| 8 | not easy on the eyes

I'm not interested in being easy on the eyes, I want them to flinch, think twice before they reach out their callous hands to brush. I want to be a constant reminder to men that not everything is theirs for the taking.
- Unknown

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- Victorine -

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Wir flogen stundenlang. Ich bemerkte, dass wir nicht genau zu der Richtung flogen, wo wir am besten den Fluss überqueren sollten, um möglichst in Fluglinie zu bleiben und keine Zeit zu verlieren, obwohl ich Nicolas den Punkt eingezeichnet hatte. Anscheinend hatte er einen anderen Plan.

Die Sonne stand heiß und erbarmungslos am wolkenlosen Himmel. Ich schwitzte unter meiner Rüstung und meinem Helm, dennoch wollte ich mich nicht entkleiden. So war ich geschützt vor einem plötzlichen Angriff und Sonnenbrand. Die anderen taten es mir gleich. Nur Orestes hatte seinen Helm ausgezogen und grinste gut gelaunt vor sich her. Dämlicher Idiot.

Außer ein paar Pausen, die ich nutzte um mich im Wald zu erleichtern, blieb mir nichts anderes übrig als herumzusitzen, zu schwitzen und mich umzusehen. Zu diesen Zeiten war es immer schwer, nicht an meinen Verlust und die Sorge um Crescentia zu denken.

Vor Trauer und Angst kann man nicht davonlaufen. Nie hätte ich sie in Spero lassen können. Sie begleiteten mich seit dem ersten Schritt meiner Reise und würden mich bis ans Ende begleiten. Meine Trauer sogar bis an mein Lebensende.

Nach einer Ewigkeit sah ich in der Ferne ein kleines Königreich, auf welches wir zusteuerten. Ein unbehagliches Gefühl überkam mich und ich blinzelte zu Nicolas herüber. Im letzten Königreich war ich nicht gerade herzlich Willkommen geheißen worden.

Als wir vor den Dorftoren landeten packte ich sofort meine Karte aus. Nicolas schlenderte an mir vorbei und zeigte mir im Vorbeigehen den Punkt, an dem wir uns befanden. "Königreich Gloria." Es war so klein oder neu, dass es nicht auf der Karte verzeichnet war.

Schließlich nahmen wir unser Gepäck an uns und sahen zu, wie die Drachen in die Richtung der Wälder flogen. Deidamia und ich nahmen uns Zeit für die Verabschiedung, obwohl es die anderen ungeduldig machte.

Nicolas führte uns voran. Da er seinen Helm nicht abgenommen hatte, taten wir es auch nicht, was ein alarmierendes Gefühl in mir auslöste. Das Dorf war klein und die Menschen lebten in ärmlichen Verhältnissen. Die meisten schienen sich vor uns zu versteckten. An der Burgmauer angekommen unterhielt sich Nicolas mit zwei Burgwächtern. Ich sah, dass sich einige Teile des Gebäudes im Um- oder Ausbau befanden.

Die Tore der Burg wurden uns geöffnet und wir traten in die pompöse Eingangshalle ein, die mit teurer Dekoration von schlechtem Geschmack überflutet war.

"König Nicolas Talesin Artemas von Cadwallader", sprach ein dicklicher Mann, während er die Treppenstufen zu uns hinunterstieg. "Wie findet Ihr meine Wahl des Marmorbodens? Es war das glänzendste Material, das sich hätte auftreiben lassen können." Als der Mann näher trat sah ich seine schmierigen Haare, das runde Gesicht und die passende Nase. Außerdem war er ziemlich klein, obwohl er Schuhe mit Absatz trug.

Nicolas zog seinen Helm aus, woraufhin wir dasselbe taten. "König Archelaus Wolstan Tresillian von Melancthon", sagte er mit seiner stets tiefen, festen Stimme. "Wir suchen eine Nacht in Eurer Bleibe und ein Abendessen, damit ich ein Vorhaben mit Euch besprechen kann." Wie erwartet verschwendete er keine Zeit mit einer Antwort auf die lächerliche Frage des anderen Königs bezüglich seines Bodens.

"Wie passend, dass ich mein Schloss gerade ausbauen ließ. Das wird aber auch leider alles seine Kosten haben", meinte Archelaus, mit einer Hand über seinen dunklen Bart streichend.

Schloss? Hatte dieser Mann jemals ein richtiges Schloss gesehen?

