzelt Jeff rum.
„Doch. Alice kann richtig gut backen. Schmeckt super", verteidigt Elmar Alice' Backkünste.
„Na dann. Lasst uns reingehen. Elmar hat, glaube ich, auch noch weiteres vor", ergänzt Agnis und geht vor.
Erstaunt von dieser Aussage dreht sich Ronja zu Elmar um. „Hast du das echt eingefädelt? Für mich?"
„Ja."
„Wow. Danke dir."
„Alice und du habt doch auch meinen Geburtstag gemacht."
„Ja schon. Aber ..." Ronja muss sich kurz sammeln. „Das ist so ... Echt Elmar, sowas Tolles hat noch niemand zu meinem Geburtstag gemacht."
Mit einem Kichern geht er ins Gebäude rein. Sie hinterher.
Der Kuchen wurde auf einen Tisch etwas abseits gestellt, auf kleine Teller aufgeteilt, sogar für Getränke – darunter Café – wurde in einem ausreichenderen Maße gesorgt. Ronja zwickt sich mehrmals, weil sie es nicht fassen kann.
Alles für sie?
„So liebe Leute", beginnt Agnis. Agnis ist echt die Richtige für die Leitung. Hier immer wieder alle zusammenzutrommeln. Puh. „An dich Ronja, richte Alice schon mal lieben Dank aus, der Kuchen kommt definitiv gut an", ein paar Lacher unterbrechen sie. „Ich hoffe, ihr habt nun alle etwas zu trinken und wenn nicht, ... Pech." Wieder kommen einige Lacher. „Denn nun möchte Elmar etwas vorlesen. Das ist sein Geburtstagsgeschenk für Ronja. Also pscht."
Unwillkürlich hält Ronja die Luft an. Was Elmar nicht alles für sie tut? Sie bewundert ihn so sehr und nun ... Sie ist so sehr gerührt.
„Hallo."
„Hey Elmar", rufen ihm einige zu. Ronja steht gebannt da, formt ihre Lippen lediglich zu einem Hallo.
„Ich habe etwas für dich, Ronja, selbst geschrieben. Es ist geschrieben auf einer Karte. Ich lese es dir vor." Diese Gruppe ist wirklich einfach super. Er scheint sich noch mal kurz eine Pause zu nehmen. Alle bleiben ruhig.
„Du bist eine feste Tür,
zu einem bestehendem Raum,
nicht verschwindend,
immer da,
auch wenn nicht.
Ein Raum so klar,
und fordernd,
sowie frei zugleich,
wie es gut für mich ist.
Ein Ort mit Raum,
für Gefühle und Gedanken,
Fragen und Antworten,
in meinem Tempo.
In diesem Ort,
ist Platz,
für Nachfragen und Meinungen,
egal wie und welche.
Eine feste Tür,
ein bestehender Raum,
mit einem freien Ort,
viel Platz für Halt.
Danke."
Jetzt brechen die Dämme. Ihre Tränen kullern. Und es ist ihr egal. Er kommt zu ihr, um ihr die Karte zu reichen.
„Elmar, darf ich dich mal drücken? Ausnahmsweise?"
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