[19] 8|Freitag
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Wäre der Tag doch schon vorbei, wünscht sich Ronja, derweil sie auf der Terrasse sitzt und ihren Morgen-Latte genießt. Alice sitzt neben ihr und sie beide vermeiden beim Frühstück gekonnt dieses Gesprächsthema.
Doch Ronja ist sich nicht sicher, was Alice sich von Tim wünscht, was die eigentlichen Ziele dieses Treffens sein sollen, was dabei herauskommen soll. Das beunruhigt sie. Sie rutscht von rechts nach links auf der Eckcouch mit ihren Pobacken hin und her. Doch auch das bringt ihr nichts.
Während Alice das Geschirr hineinbringt, versucht sie die richtigen Worte zu finden, um es doch noch ansprechen zu können, ohne das es vorwurfsvoll klingen könnte. Aber sie weiß nicht, wie sie beginnen soll. Erst einmal ruhiger werden. Sie schlägt ihr rechtes Bein über ihr anderes und presst beide recht doll gegeneinander. Aber ... Dennoch zappeln sie leicht. Sie hofft, es fällt nicht auf.
„Ronnie, sag schon."
„Wie meinst du?"
„Ich sehe es dir an. Irgendetwas willst du loswerden. Also los. Du machst mich auch noch ganz kirre."
„Ich weiß nicht ganz wie. Also, ich meine das nicht böse und ich verstehe auch, warum wir das tun ... Puh ... Ähm ... Ich meine das Treffen nachher. Und was zum Beispiel deine Wunschergebnisse wären. Ich mache mir eben Gedanken. Und auch ... was ist, wenn er ..."
Unmittelbar rückt Alice näher an Ronja heran und streichelt sie am Arm.
„Für mich hat sich nichts geändert. Nur weil er aufgetaucht ist. Doch du hattest recht. Er muss mit einbezogen werden. Die Betonung auf muss. Und ich hoffe, dass er uns unterstützt und seine Rechte sowie ja auch Pflichten abgeben wird. Wenn er Nika mal sehen möchte, so würde ich es ihm einräumen wollen. Ich hoffe ... Ähm ... Du auch?! Wir hätten echt darüber reden sollen. Es war einfach so viel und ging so verdammt schnell. Mist. Tut mir leid. Aber kannst du das verstehen und gibt es dir mehr Klarheit?"
Ronja greift sich die Hand von Alice und hält sie zwischen ihren. Sie lässt die Worte nachwirken, küsst Alice ihre Hand und antwortet schließlich: „Danke Al, das sehe ich genauso."
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Erleichterter verabschiedet sich Ronja von Alice, die nun zur Arbeit losgeht. Später wird sie sie dort abholen kommen, von wo aus sie gemeinsam in die Stadt fahren werden.
Bis sie und Nika losgehen, kümmert sie sich um den Haushalt. Abwasch, Saugen, Wäsche. Und zum Schluss noch einmal Nika frisch machen, in der Hoffnung, dass sie es so lange aushält, bis sie wieder die Möglichkeit hat.
Mit dem ordentlich vorbereiteten Rucksack macht sie sich nun auf dem Weg zum Hafen. Elmar ist bereits da. Ist sie so spät dran?
„Hallo Ronja. Hallo Nika."
„Hey Elmar. Bin ich spät?"
„Nein, ich bin früher losgegangen und habe mir die Luca angesehen."
„Wie schön, die liegt doch aber nicht auf deinem Weg oder?"
„Richtig."
Ronja kann das Strahlen sofort heraushören. Doch etwas war da noch, ist aber direkt wieder durchgerauscht. Na ja, bestimmt egal.
„Das freut mich für dich. Wie war es denn am Dienstag?"
„Schön und lustig."
„Lustig?"
„Ja."
„Was war denn so lustig?"
„Joe."
„Ja, Joe kann wirklich witzig sein."
„Nein."
„Ach, findest du nicht?"
„Doch."
„Hä? Okay, irgendetwas habe ich falsch verstanden, richtig?"
„Ja."
„Mit Joe ist etwas Lustiges passiert?"
„Ja." Und Elmar kann sich wohl kaum noch das Lachen verkneifen, ob das an Ronja oder an dem Erlebnis von Dienstag liegt, wer weiß?!
„Magst du erzählen?"
„Joe ist ins Wasser gefallen."
„Was?"
„Ja, aber nicht gefährlich. Nicht mehr am Hafen. Alles war frei. Er ist neben das Boot getreten und dann ..." Nun muss Elmar lachen. Ein schönes Lachen. Es klingt so frei und lässt Ronja mit einstimmen.
„Das tat gut, Elmar. Danke dir."
„Lachen tut gut. Ist gut. Ich fühle mich dann auch besser."
„Ja genau."
„Einen tollen Internationalen Frauentag und bis Sonntag, Ronja."
„Bis Sonntag. Und danke, Elmar."