"Selbstverständlich. Ich werde heute noch eine Schrift nach Sanguis schicken, damit Eure Entlohnung gesendet wird", regelte Nicolas das Geschäftliche weiter.

"Wunderbar. Diener, zeigt unseren Gästen ihre Zimmer."

Somit wurde jeder von uns auf ein kleines Zimmer geführt. Wie immer prägte ich mir den Weg zum Ausgang der Burg ein und achtete auf jedes Detail.

Das Bett war groß und mit einer teuer aussehenden Tagesdecke bekleidet, aber als ich mich setzte war die Matratze hart und das Gestell quietschte. Der Kleiderschrank war aus schönem Holz, aber darin befand sich Staub.

Unbeherzigt wusch ich mich und zog mich um. Anschließend legte ich mich seufzend auf das Bett und schloss die Augen. Als es nur gefühlte Sekunden später an meiner Tür klopfte schreckte ich auf. Draußen war es ein wenig dunkler geworden. Wie lange war ich eingenickt?

"Abendessen", sagte Orestes unfreundlich, als ich die Tür öffnete.

"Und?", fragte ich, weil er noch immer an Ort und Stelle stand.

"Ich soll ein Auge auf Euch haben", erklärte Blondie mir schlecht gelaunt, woraufhin ich misstrauisch die Augenbrauen zusammenzog. Warum? Was sollte ich nicht mitbekommen? Was sollte ich nicht tun?

Schließlich hatte ich keine andere Wahl, als ihm zum Speisesaal zu folgen. Auch hier fielen mir die Kleinigkeiten wie im Zimmer auf. Von Außen war alles edel, aber in den Details wurde man nachlässig. Unter der riesigen Tafel lag Dreck und die Fenster waren lange nicht gesäubert worden.

Die Tischordnung war eindeutig. Am Anfang der Tafel stand trockenes Brot mit Suppe und je weiter man den Blick wandern ließ, umso reicher und ausgefallener waren die Speisen. Ganz hinten entdeckte ich meine Leute, hier am Anfang saßen wohl Angestellte und Diener.

"Ihr rührt Euch nicht von meiner Seite", befahl Blondie mir, während er mich an unsere Plätze geleitete, wir uns zu unseren anderen Soldaten setzten und ich stutzig wurde. Wo befand sich Nicolas? Oder König Archelaus?

Während Orestes sich den Bauch vollschlug und massenweise Alkohol trank bemerkte ich, wie einzelne Diener ständig die Tür zum Nebenraum benutzten. Langsam mein Fleisch kauend sah ich mich um, dann nahm ich Blickkontakt zu einer dunkelhaarigen Frau auf, welche sehr weit am Anfang der Tafel saß. Schließlich winkte ich sie möglichst unauffällig zu mir heran.

"Ich biete dir meinen Platz hier an. Du kannst alles essen, was du möchtest. Du darfst nur nicht sprechen. Schau stets nach links, verdeck dein Gesicht hinter deinen Haaren."

Orestes war schon so angetrunken, dass er weder von unserem Gespräch etwas mitbekam, noch von unserem Platztausch. Die Frau strahlte über beide Ohren, aß und verhielt sich genau, wie ich es ihr aufgetragen hatte.

Tryphosa starrte mich an und ich hoffte, dass sie keinen Alarm schlagen würde. Doch dann sah ich ein kleines Lächeln auf ihrem Gesicht und sie wandte sich wieder ihrem Essen zu.

Mit hoch erhobenem Kopf ging ich zur Tür des Nebenraumes, ganz so, als wäre mir der Zutritt selbstverständlich gestattet. Als ich die Klinke drückte und eintrat konnte ich mein Glück kaum glauben, dann stand ich jedoch vor zwei grimmig schauenden Angestellten.

"Was willst du hier, Weib? Frauen sind nicht gestattet."

Für einen Moment stockte mir der Atem, doch dann pochte mir bereits das Blut in den Schläfen. "Erstens befehle ich euch eine angemessene Sprechweise, ihr steht gerade vor der königlichen Hoheit Victorine Zuleika von Arphaxad aus dem Königreich Spero. Nun macht mir den Weg frei, ich suche König Nicolas Talesin Artemas von Cadwallader."

Die Diener starrten mich dümmlich an und rührten sich nicht.

"Lasst sie durch", vernahm ich Nicolas' tiefe, unverkennbare Stimme.

Die Männer traten beiseite und ich hatte zum ersten Mal einen Blick auf den Raum.

