| 30 | like salt in the sea
some memories never leave your bones. like salt in the sea; they become part of you
-----❅-----
- Vane -
-----❅-----
Nun wusste ich wieder, warum ich das Land hasste. Das Land an sich war praktisch wie ein Versprechen für Ärger und Probleme. Man stritt sich darum, weil man Grenzen ziehen und Territorien einnehmen konnte. Auf dem Land baute man Schlösser und Königreiche, um seine Macht auszuweiten.
Das sollte man mal auf der wilden See versuchen. Jeder dieser Landeier würde kläglich daran scheitern. Der Ozean war nicht zu teilen, auf Papier vielleicht, aber nicht wortwörtlich. Genauso war er nicht einzunehmen, und so sollte das auch sein. Der Ozean war der einzig unzähmbare Ort weit und breit. Wo man wirklich frei sein konnte.
Zumindest war es so gewesen, bevor Cephas mir diese Freiheit genommen hatte. Und meiner gesamten Crew ihr Leben.
Doch wie es aussah, waren meine Schiffsleute noch lange nicht die einzigen, die es um das Leben brachte. Menschen flüchteten um mich herum. Starben. Kinder und Frauen und Männer allesamt.
„Clara!", rief ich, nachdem ich die Tür zur Bar aufgerissen hatte und durch das Gasthaus rannte. „Verdammt, wo steckst du!", schrie ich die Frustration aus mir heraus, während mein Herz mir bis zum Halse schlug.
Nachdem Victorine mit dem entsetzlich großen Raben und der gruseligen Hexe davon geflogen war und Nicolas irgendwo hin losgezogen war, hatte ich Clara nirgendwo im Gasthaus finden können. Ich hatte keinerlei Ahnung, wo sie hingegangen war, während Victorine und ich trainiert hatten.
Für einen kurzen Moment blieb ich stehen. Mein Atem war zittrig. Mir war übel vor Angst und Stress.
Das Bild vor meinem inneren Auge verfolgte mich auf Schritt und Tritt. Ein helles, sommersprossiges Gesicht. Der einzige Mensch dieser Welt, den ich fast so sehr wie die See geliebt hatte. Ihre hellblauen Augen hatten mir erstmals den Geschmack von blauer Tiefe, stürmischer Liebe und salziger Trennung gegeben.
Ich schüttelte den Kopf und konzentierte mich wieder. Wenn sie nicht wieder hierher zurückgekommen war, dann musste sie irgendwo anders Schutz gefunden haben. Jedenfalls hoffte ich das.
Der Griff um mein von König Nicolas geliehes Schwert wurde fester, als ich wieder zur Eingangstür rannte. Als ich diese vorsichtig aufmachte und nach draußen blinzelte, schloss ich die Tür wieder schnell und starrte auf das dunkle Holz. Das gab es doch nicht. Das hatte ich doch wohl nicht richtig gesehen.
Mit rasendem Herzen und dem Gefühl, mir gleich in die Hose zu machen, öffnete ich die Tür wieder einen kleinen Spalt breit und sah zur Richtung des Schlosses hin. Hoch am Himmel wütete ein riesiger, schwarzer Drache und setzte alles unter sich in Brand. Und ich erkannte undeutlich noch einige weitere dunkle Flugkreaturen. Ich wollte wahrlich nicht wissen, welche unmenschlichen Wesen da noch am Boden kämpften.
Fieberhaft überlegte ich, wo ich hingehen sollte. Ginge ich nach links und damit auf das Geschehen zu, so wäre das mein sicherer Tod. Tot nützte ich jedoch niemandem mehr etwas, also hoffte ich darauf, dass sich Clara nicht in dieser Richtung befand und beschloss, ein wenig weiter entfernt nach ihr zu suchen.
Achtsam trat ich aus dem Haus heraus und eilte zur Gasse gegenüber. Kurz blieb ich stehen und lauschte, hörte jedoch nichts. Als ich um die nächste Ecke bog, wurde mir in einem Moment mein Schwert aus der Hand geschmettert. Innerhalb des nächsten Moments spürte ich einen stechenden Schmerz an meiner Schläfe und fand mich auf dem Boden wieder.
