[10] 28|Mittwoch
◊
„Ha, einfach lächerlich."
„Ja sehe ich auch so."
„Das ist echt so eine bescheuerte Idee. Ich weiß gar nicht, was ich noch dazu sagen soll."
„Auf so etwas können ja nur zwei Behinderte kommen."
Ronja sitzt stumm da und lässt alles über sich ergehen. So soll es bei »wörterrausch« sein. In der einen Woche wird das Projekt vorgestellt, in der darauffolgenden kommen dann die Rückmeldungen der anderen und manchmal sogar kreative Ergänzungen.
Doch ist es das? Was sie sich anhören muss, ist alles andere als kreativ.
Sie will sich an die Regeln halten, auch wenn ihr das Feedback alles andere als den Regeln entsprechend vorkommt.
„Gibt es noch weitere Rückmeldungen?"
Kurze Pause.
„Nein? Okay."
Immer angespannter, aber auch den Tränen nahe verharrt Ronja dort.
Zuhören, das kann sie nicht mehr.
Sprechen, Nein.
An einem Punkt angelangt, wo sie sich seit sehr Langem ohnmächtig fühlt.
Sie wartet einfach ab.
Dann kommt das Signal, dass die Gruppe für heute beendet ist.
Aber ... es gibt doch ... gar kein Signal?!
-
Schweiß getränkt, wacht Ronja auf. Irrglaube gemischt mit Trauer und ebenso Erleichterung, eins nach dem anderen wird in sie hineingepumpt und ihr wird bewusst, dass das nicht die Realität war. Noch leicht benommen torkelt sie aus dem Bett ins Badezimmer. Kurz überlegt sie, sich wieder hinzulegen, doch das scheint ihr absurd. So durcheinander sie ist, wird sie keine Ruhe mehr finden und Alice muss darunter nicht auch noch leiden. Im Wohnzimmer schnappt sie sich ihr Handy, ihre Kopfhörer, ihren Strickcardigan sowie eine angefangene Wasserflasche, um damit auf die Terrasse hinauszutreten.
Dort, wo sie frische Luft in ihre Lungen einsaugen kann. Dort, wo vieles von alleine dahin zu schweben scheint. Dort, wo sie sich freier fühlt.
Sie bleibt stehen und atmet dreimal tief ein und ebenso aus.
Wie dieser Traum zustande kam, ist ihr bewusst, sie hat Angst. Wenn sie an die heutige noch anstehende Runde von »wörterrausch« denken muss, werden ihre Hände immer feuchter.
Einatmen, ausatmen.
Doch mit so einem Feedback hatte sie bis eben nicht gerechnet. Sie schüttelt sich, möchte diese Gedanken loswerden.
Einatmen, ausatmen.
Oder gibt es noch einen anderen Grund für diesen Traum?! Nein, beantwortet sie sich die Frage selbst direkt. Liegt ja ganz klar auf der Hand.
Einatmen, ausatmen.
Die Gruppe ist toll, bisher gab es noch nie solche Andeutungen, denn dann wären sie ja nicht mehr Teil dieser Gruppe.
Sie nimmt noch einmal kräftige drei Atemzüge in sich auf und bläst sie langsam wieder hinaus.
Daraufhin setzt sie sich auf die Eckcouch.
Sie nimmt ihr Handy in die Hand, um das Hörbuch zu starten, doch zunächst um es zu befragen, wie spät es ist.
Es ist 04:37 Uhr.
◦◦◦◦◦◦
Plötzlich bemerkt sie Vibrationen an ihren Füßen. Sie nimmt die Kopfhörer ab und hört, wie jemand – wahrscheinlich Alice – auf dem Boden trampelt. Also war ich schon wieder komplett weg. Es ist ihr Signal, wenn sie mit Hörbuch völlig abschaltet.
„Guten Morgen, Al."
„Na du. Was machst du denn schon hier draußen?"
„Auch ich konnte ausnahmsweise mal nicht gut schlafen."
