[16] 5|Dienstag

'Hey, ich bin Tim und ein riesiges Arschloch', wäre eine bessere Vorstellung gewesen als das, was er versuchte. Während ihr das nochmals durch den Kopf schießt, wälzt sie sich schon wieder auf dem Sofa hin und her und findet einfach nicht die richtige Position. 

Nachdem Alice auf diesem blöden Weg sich irgendwann einmal aus ihrer Schockstarre befreite, wurde Ronja dann auch mal eingeweiht. 
ER ist Tim, also ausgerechnet der Tim, Nikas leiblicher biologischer Vater. Boah wirklich ausgerechnet der. Sie dreht sich wieder auf die andere Seite. Empfand sie das Sofa nicht mal als bequem? 

Aber das macht ihn jetzt nicht so maßlos unfreundlich. Nein, sondern eher, wie er mit Alice umgegangen ist und auch Ronja entgegenkam. Und mit so einem hat sie ...?! Na ja, das ist jetzt auch egal. Eigentlich kann sie dafür ja auch dankbar sein. Denn deswegen hat sie ja Nika. Aber jetzt kommt es ja. Die nächste Scheiße. Und ja, – lieben Gruß von Ronja an ihr Gehirn – heute Nacht hat sie keine Lust, achtsam positiv beschissene Kacke zu denken. Sie will einfach denken. Nein, eigentlich will sie schlafen. Aber das bekommt sie heute auch nicht hin. Oder gestern. Ach, was weiß sie. Ja, Handy sagt, es ist schon bald morgens. Also sowohl als auch, ist doch auch voll egal. Mensch, ist das warm! 

Er hat es natürlich nicht gecheckt, dass Alice sein Baby vorm Bauch trägt. Sagte nur 'Alles Gute', okay, kann sie noch verstehen, obwohl er auch eins und eins zusammenrechnen könnte. Aber anscheinend auch nicht. War Alice damals besoffen? Ach was, aufregen bringt doch nichts. Also, Blödsinn, vielleicht war oder kann er ja nett sein. Nee, auch Blödsinn. 

Aber dann ... Sie konnte sich nicht mehr zurückhalten, ihre ganze Magengegend zog nur noch grausam in jegliche Richtungen, ... Also knallte Ronja ihm das so hin, dass er da zu seinem eigenen Kind gratuliert und er lacht bloß so dumm. 

Und dann hat er nichts Besseres zu tun, als Alice zu fragen, ob sie keinen Mann mehr abbekommt und deswegen schon behinderte Frauen nötig hat. Geht es noch? Ronja ist dann gegangen, Alice ist geblieben. Einerseits gibt es einen kleinen Anteil des Verständnisses, aber irgendwie auch nicht. Deswegen auch Sofa, ganz klar Sofa diese Nacht. Diese Option brauchten sie bisher noch nicht. Dann kam irgendwann eine Nachricht, dass sie gleich zu Hause ist. Ronja wollte ihr die Möglichkeit geben, sich zu erklären. 

Sie erzählte, – sollte ihr natürlich eine Entschuldigung ausrichten, ob sie das glauben kann?! – und sie hörte zu. Sie tauschten Handynummern aus, um die weiteren Dinge zu klären. Dass sie Ronja eventuell verletzt oder er sie ja ebenfalls denunziert hat, hat sie gar nicht erwähnt. Und was soll noch geklärt werden? Ist Ronja nun Nikas Mama? Oder doch er ihr Vater? 

Angst. 

Geräusche im Flur holen sie ins Hier und Jetzt zurück. Umständlich dreht sie sich auf dem Sofa, – denn mittlerweile liegt sie kreuz und quer, – um ihr Handy greifen zu können und befragt es noch einmal wegen der Uhrzeit. Ja, gleich ist es Zeit zum Aufstehen. Wie sollen sie es machen? Noch nie hatten sie einen derartigen Zwist miteinander. So kann sie gerade nicht auf Alice. Trotzdem möchte sie ihr Nika abnehmen. Eine neue Probe für sie als Paar ... 

