[28] 17|Sonntag

Nika hat wohl keinen guten Start. Quälende Laute, die durch den Körper jagen, wecken Ronja am heutigen Morgen. Ob der Ausflug etwas wird?! Dabei war Alice auf Anhieb Feuer und Flamme von der Idee sowie überrascht, dass sie es vorgeschlagen hat. 

Erst einmal abwarten, denkt sie sich selbst. Sie rappelt sich auf, Woody kam in der Zeit schon, – um ihre Puschen zu kontrollieren, was sie nach wie vor manchmal zum Schmunzeln bringt – und geht dann den Geräuschen nach. 

„Haben wir nicht gesagt, dass du mir auch ruhig Bescheid geben kannst?" 

„Dir auch einen guten Morgen, Ronnie", erwidert Alice lediglich. 

„Sorry. Guten Morgen. Also?" 

„Hat gerade erst angefangen. Ich weiß noch gar nicht, was ..." 

Weiter kommt Alice gar nicht, da macht sich die Ursache in Form von Geräuschen und Düften, die ihnen lieber erspart geblieben wäre, bemerkbar. 

„Okay, ich glaube, nun wissen wir es", witzelt Ronja. „Soll ich Nika übernehmen?", fragt sie dann noch. 

„Wenn du unbedingt darauf bestehst ..." 

„Ich kann mir in diesem Moment nichts Besseres vorstellen." 

„In der Zeit mache ich uns schon mal Frühstück." 

Nachdem Alice das Kinderzimmer verlassen hat, widmet sich Ronja Nika. „Was hat dir Mama Alice nur zu Essen gegeben, hm? Na, dann wollen wir mal. Erst einmal lege ich dich auf die hier. Huch, wo sind denn die Feuchttücher hin? Ah, da sind sie ja. Gut, dann mal los." 

Die Mülltüte, in der sich die nicht lieblich duftenden Utensilien von eben befinden, stellt sie griffbereit in den Flur. 

„Ich gehe noch schnell ins Bad und komm dann gleich. Nika liegt erst einmal wieder im Bettchen." 

„Okay." 

◦◦◦◦◦◦

Frisch geduscht, fühlt sie sich gleich lebendiger. 

„So noch einmal, meine liebe Al. Guten Morgen", begrüßt sie sie mit einem sanften Kuss auf die Stirn. 

„Viel besser." 

„Meinst du Frühstück auf der Terrasse ist möglich?" 

„Steht schon alles bereit." 

Mit einem Lächeln auf dem Gesicht zieht sie Alice in die Arme, um sie dann an der Hand mit hinaus zunehmen. 

Nachdem Frühstück geht Alice sich vergewissern, ob es Nika besser geht und es nur eine einmalige Sache heute früh war. Danach würde sie sich dann fertigmachen. 

Derweil holt Ronja ihren Laptop raus auf die Terrasse, klappt ihn auf und wartet, bis er so weit ist, um sich eine bestimmte Mail vorlesen zu lassen. 


Hallo Ronja, 
Erst einmal möchte ich Danke sagen. Für Freitag. Für dich. Dass du dabei warst beim Termin. Du hast mir geholfen. Durch dich konnte ich mich besser konzentrieren. Durch dich konnte ich besser verstehen. Durch dich konnte ich sagen, was ich möchte. Danke. 
Lange her, da hab ich mich einsam gefühlt. Es gab niemanden. Für mich. Das war einfach so. Keine Eltern. Keine Freunde. Dann kam Frau Peters. Sie war wie eine Tür. Eine Tür in einen anderen Raum, von dem ich vorher noch nichts wusste. Als ich sie kennenlernte, hatte ich erst Angst. Denn dann gab es auf einmal mehr. Und ich wusste nicht, was alles. Vorher war in meinem Raum, meiner vorherigen Welt, für mich alles greifbar, wenn auch böse, einsam, traurig und nur wenig Gutes. Sie versuchte viel, lockte mich in den Raum. Als ich ihn betrat, sah ich, dass viele weitere Türen von diesem großen Raum aus irgend woanders hinführen würden. Die Angst kam immer wieder, weil ich nicht wusste, was sich dort hinter verbirgt. Manchmal wünschte ich mir, dass eine Tür davon wieder in meinen alten ehemaligen Raum führt. Weil ich mich dort auskannte. Doch ich war gezwungen, den Raum zu erkunden und manchmal auch durch eine dieser Türen zu gehen. An einem Tag brachte eine dieser Türen mich zu dir. Es war neu und beängstigend. Doch auch gut. Ich freue mich darüber, dass ich es geschafft habe. Denn diese Tür ebnete wieder einen neuen Raum mit neuen Türen, die mir bisher alle schöne Erlebnisse öffneten. Und auch wenn die Tür zum Raum von Frau Peters sich schließt, gibt es diesen neuen Raum, zu dem ich geführt worden war. Ich bin dennoch nicht einsam und habe Menschen. 
Ich denke, du verstehst, was ich damit sagen will. 
Meine nächste Mail schreibe ich am 21.03.. 
Bis morgen. 
Von Elmar. 