Instinktiv riss ich die Arme hoch, um mein Gesicht zu schützen.
"Grundgütiger, Vane", hörte ich dann schließlich.
Verwirrt blickte ich hoch und brauchte einen Augenblick um zu verarbeiten, dass die Königstochter Victorine über mir stand und ihre scharfe Schwertklinge mit nur kurzem Abstand zu meinen Unterarmen gestoppt hatte.
Meine Güte, hatte die eine Kraft. Die rechte Seite meines Kopfes pochte, als hätte sie ihn mit voller Wucht gegen die Hausmauer neben uns geschlagen und die Ablenkung genutzt, um mich auf irgendeine Weise zu Boden zu bringen.
Nun steckte die Adlige in voller Rüstung ihr Schwert weg und streckte mir ihre Hand entgegen. "Wäre ich von hinten gekommen, dann wärst du jetzt tot gewesen", bemerkte sie mit erleichtertem Unterton, während ich ihre Hand ergriff und mich von ihr hochziehen ließ.
"Was für ein Glück ich doch hab", entgegnete ich und rieb mir mit vorsichtigen Bewegungen die schmerzende Stelle meines Kopfes.
"Ich habe dir doch heute noch gezeigt, wie man den Griff fest in der Hand hält", tadelte Victorine mich und drückte mir das Schwert zurück in die Hände.
"Hm", grummelte ich. "Da hätte ich wohl besser aufpassen müssen." Ich schlang meine Finger um den Griff, hielt diesen nun um einiges fester und baute Spannung in meiner Handmuskulatur auf. Als ich wieder nach vorne sah schlich Victorine lautlos zur Richtung hin, woher ich gekommen war.
"Wartet", hielt ich sie flüsternd auf. "Ich konnte Clara nirgendwo finden. Wir müssen sie suchen."
Die Königstochter, welche sich zu mir umgedreht hatte, starrte mich an. Mit ihrer Rüstung und dem Sichtschutz ihres Helmes waren die dunklen Augen das einzige, was ich von ihrem Körper sehen konnte. Na ja, und die dunkelroten Blutspritzer auf ihrer Haut. "Wann hast du sie zuletzt gesehen?"
"Heute morgen", antwortete ich. „Nachdem wir trainiert hatten und ich ins Haus gegangen war, hatte ich sie schon nicht mehr finden können. Kurz darauf hat das hier alles angefangen."
"Und sie hat nicht erwähnt, ob sie heute etwas vor hatte? Irgendwo hin musste?", hakte Victorine mit bedeckter Stimme nach.
Bedrückt schüttelte ich den Kopf. Ein ungutes Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit. Ich hoffte so sehr, dass ihr nichts passiert war.
"Überleg, wo sie hin gegangen sein könnte. Ob du irgendwas über ihren Tagesablauf weißt", drängte Victorine ernst. "In der Zwischenzeit verschaffen wir uns erst einmal einen Überblick über die Situation."
„Was meint Ihr damit?", fragte ich panisch, doch Victorine blickte sich nur kurz nach oben hin um, ging auf irgendein Haus zu, riss die Türe auf und verschwand dann darin.
„Verflucht", flüsterte ich, blickte mich noch einmal schnell nach hinten um und folgte ihr dann. Bei ihr war ich momentan am sichersten, obwohl ich leider befürchtete, dass sie nicht sonderlich vorsichtig war.
Ich schlich hinter der Soldatin her, welche mit gezücktem Schwert die Treppe hinauf ging. Daraufhin öffnete sie eine Zimmertür, fand jedoch anscheinend nicht das, wonach sie suchte. Im nächsten Raum hatte sie mehr Glück.
Als ich aber begriff, was das Ziel ihrer Suche gewesen war, entschied ich mich eindeutig gegen den Begriff Glück. Das war purer Wahnsinn.
„Was macht Ihr denn da?", zischte ich, als sich Victorine auf dem kleinen Balkon nach oben aufs Dach zog.
„Überblick", schien sie mich mit einem knappen Wort an den Plan erinnern zu wollen. Sie sah auf mich herunter und streckte eine Hand aus.
