[11] 29|Donnerstag

Von einem zarten sanften Streicheln, welches doch auch bestimmte Signale sendet, wird Ronja geweckt. Genießend lässt sie es zu, von Alice liebkost zu werden. Ein freudiger Schauer breitet sich auf ihrer Haut aus und sie zieht Alice näher an sich heran. 

Ein schöner Morgen, ein schöner Beginn in den Tag. Frei und mit einem Strahlen stehen die beiden auf. 

„Hier kommt dein Café." Alice sagt das so beflügelt, als würde sie sich frei von allem fühlen und gerade um sie herum tänzeln. 

„Was grinst du denn schon wieder?" 

„Du klingst so wunderbar fröhlich." 

„Ja, das bin ich auch. Bei so einem schönen Morgen." 

Ronjas Grinsen wird immer breiter, denn sie empfindet genauso.

„Freitag arbeite ich ja, wollen wir dann diese Woche am Sonntag unseren Tag machen?", schlägt Alice vor. 

„Ja, ich habe auch schon eine Idee." 

„Ach echt?" 

„Letzte Woche wollte ich schon fragen, ob wir nicht mal wieder zusammen malen wollen. Ich finde es schön, wenn wir das gemeinsam machen und es ist schon wieder so lange her." 

„Oh ja. Das ist super!" 

◦◦◦◦◦◦

Mit einem Kuss verabschieden sich die beiden. Ronja geht heute zunächst durch den Park, um danach bei Joe länger sein zu können, falls er ihr etwas sagen möchte. Es fühlt sich zwar irgendwie merkwürdig an, die Stationen andersherum abzuklappern, aber genauso fühlt es sich richtig an. 

Das Wetter bleibt momentan zumindest beständiger und daher sind wieder etwas mehr Menschen im Park anzutreffen. Natürlich bei Weitem nicht so viele wie im Sommer. Jedoch kommt wieder mehr Leben rein. Ronja liebt die Stille, wenn sie für sich alleine ihren Spaziergang genießen, der Natur lauschen, die Düfte um sich herum wahrnehmen kann, doch genauso schätzt sie das Gefühl, Teil der Gesellschaft zu sein. 

Wenn so wie heute dann ein paar Menschen um sie herum zu hören sind, die miteinander quatschen, mit ihrem Hund spazieren gehen oder Kinder beim Spielen sind, dann erfüllt sie das mit Freude. Sie geht bis zum Ende des Parks und dreht dann um. 

Vor Joes Laden ... Während sie einen Schritt darauf zumacht, atmet sie tief ein, greift die Klinke, atmet dann tief aus, derweil sie diese herunterdrückt und über die Schwelle der Tür schreitet. 

„Guten Morgen Joe." 

„Guten Morgen." 

Kein Sonnenschein, kein Ronja, kein nichts. Irritation. Aber okay. Sie wartet, legt ihr Geld auf den Tresen, geht dann zu dem Stehtisch. Wie immer. Oder fast immer. 

Kurz darauf kommt Joe, bringt ihr ihren Café sowie Wechselgeld, von dem sie ihm wieder etwas zurückgibt. Wie immer. Noch immer wartet sie, auf eine mögliche Aussage von ihm.  Irgendetwas. Sie spürt, dass da etwas in der Luft ist. 

Dann bemerkt sie, wie er sich wieder abwenden will. Komisch. Nicht mal ein typisches Gespräch?! 

„Joe, warte." 

„Hm?" 

„Irgendetwas ist doch. Ich meine, ich spüre es. Was ist los?" 

„Hast du Alice von mir erzählt?" 

„Was?" 

„Du hast schon gehört. Hast du IHR von MIR erzählt?" 

„Wie kommst du auf so etwas? Ich habe nie jemanden davon berichtet. Auch Alice nicht. Darum hast du mich damals gebeten. Und ich dir versprochen, es für mich zu behalten." Ronja kann es gar nicht glauben. Hat er das gerade wirklich gefragt? Denkt er das wirklich? „Das würde ich niemals machen." Mit diesen Worten wendet sie sich Richtung Tür. 

„Warte bitte kurz." 

Ronja hält inne, hört, wie Joes Schritte schnell über den Boden gleiten, als er nun in Richtung Tür eilt, gefolgt von einem Wischton und dann, wie er die Tür abschließt. Daraufhin schreitet er wieder zurück zu ihr. 

„Sorry. Ich wollte es nutzen, ist gerade keiner sonst hier drin. Also?" 

„Na ja, wie ich eben sagte ... Du hattest mich darum gebeten, es für mich zu behalten. Also hab ich das. Nur weil Alice und ich ein Paar sind, habe ich das nicht gleich erzählt. Das würde ich niemals einfach machen. Wie kommst du darauf?" 

„Nur so ein Gefühl." 

„Du ... Alice kann sich einfach extrem in Menschen einfühlen und du warst am Wochenende nicht bei bester Laune. Und gestern anscheinend auch nicht. Und wie ich bemerke heute auch nicht." 

„Ja, tut mir leid. Das hat nichts mit euch zu tun. Tut mir auch leid, dass ich wohl etwas harsch war." 

„Etwas?! Aber warum denn? Wegen Ni...? Ach du Sch... Ist ..." 

„Ja, der Tag rückt näher ..." 