Er schien der edelste der ganzen Burg zu sein, mit glitzernden Kronleuchtern und goldenen Verzierungen. Am runden Tisch saßen etwa zwölf Männer, vier oder fünf Stühle waren unbesetzt. Ich spürte, wie man mich anstarrte, weshalb ich noch eine selbstbewusstere Haltung einnahm. Ohne ein weiteres Wort setzte ich mich auf den freien Stuhl neben Nicolas und verharrte still, bis die anderen langsam wieder ihre Gespräche aufnahmen. König Archelaus sah mich misstrauisch an, dann Nicolas, dann wandte er sich wieder ab.

"Ihr solltet doch bei Orestes bleiben", raunte Nicolas mir zu, mich kaum ansehend, Wein trinkend. Er saß genau neben Archelaus.

"Ihr dachtet doch nicht wirklich, dass ich auf ihn hören würde", flüsterte ich wütend zurück. Was passierte hier? Was besprach man hier ohne die anderen Soldaten und mich?

Doch vorerst unterhielten sich alle über völlig belanglose Dinge, während ich mich innerlich unter dem Blick der anderen Männer wand. Die Zeit verstrich, mehr Alkohol wurde getrunken und das Gestarre wurde immer schlimmer. Meine Finger umklammerten mein Glas so fest, dass es beinahe platzte.

"Archelaus und ich müssen kurz weg, nur fünf Minuten. Seid höflich", teilte Nicolas mir mit.

Verstört starrte ich ihn an, weil ich nicht alleine hierbleiben wollte. Und auch noch höflich sein musste. Er bemerkte meinen vielsagenden Blick.

"Wenn jemand zu aufdringlich wird, erstecht ihn einfach."

"Wie meint Ihr, erstechen?"

"Ihr wisst, was ich meine. Eben nur auf höfliche Art und Weise."

Seine Witze halfen mir nicht weiter.

Stocksteif saß ich auf meinem Stuhl und sah die beiden Könige weggehen. Ich hielt es für wahrscheinlich, dass Nicolas die Schrift mit dem Befehl der Kostenentsendung nach Sanguis schicken sollte. Oder wollte Nicolas unser Problem mit Fluxus Profundum so privat besprechen?

Wenige Minuten vergingen, bis sich ein angetrunkener Mann schließlich neben mich setzte und sich zu mir herüberlehnte. Er sah Archelaus ziemlich ähnlich, weshalb ich ihn für den Sohn des Königs hielt.

Sein Atem stank fürchterlich, weswegen ich meinen Kopf zurücklehnte, als er sprach. "Prinzessin Victorine, also. Darf ich mich vorstellen, ich bin Prinz Andaus", säuselte er.

"Sehr erfreut, aber ich bin nicht in Stimmung für ein Gespräch", wich ich aus.

"Ich bin sehr interessant, so viel kann ich Euch versprechen", brabbelte er weiter, woraufhin ich seine Hand auf meinem Oberschenkel spürte.

"Fasst mich nicht an", warnte ich.

Andaus lachte leise. "Warum so abweisend? Wisst Ihr, ich bin der Prinz dieses Königreiches." Seine Hand wanderte langsam weiter nach oben.

Ruhig atmend ergriff ich seine Hand mit meiner linken. Seine Augen weiteten sich, als ich die spitze Klinge einer meiner Dolche gegen seine Handfläche drückte.

"Psst", flüsterte ich und lehnte mich zu ihm herüber, bis unsere Wangen sich beinahe berührten. "Ihr wollt doch bestimmt nicht laut schreien oder gar weinen."

Langsam drang der Dolch in seine Haut ein und ich spürte Blut heraussickern. Sein ganzer Körper schien sich zu verkrampfen und der Atem zu stocken.

"Ihr setzt Euch jetzt brav an Euren Platz zurück. Solltet Ihr Eurem Vater ein Wort hiervon erzählen, so werde ich Euch in der Nacht die Kehle aufschlitzen."

Ich vernahm das Quietschen einer Tür und nahm meine ursprüngliche Sitzposition ein. Andaus entfernte sich, sich dabei die verletzte Hand haltend. Die beiden Könige setzten sich wieder auf ihre Plätze, während ich mir die blutigen Hände und die Dolchklinge an der Serviette abwischte.

Nicolas starrte die Klinge an, woraufhin ich nur die Schultern zuckte. "Ich war wirklich sehr höflich dabei."