Zögerlich ergriff ich diese und nutzte ihre Hilfe, um mich ebenfalls nach oben zu hieven. Auf dem Dach angekommen versuchte ich das Gleichgewicht zu bewahren und einen festen Stand zu finden. Erst dann blickte ich nach vorne zum Schloss hin.
Unzählige Soldaten mit den Wappen von Tenebris strömten aus den Schlosstoren. In der Luft befanden sich die verschiedensten Geschöpfe, die immer wieder nach unten flogen, sich gegnerische Soldaten schnappten und schließlich oben in der Luft zerrissen oder einfach wieder fallen ließen. Auf den Straßen und zwischen den Gassen stapelten sich die leblosen Körper.
Die Soldaten von Spero und Sanguis, die nicht aus der Luft angegriffen wurden, hatten entweder mit gegnerischen Menschen oder anderen Wesen zutun. Mit deformierten Körpermassen, von denen ich froh war, sie aus dieser Entfernung so schlecht sehen zu können. Und dann war da noch der Drache, der alles unter sich in Schutt und Asche setzte.
Es war aussichtslos. Da gab es keinen Zweifel. Das war wie als wäre das gesamte Unterdeck von Bomben zerrissen worden. Das Wasser strömte unaufhaltsam hinein und würde das gesamte Schiff in die tödliche Tiefe reißen.
Meine Knie zitterten. Am liebsten hätte ich die Hand ausgestreckt und mich an der so standhaft scheinenden Königstochter festgehalten, mein Stolz hinderte mich jedoch daran. Spätestens ab heute war Cephas der mächtigste Mann dieses Landes. Ob wir uns nicht vielleicht lieber direkt vom Hausdach werfen sollten? Jeder von uns war verloren.
Ein Luftzug schoss an mir vorbei. Das in einen pechschwarzen Mantel gehüllte Geschöpf war an uns vorbei gerast und zielte nun auf das Geschehen vor uns. Eine weitere Person schoss über uns hinweg. Und noch eine weitere.
Ich drehte mich um und blickte einer ganzen Armee entgegen, die bis zum Horizont reichte. Starrend weitete ich die Augen, während fliegende Frauen mit komplett schwarzen Augen an uns vorbei flogen. Drachen verschiedenster Formen. Kleine Feen.
Unten auf dem Boden bahnte sich eine bunte Mischung von verschiedensten Kreaturen in das Dorf hinein. Bergtrolle, Kobolde, Wölfe.
Die Hexen hatten eine Armee aus den Bergen mitgebracht.
Ich drehte mich wieder um. Die erschienenen Wesen steuerten alle auf den Kampf zu und stellten sich Cephas Armee gegenüber. Sie halfen den menschlichen Soldaten von Spero und Sanguis. Kämpften Seite an Seite mit ihnen. Töteten die Menschen und magischen Wesen von Tenebris.
"Was passiert hier?", flüsterte ich. Gänsehaut überkam meinen gesamten Körper, als ich das Blutbad vor uns beobachtete. Doch Victorine, die sich noch immer nicht wieder umgedreht hatte, antwortete mir für eine kurze Weile nicht.
Schließlich räusperte sie sich. "Vane. Bist du sicher, dass Clara deine Hilfe braucht?"
"Natürlich", erwiderte ich entsetzt, ohne meinen Blick von dem Krieg vor meinen Augen abwenden zu können. Wog die Königstochter tatsächlich ab, sie einfach im Stich zu lassen? Und das auch noch bei dem Anblick des tödlichen Chaos vor uns? „Clara ist vollkommen hilflos. Wir müssen ihr helfen, Victorine. Ich flehe Euch an."
Als keine Antwort kam, sah ich zu ihr herüber.
"Hm", machte diese nur, zuckte mit den Schultern und starrte in die Ferne. „Auf mich macht sie aber gar nicht so einen hilflosen Eindruck."
Verwirrt drehte ich mich um und folgte ihrem Blick.