◦◦◦◦◦◦

Das Aufstehen, Frühstück und Fertigmachen haben sie tatsächlich in ihrer Struktur wie üblich erledigt. Alice hat eventuell auf ein Zeichen von Ronja gehofft, – indem sie immer mal wieder länger in der Nähe wartet, – dass sie sich annähern können, doch so weit ist sie noch nicht. Und Alice scheint das zumindest zu akzeptieren. 

„Ich nehme dann Nika wie besprochen den heutigen Vormittag und gehe auch bald los. Würde gleich nur noch schnell duschen gehen." 

„Okay. Soll ich irgendetwas vorbereiten?" 

„Nee, ich glaube, ich hab bereits alles, was ich brauche. Ich sollte auch nicht zu lange weg sein. Ich gehe ja nur mit Joe zum Hafen und komme dann zurück." 

„Okay." Jedes von Alice Worten sticht in Ronja hinein und durchzieht sie von vorn bis nach hinten ins Mark. Doch daran ändern kann sie nun nichts. 

Frisch geduscht, sich trotzdem nicht besser fühlend, zieht sich Ronja fertig an, nimmt Nika in den Gurt und geht los. 

Kurz vor Joes Laden begrüßt er sie schon und zieht sie in seine Arme, was sie, ohne dass er es weiß, sehr gut gebrauchen kann. Mit einem Seufzer beendet sie die Umarmung. 

„Was ist los?" 

„Ach Joe. Ich bin noch nicht in Stimmung zu reden. Wirklich. Habe es selbst noch nicht richtig begriffen, glaube ich. Aber puh ... Einiges." 

„Sobald du reden willst, kommst du, okay?" 

„Danke Joe." 

„Aber das ist doch klar." 

„Also du hast es in die Tat umgesetzt und dein Laden ist die Woche zu?" 

„Ja, die ganze Woche. Also na ja, Denise kommt am Wochenende und empfängt meine Gäste, die sich eben an ihren freien Tagen gerne hier einen Café holen." 

„Freut mich, dass du es gemacht hast." 

„Nicht falsch verstehen, aber du siehst echt schlecht aus. Vielleicht solltest du dir auch Ruhe nehmen und dich krankmelden?" 

„Hm ... Arbeit kann ja aber auch ablenken. Aber ja, stimmt eigentlich. Ich überlege es mir noch. Habe ich irgendwie selbst nicht dran gedacht." 

„Kenne ich." 

„Ratschläge zu geben, jedoch sich selbst nicht dran zu halten?!" Wenn auch nicht aus vollem Herzen, sie beide lachen. 

„Vielleicht können wir ja am Donnerstag reden bei unserem Spaziergang?" 

„Ach quatsch, da geht es doch dann nicht um mich." 

„Das ist doch egal. Es hilft mir ja, dass ich nicht allein an diesem Tag sein muss. Also denk einfach dran." 

„Okay." 

Dann machen sie endlich los und gehen zum Hafen, wo Elmar sie schon freudig erwartet. Hibbelig begrüßt er sie beide. 

„Hallo Ronja! Hallo Joe! Hallo!" 

„Hey Elmar." 

„Na Elmar, können wir direkt weiter zur Luca?" 

„Ja. Ich warte schon." 

Es klingt für Ronja danach, dass sie um die Wette strahlen, was ihr Freude für diesen Moment bringt. 

„Ich wünsche euch viel Spaß und achtet auf euch!"

„Machen wir. Wir sehen uns dann Donnerstag und meld dich, falls." 

„Mach ich, danke." 

„Bis morgen Ronja. Und danke." 

Mit diesem kleinen Glücksgefühl setzt sie sich noch für einen Augenblick auf ihren Platz am Hafen, um diesen Moment in seinem vollen Umfang in sich aufnehmen zu können.