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Tja, da musste Elmar sie an einen sehr bedeutenden Tag erinnern. Wenn gerade nicht alles so chaotisch wäre ... Der Frauentag, so wichtig, doch jetzt gerade in diesem Moment ist ihr anderes wichtiger. Mit Nika verweilt sie noch ein wenig am Hafen. Sie genießen, insofern sie das beurteilen kann, die klare Luft und die Ruhe, die sie umgibt. Noch ein wenig Kraft tanken. Noch ein wenig die Zeit mit ihr alleine genießen, bevor sie Alice abholen geht, damit sie sich mit IHM treffen gehen, Nikas biologischen Vater. Was wird nur auf sie zukommen?! Nicht jetzt darüber nachdenken. Jetzt soll es nur um sie zwei gehen. Sie streichelt ihr über das Gesichtchen, schmiegt sie an sich und summt ihr leise eines ihrer Lieblingslieder vor. So schwelgt sie noch mit ihr für einen Augenblick länger.
Einen kräftigen Atemzug. Beim Ausatmen steht sie auf und geht Richtung motley's.
Eine dreiviertel Stunde später sind sie zu dritt im Bus, der sie zur Bahn bringt. Ronja fühlt sich, als würden sie alle anstarren. Sie mag die öffentlichen Verkehrsmittel nicht besonders, meidet sie daher, wo es nur geht. Mit Alice empfindet sie es jedoch angenehmer. Doch unruhig ist sie dennoch. Jemand, um genauer zu sein Alice, zupft an ihrem Ärmel, sie müssen aus- und in die Bahn umsteigen.
Alice lotst sie beziehungsweise Woody. Kurz darauf sitzen sie auch schon in der Bahn.
„In zwölf Minuten steigen wir wieder aus."
Wie Alice angekündigt hatte, stehen sie zehn Minuten später von ihren Plätzen auf, um pünktlich aus der Bahn zu kommen. Woody folgt Alice und lässt sich glücklicherweise nicht von dem ganzen Lärm sowie Gerüchen ablenken. Ronja ist sehr irritiert von dem Ganzem und fühlt sich direkt unwohl.
Sie gehen durch das Stationsgebäude und gelangen hinaus. Draußen angekommen gibt Ronja Woody das Signal, stehen zu bleiben. Sie muss durchatmen. Es ist zu viel auf einmal. Alice kommt schnell zu ihr und fragt sie, ob sie sich erst einmal kurz irgendwohin hinsetzen möchte.
„Nein, geht gleich. Einfach alles unbekannt. Zu viel unbekannt und zu viele Reize. Tut mir leid. Im Café geht es dann."
„Okay, aber du sagst, wenn du irgendetwas brauchst, okay?"
Ronja nickt. Einen kleinen Moment später gehen sie weiter, langsamer als zuvor. Lieber etwas später ankommen als zerstört.
Bevor Alice die Tür zum Café öffnet, dreht sie sich noch einmal zu Ronja um und umarmt sie.
„Verzeih mir bitte wegen Montag. Und auch schon mal für gleich, wenn ich erneut so klein wie ein Kind werde, ... oder eher wie eine Schildkröte, die ihr Köpfchen in ihren Panzer einzieht, sollte er ... wieder zu einem Arschloch mutieren. Ich halte nicht zu ihm. Du kennst mich und du kennst meine Einstellung. Wir haben heute früh geredet. Daran wird sich nichts ändern. Ich weiß, ich darf noch üben an meiner Selbstsicherheit. Das weiß ich, wirklich. Und ... also eigentlich ... Danke dir", flüstert Alice und ist dabei dennoch ganz klar.
„Danke Al. Für diese Worte. Das bedeutet mir ganz viel."
Ronja nimmt ihre Hand und so schreiten sie gemeinsam hinein in das Café. Komme, was da wolle. Sie halten zusammen.
Alice führt Ronja unauffällig in die richtige Richtung. Vor dem Tisch stehend, an dem Tim bereits sitzt, zieht sie erst einen Stuhl vom Tisch weg und bewegt sich dann doch auf den zweiten, daneben stehenden Stuhl zu, um sich auf den niederzulassen. So kann Ronja sich direkt hinsetzen, ohne Weiteres erfühlen zu müssen.
„Ach, Gentleman musst du jetzt auch übernehmen?!"
„Ich muss gar nichts. Und es wäre schön, wenn wir darüber reden, weswegen wir hier sind", antwortet Alice halbwegs selbstsicher, die beide zum Schweigen bringt.
„Hallo Tim", begrüßt Ronja ihn, nachdem sie sich setzte. Nach außen hin übergeht sie seine Aussage einfach.
„Ja. Hallo ... Ruth, war das oder?"
„Ronja heißt sie", korrigiert Alice ihn direkt und ihre Stimme fängt an nachzugeben, was Ronja nicht entgeht. Daher legt sie eine Hand auf Alice Bein ab.
„Nicht schlimm, Tim. Hast du schon etwas bestellt?", fragt Ronja scheinbar unbeirrt davon. Ich bin hier und jetzt als Beraterin. Abstand und Distanz wahren!, betet sie sich vor.
„Ja, hab ich ja vor mir stehen, ne?"
Ronja bemerkt sofort, wie Alice wieder ungehalten wird. „Ah ja, klar. Alice, dann lass uns doch auch direkt erst einmal etwas bestellen", sagt sie daher. Bloß nicht eskalieren lassen und wenn es sie alle Kraft kostet, so professionell zu bleiben. Doch es geht hier schließlich um Nika.