„Oh nein ...", die Schuldgefühle kommen in Ronja auf einen Schwung hoch. „Daran habe ich wegen des ganzen Papierkrams und dem allem nicht gedacht. Tut mir leid. Daran hätte ich ja wirklich denken müssen!" 

„Schon okay. Du kannst auch nicht immer an alles denken." 

„Doch, das hätte ich. Es ist nur ... Nee egal jetzt. Es tut mir wirklich total leid. Kann ich etwas für dich tun?" 

„Irgendwann muss es doch mal besser werden oder?" 

„Ich denke, das ist es schon. Du machst das doch alles super. Und dass es dir um diese Zeit nicht so gut geht, ist doch einfach völlig verständlich." 

„Ich werde an dem Tag nicht arbeiten. Ich weiß noch nicht, vielleicht nehme ich mir einfach die ganze nächste Woche frei." 

„Ja, warum nicht?" 

„Na ja, der Laden und so." 

„Kannst du dir nicht auch mal frei gönnen? Deine Gäste kommen bestimmt mal eine Woche ohne dich aus." 

„Hast ja recht. Wen interessiert schon Geld, he?" 

„Ja richtig. Aber vielleicht, ah, wie heißt deine Nichte noch gleich?" 

„Denise. Stimmt, eventuell kann sie für zwei Tage einspringen. Dann sind wenigstens die Gäste hier versorgt. Sollte ich einfach mal machen, oder?" 

„Wenn es das ist, was dir guttut, dann ja." 

„Ich denke schon." 

„Gut, wenn ich oder wir in der Woche noch etwas für dich machen können, dann sagst du bitte Bescheid." 

„Mach ich. Elmar könntest du fragen, ob ..." 

„Ob er mit dir Bootfahren will?" 

„Ja genau." 

„Na klar, das mache ich. Irgendwelche Wünsche bezüglich des Tages?" 

„Wie wäre es mit Dienstag? Dann ist es noch vor DEM Tag und ich verstöre ihn nicht allzu sehr." 

„Ich frag ihn." 

Mit einer innigen Umarmung sowie den Worten, dass sie sich keine Gedanken machen soll, verabschiedet er sich von Ronja. 

◦◦◦◦◦◦

Durchmischte Gefühle strömen nach wie vor durch sie hindurch. Alice hat wohl offensichtlich gemerkt, dass Ronja die Gedanken und Gefühle erst einmal ordnen muss oder Zeit braucht oder gerade einfach nicht darüber sprechen kann, daher lässt sie sie damit in Ruhe. 

Dankbar dafür geht Ronja, bis sie arbeiten muss, auf die Terrasse hinaus. Alice bringt ihr lieberweise, wie sie ist, Café. Nach einigen ruhigen fokussierten Momenten startet sie das Aufnahmegerät und spielt die Rückmeldungen von gestern ab. Ablenkung, ja, das braucht sie jetzt. 

Immer wenn ihr ein Punkt sinnig vorkommt, stoppt sie das Gerät und fügt Stichworte zu ihrem Dokument auf ihrem Laptop hinzu. Außerdem versucht sie sich an einer detaillierteren Inhaltsangabe beziehungsweise oder gleichzeitig an einem groben Aufbau der kompletten Geschichte. 

Alice stampfende Füße holen sie in die Gegenwart. 

„Ich hatte Sorge, dass du eventuell abdriftest und wollte dir nur sagen, dass es bereits 13:10 Uhr ist." 

„Oh. Krass. Danke, Al." 

„Kein Problem. Kamst du weiter?" 

„Ja schon. War auf jeden Fall ganz gut, dass ich das gerade gemacht habe. Habe auch direkt noch weitere Anhaltspunkte bekommen." 

„Wie schön. Du klingst so schön inspiriert." 

„Ja, vielleicht auch zu sehr. Mal sehen." 

Ronja packt alles zusammen und begibt sich hinein und an ihren Arbeitsplatz. Eines der vorherrschenden Themen in den Beratungen ist momentan das Feststellungsverfahren für eine Schwerbehinderung. Das Für und Wider, aber auch, dass die Behörde derzeit ausgelastet zu sein scheint und Anträge eine längere Bearbeitungszeit beanspruchen als angegeben. Übungen zum Erlernen eines angenehmeren Umgangs mit Geduld, Achtsamkeit sowie Stressregulation integriert sie daher häufig in die Beratungen. Sie sucht dann Übungen und Methoden heraus, die ihre Klient*innen auch eigenständig ausüben können. Meist beginnt sie mit einer der Atemübungen, da sie sich gut zum Einstieg anbieten. Darauf aufbauend leitet sie manchmal zum Beispiel einen Body Scan oder auch Progressive Muskelentspannung nach Jacobson (PMR) an. 

◦◦◦◦◦◦

Alice wartet zu ihrem Feierabend bereits mit gekochtem Essen. Ronja verweilt jedoch noch kurz in Gedanken an den heutigen Vormittag am Schreibtisch. Immer noch kann sie Alice nichts davon erzählen. Sie scheint es auch zu verstehen, obwohl sie nicht weiß, worum es geht. Und doch würde Ronja gerne irgendwann mit jemanden darüber quatschen. Na ja, das kann sie ganz vielleicht auch noch nächste Woche herausfinden, wenn sie mit ihm spazieren geht. Oder besser an einem anderen Tag, muss ja nicht unbedingt DER Tag sein. 

Dann erhebt sie sich und geht zu ihren beiden Süßen in die Küche. 

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