[20] 9|Samstag
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Kerzengerade sitzt sie im Bett. Etwas hat sie aufgescheucht.
Dann hört sie es erneut. Ein Schluchzen begleitet von unverständlichen Worten. Es ist die Stimme von Alice. Ronja wendet sich und tastet dabei um sich. Doch sie ist nicht da. Es hört sich auch nicht nah an, eher wie ... Da macht sie die Quelle schon aus.
Das Babyphone steht wohl noch am Bett. Sie hört Alice darüber, die es anscheinend vergessen hat mitzunehmen.
Liegt es am gestrigen Gespräch? Nimmt es Alice vielleicht genauso mit wie sie? Sie gingen IHM zum Trotz oder für sich genauso geschlossen aus dem Café hinaus, wie sie hineingegangen waren. Sie ließen keinen Zweifel daran, dass sie das zusammen durchstehen würden.
Tim ... So ein Idiot, denkt sie wieder.
Nun beeilt sie sich mit dem Aufstehen, wirft sich schnell ihren Morgenmantel über, schnappt sich das Babyphone und geht zum Kinderzimmer.
In der Tür bleibt sie stehen, spürt, wie Alice zu ihr aufschaut, da diese abrupt aufhört zu weinen. Wahrscheinlich erschrocken durch Ronjas Erscheinen.
Ein Schweigen erfüllt den Abstand zwischen ihnen.
„Al, nichts davon ist deine Schuld, solltest du das denken."
„Doch ... Wie konnte ... ich ... denn ... je mit diesem ..."
„Auch wenn ER ein Arschloch höchster Stufe ist, so darf ich mich über euer Ergebnis riesig freuen. Nika ist unser größtes Geschenk. Ohne euer Zusammentreffen hätten wir sie nicht."
Da Ronja bereits näher an Alice heran geschritten ist, legt diese nun ihren Kopf an Ronja ran. Die Tränen laufen weiter, nun spürend für Ronja, da diese sich den Weg durch den dünnen Stoff auf ihre Haut suchen. Ronja lässt sie, ist einfach für sie da. Sie werden es schaffen, sie müssen es schaffen, für ihr kleines großes Familienglück.
Etwas beruhigter steht Ronja auf, holt Nika aus dem Bettchen zu ihnen auf das Schlafsofa.
„Schau sie dir an. Sie ist unser. Wir werden das schaffen. Gemeinsam. Wie du es gesagt hast. Du für mich und ich für dich. Wir gemeinsam für- und miteinander. Und vor allem für sie und uns drei."
„Es ist so schwer."
„Ja, ich weiß. Aber du bist Al. Schon vergessen, was du bereits gemeistert hast? Wir packen das."
Ein leises Lachen dringt an Ronjas Ohren, was ihr die Anspannung, die ihr in diesem Moment bewusst wird, etwas nimmt.
„Soll ich uns heute mal wieder Frühstück machen?"
„Hm ..."
„Ich dachte, ich habe dein Vertrauen gewonnen, was das Zubereiten des Frühstücks angeht, he?"
Ronjas Plan geht auf und Alice kann die Sorgen etwas loslassen. Sie fängt an zu lachen.
„Sagen wir so. Wenn ich zu fertig bin, dann lass ich es dich gerne übernehmen, aber nur, weil es sein muss." Das freche Gekicher dabei von Alice klingt immer freier.
„Pah, dann eben nicht."
„Deine gespielte beleidigte Leberwurst kauft dir kein Mensch ab."
Und nun können sie beide nicht anders, als laut zu lachen. So befreiend.
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Nachdem tatsächlich Alice in die Küche verschwand, um das Frühstück vorzubereiten und den Café aufzusetzen, wechselte Ronja derweil wenigstens schon einmal Nikas Windel. Danach klatschten sie ab, damit Nika ihre Nahrung bekommen und Ronja schon einmal unter die Dusche springen kann. Gut eingeübte Morgenroutine, – mehr oder weniger – auf den jeweiligen Wochentag abgestimmt, gibt doch einiges an Struktur und Klarheiten. Alice geht sich nach Ronja frisch machen, sodass sie sich darauffolgend zusammen am Frühstückstisch treffen können.
Viel Zeit ist nicht mehr, bis Alice zum Rückbildungskurs losmuss, der ja doch recht früh beginnt.