Unten zwischen den Häusergassen schlich sich eine Gruppe von Menschen entlang. Männer, Frauen und Kinder in zerlumpter Kleidung. Manche humpelten oder drückten sich Stofffetzen auf blutende Körperteile.
Die Gruppe wurde von der Hexe in dem schwarzen Mantel angeführt, welche Victorine heute mit den riesigen Raben abgeholt hatte. Und außerdem noch von Clara, die einen blitzenden Dolch vor sich hielt, um die Gruppe mit der Hexe zu beschützen.
Ich traute meinen Augen kaum, wusste aber gleichzeitig nicht genau, weshalb ich überhaupt so überrascht war. Kein Wort kam mir über die Lippen. Ich hatte zu viele Fragen auf einmal, um mich für eine zu entscheiden.
Victorine stand sowieso nicht lange genug einfach nur herum, bis ich eine ausgesprochen hatte. Sie sprang vom Dach herunter, landete auf dem Balkon und verschwand wieder im Haus. Auch ich setzte mich nach einem letzten Blick auf das Blutbad in der Ferne in Bewegung und folgte der Königstochter.
Mit schnellen Schritten bewegten wir uns zum Ausgang und bahnten uns dann unseren Weg durch die Gassen, bis wir wieder vor Claras Gaststätte angelangt waren. Am Ende der Straße kam die Gruppe auf uns zu, wobei ich erleichtert war, dass die Hexe uns nicht versehentlich in Stücke riss. Oder uns von innen ausbluten ließ.
„Vane?", sprach die zierliche Frau neben der Hexe meinen Namen in bedecktem Tonfall aus. Den blitzenden Dolch ließ sie bei meinem Anblick ein wenig sinken. Einige ihrer hellen Haarsträhnen hatten sich aus dem geflochtenen Zopf gelöst. Auf ihrer Haut im Gesicht lag eine dünne Schicht aus Asche und Dreck, die ihre blauen Augen noch mehr zum blitzen brachte. Ein Blau, dass mir so sehr fehlte, dass ich einen Stich im Herzen spürte.
„Geht es dir gut?", wählte ich die erste meiner unzähligen Fragen nun ohne Zögern.
"Ja", antwortete Clara fast atemlos mit einem sicheren Nicken.
Die Hexe ging mit kraftvollen, zielstrebigen Schritten an mir vorbei und öffnete die grobe, hölzerne Tür des Gasthauses. „Könnten wir das Wiedersehen vielleicht ins Innere verlegen?" Ihre schwarzen, unheimlichen Augen waren mir zugewandt. Ein Schauder lief mir über den Rücken.
„Schnell, kommt alle rein", hörte ich Clara energisch flüstern, während sie die verletzten Dorfbewohner hinter sich in das Gebäude hinein winkte.
Victorine und ich blickten uns an.
„Ich werde hier bleiben", verkündete ich ihr schließlich.
"Willst du dich nicht an Cephas rächen?", fragte die Königstochter mit einem kurzen Blick auf das geliehene Schwert in meinen Händen.
"Celeria und meine Crew sind bereits gesunken", sprach ich die höllische Tatsache aus, die mich jede Sekunde verfolgte und mir Nachts den Schlaf raubte. Aber es stimmte. Mein altes Leben war vorbei. Ab jetzt würde alles anders sein. Mein Blick folgte der letzten Person, die in der Sicherheit des Hauses verschwand und dann auf Clara, die sich zu mir umdrehte und mich anblickte. „Ich muss mich darauf konzentrieren, was noch zu retten ist. Denen helfen, die noch am Leben sind."
Victorine nickte. "Eine noble Entscheidung." Sie trat einen Schritt zurück. „Viel Erfolg, Vane Granville. Möge der Segen Speros mit dir sein."
Der Griff um mein Schwert verhärtete sich. „Möge der Segen Celerias mit Euch sein."
Die Königstochter hielt den Blickkontakt für einen weiteren kurzen Moment. Dann drehte sie sich um und schlich davon. Sie steuerte die Richtung an, in der das Blutbad stattfand.
Ich hoffte, dass dies nicht der Moment war, in dem ich sie zum letzten Mal gesehen hatte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top