Vor Tränen gerührt, nicht damit gerechnet, muss sie sich erst einmal beruhigen, bevor sie zu einer Antwort ansetzen kann. 


Hallo Elmar, 
Ich bin sehr gerne dabei gewesen und wir sind beide wirklich gerne für dich da. 
Deine Mail berührt mich sehr. Ich danke dir. Das sind wirklich ganz tolle Worte. 
Ich bin genauso froh, dass du den Mut hattest, dich diesen Türen und Räumen zu stellen und dich eine davon zu mir beziehungsweise uns geführt hat. 
Ich darf durch dich so viel lernen und mir würde sehr viel fehlen, wenn unsere Bindung nicht bleiben würde. Du bist für mich ein sehr wichtiger Mensch geworden! 
Weißt du noch, wie du vor Kurzem meintest, dass du dich sprachlos fühlst?! So fühle ich mich gerade. 
Auch wenn ich nicht so einen bezaubernden Text schreiben kann wie du, bedeutet es mir sehr viel, dich zu kennen und dass wir befreundet sind. 
Bis morgen. 
Viele Grüße. 
Von Ronja. 


Noch ganz aufgewühlt durch die besondere Mail von Elmar, bleibt sie nach dem Schließen des Laptops an ihrem Platz sitzen. 

Annehmen – Ja. Aber auch kurz abschalten, sich setten. Mit solch einer Geste hatte sie gerade nicht gerechnet. Sie setzt ihre Kopfhörer auf und lässt Naturklänge ertönen. 

◦◦◦◦◦◦

Eine unbestimmte Zeit später trampelt Alice auf dem Boden. Mit beiden Händen nimmt Ronja ihre Kopfhörer ab. 

„Ist es schon so spät?" 

„Ja. Mach ganz in Ruhe, trink deinen Café aus. Aber so langsam ... dann." 

„Okay. Danke." 

Mit dem ekligen Müllbeutel gehen sie vor die Tür, der dankbarerweise direkt in der ersten Tonne seinen neuen Platz findet. Ihr Weg führt sie zunächst zum Bus, der sie zur Regionalbahn bringt. Beide sind sie mit einem Rucksack geschultert, um genug Proviant für sich alle für den Tagesausflug dabei zu haben. 

Die Fahrt im Zug dauert etwa eine halbe Stunde. Von dort aus steigen sie erneut in einen Bus, dieses Mal lediglich um die zehn Minuten. 

Selbst Ronja ist überrascht, wie gut sie die Fahrt meistert. Alice hätte auch gedacht, dass eher Ronja als Nika anfängt, hibbelig zu werden. Nach einer Anfahrt inklusive Umstiege von ungefähr achtzig Minuten geht es Ronja dafür ganz gut. Nun liegen noch etwa fünfzehn Minuten Fußweg vor ihnen, bis sie an ihrem Ziel sind. 

Bereits im Zug bemerkte Ronja, dass er sie weiter aus der Stadt entführte. Im Bus dann konnte sie dem Gesang der Natur lauschen. Und auf dem Weg hier duftet es nach wild gewachsenen Pflanzen, Bäumen, Natur. Sie kann sich nur wohlfühlen. 

„Da vorne, ich sehe es!", ruft Alice auf einmal freudig aus. 