◦◦◦◦◦◦

Auf dem Rückweg kommt Ronja ins Grübeln. Hat Joe recht? Sollte sie sich krankmelden? Ihr ist durchaus bewusst, dass das eins ihrer Themen ist, an denen sie noch arbeiten, sie sich noch für sich selbst verbessern und entwickeln darf. Aber wäre es heute wirklich notwendig? Was würde sie dann machen? Kann sie dann nicht auch arbeiten? Fit ist sie auf keinen Fall, aber manchmal hilft Arbeit ja auch, zumindest nicht wieder in ein Gedankenstrudel hineinzugeraten. Mehrmals – den ganzen Weg – überlegt sie hin und her. Vor der Wohnungstür bleibt sie stehen. Klick, es ist 13:02 Uhr. Daraufhin schließt sie diese auf und geht hinein. Jetzt hat sich das Hin und Her auch erledigt. So kurz vorher sagt sie nicht bei der Arbeit ab. Jedoch merkt sie sich gedanklich vor, dass sie sich diese Option für morgen offen hält, sollte die Nacht wieder so wenig Erholung bieten. 

Jacke aus, Futter und Trinken für Woody in den Napf und dann Nika umziehen. Babyphone anschalten und das dazugehörige andere Endteil mitnehmen, welches sie Alice ins Schlafzimmer bringt. Sie geht direkt weiter in die Küche und kocht sich Café. Beziehungsweise ... hatte sie das vor. 

„Ich habe dir schon welchen vorgekocht, eben gerade." 

„Danke", presst sie hervor, denn sie hatte jetzt nicht vor für irgendetwas dankbar zu sein. Irritiert – und ja auch dankbar – nimmt sie die Kanne und eine Tasse mit ins Wohnzimmer, öffnet die Terrasse und setzt sich an ihren Arbeitsplatz. 
E-Mail-Beratung wäre ihr heute lieber, dabei muss sie nicht auf ihre Tonlage achten, das hatte sie bei ihrem Pro und Kontra nicht bedacht. Nun ist es so und sie greift zum Telefon. 

Fünf Minuten vor 18:00 Uhr kann sie die letzte Telefonberatung beenden und ist froh, es überstanden zu haben. Ja, Joe hatte recht. 

Ohne die Nacht abzuwarten, schickt sie direkt an ihre Arbeitgeber sowie an Oskar eine Mail raus, dass sie sich vorerst nur für morgen krankmeldet, sich meldet, sollte sie länger ausfallen. Ein komisches Gefühl überkommt sie, nachdem sie die Mail gesendet hat. Sie weiß gar nicht, wann sie sich das letzte Mal krankgemeldet hat. Gleichzeitig macht sich erneut eine Art von Erleichterung in ihr breit. Kann demnach nicht ganz falsch gewesen sein. 

Oskar hat direkt geantwortet und wünscht ihr gute Besserung und viel Ruhe. Wenn er wüsste, denkt sie sich, aber ja, Ruhe wäre schön

◦◦◦◦◦◦

„Können wir reden?", hakt Alice leise am Abend nach, bleibt aber im Türrahmen des Wohnzimmers stehen. 

„Kommt drauf an ..." 

„Tim hat geschrieben." 

„Und was so?" 

„Ach Ronnie. Sei doch bitte nicht so. Was soll ich denn machen?" 

„Was hat er denn geschrieben?" 

„Er hat gefragt, wann wir uns treffen." 

„Wenn diese Woche, würde ich sagen, am besten Freitag oder Samstag, da hab ich auch Zeit." 

„Also möchtest du mit?" 

„Darf ich nicht?" 

„So war das nicht gemeint. Natürlich sollst du dabei sein. Hab nur gedacht, dass du es vielleicht nicht willst, weil du ja gestern weg bist." 

„Das hatte einen anderen Grund." 

„Und welchen?" 

„Eigentlich solltest du dir das denken können." 

„Weil es so überraschend war?" 

„Nein, auch wenn es das war. Denk bitte einfach mal über gestern Abend nach." 

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