„Jetzt alles okay oder möchtest du quatschen?" Alice nähert sich Ronja und lässt sich auf ihrem Schoß nieder. „Mensch Ronnie, deine Hände. Wie lange bist du denn schon hier draußen?"
„Kommt drauf an. Wie spät ist es denn?"
Ronja saß dem Anschein nach zweieinhalb Stunden draußen, was ihr aber auch guttat. Während Alice ihnen Frühstück macht, geht sie sich unter der Dusche aufwärmen.
Danach genießt sie richtig ihren ersten Café.
Beim Essen erzählt sie Alice von ihrem Traum sowie ihrer Angst vor den Rückmeldungen.
„Das überrascht mich aber irgendwie."
„Wie meinst du das?"
„Dass du dich so davon aus der Bahn werfen lässt."
Ronja überlegt, doch – vielleicht ist ihr Gehirn etwas unterkühlt, – ihr fällt keine Antwort dazu ein.
„Was ich meine, ist, dass du dich eigentlich nicht wegen solcher dummen Sprüche aus der Ruhe bringen lässt. Auf so was gibst du doch sonst nichts. Weißt du noch, wann es das letzte Mal war?"
„Ja." Und Ronja muss direkt anfangen zu grinsen. Sie erinnert sich nur zu gut. Allein diese Erinnerung muntert sie auf. Alice bemerkt das wohl, denn sie streicht ihr übers Gesicht.
„Dieses Lächeln gefällt mir schon viel besser."
„Danke."
Nach einer krafttankenden Parkrunde mit Woody macht sich Ronja an die Arbeit und freut sich schon auf den heutigen Austausch mit Oskar.
Durch Oskar fühlt sich ernsthaft entlastet. Das spürt sie immer mehr und mehr, dafür ist sie sehr dankbar.
Die E-Mail-Beratung ist etwas früher vorbei, sodass sie ihre Sachen bereits dazwischen einpacken kann und sich sogar noch einen neuen Café sowie – was ihr noch wichtiger ist – einen Kuss von Alice holen kann.
◦◦◦◦◦◦
Gemeinsam gehen sie aus dem Haus. Alice möchte mit Nika ein wenig spazieren gehen und dabei Joe den Film zurückbringen und Ronja macht sich auf den Weg zum Hafen, um Elmar abzuholen.
Am Hafen begrüßen sich die zwei und gehen wie gewohnt mittwochs direkt weiter zu »wörterrausch«.
Draußen vor dem Gebäude, in dem der Lese- und Schreibzirkel gleich stattfinden wird, stoppt Ronja.
„Wir sind da."
„Ja. Ich weiß. Danke, Elmar."
„Bist du böse?"
„Was?! Nein. Quatsch."
„Geht es dir schlecht?"
„Ich bin gesund. Also schon okay."
„Du hast Angst."
„Vielleicht. Ja. Schon."
„Musst du nicht."
„Danke."
„Gehen wir jetzt rein?"
Mit einem Schmunzeln folgt Ronja Elmar hinein ins Gebäude und sie beide nehmen wie jede Woche auf den gleichen Stühlen Platz.
„Hallo an alle. Dann fangen wir mit der Blitzrunde an und danach geben wir Ronja Rückmeldungen zu ihrem vorgestellten Projekt", eröffnet die Leitung des Zirkels die Runde.
Je länger sich die Vorstellungsrunde zieht, desto nervöser wird Ronja doch. Sie holt die Erinnerungen an die ersten Begegnungen mit Elmar hoch und es funktioniert auch jetzt wieder. Auch da lag sie anfänglich so was von daneben. Weiter entfernt als da ging es gar nicht. So wird es auch hier sein. Ganz bestimmt.
Die erste Runde kommt zum Ende, was bedeutet, dass gleich das Urteil gefällt wird. Kaum noch auszuhalten für sie. Kurz bevor es losgehen soll, bekunden zwei der Teilnehmenden, dass sie dringend auf die Toilette müssen. Auch wenn Ronja Verständnis hat für diese Angelegenheit, zumal sie selbst ganz knapp davor ist, sich in die Hose zu machen, hätte sie es bevorzugt, dass so schnell wie möglich dieser Feedbacksturm über sie hinwegfegt. So muss sie noch eine gefühlte Ewigkeit ausharren und fühlt sich in ihren Traum, wenn auch etwas anders zurückversetzt.