„O-okay", kommt von Alice nur, während Tim mit seinen Fingern auf dem Tisch anfängt zu trommeln.
Unangenehm ist es schon, aber es muss überstanden werden. Es muss. Sie kann.
„Ey Kellnerin! Hier! Die beiden hier wollen auch noch was!", ruft – was beinahe ein Schreien ist – Tim auf einmal los.
Beherrschung und Disziplin – wichtige Eigenschaften, ruft Ronja sich ins Gedächtnis.
„Na was denn nun? Wollt ihr bestellen oder nicht? Ich denke, die hinreißende Kellnerin hier hat nicht ewig Zeit. Also?", wobei Tims Stimme von schroff zu flirty und dann zu ungehalten schwingt.
„Äh. Natürlich. Tut uns leid. Wir nehmen einen Latte Macchiato und einen Cappuccino. Danke", quält sich Alice mehr oder weniger raus.
Ist das schon die Schildkröte? Ist der Kopf noch draußen? Sie spürt die Hitze und gleichzeitig eisige Kälte, die auf einmal aufkommt. Was wurde ihr nur alles angetan? Ob sie jemals alles erfahren wird? Bleib im Hier!, ermahnt sie sich schnell. Doch wenn sie jetzt gehen würden, hätten sie rein gar nichts besprochen und müssten es wiederholen. Darauf ist Ronja nun auch nicht scharf.
„Ach, wie süß. Bestellst du schon für Behindi mit. Herzallerliebst", spottet er rum.
„Ti-im. Bitte", bringt Alice hervor.
„Lasst uns nun über das sprechen, weswegen wir hier sind", schaltet Ronja sich ein.
„Hm, vielleicht habe ich mich auch vertan. Alice, vielleicht bist du diejenige, die nicht ganz dicht ist."
„Tim", beginnt Ronja, „du wolltest dich heute mit uns wegen Nika treffen. Dann bitte, erzähl uns, was du sagen möchtest. So kommen wir nicht voran." Ronja streichelt währenddessen Alice übers Bein, gleichzeitig wird ihr selbst immer mulmiger. Woody hat sich mittlerweile zwischen sie beide gesetzt, als würde er ihnen beide Trost spenden wollen.
Ein Schnaufen vom Gegenüber ertönt. Begutachtet er sie gerade? So fühlt es sich für Ronja an, als würde sie gerade von oben bis unten abgecheckt werden. Ein ekliger Schauer überfällt sie und am liebsten würde sie sich eine Decke drüber werfen.
„Ich möchte zuerst hören, was ihr mit meiner Kleinen vorhabt", äußert er dann so gelassen und ruhig, als würde es hier um ein Geschäft gehen.
Mit deiner Kleinen?
„Ronja und ich sehen uns als Nikas Eltern. Ich konnte dir nicht Bescheid sagen. Und das weißt du. Und ja, das tut mir leid, aber ich kann auch nichts dafür oder ... genauso viel wie du." Alice macht eine kurze Pause. Ronja ist sowieso schon überrascht, dass Alice die Kraft aufbringen konnte zum Antworten. „Wir wollen dich gar nicht komplett aus Nikas Leben ausschließen, wenn du teilhaben möchtest. Aber wir wollen ihre Eltern sein, auch offiziell. Das bedeutet ..."
„Dass ich MEINE Tochter bei zwei hirnlosen Lesben leben lassen soll. Hah! Und dies soll ich vor Gericht auch noch bestätigen? Ja?"
„Aber ... aber ..." Die Stimme von Alice bricht sowie Ronjas Hoffnungen mit Tim noch ein halbwegs vernünftiges Gespräch führen zu können.
„Nichts aber! Meine Kleine. Nicht eure. Ich hab schon das perfekte Leben für sie geplant. Ihr anscheinend nichts. Ihr könnt ihr nichts bieten, ich ihr umso mehr," redete er weiter.
„Jetzt beruhig dich mal bitte", kommt es aus Ronja raus.
„Nichts da. Am liebsten würde ich sie direkt mitnehmen, ist ja immerhin mein Kind, wie ihr sagt. Meins. Nicht deins, RONJA."
Einatmen, ausatmen. Nein, knall ihm keine.
„Wieso sollte ich mein Kind bei zwei Lesben leben lassen, die nicht mal selbst im Leben klarkommen?"
Schweigen. Schock. So war das nicht geplant. Ronja kann sich bloß vorstellen, wie Tim ihr gegenüber mit einer selbstgefälligen Grimasse sitzt, derweil sie sich zusammenreißen muss. Jemand nähert sich und reißt sie aus der Starre.
„Eh-em. Ihre Getränke. Einmal der Latte Macchiato und der Cappuccino."
„Danke für die Getränke. Die sind nun überflüssig geworden, aber der Herr hier bezahlt sie dennoch gerne." Ronja greift nach der Hand von Alice, die direkt versteht und dankbar ist. Damit stehen sie auf und verschwinden. Zu hören ist nur noch ein verachtendes Schnaufen.
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