Daraufhin schüttelt sich Ronja aus ihren dahin schwebenden forttragenden Gedanken, was ihr erst da bewusst wurde. Natur, einfach herrlich wunderbar, wie ihr wieder einmal bewusst wird. 

Am Eingang gibt es keine Probleme wegen Woody, sie haben sich schließlich, wie auf der Website des Barfußparks gewünscht, angemeldet und Bescheid gegeben, dass sie als Blinde mit einen Begleithund kommt. Sonst sind hier Hunde strikt verboten. Das kann sie auch verstehen, sie sind in der Natur, dazu die hygienischen Auflagen. Sie bestätigt den Mitarbeitenden, dass Woody nirgends seinen Haufen erledigen wird, dass sie für Nika, auf die sie hindeutet, aber keine Garantie machen kann. 

Daraufhin müssen nicht nur die Mitarbeitenden lachen. Der eine Mitarbeitende übergibt Alice die Tickets sowie eine Karte zum Park und führt sie ein paar Schritte in den Park, um ihnen die bestmögliche Route zu erklären für sie als Familie mit einem Baby, einem Hund und wegen ihrer Sehbeeinträchtigung. 

„Der Barfußpark bietet viel mehr als nur das Erlebnis über die Füße", schließt der Mitarbeiter seine Einführung ab. 

Ronja hofft, dass Alice gut zugehört hat, denn sie ist einfach fröhlich aufgeregt und möchte endlich loslegen. 

„Hast du das gewusst?" 

„Was meinst du?" 

„Die bieten hier sogar Führungen für sehbeeinträchtigte Menschen an." 

„Oh echt? Nein, danach habe ich gar nicht geschaut. Nur dass, was er sagte, habe ich auch auf der Internetseite bereits erfahren, dass für alle Sinne etwas dabei sein soll." 

„Das hat er auch gesagt, hast du nur das eine mitbekommen?" Alice muss lachen. 

„Ähm ... Ich würde sagen, du hast mich durchschaut. Also meine Barfußpark-Leiterin, gehts los?" 

„Na, wenn du mich so fragst", kommt die kecke Antwort von Alice. 

Sie entscheiden sich dazu, ihre Schuhe nicht in einen Spind zu verschließen, falls sie sie zwischendurch doch wieder anziehen wollen, sondern ihre Rucksäcke umzupacken. Es wird nach notwendig und nicht notwendig sortiert, Letzteres kommt aus den Taschen in den Spind, die Schuhe dafür rein. 

Hosen werden hochgekrempelt und sie gehen an die erste Station. Ronja möchte versuchen, die Stationen ohne Woody zu vollführen. Sie bedeutet ihm, dass er dort, wo sie anfängt, warten soll. Zusammen mit Alice an der Hand geht sie los und ... quickt laut auf vor Schreck. Alice muss kichern. Ronja selbst lacht auch auf. Entgegen ihrer Vermutung ist direkt die erste Station ein Wasserlauf. Im kalten Wasser. Es geht zwar nur bis unter die Knöchel, aber wenn mensch das nicht weiß. Aber jetzt fühlt es sich wunderbar an. So waten sie die paar Meter wie zwei frisch Verliebte Händchen haltend durch das Wasser. Ronja strahlt über beide Ohren und Alice kann sich offenbar nicht daran satt sehen. 

Auf der anderen Seite angekommen, ruft sie Woody, der prompt, jedoch ganz ruhig an ihrer Seite auftaucht. 

Ronja möchte sich weiterhin überraschen lassen, was auf sie zukommen wird, möchte wissen, ob sie einiges erraten kann. Alice soll nur Bescheid geben, wenn es zu spektakulär wird. 

Einen halben Tag später mitsamt Stationen voll mit Tannenzapfen, weiteren Wasserläufen, Brücken, Hörröhren, Klangschalen, Fühlkästen, Sandwegen, Glasscherben – natürlich abgerundeten – und vielem mehr gelangen sie wieder zum Eingang. 

Das war ein Spaß. 

Ronja setzt sich schon einmal in das Parkcafé, während Alice mit Nika auf der Toilette verschwindet. Nach einem gemütlichen Imbiss treten sie dann die Heimfahrt an, wo sie ausgepowert und zufrieden beieinander einschlafen. 

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