Der König sah mir ausdruckslos in die Augen, dann stahl sich ein winziges Schmunzeln auf seine Lippen. Im nächsten Moment wurde er wieder ernst. Er lehnte sich zu mir herüber und war mir so nah, dass ich die Wärme seines Atems in meinem Gesicht spürte. "Ich habe unser Anliegen mit ihm besprochen. Er kennt die passenden Leute und organisiert ein Schiff mit Besatzung für uns."

"Das klingt doch wunderbar", erwiderte ich mit derselben bedeckten Stimme.

Seine Stimme senkte sich zu einem tiefen Flüstern. "Ja, aber ich weiß nicht, ob er nicht Cephas davon in Kenntnis setzen wird. Er ist sehr goldgierig, wie Ihr sicher bemerkt habt. Er könnte versuchen, die Informationen über uns zu verkaufen."

"Verstehe. Wie soll ich nah genug an ihn herankommen?"

"Ihr habt doch vorhin seinen bezaubernden Sohn kennengelernt. König Archelaus würde sich sicher über Euer Interesse an ihm freuen", schlug Nicolas vor.

Unbegeistert tauschte ich mit Nicolas die Plätze. Es musste getan werden, wenn wir uns in Sicherheit wissen wollten. Aber ich würde einen etwas würdevolleren Weg einschlagen.

"Geehrter König Archelaus, hättet Ihr einen Moment?", erweckte ich seine Aufmerksamkeit höflich und hoffte, dass es kein Fehler gewesen war, ihn beim Essen zu unterbrechen.

Im nächsten Moment begriff ich, dass er seine Mahlzeit keineswegs unterbrach, sondern einfach weiteraß und schmatzend zu mir blickte. "Königliche Hoheit Victorine", meinte er nur. Ich starrte in seine Augen. Nicht nur wegen meiner Fähigkeit, sondern um nicht die Essensreste in seinem Mund sehen zu müssen.

"Ich möchte Euch herzlichst danken, dass wir bei Euch in diesem schönen Schloss unterkommen können. Übrigens habe ich bemerkt, dass sich Gloria nicht auf meiner Landeskarte befindet."

"Oh, das liegt daran, dass ich den Bau erst kürzlich veranlasst habe."

Ein dunkler Schatten lag über seinem Geist. Halbwahrheit. Es stecke etwas hinter seinen Worten, nur was? Verärgert bemerkte ich, wie mich sein ekelerregendes Schmatzen ablenkte. Victorine, konzentrier dich.

"Neu erbaute Königreiche bieten immer ein wunderbares Potenzial und neue Bereicherung für das Land. Ich könnte meinen Bruder, König von Spero, eventuell auf ein Bündnis ansprechen", schlug ich in geschäftlichem Ton vor.

"Eine Überlegung ist es wert", nickte der König. Als wir kurz Blickkontakt aufnahmen, erkannte ich es. Der dunkle Schatten brach endlich vor meinen Augen auf und enthüllte alles. Ich spürte seine stechende Angst. Innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde erkannte ich seine Lage.

Er meidete alle Bündnisse mit Königreichen, die von Cephas angegriffen wurden. Er hatte Angst vor Cephas und hatte sich deshalb hierher zurückgezogen, ein neues Königreich ohne Karteneintragung erbaut. Archelaus hatte keinen Kontakt mit Cephas und wollte ihn auch niemals haben. Seine Angst vor ihm war größer als das Verlangen nach Gold und Reichtum.

Nach dem Beenden der Mahlzeit und einer angemessenen Wartezeit nach dem Essen verabschiedeten Nicolas und ich uns von dem König und den Anderen. Schnell erklärte ich ihm, was ich vom König herausgefunden hatte.

Der Speisesaal des nach Archelaus wohl 'niederen Volkes' war leer und aufgeräumt. Nachdenklich dachte ich an die Situation zurück. Es war ungerecht, dass das am härtesten arbeitende Volk das kümmerlichste Mahl bekam und die Dorfbewohner vor den Burgtoren hungerten, während der dicke Archelaus nicht einmal bei einer Unterhaltung das Essen stoppte.

"Wir haben morgen einen anstrengenden Tag vor uns", sprach Nicolas in die Stille hinein. "Ruht Euch aus und habt eine gute Nacht, Victorine."

"Ihr auch", erwiderte ich und sah zu, wie er in die andere Richtung abbog. Dann machte ich mich auf den Weg in mein Zimmer und legte mich so bald wie möglich schlafen. Wir hatten wirklich einen anstrengenden Tag vor uns.