Gemeinsam gehen sie raus. Mit einer festen stärkenden Umarmung verabschieden sich die beiden.
Ronja überquert die Straße und biegt in den Park ein. In der Hoffnung, bei diesem tollen herrlichen Wetter eine freie Bank zu finden, geht sie bedacht, aber geradewegs bis zum See hindurch.
Verweilen möchte sie gerade. Einen ruhigen Moment genießen.
Sich gerade auf die Bank hingesetzt, weiß sie gar nicht, was sie denken soll. Einerseits ist sie unendlich glücklich und dankbar für Alice und Nika, andererseits unfassbar erschrocken über Tim.
Tim. Ein unglaublicher Idiot. Wie SIE auf ihn hereinfallen konnte, kann sie tatsächlich auch nicht verstehen. Dennoch ist sie über Nika einfach froh, die sie ohne IHN nicht hätte. Alles hat mehrere Seiten ... Aber wie soll es nun weitergehen?! Am besten Montag abwarten, wenn Alice bei Frau Winter war. Wie kann er nur so reden, als wäre er bereits fester Bestandteil in Nikas Leben? Wenn er daran teilhaben will ... Ja, okay, was soll sie schon auch dagegen sagen?! Aber er darf dann auch gerne seine Haltung überdenken. Und er darf zu gerne seine Vaterschaft vor Gericht abgeben ...
Die Sorgen werden wieder größer ...
Was wird nur nun daraus? Im Allgemeinen ist es ja schön, wenn die Eltern sich um ein Kind sorgen wollen, aber sind in diesem Fall nicht Alice und sie die Eltern? Die wirklichen Eltern? Ja, er wusste nichts von Nika, aber daran hat keiner schuld. Sie hatten es versucht, ihn ausfindig zu machen. Aber es gibt viele Tims und dann zumindest nach Als Beschreibung mit diesem 0815 Aussehen. Müssen sie sich deswegen von ihm beleidigen und beschimpfen lassen? Wohl eher nicht.
Und Ronja wird wieder wütend.
Was der sich wieder eingebildet hat. „Wieso sollte ich mein Kind bei zwei Lesben leben lassen, die nicht mal selbst im Leben klarkommen?", hatte er doch tatsächlich von sich gegeben. Auf ihr Anliegen hatte er sie nur spöttisch ausgelacht, so kam es ihr vor. Dabei hatte Alice ihm genau das Gleiche vermittelt wie auch ihr am Morgen. Dass er sie natürlich sehen kann, wenn er es möchte, aber Ronja und sie die Eltern sind und es auch vor dem Gesetz sein wollen. Wozu diente ihm dieses Treffen? Was hatte es bezwecken sollen?
Frust und Verzweiflung fluten sie ebenso.
Ronja begreift es nicht. Immer wieder spult sie es im Kopf ab, aber kein Sinn, kein ernstzunehmender Zweck will sich ihr ergeben ...
Ronja hofft auf positive Rückmeldungen am Montag nach dem Beratungsgespräch mit Frau Winter. Es muss gut werden. Nika bei Tim? Das kann sie sich nicht vorstellen ... Geht das so leicht? Selbst wenn sie nicht die Mutter vor Gesetz werden würde? Dann ist ja trotzdem Alice die biologische Mutter.
Das muss dringend geklärt werden, falls ER wirklich solche Schritte einleiten will.
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Zwar findet Ronja nicht die erwünschte Ruhe am See, doch neue Fragen, die eilig Antworten erwarten. Mit diesen Erkenntnissen schlendert sie wieder nach Hause. Dort angekommen notiert sie sich diese zunächst.
Froh darüber, sich bei der Arbeit für einen verkürzten Tag angemeldet und dieses auch mit ihren Klient*innen abgesprochen zu haben, widmet sie sich nun den E-Mail-Beratungen.
Zwischendrin hört sie, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wird und Alice mit Nika zurückgekommen ist.
Bald hat auch sie Feierabend. Sie sammelt noch einmal ihre Kraft und beantwortet die letzte anstehende E-Mail für heute.
So wie sie es gerne hat – und weil das Wetter es mitmacht, – verbringen sie den restlichen Tag bis zum Abend auf der Terrasse.
Ganz gemütlich beieinander, aber doch jede für sich.
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