Dann endlich sind alle wieder beisammen und sie können anfangen.
Starr sitzt sie da, versucht sich zu konzentrieren, zu wappnen auf die Wörter, die gleich auf sie einprasseln, da wird sie angestoßen.
„Hast du dein Gerät eingeschaltet?" Ihr Sitznachbar, der rechts von ihr sitzt, hat sie – ob glücklicherweise oder nicht - erinnert, ihr Aufnahmegerät einzuschalten, damit sie ihre Rückmeldungen abspeichern kann. Elmar versucht ein Lachen zu unterdrücken, was sie noch mitbekommt, das kann sie ihm nicht übel nehmen, so wie sie sich gerade anstellt.
Sie bedankt sich bei Fritz und schaltet es ein, woraufhin es losgeht.
„Der Titel. Was soll ich sagen ...? Kreativ. Also ein Lob an euch beide. Deine Idee finde ich wirklich super und auch, dass du beide Seiten beleuchten möchtest."
Puh!, geht ihr durch den Kopf und atmet erleichtert aus. Das ist gut. Ein gutes Feedback.
„Ich bin der gleichen Meinung, würde es spannend finden, wenn du den Hintergrund noch mehr beleuchten würdest."
Weiterhin macht sich Erleichterung breit.
„Mich würde es auch interessieren, ab wann, also welchen Zeitpunkt du als Start in deinem Werk wählst. Und welche Punkte du genau betrachten möchtest. Aber was ich letzte Woche von dir gehört habe, das finde ich wirklich mega spannend und ich bin interessiert."
Freude gesellt sich zur Erleichterung hinzu.
„Für mich ist es kein Thema. Aber daran auszusetzen hab ich jetzt auch nichts."
Okay, damit kann ich leben, denkt sie sich nun schon fast beruhigt.
„Vielleicht kannst du ja sogar mehrere Teile daraus machen. Also wenn du überhaupt selbst das Interesse daran hast. Das ist ja wirklich ein spannendes Feld. Es gibt so viele Betrachtungsweisen, wie du schon letzte Woche gesagt hast. Ich glaube, es eignet sich für sehr viel. Aber das musst natürlich du wissen, insbesondere weil es hier auch noch autobiografisch ist."
Krass, sogar der alte Jeff, wenn sie das richtig zugeordnet hat, auch er hat ihr ein Lob ausgesprochen.
Ausführliche Informationen zu ihrem Projekt hatte sie vorherige Woche nicht geliefert, das haben dann noch ein paar angemerkt und diese würden sich mehr Details wünschen. Ansonsten gab es keine, nicht solche wie im Traum, negativen Rückmeldungen.
◦◦◦◦◦◦
Ronja kommt sehr erleichtert zu Hause an und nimmt als erstes Alice in den Arm.
„Na, wer ist denn da so erfreut?"
„Ja ja."
„Ist es besser gelaufen, als du dachtest?!"
„Ha ha."
„Ach, komm schon. Darf ich jetzt keinen Spaß mehr machen?"
„Doch schon."
„Wie war es denn?"
„Wie du schon richtig festgestellt hast."
„Aber das ist doch schön."
„Ja, ist es." Das sieht Ronja ja gar nicht anders, wundert sich nur über sich selbst, dass sie sich Sprüche, die zwar nur im Traum waren, so sehr zu Herzen genommen hat, wie Alice schon treffend bemerkt hat.
„Und wie war es bei euch, meinen zwei Liebsten?"
„Bei uns war es ruhig und wirklich schön."
„Und Joe?"
„Der war kurz angebunden. Aber na ja, wer weiß. Ich bin dafür, dass wir jetzt gemeinsam essen und dann noch einen schönen Abend verbringen."
Dann eben morgen.
◊
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top