Orestes weckte mich am nächsten Tag. Er hämmerte unnötig laut an die Tür und starrte mich böse an, als ich öffnete. Ich wollte nicht wissen, wie wütend er am gestrigen Abend wohl wegen meines Tricks geworden war. Dabei war es ja nicht meine Schuld, dass er so ein schlechter Aufpasser war.

Sein Blick verriet mir, dass wir in diesem Leben keine Freunde mehr werden würden. Nicht, dass ich jemals Interesse daran gehabt hätte.

"Leider habe ich vergessen, Euch rechtzeitig zu wecken, bitte entschuldigt. Wir wollen in einigen Augenblicken abreisen", lächelte er dann.

Ich verkniff mir die Beleidigung und warf innerlich fluchend meine ganzen Sachen zusammen. Als ich schließlich schwitzend und keuchend zu den Dorfmauern rannte grinste mich Blondie provozierend an. Ich schluckte meinen Ärger hinunter und war belustigt von der Vorstellung, dass er dies wohl nur getan hatte, weil er sich gestern so über mich und sich selbst aufgeregt haben musste.

Wortlos stiegen alle auf ihre Drachen. Die Sonne ging gerade auf und mich überkam ein optimistisches Gefühl. Bald hätten wir Fluxus Profundum überquert und uns unserem Ziel ein weiteres großes Stück genähert.

Die Sonne stand hoch am Himmel und kämpfte sich durch eine aufziehende Wolkendecke, als wir schließlich ankamen.

Das Schiff war das einzig anlegende im kleinen Hafen. Es sah weder besonders groß, noch neu aus. Für unser Vorhaben also sehr vorteilig.

Ein junger Mann meines Alters kletterte an einer Hängeleiter vom Deck herunter und stellte mithilfe weiterer Männer eine dicke, stabile Holzplatte auf, auf der wir auf das Schiff steigen konnten.

"König Nicolas, herzlich Willkommen auf meiner wunderschönen Schliffsflotte Celera", begrüßte er den König, dann wandte er sich überraschenderweise mir zu. "Königliche Hoheit Victorine, es freut mich, Euch kennenzulernen. Nennt mich Vane." Freundlich streckte er die Hand aus. Ich erwiderte die ungewohnte Geste und empfand sie als authentisch, wenn auch als nicht so ganz angemessen. Trotzdem störte sie mich keineswegs.

Vane hatte dunkelblaue Augen, wie die stürmische See. Er trug eine braune, lederne Hose und ein ziemlich weites, weißes Hemd. Die halblangen, braunen Haare hatte er wohl hektisch zu einem Zopf gebunden, denn einige Strähnen hatten sich bereits gelöst und bewegten sich synchron zum Wind.

Nacheinander betraten wir das Schiff. Ich war nicht seekrank, aber der wacklige Untergrund verunsicherte mich etwas und ich wünschte mir jetzt schon wieder festen Boden unter den Füßen.

"Archelaus berichtete von Euch. Ihr habt wirklich harte Gesichtszüge. Gefällt mir", plauderte Vane plötzlich aus dem Nichts heraus.

Verwundert blickte ich ihn an und wusste nicht, ob ich eher lachen oder weinen wollte. Lachen, weil er so ein verschmitztes Grinsen trug oder weinen, weil ich an das weiche, wunderschöne Gesicht meiner Schwester dachte. Wie gerne ich sie einfach nur wieder in die Arme schließen würde.

"Du hast nicht viel Erfahrung im Umgang mit Königsmitgliedern?", vermutete ich belustigt und folgte ihm unters Deck zu unseren Kajüten.

"Nein, ich war mein ganzes Leben lang auf der See. Das Land und Burgmauern sind nichts für mich", erklärte er in stolzem Ton. "Hier ist Platz für Euer Gepäck", verkündete er laut und wir legten unsere Taschen und die zahlreichen Waffen ab, sodass es nur so klimperte und krachte.

Vane starrte auf den Haufen, dann drehte er sich schwungvoll um. Während er die Stufen zum Deck hochstieg, startete er einen neuen Versuch, seine Haare zu bändigen. "Dann wünsche ich Euch eine wunderbare Fahrt auf der ehrenwerten Celera."

Wir folgten ihm aufs Deck. Ich stützte mich auf die Reling und sah ins tiefe, unruhige Wasser hinab. Dann hinauf in den Himmel, zu den Drachen über uns, und schließlich zum Horizont. Eine dunkle Wolkendecke verdichtete sich in der Ferne.

Das Schiff legte ab. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

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